Allgemein

EU-Richtlinie bedroht das Internet of Things

Die neue Funkrichtlinie der EU (2014/53/EU) wird möglicherweise das Internet of Things und weite Teile von Industrie 4.0 in der EU beenden, bevor sie zu einem Wirtschaftsfaktor werden können. Bisher wurde in erster Linie befürchtet, dass Open Source Projekte wie z. B. die Initiative Freifunk durch diese Funkrichtlinie betroffen sind – die Auswirkungen gehen jedoch deutlich weiter. Wird umgesetzt, was offensichtlich geplant ist, können in Europa Maschinenbau und Elektronikindustrie den größten Teil der drahtlos betriebenen Produkte nicht mehr herstellen.

Was sieht die Richtlinie vor?

In der Richtlinie ist vorgesehen, dass Funksysteme verhindern müssen, dass auf ihnen eine Software geladen werden kann, die ein nicht standardkonformes Verhalten verursacht. Es soll sichergestellt werden, dass Funksysteme nicht gehackt werden können, um z. B. unzulässige Frequenzen zu benutzen.

Was sich im ersten Moment harmlos anhört, wird zu einem echten Problem, wenn man sich ansieht, was es an technischen Möglichkeiten gibt.
Da einer Software nicht von außen anzusehen ist, wie sie sich verhalten wird, muss die Information, ob die Software akzeptiert werden kann, von außen kommen.

(1) Das Funksystem muss also einen Zugang zum Internet haben, um von einem Server die Konformitätsbestätigung zu holen. Außerdem muss das Funksystem über ausreichend Rechenleistung und Speicher verfügen, um die notwendigen Protokolle zu bedienen.

Eine Internetverbindung ist für viele Systeme nicht möglich, da sie entweder nicht über die technischen Voraussetzungen verfügen oder aus Sicherheitsgründen vom Internet isoliert sind.

(2) Auch die notwendige Rechenleistung ist bei vielen Funksystemen nicht vorhanden. Viele Geräte für stromsparenden Betrieb sind nur mit wenig Speicher und Rechenleistung ausgerüstet. Diese sind nicht in der Lage, verschlüsselte Zertifikate und Software zu prüfen. (3)

Wie ist das bei Funkmodulen?

Besonders problematisch ist so eine Vorgabe für den weitverbreiteten Einsatz von Funkmodulen (4). Für Firmen, die Funkmodule einsetzen, wird durch so eine Regelung eine unüberwindbare Hürde aufgebaut. Die zwingend notwendige Installation von Software auf den Modulen während der Entwicklung und Fertigung von Produkten ist unter solchen Anforderungen nicht mehr möglich. Das Funkmodul selber müsste in der Lage sein, eine Internetverbindung herzustellen, um ein Konformitätszertifikat abzurufen. Während der Entwicklung ist es zudem unmöglich, Software zu testen, weil sie nicht zertifiziert ist und damit nicht installiert werden kann.
An dieser Stelle einen Mechanismus zu schaffen, mit dem eine einfache Zertifizierung oder Signierung für den Softwareentwickler möglich wäre, würde die gesamte Vorgabe ad absurdum führen. Dieser Weg stünde dann jedermann zur Installation von beliebiger Software offen.

Ist es sinnvoll, nach Produktkategorien zu trennen?

Ebenfalls wenig hilfreich ist es, dass die Funkrichtlinie erlaubt, dass die Vorgaben nach Produktkategorien getrennt werden können.
Die Trennung zwischen den Produkten ist nicht immer eindeutig und es passiert nicht selten, dass Produkte anders eingesetzt werden als es ursprünglich vorgesehen war.
Eine Beschränkung auf z. B. WLAN-Geräte würde ganz massive Einschränkungen für viele Anwendungen bedeuten. WLAN wird im industriellen Umfeld für viele Verbindungen eingesetzt, inklusive WLAN-Routern in robusten Ausführungen. Diese Systeme sind häufig aus Sicherheitsgründen vom Internet isoliert.

Es gibt also drei mögliche Optionen:

– Eine Regelung treffen, die einen großen Produktbereich unmöglich macht, der massive Wachstumsaussichten hat

– Komplizierte, aber wirkungslose Regeln erlassen, die problemlos umgangen werden können, aber hohe Kosten produzieren

– Es sein lassen und die Entwicklung neuer Ideen und Produkte nicht behindern

Hintergrundinformation

(1) Wahrscheinlich wird für eine Regelung u. a. ein Entwurf des ETSI für rekonfigurierbare Funksysteme verwendet. ETSI TR 102967 beschreibt Vorgehensweisen für die Sicherstellung der Konformität einer zu installierenden Software.
Das Konzept geht so weit, einen Mechanismus zu empfehlen, mit dem eine Aufsichtsbehörde per Fernsteuerung Geräte stilllegen kann, die nicht konform arbeiten. Da fragt man sich, ob das Satire sein soll. Ein solcher Mechanismus setzt nicht nur voraus, dass das Gerät einen Internetzugang haben muss, sondern auch, dass sein Installationsort überprüft werden kann – also ob es sich überhaupt in der Jurisdiktion der Aufsichtsbehörde befindet. Dazu kommt, dass sich Hacker aller Art über so eine fest eingebaute Sicherheitslücke freuen werden.

 

ETSI TR 102967

(2) Ein solches System entspricht dem aus dem Bereich digitaler Medien bekannten Digital Rights Management (DRM). Negative Erfahrungen mit dem damit verbundenen Aufwand, Fehleranfälligkeit und fehlender Benutzerfreundlichkeit führen dazu, dass diese Verfahren auf dem Rückzug sind.
Warum gerade für einen so wichtigen Bereich wie dem oft sicherheitsrelevanten Softwareupdate ein solcher Mechanismus eingeführt werden soll, ist schwer zu begreifen. Mit der damit verbundenen Komplexität würde nur erreicht werden, dass viele Systeme gar keine Möglichkeit zum Softwareupdate mehr haben. Oder die Softwareupdates werden vom Hersteller aus Kostengründen selten zur Verfügung gestellt und vom Anwender wegen der Umstände bei der Installation noch viel seltener installiert.

 

(3) ETSI beschreibt in EN 303095 ein Referenzmodell für eine rekonfigurierbare Funkarchitektur. Dabei wird ein System vorausgesetzt, dass den Umfang eines Smartphones oder Tablets hat, welches sehr weit entfernt von z. B. einem per WLAN betriebenen Sensor wäre.
Wenn Regelungen von diesem Konzept ausgehen, werden ganz weite Produktbereiche unmöglich.

ETSI EN 303095

(4) Funkmodule werden von sehr vielen Firmen eingesetzt, um einen erheblichen Teil des Aufwands bei der Entwicklung von Funksystemen einzusparen. Die Funkmodule sind von den Herstellern bereits geprüft und haben häufig Zulassungen für mehrere Regionen. Wenn bei der Integration eines Funkmoduls in ein Produkt die Funkeigenschaften nicht verändert werden, entfällt damit die Funk-Zulassungsprüfung weitgehend oder sogar vollständig.

Funkmodule gibt es für verschiedenste Protokolle, z. B. WLAN, Bluetooth, Zigbee. Der Gerätehersteller, der ein Funkmodul in sein Produkt integriert, muss die Software für diese Protokolle nicht mehr entwickeln, da sie vom Hersteller des Moduls geliefert wird. Beim Gerätehersteller wird aber in vielen Fällen die Software des Funkmoduls in der gewünschten Konfiguration und ggf. mit zusätzlicher eigener Software auf dem Modul installiert.
Moderne Funkkomponenten sind häufig sogenannte „Reconfigurable Radios“ oder „Software Defined Radios“. Deren Funkeigenschaften werden von der verwendeten Software bestimmt oder zumindest beeinflusst. Damit ist es prinzipiell möglich, ein nicht standardkonformes Verhalten durch Aufspielen einer Software zu erzielen. Der Vorteil solcher Systeme ist, leichter Änderungen am Standard nachzurüsten, Varianten an regionale Anforderungen anzupassen und produktspezifische Eigenschaften leichter realisieren zu können.
Funkmodule sind mittlerweile ein sehr wichtiger Faktor in Produkten von kleinen und mittelständischen Herstellern von Maschinen, Sensoren, Steuerung, Gebäudeautomatisierung und vielen anderen Bereichen. Diese Unternehmen werden erst durch die programmierbaren und flexiblen Funkmodule in die Lage versetzt, Produkte mit Funktechnik herzustellen.

Quellen:

Funkrichtlinie
 
ENGLISH VERSION:

EU Regulation threatens Internet of Things

The  new EU radio equipment directive (2014/53/EU) has the potential to end  the Internet of Things and much of Industry 4.0 in the EU before they  can take off economically. So far the main concern was that open source  projects and initiatives like the „Freifunk“ wireless community network  will be damaged by the RED (Radio Equipment Directive). But the actual  consequences go way farther. If it gets implemented in the way that  seems to be planned it will end most of the wireless products made by  the European electronics and automation industry.

 

What is in the directive?

According  to the directive radio equipment has to have a mechanism that prevents  installing software on them that can lead to non regulation compliant  behaviour. Hacking systems for example to make them work in non  authorized frequency bands has to be prevented by the manufacturer.

At  first glance this may seem harmless. But it is a real problem since  there are few options to technically implement such a barrier.

There  is no way to tell from outside how a software will behave. So the  information if the software to install on the radio system is compliant  has to come from an external source. (1)

This  means the radio system has to have access to the internet to get a  certificate from a server. Also it has to have sufficient processing  power and memory to run the necessary protocols.

An  internet connection is not possible for many systems. They don’t  necessarily have the technical ability to connect to the internet, or  they may have to be isolated from the internet for security reasons. (2)

Many  wireless systems are optimized for low energy requirements. They have  limited processing power and memory and are most likely not able to run  the necessary encryption algorithms to verify certificates and software.  (3)

 

What about radio modules?

Such  requirements are especially problematic for radio modules. (4) Testing  software on radio modules during development would become impossible.  The radio module would need to be able to somehow get a certificate for  the software to install but during development a software can not be  certified. So developing software for radio modules would become  impossible since it can not be installed for testing prior to ceritfying  it.

Allowing  a mechanism for software developers to circumvent the certification  would invalidate the whole effort since this mechanism could be sued to  install arbitrary software.

 

Does restricting the requirements to certain product types help?

The  directive allows to address definitive product types and define  specific requirements for them. But this does not work in the real  world.

Boundaries  between products are not always sharp and well defined. In addition  many products get used in multiple roles or for applications they are  not intentionally designed for.

Even restricting the rules to WLAN products would cause major problems in  the industry. WLAN is a major backbone for the Internet of Things,  including robust routers for industrial applications. Such systems are  quite often isolated from the internet for cyber security.

 

Three realistic options:

 

–  Define rules that will make a lot of products impossible, essentially  kicking Europe out of emerging markets like Internet of Things and  Industry 4.0

 

– Define complexand expensive rules that are useless and can be eaily circumvented.

 

– Forget about the whole thing and don’t hinder the development of new ideas and products.

 

Background information

(1)  ETSI draft paper TR 102967 describes a system to ensure the conformity  of software to be installed. Most likely this will be used as a  blueprint for a regulation.

The  concept recommends a function that allows a market surveillance body to  remotely shut down systems that are not behaving compliant. Makes you  wonder if this is an April Fools edition. Such a mechanism not only  requires the radio device to always be online on the internet but also  have some way to detect its geolocation so the market surveillance body  can check if the equipment is within its jurisdiction. Hackers will love  this huge and legally required security hole.

 

ETSI TR 102967

http://www.etsi.org/deliver/etsi_tr/102900_102999/102967/01.02.01_60/tr_102967v010201p.pdf

 

(2)  Such a system is essentially a Digital Rights Management like what is  in use for digital media. Negative experience with complexity, bad user  experience, and a tendency to not work in situations that are not 100%  standard have lead to a retreat of DRM for digital media.

Adopting  such a mechanism for a security relevant issue like software updates is  bad advice. The added complexity and cost will only lead to fewer  software updates suplied by the manufacturers and even fewer installed  by the users, or none at all due to technical impossibility.

(3)  ETSI EN 303095 describes a reference model for reconfigurable radio  architectures. It assumes a system with the complexity of a smartphone  or tablet computer. This is very far from the hardware of for instance a  WLAN connected sensor.

Rules based on such a complex reference model would kill many product ranges.

 

ETSI EN 303095

http://www.etsi.org/deliver/etsi_en/303000_303099/303095/01.02.01_20/en_303095v010201a.pdf

 

(4)  Radio modules are in wide use in the industry today. They allow  companies to use wireless technology in their products without large  investments. The modules are usually tested and approved for multiple  regions by their manufacturers. If the radio module hardware is not  modified and the software used as defined by the module manufacturer the  radio frequency approval is minimized.

There are modules for all kinds of protocols on the market: WLAN, Bluetooth, Zigbee…

A  company integrating a radio module into a product does not need to  develop the protocol software. The module manufacturer provides the  necessary software and tools to customize the protocol. Tailored  protocol and application specific software are then installed into the  module by the device manufacturer.

Modern  radio electronics usually is „recofigurable radio“ or „software defined  radio“. Their radio properties are controlled or modified by software.  In some cases this allows install software that causes behaviour outside  the standards and regulations. The advantage of such modern radio  systems is that changes to the standards are easier to add and variants  for regional differences in reguations can be easily implemented.

Radio  modules are already a major factor for products especially from small  and medium companies in machine building, automation, sensors, smart  buildings, and many more sectors. The radio modules allow those  companies to make wireless products which would otherwise not be  possible for them.

 

Reference:

Radio Equipment Directive

http://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014L0053&from=DE

2 Kommentare zu “EU-Richtlinie bedroht das Internet of Things

  1. Andreas Weller

    Es sollte zumindest eine Ausnahme geben für Funkamateure -> Modifikation von Sendeanlagen ist in dem Kontext explizit gesetzlich erlaubt. Dies wird wohl unmöglich werden, sollten die Geräte so verdongelt werden…

    Stichwort: Hamnet

    • Zu befürchten ist, dass diese Mechanismen auf Chipebene verankert werden müssten. Das wird dann Ähnlichkeiten mit dem Umgang mit Chipkarten haben.

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