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Section Control:

Piraten klagen gegen wahlloses Scanning aller Autofahrer in Niedersachsen

Bild: Jürgen Brocke

Gegen den heutigen Start des bundesweit einmaligen Section Control-Verfahrens auf der B6 südlich von Hannover soll beim Verwaltungsgericht Hannover Unterlassungsklage eingereicht werden. Dies kündigt der Bürgerrechtler und Jurist Patrick Breyer von der Piratenpartei an und fordert betroffene Autofahrer auf, sich als Mitkläger zu melden.

Hintergrund: Bei herkömmlichen Geschwindigkeitskontrollen werden nur diejenigen Fahrzeuge fotografiert, bei denen eine Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit festgestellt worden ist. Bei dem bisher nur im Ausland eingesetzten Verfahren der „Abschnittskontrolle“ oder „Section Control“ hingegen werden sämtliche Fahrzeuge – auch von sich vorschriftsmäßig verhaltenden Fahrzeugführern – aufgenommen, um ihre Durchschnittsgeschwindigkeit auf einer bestimmten Strecke berechnen und Geschwindigkeitsüberschreitungen verfolgen zu können.

„In Deutschland ist es datenschutzrechtlich schlichtweg unzulässig, Fahrzeuge rechtstreuer Verkehrsteilnehmer überhaupt zu fotografieren“,

erklärt Breyer.

„Die Abschnittskontrolle ist weit teurer als die bewährten Geschwindigkeitsmessungen und zudem noch weit fehleranfälliger. Und leider leistet sie einer zukünftigen Zweckentfremdung der Daten bis hin zur Erstellung von Bewegungsprofilen Vorschub. Für die Piratenpartei ist eine verdachtslose Massenerfassung unbescholtener Autofahrer inakzeptabel!

Wir werden Unterlassungsklage gegen dieses wahllose Scanning einreichen und rufen alle betroffenen Autofahrer mit Rechtsschutzversicherung auf, sich bei uns als Mitkläger zu melden, um ‚Section Control‘ zur Strecke zu bringen. Konventionelle Messtechnik ist schneller, kostengünstiger und effektiver einzusetzen. Geschwindigkeitmessungen sollten auf Schildern angekündigt werden, um die Einhaltung von Geschwindigkeitsbegrenzungen an Gefahrenstellen bestmöglich sicherzustellen.“

Breyer widerspricht der Behauptung, Section Control sorge für die Einhaltung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit im gesamten Streckenabschnitt:

„Selbst erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitungen bleiben folgenlos, wenn an anderer Stelle langsamer gefahren wird. Außerdem weisen Kennzeichenscanner eine so hohe Fehlerquote auf, dass viele Raser überhaupt nicht erkannt werden.“

Der Pilotversuch sei zudem „von vornherein nicht geeignet, zu überprüfen, ob ‚Abschnittskontrollen‘ Vorteile gegenüber (beschilderten) herkömmlichen stationären Messgeräten haben. Denn auf der Teststrecke sind bisher keine (beschilderten) herkömmlichen stationären Messgeräte im Einsatz gewesen. Dass Section Control besser wirkt als keinerlei Kontrollen, ist unstreitig, dazu braucht es keinen Pilotversuch.“

Breyer hatte schon 2015 in einem Brief an die niedersächsische Datenschutzbeauftragte kritisiert, dass ein Pseudonymisierungsverfahren („Verpixelung“) nichts am Fehlen einer gesetzlichen Grundlage ändere. Das umstrittene neue Polizeigesetz soll Section Control erlauben, jedoch sieht Breyer keine Zuständigkeit des Landtags für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten.

„In einer freiheitlichen Gesellschaft haben wir das Recht, uns grundsätzlich überwachungsfrei – also anonym – im öffentlichen Raum bewegen zu können und zu dürfen.“

7 Kommentare zu “Piraten klagen gegen wahlloses Scanning aller Autofahrer in Niedersachsen

  1. Thomas Möllring

    Moin zusammen,
    ich verstehe ja, dass der Datenschutz ein wichtiges und ernstes Thema in Deutschland und zumindest theoretisch in der ganzen Welt ist. Ich arbeite selbst in der IT Branche und bin mir daher der Bedeutung sehr wohl bewusst. Grundlegend habt ihr ja damit recht, dass nicht einfach jeder Fotografiert werden darf, aber hilft dieser Protest gegen diese Maßnahme wirklich? Würde sich im Verkehr auf unseren Straßen etwas ändern? Ich denke nicht.
    Ein Beispiel:
    Da ich sehr viel mit dem Auto unterwegs bin, ist mir auch der Verkehr hier in Niedersachsen gut bekannt. Die stationären Blitzer zeigen aus meiner Sicht die Wirkung, dass die Geschwindigkeitsbegrenzungen auf deutschen Straßen nur eine Empfehlung sind „für diejenigen, die sich nicht trauen“ und das so lange, bis das Navi meldet „ANKER WERFEN!“. Und dann wird auch wirklich der Anker geworfen, egal ob zu schnell oder nicht! Die fest installierten Messstellen auf der A2 (Bereich Hannover – Magdeburg) sind meines Erachtens nach ein Paradebeispiel hierfür. Dieses „Anker werfen“ sorgt dafür, dass andere Verkehrsteilnehmer gefährdet werden und es an diesen Stellen immer wieder beinahe-Unfälle gibt oder auch wirklich kracht. Und das nicht nur auf der linken Spur!
    Ich selbst erlebe dies täglich mehrfach und war froh darum, dass jetzt nach guten 3 Jahren zumindest ein Testlauf gestartet wird! Doch was muss ich jetzt lesen? Es soll auf Unterlassung geklagt werden?! WARUM? Ich habe Berichte aus anderen Ländern gelesen, in denen das Section Control in dem Maße erfolgreich war, dass Geschwindigkeitsbegrenzungen auch wieder als Diese anerkannt werden und deshalb verstärkt darauf geachtet wird, wie schnell gefahren wird. Hinzu käme, dass dieses „Anker werfen“ an den Messstellen wegfallen würde, weil es einfach nichts bringt!
    Mal ganz davon ab, dass die Bußgelder hier in Deutschland verglichen mit bspw. Österreich oder der Schweiz kaum erwähnenswert sind, wäre Section Control speziell hier in Deutschland, wo die Auto-Lobby riesengroß ist, eine erzieherische Maßnahme für alle Raser. Man wird gezwungen, sich über eine „weite Strecke“ an die Begrenzungen zu halten und wird dieses System flächendeckend ausgerollt, wird es immer Anreiz-loser dazwischen auf’s Gaspedal zu treten.
    Ganz ehrlich: Das Argument, das man trotzdem Rasen könne, wenn man an anderer Stelle wieder langsamer fährt, hinkt total. Wer auf der Messstrecke (hier 2,2 km) rast und deshalb zu schnell ist, wird zum Einen einen Teufel tun und dann vor sich hin schleichen, nur um den Schnitt zu korrigieren und zum Anderen auf der kurzen Strecke kaum eine Möglichkeit haben den Schnitt zu korrigieren!

    Deshalb denkt bitte noch einmal darüber nach, ob eine Unterlassung wirklich so sinnvoll ist, wie es für euch aktuell scheint oder ob nicht vielleicht eine Anpassung der Regeln zur Speicherung der Daten und auch zum Zugriff auf diese angebrachter wäre!
    „Dem Deutschen liebstes ist sein Auto“. Das ist mir bewusst und auch dass man an „freie Fahrt für freie Bürger“ nur unter Protest ran darf auch, aber man kann es nicht besser machen, wenn man jeden Versuch es besser zu machen, im Keim ersticken will… Neudeutsch würde man „open your mind“ dazu sagen.

    Ich hoffe, dass sich niemand persönlich von mir angegriffen fühlt und sich niemand auf den Schlips getreten fühlt, aber es fällt schwer ruhig zu bleiben, wenn (aus meiner Sicht gute) Instrumente zur Einhaltung der Gesetze nicht einmal getestet werden sollen / dürfen und man im Kontrast dazu aus der Bevölkerung immer wieder hört, dass nichts getan wird… 🙁

    Mit freundlichen Grüßen
    Thomas Möllring

    • Danke Thomas, dem ist nichts mehr hinzuzufügen!

    • Danke Thomas für deine sehr sachlich vorgebrachte Kritik. Im Zeitalter des GLAUBENS und der militanten Verteidigung desselben ohne etwas wirklich zu WISSEN oder auch nur über FAKTEN nachzudenken, sind solche Kritiken leider allzu selten geworden. Inhaltlich stimme ich dir in den meisten Passagen zu.
      Hinzufügen möchte ich dennoch den Aspekt, und den hast du etwas unterbelichtet, dass es hier, ganz abgesehen von den von dir richtig dargestellten Vorteilen einer Abschnittskontrolle, wieder um anlasslose Überwachung geht, bei der nicht klar ist, wie die erhobenen Daten verwendet werden. Auch die elektronische Gesundheitskarte hat ihre Vorteile oder diese Smartmeter (in einem anderen Artikel thematisiert). Aber überall wo Daten gesammelt werden – hier noch dazu, ohne dass man sich dagegen wehren kann – besteht die Gefahr des Missbrauchs. Insofern kann ich die Grundintension von Patrick Breyer sehr wohl nachvollziehen.
      Heute hatte Amazon einen heftigen Einschlag mit Alexa. Dagegen KANN man sich immerhin wehren, indem man der Dame einfach Hausverbot erteilt. Aber das Beispiel ist sehr gut geeignet aufzuzeigen, was mit Daten so alles passieren kann, wenn man sie schlampig handhabt.

      Mit freundlichen Grüßen

      Tensor

      • Thomas Möllring

        Moin Tensor,
        ich muss dir hierzu leider teilweise widersprechen. Den Punkt der „anlasslosen Überwachung“ habe ich deshalb nicht weiter beachtet, weil er meiner Meinung nach schlichtweg falsch ist. Diese VERKEHRS-Überwachung dient nämlich der Erhöhung der Sicherheit im Straßenverkehr! Für mich ist das nur eine weitere Parole dagegen, wie die mögliche Erstellung von Bewegungsprofilen unbescholtener Bürger… Sorry, ich werde glaube ich gerade ketzerisch.

        Dass diese Auswertung der Daten reglementiert sein muss und ein Missbrauch (möglichst) ausgeschlossen sein muss, da bin ich mit dir 100% d’accord!
        Kurz umrissen müssen Zeit und Geld investiert werden, um es sicher zu machen. Hinzu kommt, dass sich in der Politik auch jemand mit dem Thema auseinandersetzen MUSS, der weiß wovon er / sie spricht (digitale Verwendung und Verwaltung von Daten) und dass man nicht „den Bock zum Gärtner macht“, um sich bspw. zu profilieren!

        Es ist übrigens auch nur wirtschaftlich gedacht, die Überlegung anzustellen, ob diese Systeme nicht zeitgleich auch einem anderen Zweck dienen können, wenn die grundlegende Infrastruktur schon einmal da ist und eine (vereinfacht genannt) zusätzliche Abfrage der vorhandenen Daten, gleich noch eine andere Herausforderung löst. Ob dies dann wirklich zusätzlich mit eingeführt wird oder nicht, steht erst einmal auf einem anderen Blatt und kann meines Erachtens nach nicht als Gegenargument für etwas anderes gebracht werden. Es sollte vll. als eine Art optionales Add-On in Betracht gezogen werden, dass aber UNABHÄNGIG von der Geschwindigkeitsmessung angenommen oder abgelehnt werden muss!? (Modularer Ansatz)

        Ich frage mal ganz offensichtlich provokativ zwei Dinge an die Allgemeinheit:
        1. Welche alternativen Möglichkeiten gibt es, um Verkehrsverstöße (Geschwindigkeit) zu ahnden?
        – GPS-Tracking?
        -Selbstanzeige wie bei der Steuer?

        2. Macht es Sinn, dass ich um Erlaubnis gefragt werde, ob meine Daten erfasst werden dürfen, wenn es darum geht, dass ich für ein Vergehen bestraft werde?
        – Unter uns gesagt, würde ich grundsätzlich ablehnen! 😀

        Und zum Schluss komme ich wieder auf den vorletzten Absatz meines letzten Kommentares: Macht die Klage auf Unterlassung wirklich Sinn? Oder müssen nur die Rahmenparameter angepasst werden?

        Sorry, falls ich jemandem damit auf die Füße treten sollte.

        MfG
        Thomas

  2. Breyer nervt einfach nur noch mit seiner Selbstdarstellung…… Es reicht langsam.

    • Thomas Möllring

      Hey Trevor,
      es wäre schön, wenn du deiner Meinung auch noch eine Erklärung oder Begründung beifügen könntest. Das würde u.A. auch dem Hr. Breyer dabei helfen, sein Verhalten oder Auftreten zu reflektieren und ggf. anzupassen! 🙂

  3. Zu deinen Fragen Thomas:

    1. Welche alternativen Möglichkeiten gibt es, um Verkehrsverstöße (Geschwindigkeit) zu ahnden?

    – den guten alten Blitzer mit all den von dir genannten Nachteilen
    – entsprechende Hardware in den Fahrzeugen, die Verstöße automatisch einer Verkehrsleitstelle anzeigen, wenn sie tatsächlich BEGANGEN werden. Aber wer würde schon ’ne Karre mit solcher Hardware kaufen bzw. welcher Hersteller hätte Interesse daran, solche „Spaßbremsen“ zu bauen? Technisch ist das längst möglich. Der Ansatz würde uns uns aber in unserer „Freiheit“ einschränken…(Jetzt bin ich auch ketzerisch.)
    – Selbstanzeige wäre natürlich auch ’ne Variante – wahrscheinlich hier aber wenig effektiv.

    2. Macht es Sinn, dass ich um Erlaubnis gefragt werde, ob meine Daten erfasst werden dürfen, wenn es darum geht, dass ich für ein Vergehen bestraft werde?

    Nein – natürlich nicht. Verbrecherkarteien sind völlig in Ordnung. Die Frage stellt sich aber so nicht. Wir geraten in immer mehr Karteien hinein, OHNE überhaupt etwas verbrochen zu HABEN. Und dafür ist jeder Anlass (du berufst dich hier auf Verkehrssicherheit) willkommen. Anlasslos war in diesem Zusammenhang vielleicht wirklich das falsche Wort, das trifft eher auf die Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen zu. Oder vielleicht auch nicht? Die findet doch auch nur „aus gegebenem Anlass“ statt, weil an diesen Plätzen vermehrt Straftaten begangen wurden/werden. Wo ziehst du die Grenze Thomas? Wie viele Datensammlungen tolerierst du? Wie stehst du zum Rechtsgut der Unschuldsvermutung? Ganz am Ende könnte so was Ähnliches wie ein Sozialkreditsystem lauern, das die Chinesen gerade bei sich implementieren.
    Ich hätte persönlich auch mit dieser Abschnittskontrolle überhaupt kein Problem, wenn für alle Beteiligten transparent gemacht würde, dass nur die zu Flinken gespeichert werden, um sie bestrafen zu können. Ich zumindest weiß es aber nicht. Wer es besser weiß, möge sich hier melden. Und jetzt stell‘ dir einfach mal vor, wir hätten im gesamten Bundesgebiet diese Videodauerüberwachung, bei der wir eben NICHT wissen, was warum gespeichert wird und was mit den Daten passiert.

    Ja, „der Breyer“ nervt tatsächlich und ich hoffe, dass das so bleibt.

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