Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, M. Campos Sanchez-Bordona, verkündet morgen um 9.30 Uhr sein Votum bezüglich der Klage des PIRATEN-Politikers und Datenschützers Dr. Patrick Breyer gegen die Bundesregierung (Az. C-582/14). Auf Anfrage des Bundesgerichtshofs soll das oberste EU-Gericht darüber entscheiden, ob Anbieter von Internetportalen flächendeckend auf Vorrat speichern dürfen, wer was im Internet liest, schreibt oder sucht, oder ob Internetnutzer ein Recht auf anonyme und nicht nachverfolgbare Internetnutzung haben.
Dr. Patrick Breyer: »Nur wenn Regierung und Internetkonzernen die Aufzeichnung unseres Surfverhaltens verboten wird, sind wir vor Ausspähung unseres Privatlebens, fälschlichen Abmahnungen und falschem Verdacht der Strafverfolger sicher. IP-Adressen haben sich als extrem fehleranfälliges und unzuverlässiges Mittel zur Personenidentifizierung
erwiesen. Und solange wir uns schon wegen des Lesens von Internetseiten verdächtig machen können, gibt es keine echte Informations- und Meinungsfreiheit im Internet.
Niemand hat das Recht, alles, was wir im Netz sagen, und alles, was wir tun, aufzuzeichnen. Als ‚Generation Internet‘ haben wir das Recht, uns im Netz ebenso unbeobachtet und unbefangen informieren zu können, wie es unsere Eltern aus Zeitung, Radio oder Büchern konnten!«
In der mündlichen Verhandlung bestand zwischen EU-Kommission und Kläger Einigkeit darüber, dass die beim Surfen übermittelten Kennungen der Internetnutzer (IP-Adressen) dem Datenschutz unterliegen – auch bei Stellen, die den Anschlussinhaber nicht selbst identifizieren können.
Die EU-Kommission erklärte, der Datenschutz sei ein Grundrecht und der Anwendungsbereich von Grundrechten müsse objektiv feststehen. Würde man nur auf die subjektiven Möglichkeiten der jeweiligen Stelle abheben entstünden Schutzlücken, weil eine schrankenlose Weitergabe der Internetdaten zulässig wäre.
Weil das deutsche Telemediengesetz Anbietern von Internetportalen eine personenbezogene Protokollierung der Internetnutzung (z. B. gelesene Internetseiten, eingegebene Suchbegriffe, geschriebene Kommentare) nur zur Abrechnung kostenpflichtiger Angebote gestattet, meint die EU-Kommission jedoch, dass die Erforderlichkeit einer Datenspeicherung nach EU-Recht nur im Einzelfall beurteilt werden könne. Es könne zwar durchaus sein, dass die von der Bundesregierung praktizierte flächendeckende Surfprotokollierung unzulässig sei. Nationale Gesetze dürften aber nicht generell und abschließend festlegen, wann es an einem
„berechtigten Interesse“ des Verantwortlichen fehle oder wann das Interesse der Betroffenen schwerer wiege; dies sei von den Gerichten von Fall zu Fall zu entscheiden.
Breyer dazu: »Wenn sich die Auffassung der Kommission durchsetzen sollte, sind weite Teile unseres Datenschutzrechts obsolet und es entsteht ein Zustand der völligen Rechtsunsicherheit. Alleine auf der Grundlage einer schwammigen Generalklausel und weniger Gerichtsentscheidungen in Einzelfällen können weder Staat noch Unternehmen, weder Bürger noch Datenschutzbehörden eindeutig feststellen, was mit unseren Daten gemacht werden darf und was nicht. Diese Auffassung schafft nicht nur vollkommene Rechtsunsicherheit. Sie hebelt einen wirksamen Schutz unserer Daten aus, weil unsere
Volksvertreter keine Regeln mehr setzen und erst jahrelange teure Gerichtsprozesse überhaupt noch Klarheit schaffen könnten. Im Interesse der Privatsphäre und Meinungsfreiheit hoffe ich inständig, dass der Gerichtshof präzise Datenschutzregeln ermöglicht und auch selbst festlegt, die eine Aufzeichnung des Surfverhaltens jedes Internetnutzers ausschließen.«
Der vom Kläger beauftragte Berliner Rechtsanwalt Dr. Meinhard Starostik sprach in seinem Plädoyer von einem Grundsatzprozess: »Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung betont, dass die Internetnutzung nicht inhaltlich festgehalten und damit rekonstruierbar bleiben darf. Wer mit Nachteilen wegen des Inhalts seiner Internetnutzung rechnen muss, wird möglicherweise nicht mehr unbefangen von seiner Informations- und Meinungsäußerungsfreiheit Gebrauch machen.«
In Anlehnung an Edward Snowden meint der Kläger: »Niemand hat das Recht, alles, was wir im Netz sagen, und alles, was wir tun, aufzuzeichnen. Als ‚Generation Internet‘ haben wir das Recht, uns im Netz ebenso unbeobachtet und unbefangen informieren zu können, wie es unsere Eltern aus Zeitung, Radio oder Büchern konnten.«
Mit dem Urteil kann im Sommer gerechnet werden.
Breyer: »Wenn der Europäische Gerichtshof in meinem Sinne entscheidet, hat das weitreichende Folgen für die gesamte Internetbranche: Die webseitenübergreifende Nachverfolgung (Tracking) unserer Internetnutzung durch Werbenetzwerke wie Doubleclick und Internetkonzerne wie Facebook wäre damit unterbunden. Die schwammige
neue EU-Datenschutzverordnung droht jedoch alles wieder zunichte zu machen. Ich fordere die EU-Kommission deshalb auf, nachzubessern und ein eindeutiges Verbot der anlasslosen Protokollierung unseres Surfverhaltens vorzulegen!«
Zur Person: Der Kläger Dr. Patrick Breyer ist Bürgerrechtler, Datenschützer und Landtagsabgeordneter der Piratenpartei in Schleswig-Holstein. Er ist bereits gegen das Gesetz zur Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten erfolgreich vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Seit 2006 klagt er gegen die Surfprotokollierung durch Bundesbehörden.
Quellen:
Das Plädoyer des Klägeranwalts vor Gericht: http://www.daten-speicherung.de/wp-content/uploads/Surfprotokollierung_2016-02-25_Kl.pdf
Aufsatz über den „Personenbezug von IP-Adressen“ http://www.daten-speicherung.de/wp-content/uploads/Breyer-Personenbezug-IP-Adressen.pdf
Web Tracking Report 2014 des Fraunhofer-Instituts für Sichere
Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, M. Campos Sanchez-Bordona, verkündet morgen um 9.30 Uhr sein Votum bezüglich der Klage des PIRATEN-Politikers und Datenschützers Dr. Patrick Breyer gegen die Bundesregierung (Az. C-582/14). Auf Anfrage des Bundesgerichtshofs soll das oberste EU-Gericht darüber entscheiden, ob Anbieter von Internetportalen flächendeckend auf Vorrat speichern dürfen, wer was im Internet liest, schreibt oder sucht, oder ob Internetnutzer ein Recht auf anonyme und nicht nachverfolgbare Internetnutzung haben.
Dr. Patrick Breyer: »Nur wenn Regierung und Internetkonzernen die Aufzeichnung unseres Surfverhaltens verboten wird, sind wir vor Ausspähung unseres Privatlebens, fälschlichen Abmahnungen und falschem Verdacht der Strafverfolger sicher. IP-Adressen haben sich als extrem fehleranfälliges und unzuverlässiges Mittel zur Personenidentifizierung
erwiesen. Und solange wir uns schon wegen des Lesens von Internetseiten verdächtig machen können, gibt es keine echte Informations- und Meinungsfreiheit im Internet.
Niemand hat das Recht, alles, was wir im Netz sagen, und alles, was wir tun, aufzuzeichnen. Als ‚Generation Internet‘ haben wir das Recht, uns im Netz ebenso unbeobachtet und unbefangen informieren zu können, wie es unsere Eltern aus Zeitung, Radio oder Büchern konnten!«
In der mündlichen Verhandlung bestand zwischen EU-Kommission und Kläger Einigkeit darüber, dass die beim Surfen übermittelten Kennungen der Internetnutzer (IP-Adressen) dem Datenschutz unterliegen – auch bei Stellen, die den Anschlussinhaber nicht selbst identifizieren können.
Die EU-Kommission erklärte, der Datenschutz sei ein Grundrecht und der Anwendungsbereich von Grundrechten müsse objektiv feststehen. Würde man nur auf die subjektiven Möglichkeiten der jeweiligen Stelle abheben entstünden Schutzlücken, weil eine schrankenlose Weitergabe der Internetdaten zulässig wäre.
Weil das deutsche Telemediengesetz Anbietern von Internetportalen eine personenbezogene Protokollierung der Internetnutzung (z. B. gelesene Internetseiten, eingegebene Suchbegriffe, geschriebene Kommentare) nur zur Abrechnung kostenpflichtiger Angebote gestattet, meint die EU-Kommission jedoch, dass die Erforderlichkeit einer Datenspeicherung nach EU-Recht nur im Einzelfall beurteilt werden könne. Es könne zwar durchaus sein, dass die von der Bundesregierung praktizierte flächendeckende Surfprotokollierung unzulässig sei. Nationale Gesetze dürften aber nicht generell und abschließend festlegen, wann es an einem
„berechtigten Interesse“ des Verantwortlichen fehle oder wann das Interesse der Betroffenen schwerer wiege; dies sei von den Gerichten von Fall zu Fall zu entscheiden.
Breyer dazu: »Wenn sich die Auffassung der Kommission durchsetzen sollte, sind weite Teile unseres Datenschutzrechts obsolet und es entsteht ein Zustand der völligen Rechtsunsicherheit. Alleine auf der Grundlage einer schwammigen Generalklausel und weniger Gerichtsentscheidungen in Einzelfällen können weder Staat noch Unternehmen, weder Bürger noch Datenschutzbehörden eindeutig feststellen, was mit unseren Daten gemacht werden darf und was nicht. Diese Auffassung schafft nicht nur vollkommene Rechtsunsicherheit. Sie hebelt einen wirksamen Schutz unserer Daten aus, weil unsere
Volksvertreter keine Regeln mehr setzen und erst jahrelange teure Gerichtsprozesse überhaupt noch Klarheit schaffen könnten. Im Interesse der Privatsphäre und Meinungsfreiheit hoffe ich inständig, dass der Gerichtshof präzise Datenschutzregeln ermöglicht und auch selbst festlegt, die eine Aufzeichnung des Surfverhaltens jedes Internetnutzers ausschließen.«
Der vom Kläger beauftragte Berliner Rechtsanwalt Dr. Meinhard Starostik sprach in seinem Plädoyer von einem Grundsatzprozess: »Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung betont, dass die Internetnutzung nicht inhaltlich festgehalten und damit rekonstruierbar bleiben darf. Wer mit Nachteilen wegen des Inhalts seiner Internetnutzung rechnen muss, wird möglicherweise nicht mehr unbefangen von seiner Informations- und Meinungsäußerungsfreiheit Gebrauch machen.«
In Anlehnung an Edward Snowden meint der Kläger: »Niemand hat das Recht, alles, was wir im Netz sagen, und alles, was wir tun, aufzuzeichnen. Als ‚Generation Internet‘ haben wir das Recht, uns im Netz ebenso unbeobachtet und unbefangen informieren zu können, wie es unsere Eltern aus Zeitung, Radio oder Büchern konnten.«
Mit dem Urteil kann im Sommer gerechnet werden.
Breyer: »Wenn der Europäische Gerichtshof in meinem Sinne entscheidet, hat das weitreichende Folgen für die gesamte Internetbranche: Die webseitenübergreifende Nachverfolgung (Tracking) unserer Internetnutzung durch Werbenetzwerke wie Doubleclick und Internetkonzerne wie Facebook wäre damit unterbunden. Die schwammige
neue EU-Datenschutzverordnung droht jedoch alles wieder zunichte zu machen. Ich fordere die EU-Kommission deshalb auf, nachzubessern und ein eindeutiges Verbot der anlasslosen Protokollierung unseres Surfverhaltens vorzulegen!«
Zur Person: Der Kläger Dr. Patrick Breyer ist Bürgerrechtler, Datenschützer und Landtagsabgeordneter der Piratenpartei in Schleswig-Holstein. Er ist bereits gegen das Gesetz zur Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten erfolgreich vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. Seit 2006 klagt er gegen die Surfprotokollierung durch Bundesbehörden.