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9-Euro-Ticket: Erfolg und Erkenntnis

Das 9€-Ticket hat auf beeindruckende Weise zur Schau gestellt, wie erfolgreich gemeinschaftlich finanzierter Personenverkehr für den Klimaschutz sozial gerecht eingesetzt werden kann. Millionen von Menschen haben das Angebot genutzt und dafür oft das Auto stehen gelassen. Als Piratenpartei unterstreichen wir zum bedauerlichen Ende dieser einmaligen Aktion unsere Forderung nach einem umlagefinanzierten, fahrscheinfreien Öffentlichen Personennahverkehr. Aus unserer Sicht vereint das Ticket mehrere Erfolgsfaktoren, zeigt aber auch Probleme im deutschen Bahnverkehr auf, die angegangen werden müssen.

 

Klimaschutz

1,8 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid konnten durch das 9€-Ticket eingespart werden. Laut Analyse des VDV entspricht das in drei Monaten einem ganzjährigen Tempolimit [1] oder 5 % der CO2-Emissionen durch Verkehr in Deutschland [2]. Obwohl auch Menschen vom Rad teilweise auf den ÖPNV umgestiegen sind und zusätzliche Fahrten getätigt wurden, ist die CO2-Bilanz überaus positiv. Wir haben mehr Mobilität für alle, bei deutlich besserer Klimawirkung. Das 9€-Ticket zeigt, dass wir einen bezahlbaren oder besser noch: fahrscheinfreien Öffentlichen Personenverkehr für eine erfolgreiche Mobilitätswende dringend brauchen. 

Sozial gerecht

Die Kritik, dass das 9€-Ticket auch für Freizeitfahrten genutzt wurde, ist fadenscheinig. Das Ticket hat es Menschen mit niedrigem Einkommen – Alleinerziehenden, Menschen in Ausbildung, Geflüchteten oder Rentner:innen – überhaupt erst wieder ermöglicht, ihren Wohnort zu verlassen und Verwandte, Bekannte und Freunde in anderen Städten zu besuchen. Gerade für Menschen in dieser Situation eröffnet das 9€-Ticket ganz neue Möglichkeiten: Waren sonst Ausflüge mit der gesamten Familie auf Grund von immensen Kosten unmöglich, war es nun möglich für kleines Geld auch mal ein paar Tage Urlaub zu machen. Diese Erfahrungen und auch das Kennenlernen von mehr als der eigenen Stadt ist insbesondere für junge Menschen unglaublich wichtig und prägend. Viele davon haben Eindrücke und Erfahrungen gemacht, die sie ein ganzes Leben lang begleiten. Auch auf dem Weg zur Arbeit hat das Ticket vielen Wahlmöglichkeiten eröffnet. Langfristig gesehen führt schlechte Mobilität auch dazu, dass weiter entfernte Arbeitsplätze schlichtweg keine Optionen darstellen. Mit der Überführung des 9€-Tickets in den umlagefinanzierten, fahrscheinfreien ÖPNV schaffen wir diese Möglichkeiten und öffnen das Mobilitätspotential für Millionen von Menschen in diesem Land. Das 9€-Ticket darf keine einmalige Sache gewesen sein.

Einfach verständlich

Das 9€-Ticket ist erschreckend einfach: Einmal im Monat kaufen und mit allen Bussen, Straßenbahnen und den Zügen des Nah- und Regionalverkehrs fahren. Ohne komplexe Planungen, das Abwägen von Sonderangeboten, Bahncards und Gruppentarifen konnten Familien, Freundesgruppen oder Alleinreisende einsteigen und losfahren. Von heute auf morgen mussten keine Waben mehr gezählt, Verbundgrenzen beachtet oder Bahnexperten im Freundeskreis um Rat gebeten werden. Das 9€-Ticket ist damit besonders inklusiv und integrierend, da es für alle einfach verständlich ist und keine Fragezeichen vor dem Ticketautomaten entstehen lässt. Mit einem umlagefinanzierten Öffentlichen Personenverkehr können wir einfache Mobilität für alle ohne Tarifdschungel ermöglichen.

Investitionsstau

Nicht alles ist Gold, was glänzt. Das 9€-Ticket hat gezeigt, dass die Menschen bereit sind, klimafreundliche Mobilität zu nutzen, wenn sie bezahlbar und verfügbar ist. Die Verfügbarkeit ist jedoch ein Problem: Das Streckennetz wurde konsequent zurückgebaut und kaputtgespart, Bahnhöfe geschlossen und das Personal verringert. Als Scheinargument gegen die Fortführung des 9€-Tickets wird nun angeführt, dass dann wichtiges Geld für den Ausbau fehlt. Doch wo sind die Investitionen aus den Zeiten überhöhter Preise hin? Denn statt zu investieren, hat man mit der Begründung von geringen Fahrgastzahlen das Angebot eingeschränkt. Das hat die Fahrgastzahlen weiter reduziert. Der Effizienz- bzw. Profitgedanke hat statt des Ausbaus den Rückbau des Öffentlichen Personenverkehrs vorangetrieben. In den letzten drei Monaten haben wir gesehen: Die Menschen wollen klimafreundliche, bezahlbare Mobilität nutzen und das sogar unter Qualitätseinbußen. Überfüllte Züge, überfüllte Bahnhöfe und überlastetes Zugpersonal waren die Folge. Für Menschen, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, war die Situation aufgrund der überfüllten Züge mit Mobilitätseinbußen verbunden. Das muss nicht sein. Neben einem bezahlbaren – oder fahrscheinfreien ÖPNV – benötigen wir eine Investitionsoffensive: Größere Bahnhöfe, größere Züge und zusätzliches Streckennetz.

Langsame Politik

Dass das 9€-Ticket ein Erfolg wird, war spätestens Ende Juni klar. Dass es eine lückenlose Fortsetzung braucht, war damit auch klar. Diese Erkenntnis gab es vor zwei Monaten, aber statt einer handfesten Lösung, haben wir eine Reihe von losen, unkonkreten und aus der Luft gegriffenen Vorschlägen: 29€-Ticket, 49€-Ticket, 69€-Ticket oder verschiedene Ideen für Insellösungen wie zuletzt in Berlin. Was wir sicherlich nicht brauchen, ist ein neuer Flickenteppich oder höhere individuelle Kosten. Letzten Samstag hat sich die Verkehrsministerkonferenz entschieden, die Thematik zu vertagen. Wenn wir Mobilität für alle ermöglichen und die Klimakrise erfolgreich bekämpfen wollen, brauchen wir kluge und schnelle Entscheidungen: Mit gerade einmal 12 Milliarden Euro im Jahr könnten wir jegliche individuelle Kosten für den ÖPNV vermeiden und jeder zusätzliche Euro kann investiert werden. Gelder für den Tankrabatt – ca. 3 Milliarden Euro – wären so deutlich besser angelegt gewesen.

Mit dieser Investitionsoffensive können letztlich weit mehr als 5 % der Emissionen im Verkehrssektor durch Elektrifizierung und weiter Modernisierungen eingespart werden.

 

Quellen:

[1] https://www.vdv.de/bilanz-9-euro-ticket.aspx

[2] https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgas-emissionen-in-deutschland/kohlendioxid-emissionen#kohlendioxid-emissionen-2021