Familie und Gesellschaft

Ein Kommentar von Professor Martin Haase

Die Homo-Ehe ist nicht genug

Anhand der Haltung zu „Equal Marriage“ wird oft festgestellt, wie liberal oder konservativ eine Gesellschaft oder zumindest die Diskutanten sind. Wer die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare fordert, gilt als progressiv, wer gegen diese „Ehegerechtigkeit“ ist, als konservativ. Zwar besteht Einigkeit, dass die Beschränkung der Ehe auf ein heterosexuelles Paar eine konservative Haltung widerspiegelt, die Übertragung dieses Lebensentwurfs auf Schwule und Lesben ist damit aber noch lange nicht progressiv. Diese Forderung, für die vor allem die Grünen, die Linke, aber auch Teile der SPD und sogar (wenn auch nur theoretisch) die FDP stehen, ist ebenfalls konservativ, imitiert sie doch das tradierte heterosexuelle Modell, nur eben jetzt auch für Schwule und Lesben: das Modell der Zweisamkeit, bis dass der Tod sie scheidet.

Konzept der Lebensgemeinschaft

Inzwischen gibt es aber viele andere Lebensentwürfe – ganz unabhängig von sexueller Orientierung und Identität: Patchwork-Familien, Polyamorie, Bindungslosigkeit, Wohn- und Hausgemeinschaften, generationenübergreifendes Zusammenleben oder – schon etwas traditioneller – religiöse und weltliche Ordensgemeinschaften, Hackerspaces und vieles mehr. In manchen dieser Lebensentwürfe übernehmen Menschen Verantwortung für andere und wenn das geschieht, wird die Allgemeinheit entlastet. Die Übernahme solcher Verantwortung sollte daher auch immer besondere Rechte nach sich ziehen, sofern die Beteiligten das wollen (Auskunftsrecht, ggf. Erziehungsberechtigung, Sorgerecht). Daher bedeutet der besondere Schutz von Ehe und Familie, wie ihn das Grundgesetz und die Menschenrechte fordern, im 21. Jahrhundert, dass Ehe, Partnerschaft und Familie zu erweitern sind zu einem Konzept der Lebensgemeinschaft, wie es die Piraten nennen. Die Piraten sind auch nicht die Einzigen, die in ihren Forderungen zur Öffnung der Ehe soweit gehen.

Notarieller Vertrag statt standesamtlicher Akt

Ungefähr gleichzeitig mit der Erweiterung des piratigen Grundsatzprogramms um dieses Konzept, stellten die Jungen Liberalen eine ähnliche (etwas moderatere) Forderung auf nach einer so genannten Verantwortungsgemeinschaft, aber ihre „Elternpartei“, die FDP war nicht einmal in der Lage, die viel konservativere Forderung nach der Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben durchzusetzen, obwohl sie diese – im Gegensatz zur Verantwortungsgemeinschaft – auf ihrem Parteitag beschlossen hatte. Die Forderung der Piraten geht noch weiter: Ehen bzw. Lebensgemeinschaften (in diesem Konzept soll ja die traditionelle Ehe aufgehen) sollen nicht mehr vom Staat geschlossen werden: Der standesamtliche Akt soll durch einen notariellen Vertrag abgelöst werden, denn der Staat hat sich aus der privaten Lebensführung herauszuhalten. Zwar kann er Lebensgemeinschaften, die ihn entlasten, finanziell privilegieren, sofern in ihnen Verantwortung für Schwächere übernommen wird, aber Schließung und Auflösung solcher Verträge sollen nach Vorbild des französischen Pacte civil de solidarité (PACS, ziviler, d.h. bürgerlicher Solidarpakt) nicht Angelegenheit des Staates sein.

Keine Speicherung des Geschlechts

Den Staat hat auch das Geschlecht der Menschen, die in ihm leben, nicht zu interessieren, denn auch das ist eine Privatangelegenheit. Früher war die Speicherung des Geschlechts eines Menschen für den Staat wichtig, weil nur in einer bestimmten Geschlechterkonstellation geheiratet werden durfte und weil das Geschlecht für die Rekrutierung von Soldaten relevant war. Der Wehrdienst und das heterosexuelle Eheprivileg gehören aber der Vergangenheit an, so dass keine Notwendigkeit mehr besteht, das Geschlecht staatlich erfassen zu lassen. Die hier erläuterten Vorschläge aus dem Grundsatzprogramm der Piratenpartei Deutschland tragen dazu bei, eine wirklich freie Gesellschaft zu schaffen, die auf der Diversität von individuellen Lebensentwürfen beruht.

 

Quelle: Das Grundsatzprogramm der Piratenpartei zu Geschlechter- und Familienpolitik

6 Kommentare zu “Die Homo-Ehe ist nicht genug

  1. Es ist doch nicht wichtig ob etwas das Etikett konservativ oder liberal oder fortschrittlich trägt. In diesem Fall gibt es, aus meiner Sicht, die Möglichkeiten das Eheprivileg entweder so zu belassen wie es ist, es auf Ehen mit Kindern zu beschränken oder, dritte Variante das Eheprivileg ( wie beschrieben) auf Solidargemeinschaften (die dann, wie in einer Ehe auch haften müssen)allgemein zu erweitern. Dann hat Ehe nichts mehr mit Sexualität zu tun. Die Homoehe ist inkonsequenter Quatsch der den Kreis von Priviligierten ohne inhaltlichen Sinn erweitert nur weil es „fortschrittlich“ und angeblich gerecht ist. Man kann sich natürlich auch fragen ob wir keine anderen Sorgen haben.
    MfG

    • …..keine anderen Sorgen…..bei Welt on findet sich ein interessanter Artikel mit Zahlen zur Flüchtlingskrise….
      MfG

  2. Richtig! Familie ist überall, und nur dort, wo Kinder leben.

    Ob, und inwieweit, eine beliebige Zahl von Personen beliebigen Geschlechts aus Gründen, die den Staat nichts angehen (wie Liebe oder/und Sex) füreinander einstehen wollen, ist Privatrecht. Ehe privatisieren, wie Religion.

    Nur: Der Schutz der Ehe, der im GG steht, muss dann neu interpretiert werden :-).

  3. wegen solcher und anderer unwichtigkeiten werdet ihr nicht mehr gewählt, und das ist gut so.

  4. Anonymous

    Super Artikel !! Endlich mal eine vernünftige Neuinterpretation der Lebensgemeinschaft. Sehr begrüßenswert !!!
    Langsam wird mir die Partei wieder sympathisch.

    LG

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