Auch wenn sich der Koalitionsvertrag der amtierenden Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP in einigen Passagen im Verkehrsbereich sehr ambitioniert las, blieb er an entscheidenden Stellen hinter den Erwartungen, aber auch hinter den Erfordernissen zurück. Die Arbeitsgruppe Verkehr und Mobilität der Piratenpartei Deutschland kritisierte bereits in ihrer Stellungnahme zum Koalitionsvertrag „das Festhalten an eFuels und Wasserstoff als Technologie für den PKW„, während „die Flottengrenzwerte in ihrer jetzigen Form nicht in Frage gestellt [werden]“ [1].
Nach der Wahl und der Verteilung der Kabinettsressorts fanden sich viele in einem Zustand der Ernüchterung, wenn nicht gar Enttäuschung wieder. Gerade das Verkehrsministerium, als eines der Schlüsselressorts für die dringend notwendige Mobilitätswende, in die Hände der FDP? „Das kann doch gar nicht gutgehen“ – war eine der oft hörbaren und lesbaren Reaktionen auf das politische Geschehen.
Nun sollte man ja jedem neuen Minister, oder jeder neuen Regierungsmannschaft, die übliche Schonfrist von 100 Tagen einräumen. Und dann schauen, was erreicht, was bewegt und welche Richtung eingeschlagen wurde.
Doch aus aktuellem Anlass wollen wir schon nach zwei Dritteln der 100-Tage-Frist eine erste Bilanz ziehen.
Auf den ersten Blick war der Start des neuen Ministers, Volker Wissing, gar nicht so schlecht. In diversen Veröffentlichungen und Statements fanden sich klare Bekenntnisse zur Elektromobilität und dem Ausbau der Ladeinfrastruktur wieder, und zwischendurch auch eine Absage an die sogenannten eFuels. Diese suggerierten soweit, dass der Minister die dringenden Notwendigkeiten erkannt habe. Doch bereits mit dem ersten Auftritt im Bundestag (wir haben hier dazu berichtet [2]), kamen ernste Zweifel auf, ob Volker Wissing den richtigen Kurs einschlägt. Denn leider wurden elementare Punkte durch den Minister nicht adressiert und – schlimmer noch – bisherige ermutigende Aussagen einfach kassiert. Nur als kleines Beispiel ein Auszug unserer Stellungnahme zum Auftritt Minister Wissings [2]:
„[G]leich in seiner nächsten Passage hebt V. Wissing hervor, dass gleiches (Einhaltung der Klimaschutzziele und kurzfristige Senkung des CO2-Ausstoßes) auch durch die Nutzung ’strombasierter Kraftstoffe, eFuels‘ erreicht werden kann. Dabei verweist er nicht nur auf die in diesem Bereich eher denkbaren Schiffe, Nutzfahrzeuge oder Flugzeuge, sondern auch auf die ‚Bestandsflotten der PKW‘.“
Auch das nachfolgende Treffen mit der Autobranche vermittelte nicht wirklich den Eindruck, dass Minister Wissing die dringend notwendigen Themen wie Senkung der Flottengrenzwerte, Ausstieg aus dem Verbrenner oder die klare Fokussierung auf rein batterieelektrisch betriebene Fahrzeuge nachdrücklich genug vertritt. So muss es bedauerlicherweise auch nicht mehr verwundern, wenn der „Spiegel“ in der Ausgabe vom 12. Februar 2022 hervorhebt: „Der Minister bremst den Klimaschutz“. Und dies mit genau den Punkten begründet, die wir in den oben genannten Veröffentlichungen bereits kritisiert haben: Festhalten an eFuels, keine Senkung der Flottengrenzwerte, Festhalten an Plug-In-Hybrid-PKW.
Für uns nicht nachvollziehbar, und auch nicht im Sinne einer nachhaltigen und klimafreundlichen Mobilitäts- und Verkehrspolitik, hat sich Kanzler Olaf Scholz am 12. Februar 2022 nunmehr auch gegen das Ansinnen des Umweltministeriums gestellt und unterstützt damit das Vorgehen des Verkehrsministers [3].
Die AG Verkehr und Mobilität meint diesbezüglich:
„Ob nun beabsichtigt oder nicht: Das Festhalten an eFuels bei Neuzulassungen, die weitere Förderung von Hybridfahrzeugen sowie das Festhalten an bisherigen Flottengrenzwerten; all dies ist nichts anderes als eine vollständige Kapitulation vor der Automobilbranche. Oder, um es ganz drastisch auszudrücken: Der sehr durchsichtige Versuch, den „Verbrenner“ doch irgendwie zu retten.“
Da muss es nicht wundern, wenn, wie hier berichtet [4], die Verkehrspolitik in Deutschland immer mehr im Mittelmaß versinkt. Oder noch schlimmer, sich langsam an das Ende des Feldes zurückarbeitet.
Die von uns [4] angesprochenen, zentralen Punkte, um die Verkehrswende wieder auf Kurs zu bringen, sind:
- Ein klares Bekenntnis des Bundesverkehrsministers pro Elektromobilität
- Aufsetzen eines Gesamtpaketes (analog Norwegen) und eine beschleunigte Umsetzung
- Einführung eines Bonus-/Malus-Systems bei PKW-Neuzulassungen
- Eine klare – insbesondere auch zeitliche – Verpflichtung zum Ausstieg aus der Zulassung fossiler Verbrenner
- Ein nachträglicher Beitritt zur Erklärung von Glasgow
Wahrscheinlich werden diese angesichts der derzeitigen Entscheidungslage in der Regierung wohl in weite Ferne rücken. Oder gar keine Chance auf Realisierung haben.
Guido Körber Themenbeauftragter Energiepolitik der Piratenpartei stellt fest:
„Liebe Bundesregierung, für die globale Entwicklung macht es wenig Unterschied, wenn ihr versucht, mit eFuels und Wasserstoff die Verbreitung der batterieelektrischen Mobilität zu behindern. Die Schlacht ist bereits entschieden, der Verbrennungsmotor ist tot und fällt gerade um, Wasserstoff in Straßenfahrzeugen wird keine Rolle spielen – zu teuer, zu ineffizient.
Einen Unterschied wird es aber machen für die Frage, ob Deutschland Standort für eine einheimische Automobilindustrie bleibt. Leidtragende werden die Menschen sein, die ihren Arbeitsplatz verlieren und die falsche Kaufentscheidungen treffen, durch die sie sich auf Jahre ein unwirtschaftliches Fahrzeug aufbürden.“
Wir hoffen und wünschen, dass sich die Bilanz von Olaf Scholz und Volker Wissing nach 100 Tagen in einem wesentlich besseren Licht präsentiert und Deutschland endlich verkehrspolitisch auf Zukunft getrimmt wird. Noch ist genügend Zeit, es gilt nur, diese zu nutzen.
Quellen:
[1] Einschätzung zum Koalitionsvertrag im Bereich Verkehr
[2] Einschätzung zur Bundestagsdebatte Mobilität
redesign.piratenpartei.de/2022/01/15/bundestagsdebatte-zu-mobilitaet-am-13-01-2022/
[3] Kanzler Scholz beendet Streit zwischen Umwelt- und Verkehrsministerium
Koalition legt Streit um Verbrenner-Autos bei (handelsblatt.com)
[4] Umsetzungsstand Deutschland Elektromobilität
redesign.piratenpartei.de/2022/02/07/verkehrspolitisches-mittelmass-irgendwie-typisch-deutschland/
Tja.
Aber auch dieser Beitrag adressiert nicht das grundsätzliche Problem, dass eine nachhaltige und klimaneutrale Verkehrspolitik nicht ohne Abkehr vom Individualverkehr zu machen ist.
Auch Elektroautos statt Verbrennern sind in über 90% ihrer Nutzungszeit Immobilien, die Ressourcen vernichten und unsere Städte verstopfen, uns den Lebensraum nehmen. Und das nehmen nicht mal die Grünen auf und ich nehme es ihnen übel – da brauchen wir von FDP und SPD erst gar nicht reden.