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Adam Wolf zur umstrittenen Entscheidung der Sea-Watch Kapitänin Carola Rackete

Seenotrettung ist kein Verbrechen

Photo by OlliGraf

Adam Wolf, politischer Geschäftsführer der Piratenpartei Niedersachsen, war 2015 Skipper der ersten Seenotrettungseinsätze der Sea-Watch im Mittelmeer. Als Abgeordneter in der Regionsversammlung der Region Hannover und Ratsherr der Stadt Hannover setzte er sich dafür ein, dass Region und Stadt Hannover zum Sicheren Hafen erklärt wurden. Zur Wahl des Oberbürgermeisters im Oktober 2019 kandidiert Adam für die PIRATEN Hannover.

Welche rechtlichen Grundlagen zur Seenotrettung sind international bindend?

Jeder Kapitän ist zur Seenotrettung verpflichtet. Er muss unverzüglich Hilfe leisten, sonst macht er sich strafbar, wobei das Strafmaß für unterlassene Hilfeleistung bis zu zehn Jahre Haft betragen kann. Dies wurde in drei internationalen Abkommen manifestiert: Im Internationalen Abkommen über die Seenotrettung, dem Internationalen Abkommen zum Schutz menschlichen Lebens auf See (SOLAS) und der Seerechtskonvention der Vereinten Nationen.

Wie wird eigentlich Seenot definiert?

Egal ob du mit einer Luftmatratze abtreibst, von einem Kreuzfahrtschiff fällst oder dich mit einem untauglichen Boot auf hoher See befindest. Wenn akute Gefahr an Leib, Leben oder Gesundheit besteht, befindest du dich in Seenot.

Kapitänin Carola Rackete wird vorgeworfen, populistisch und aufmerksamkeitsheischend agiert zu haben. Was muss nach der unmittelbaren Rettung erfolgen und was ist ein sicherer Hafen?

Das ist im SOLAS genau definiert. Die Geretteten müssen in einen sicheren Hafen gebracht werden. Je nach Grad der Verletzungen auch unverzüglich mit Hubschrauber oder Speedboat; in jedem Fall aber schnellstmöglich.
Ein sicherer Hafen ist ein Hafen in einem Land, in dem es weder Kriegshandlungen noch bürgerkriegsähnliche Zustände gibt, einem Land, in dem Menschen weder politisch noch wegen ihrer sexuellen Ausrichtung oder Religion verfolgt werden, einem Land ohne Folter und Todesstrafe.
Kein nordafrikanischer Hafen erfüllt diese Bedingungen. Für Kapitänin Rackete auf der Sea-Watch 3 war der nächstgelegene sichere Hafen Lampedusa.

Die italienische Regierung hat unter Androhung von Gewalt das Anlegen in Lampedusa untersagt. Hat die Kapitänin damit die Geretteten in Gefahr gebracht?

Es ist nicht mit Gewalt gedroht worden seitens der italienischen Regierung. Es ist damit gedroht worden, das Schiff festzusetzen und Kapitänin und Crew zu verhaften, sollten sie in italienische Gewässer einfahren. Diese von Salvini initiierte, seit einem Monat bestehenden Regelung widerspricht massiv internationalem Seerecht, dem Völkerrecht und der Menschenrechtscharta.

Hätte die Kapitänin nicht dennoch einen anderen Hafen ansteuern können?

Die italienische Regierung hat sich illegal gegen übergeordnetes Recht gestellt. Damit hatte die Kapitänin durch die Gefahr, die für Leib und Leben der Crew bestand, der Geretteten und der Gäste an Bord sogar die Verpflichtung, sich hier gegen nationales Recht zu stellen und übergeordnetes Recht durchzusetzen. Dazu kam die Notlage. Es gab kaum noch Wasser oder Sprit an Bord. Die einzige Möglichkeit, die noch bestanden hätte, wäre, noch länger mit wenig Spritverbrauch außerhalb der 12 Meilen Zone in der Nähe der Insel so lange durchzuhalten, bis die internationale Gemeinschaft genügend Druck aufbaut, den Geflüchteten die Einfahrt in einen sicheren Hafen zu ermöglichen.
Ich hätte es ganz genau so gemacht wie Kapitänin Rackete.

6 Kommentare zu “Seenotrettung ist kein Verbrechen

  1. Peter Schrumm

    Welches Dokument der IMO definiert konkret, „Ein sicherer Hafen ist ein Hafen in einem Land,…, ohne Folter und Todesstrafe.“?

    Ich finde eine derartige Definition bei der IMO nicht. Sie wuerde ja auch bedeuten, dass eine Seenotrettung in die USA (dort gibt es die Todesstrafe) nicht moeglich ist.

    Ist es also wirklich genau so „im SOLAS genau definiert“?!

  2. Peter Schrumm

    Leider muss ich nach Lektüre der entsprechenden offiziellen Dokumente feststellen: Es ist schlicht falsch, wenn Adam Wolf behauptet:

    „Ein sicherer Hafen ist ein Hafen in einem Land, in dem es weder Kriegshandlungen noch bürgerkriegsähnliche Zustände gibt, einem Land, in dem Menschen weder politisch noch wegen ihrer sexuellen Ausrichtung oder Religion verfolgt werden, einem Land ohne Folter und Todesstrafe. Kein nordafrikanischer Hafen erfüllt diese Bedingungen.“

    Dass das so nicht stimmen kann, erschließt sich unmittelbar, denn ansonsten dürften auch in den USA keine Schiffbrüchigen an Land gebracht werden (denn dort gibt es bekanntlich die Todesstrafe).

    Die Wahrheit ist, dass Gerettete nur an einem Ort an Land gebracht werden dürfen,

    „where: the survivors’ safety or life is no longer threatened; basic human needs (such as food, shelter and medical needs) can be met; and transportation arrangements can be made for the survivors’ next or final destination.“ (para. 6.12 *)

    Vermeiden werden sollte:

    „Disembarkation of asylum-seekers and refugees recovered at sea, in territories where their lives and freedom would be threatened“ (para. 6.17 *)

    Also: Es geht nur um die ganz konkrete Gefährdung der geretteten Personen.

    Es geht nicht um generelle Eigenschaften des Zielortes. Es spielt keine Rolle, ob das Land zum Beispiel generell die Todesstrafe praktiziert, Homosexualität unter Strafe stellt, oder gegen bestimmte Religionen vorgeht. Solange davon nicht ganz konkret die Geretteten bedroht sind, spielt das alles keine Rolle.

    Damit wäre ein Land wie zum Beispiel Tunesien eben nicht per se als Zielort für Gerettete ausgeschlossen.

    Ich finde es fatal, in der aktuell aufgeheizten Diskussion derartige Falschinformationen zu streuen

    *) Quelle: Resolution MSC.167(78) (adopted in May 2004 by the Maritime Safety Committeetogether with the SAR and SOLAS amendments).

    • Arne Wienroth

      Wenn aber in diesen Ländern z.B. Homosexualität unter Strafe steht, oder man aufgrund seiner politischen oder religiösen Ansichten verfolgt wird, dann ist doch die Freiheit und das Leben bedroht.

      „5.1 … Shipmasters have certain duties that must be carried out in order to provide for safety of life at sea, preserve the integrity of
      global SAR services of which they are part, and to comply with humanitarian and legal obligations. In this regard, shipmasters should:

      5.1.6 seek to ensure that survivors are not disembarked to a place where their safety would be further jeopardized;

      6.17 The need to avoid disembarkation in territories where the lives and freedoms of those alleging a well-founded fear of persecution would be threatened is a consideration in the case of asylum-seekers and refugees recovered at sea.“

      Quelle: RESOLUTION MSC.167(78)(adopted on 20 May 2004) GUIDELINES ON THE TREATMENT OF PERSONS RESCUED AT SEA

      • Peter Schrumm

        Eben, es geht um „their safety“. Es geht um die ganz konkrete Gefährdung des einzelnen Geretteten.

        Beispiel: Natürlich darf ein Geretteter in den USA an Land gebracht werden, selbst wenn dort prinzipiell die Todesstrafe praktiziert wird. Anders sähe es nur aus, wenn der Gerettete dort ganz konkret (z.B. durch eine schwere Straftat) von der Todesstrafe bedroht werden würde.

        Und natürlich darf ein heterosexueller Geretteter in ein Land gebracht werden, in dem Homosexualität unter Strafe steht.

        Es geht bei der Rettung darum, einen sicheren Hafen zu finden, nicht in den moralisch besten Hafen.

        Daher ist die zentrale Aussage von Adam Wolf,

        „Ein sicherer Hafen ist ein Hafen in einem Land, in dem es weder Kriegshandlungen noch bürgerkriegsähnliche Zustände gibt, einem Land, in dem Menschen weder politisch noch wegen ihrer sexuellen Ausrichtung oder Religion verfolgt werden, einem Land ohne Folter und Todesstrafe.“,

        eindeutig falsch. Lediglich Kriegshandlungen und bürgerkriegsähnliche Zustände wären ein Hinderungsgrund, da sie konkret jeden gefährden.

        • Hans Hansen

          Dass die konkrete Gefahr erst in einem rechtstaatlichen Verfahren festgestellt werden kann und nicht auf der See, ist schon klar, oder? Wie soll das geschehen, ohne dass die, die eingesammelt werden, an Land kommen?

          Unabhängig davon, dass nicht nur bei Todesstrafe eine Gefahr für Leib und Leben besteht, sondern überall dort, wo die staatliche, demokratische und menschenreteachtende Gewalt nicht die alles beherrschende ist. Dafür gibt das Auswärtige Amt Reisewarnungen, Teilwarnungen und spezielle Sicherheits- und Reisehinweise raus. Da findet man entsprechendes für Ägypten, Tunesien, Algerien und Libyen.

          Ich hätte Probleme damit, in einem solchen Land zu sein. Und mute das auch niemandem zu, der aus solchen Verhältnissen versucht rauszukommen.

          Mag die Rechtssituation vielleicht nicht ganz so drastisch sein, so gebietet es doch allein die Menschlichkeit, so zu agieren, wie es die Kapitänin getan hat.

          • Peter Schrumm

            Ich will hier nicht das Verhalten der privaten Retter diskutieren.

            Es geht mir um eine zentrale, eindeutig falsche Aussage, die hier von Adam Wolf gemacht wurde, die dennoch im Netz fleißig weiterverbreitet wird und so die Debatte in meinen Augen weiter vergiftet.

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