Autor: Borys

  • EFail – Geknackte E-Mailverschlüsselung?

    EFail – Geknackte E-Mailverschlüsselung?

    Für viele Administratoren, IT-Verantwortliche und ambitionierte Computernutzer fing die Woche mit einem Schreck an: IT-Sicherheitsforscher um Sebastian Schinzel von der Fachhochschule Münster meldeten auf Twitter, dass die beiden Verschlüsselungsprotokolle S/Mime und PGP geknackt worden seien. Die Spezialisten führten aus, dass auch E-Mails betroffen seien, die in der Vergangenheit verschlüsselt wurden, und kündigten an, ihre Arbeit im Laufe des Tages zu veröffentlichen.

    Später stellte sich jedoch heraus, dass die Prognose wider Erwarten nicht ganz so düster war: die Verschlüsselungsprotokolle selbst waren nicht geknackt worden. Jedoch lassen Schwachstellen innerhalb ihrer Implementierung in den Mail-Clients es zu, dass die entschlüsselten Inhalte an fremde Server übertragen werden. Hierzu wird die Tatsache ausgenutzt, dass ein Großteil der heutigen E-Mailkommunikation nicht wie ursprünglich vorgesehen als reiner Text übertragen wird, sondern als bunte, mit Bildern versehene HTML-Nachricht.

    Um HTML-Nachrichten vollständig anzeigen zu können, ist es notwendig, die darin enthaltenen Bilder aus dem Internet nachzuladen. Über diesen Mechanismus wird bei der „EFail“ getauften Attacke nun der Inhalt der Nachricht an einen fremden Server übertragen.

    Wie genau dies funktioniert ist in der Fachpresse und in der Veröffentlichung der Sicherheitsforscher nachzulesen.

    Glücklicherweise lässt sich dieses Verhalten in den meisten E-Mail-Programmen komplett ausschalten. Dies bedeutet aber auch, dass die Anwender viele Nachrichten nicht mehr vollständig angezeigt bekommen – und viele möchten einfach nicht auf Firmenlogo, Smileys und Co. in ihrem E-Mails verzichten. Aufgrund dessen ist anzunehmen, dass viele Anwender diese Funktion schnell wieder aktivieren werden.

    Objektiv betrachtet betreffen die veröffentlichten Sicherheitslücken nur einen kleinen Teil der E-Mail-Benutzer. Der Großteil der Anwender versendet die E-Mails nach wie vor unverschlüsselt und damit quasi offen für jeden lesbar. Auch die Aussage und Intention der Bundesregierung, Deutschland führend in der Verschlüsselung werden zu lassen, hat hieran wenig geändert.

    Im Gegenteil: gleichzeitig sollen die Sicherheitsdienste der Bundesrepublik technologisch in die Lage versetzt werden, Verschlüsselungen zu umgehen. Was wir hierbei nicht aus den Augen verlieren dürfen: die zu diesem Zwecke genutzten und teilweise bewusst offen gehaltenen Sicherheitslücken ermöglichen auch Hackern Zugang – wenn also Sicherheitsdienste Verschlüsselungen umgehen können, können Hacker dies ebenso. Ein Umstand, der nicht erst seit „WannaCry“ bekannt ist.

    „Die Piratenpartei fordert daher schon lange den Einsatz von Verschlüsselung zu stärken und auf breiter Ebene zu unterstützen – insbesondere in der Kommunikation mit Behörden, Anwälten und Ärzten“

    sagt Borys Sobieski, stellvertretender Landesvorstand der Piratenpartei Baden-Württemberg.

    Dass es hier leider nicht zum Besten steht, haben in der Vergangenheit die Probleme um das beA aber auch um DE-Mail gezeigt.

    „Wichtig ist es vor allem, die Anwender im Gebrauch mit den mittlerweile etablierten Kommunikationsmedien zu unterstützen und Programmeinstellungen in Bezug auf Sicherheit und Datenschutz klar und verständlich anzubieten. Die gleichzeitige Einführung von Informatik als Pflichtfach gäbe bereits Kindern und Jugendlichen die erforderlichen Kentnisse an die Hand. Sie würden sich in unserer zunehmend digitalisierten Welt besser zurecht finden, sicher kommunizieren und durch Weitergabe ihres Wissens an ältere Generationen allen Menschen ein Leben als mündige Bürger ermöglichen – on- und offline.“

    betont Sobieski.

    Empfehlungen der PIRATEN zur sicheren E-Mail-Kommunikation:

    • HTML-Mails deaktivieren
    • automatisches Nachladen von Inhalten deaktivieren
    • automatische Entschlüsselung deaktivieren und mit Passwortschutz (Eingabe jedes Mal erforderlich) versehen
    • Kommunikationspartner auf die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen aufmerksam machen
  • Die Polizei – dein Freund und Helfer?

    Die Polizei – dein Freund und Helfer?

    Ganz Deutschland protestiert am Donnnerstag gegen die neuesten Gesetzesverschärfungen zu Lasten unserer Grundrechte. Ganz Deutschland? Nein, ihr noch nicht – wir hätten euch aber gern dabei!

    Um welches Gesetz genau es geht, wer betroffen ist und warum es sich daher lohnt, am Himmelfahrts-Donnerstag auf die Straße zu gehen, erklärt Benjamin Wildenauer, stellvertretender politischer Geschäftsführer der Piraten Bayern.

    Die Polizei, dein Freund und Helfer. Jeder kennt diesen Slogan, viele haben in ihrem Leben schon mal daran gezweifelt. Sei es, weil man das Vorgehen bei einer „allgemeinen Verkehrskontrolle“ als vollkommen überzogen empfand oder weil man als friedlicher Demonstrant unabsichtlich einem überforderten Bereitschaftspolizisten in die Quere kam.

    Während beispielsweise die Hagener Polizei schon 2015 versuchte, ihr Image in der Bevölkerung aufzupolieren, tut die bayerische Staatsregierung derzeit alles, um das restliche Vertrauen, das der Bürger bis dato der Polizei entgegenbringt, zu demontieren.
    Dem manchmal mulmigen Gefühl in Gegenwart eines schlecht gelaunten Vertreters des staatlichen Gewaltmonopols stand bisher immerhin das Wissen gegenüber, dass der Rechtsstaat mit seiner Gewaltenteilung eine Garantie darstellt, nicht ohne Weiteres eingesperrt werden zu können.

    Das ist jetzt nicht mehr so.

    Wir haben ein neues Gesetz in Bayern. Genauer: ein neues Polizeiaufgabengesetz, kurz PAG. Dieses gibt der Polizei erhebliche Freiheiten und hebt Schranken auf, die es aus guten Gründen einmal gab. Ein Beispiel ist die sogenannte „Endloshaft“, die bereits im vergangenen Jahr durchgewunken wurde. Bis dahin war es in Bayern möglich, einen „Gefährder“, also eine Person, von der die Polizei meint, sie könne gefährlich sein oder gefährlich werden, für einen Zeitraum von 14 Tagen in Gewahrsam zu nehmen. Beweise für Gefahr im Verzug waren nicht nötig. Eine Anklage bzw. ein gerichtliches Verfahren ebenfalls nicht.

    Diesen schon grenzwertigen Ansatz hielt das bayerische Innenministerium offensichtlich noch für steigerungsfähig. Demnach sieht das neue PAG nun vor, dass Gefährder sogar drei Monate lang eingesperrt werden können. Damit nicht genug: die Inhaftierung von Personen ohne rechtskräftiges Urteil kann immer wieder verlängert werden.

    Ein „Gefährder“ kann

    • eingesperrt werden, ohne dass es Beweise gibt, die auf eine Straftat hindeuten.
    • eingesperrt werden, ohne dass vor Gericht ein Verfahren eingeleitet wird.
    • eingesperrt werden, nur weil jemand davon ausgeht, er könnte in der Zukunft eventuell eine Straftat begehen.

    Klingt wie Ozeanien 1984, ist aber Bayern 2018.

    Die Diskussion über die äußerst fragwürdige Inhaftierung Deniz Yücels in der Türkei muss unter diesen Voraussetzungen in einem ganz anderen Lichte geführt werden, nämlich einem, das dem Freistaat und der Bundesrepublik nicht besonders schmeichelt.

    Neben der Endloshaft, die es de facto ermöglicht, jeden beliebigen Bürger einzig aufgrund von Vermutungen einzusperren, hält das PAG noch weitere „Schmankerl“ bereit. Dinge, die es in einem Rechtsstaat nicht geben darf.

    Das ganze Konstrukt des neuen PAG basiert auf einer neuen Definition, der sogenannten „drohenden Gefahr“. Sie liegt dann vor, wenn man eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Durchführung einer Straftat in absehbarer Zukunft annimmt. Stellt also ein Ermittler fest, dass eine solche „drohende Gefahr“, besteht, hat er zukünftig ohne richterliche Anordnung Zugriff auf das komplette Arsenal an Ermittlungs- und Überwachungswerkzeugen der Polizei:
    Funkzellenabfrage, Onlinedurchsuchung, automatische Kennzeichenermittlung, Abhören des Telefons, Beschlagnahme der Post, Einsatz von V-Leuten (deren Definition im Gesetzesentwurf, Art. 38 stark an Stasi-IMs der DDR erinnert), DNA-Analysen auf biogeographische Herkunft und noch vieles mehr.

    Begründet wird all das mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 20. April 2016. Dieses bezog sich allerdings ausdrücklich auf Fälle von Terrorismus bzw. die Abwehr terroristischer Anschläge und nicht, wie im Gesetzesentwurf vorgesehen, auf sämtliche Fälle von Kriminalität.

    Um ein krasses Beispiel zu nehmen, welches so hoffentlich auch unter Anwendung des neuen Gesetzes niemals eintreten wird: Wäre es verhältnismäßig, V-Leute in das private Umfeld einer Person einzuschleusen oder aus diesem anzuwerben, von der man vermutet, dass sie in „überschaubarer Zukunft“ ein Auto stehlen könnte? Und nun bitte nicht an das romantisierte Bild eines Tatort-Ermittlers aus dem Fernsehen denken – die Realität ist deutlich anfälliger für Fehler und Ermittlungspannen. Etliche Fälle belegen das.

    Das bayerische Innenministerium behauptet tatsächlich, dass das neue PAG die Stärkung der Bürgerrechte zum Ziel habe. Eine Aussage, die auch der Konsum starker psychoaktiver Substanzen wie Alkohol in übermäßiger Menge nicht mehr erklären könnte – das ist Realitätsverlust hoch zehn oder vielleicht auch schlicht gelogen. Die Abschaffung der generellen Unschuldsvermutung, denn nichts Anderes wird mit der Definition des Begriffes der „drohenden Gefahr“ betrieben, als Stärkung der Bürgerrechte verkaufen zu wollen, ist eine Beleidigung für jeden halbwegs klar denkenden Menschen.

    Zu Ende gedacht wird aus der Unschuldsvermutung eine Schuldvermutung. Nur von einer Beweislastumkehr zu sprechen, was bereits schlimm genug wäre, käme einer Verharmlosung gleich. Wie soll man schließlich beweisen, dass man in der Zukunft keine Straftat begehen wird? Selbst wenn es keine greifbaren Indizien für irgendwelche Pläne gibt, könnte die Gegenseite stets behaupten, dass diese nur gut genug versteckt seien. Zu beweisen, dass etwas nicht existiert, ist ungleich komplizierter als einfach zu behaupten, dass es existiert. Deshalb können ambitionierte Verschwörungstheoretiker in einer halben Stunde auch mehr Unsinn in die Welt setzen, als man in einem ganzen Menschenleben widerlegen könnte.

    Bei vielen bürgerrechtlichen Einschnitten in der Vergangenheit wurde das Argument bemüht, dass es ja nicht so schlimm kommen werde. Oft stimmte das sogar. Aber die Aufgabe des Gesetzgebers ist es, Gesetze zu schaffen, die einen Rahmen darstellen, in dem gehandelt werden kann. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber den Rahmen so weit öffnet, ist deshalb völlig unabhängig von der dann tatsächlich durchgeführten Handlung zu betrachten. Ein Gesetzgeber, der die Möglichkeiten für Überwachung und Demontage der Privatsphäre so weit auslegt, baut Gesetze, die sich bestens eignen, um ein Volk zu unterdrücken. Ob mit Absicht oder aufgrund fehlender Kompetenz ist dabei völlig zweitrangig.

  • Sind so kleine Hände…

    Sind so kleine Hände…

    Die Sicherheitsfantasien mancher Kommunalpolitiker machen mitunter nicht mal vor den Kleinsten halt. Jüngstes Beispiel: Die B.-Traven-Gemeinschaftsschule im Berliner Stadtteil Spandau. Geht es nach dem örtlichen CDU-Bezirksverband, sollen hier bald Fingerabdruck-Scanner installiert werden. Grund sind Gewaltvorfälle mit zumeist schulfremden Jugendlichen, die der Schule zuletzt Negativschlagzeilen bescherten. In ihrem Leitantrag mit dem Titel „Zukunft.Schule“ stellen die Christdemokraten nun ihre düsteren Visionen vor. Um das Klima an der Schule zu verbessern, sollen Schüler dort künftig wie Schwerverbrecher behandelt, biometrisch vermessen und ihre Fingerabdrücke in ein Zugangskontrollsystem eingespeist werden. Zudem sollen Eltern per SMS informiert werden können, ob ihr Kind die Schule betreten oder verlassen hat.

    Für CDU-Bezirksvorstand Thorsten Schatz sei dies zwar nur die „zweitbeste Lösung“. Tatsächlich ist es aber gar keine. Zum einen wäre so ein System allein im Schulalltag überhaupt nicht praktikabel. So gehen an einem üblichen Schultag oft auch Dritte aus völlig legitimen Gründen ein und aus. Sei dies der Postbote, der ein Paket ins Sekretariat bringen muss oder aber Eltern, die ihre Schützlinge abholen oder ihnen vergessene Hausaufgaben und Pausenbrote hinterher tragen. Für solche Fälle oder aber bei technischen Störungen (wie sie an Berliner Schulen nicht unüblich sind) müßte es auch weiterhin ein alternatives Zugangssystem geben. Darüber hinaus ist es weder wünschenswert noch praktisch durchführbar, ein gesamtes Schulgelände hermetisch abzuriegeln. Selbst wenn dies gelänge, so könnten derartige Maßnahmen bestenfalls zu einer Verlagerung der Gewalt außerhalb des Schulgeländes führen. Um sie jedoch nachhaltig zu bekämpfen, benötigt es umfassendere Präventionsarbeit, wie sie etwa verpflichtende Jugendsozialarbeiter an allen Schulen leisten könnten.

    Wesentlich schwerer wiegen hingegen die grundsätzlichen Bedenken. Schulen sollten offene Orte sein, in die Kinder gerne kommen, weil sie dann am besten lernen. Vor allem sollten Schulen aber auch Orte der freien Entfaltung sein, in denen kritisches Denken gelehrt, gelernt und gelebt wird. Restriktive Maßnahmen, wie sie die CDU vorschlägt, können diesen Ansatz nur konterkarieren. Zwar mag im Fall der Grundschüler das Interesse der Eltern, zu wissen, wo ihre Kinder sich aufhalten, noch besonders schwer wiegen. Spätestens in der Mittel- und Oberstufe sollte dieses schrittweise hinter dem Recht der Jugendlichen auf möglichst freie Entfaltung zurücktreten. Eine Benachrichtigungsfunktion, die Eltern live unterrichtet, wenn ihr Kind das Schulgelände verlässt, ist hiermit schwerlich vereinbar. Nicht zuletzt fordert sogar der Berliner Rahmenlehrplan, dass Schülerinnen und Schüler den reflektierten Umgang mit Persönlichkeitsrechten und Datenschutz erlernen sollen. Wie dieses Ziel erreicht werden soll, wenn die Vollverdatung von Kinderhänden schon an der Schulhofspforte beginnt, ist höchst fraglich. Hier sollte die CDU dringend noch einmal nachsitzen.

  • Arbeit 4.0 – Eine Standortbestimmung

    Arbeit 4.0 – Eine Standortbestimmung

    Pünktlich zum 1. Mai, dem sogenannten Arbeiterkampftag, häuften sich mal wieder Meldungen aus dem Ressort Arbeitspolitik: der WDR deckt auf, dass die Arbeitslosenstatistiken gnadenlos geschönt sind, die Gewerkschaften sind gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen, die CDU jubelt über 600.000 Menschen mit neuem Job und die FDP betont, dass Menschen, die in ihren Augen leisten, mehr Geld haben müssen als Minder- oder Nicht-Leister. Also eigentlich alles wie immer.

    Dennoch lohnt ein näherer Blick auf diese Meldungen, um eine Standortbestimmung durchzuführen. Sind wir schon bei Arbeit 4.0? Oder verharren jene, die sich professionell mit Arbeitspolitik beschäftigen sollten, mit ihrem Denken immer noch im geistigen Mittelalter?

    Unser Verständnis und unser Begriff von Arbeit stammen tatsächlich noch aus dem Mittelalter, aus einer calvinistischen Denkweise, die sich am besten mit dem Satz „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ beschreiben lässt. Getreu diesem Motto ließ die FDP mitteilen, dass selbstverständlich Menschen, die nicht arbeiten, weniger Geld im Monat haben dürften als Menschen, die werktätig sind. Dies klingt vielleicht auf den ersten Blick logisch, jedoch wissen wir leider aus langer leidvoller Erfahrung mit der Politik der FDP, dass diese nur einen sehr engen Begriff von Arbeit hat. Das Pflegen von Angehörigen, ehrenamtliche Betätigung aber auch künstlerische, nicht auf den Markt orientierte Tätigkeiten fallen bei ihr nicht darunter.

    Bezeichnenderweise müssen in der Logik der FDP nicht nur nicht-arbeitende Menschen mit wenig Geld zufrieden sein. Auch, dass arbeitende Menschen mehr Geld erhalten müssten, kommt der FDP selten in den Sinn, denn diese Forderung würde sich ja überwiegend gegen ihre Stammklientel, die Arbeitgeber richten. Dass es unter diesen auch zahlreiche schwarze Schafe gibt, die mies zahlen, am Mindestlohn tricksen und am liebsten billigere Arbeitskräfte aus Übersee einstellen würden, wird nicht erwähnt.

    Sogar halbe Staatsunternehmen sind da leider nicht ausgenommen, wie die Deutsche Post mit ihren neuen Richtlinien zur Entfristung von Arbeitsverträgen eindrucksvoll beweist.

    Wenigstens da hat die CDU mal Empörung angemeldet, ist sie doch sonst eher der FDP marktgläubige Schwester im Geiste. Mein schwarzes Pendant AKK freut sich nämlich derweil über: „600.000 Erwerbstätige mehr als vor einem Jahr. […] hinter dieser Zahl stehen über 600.000 Menschen mit ihren Familien.“
    Leider spricht die Kollegin kein Wort darüber, ob diese 600.000 Menschen die erwähnten Familien von diesem Job überhaupt ernähren können, sie glücklich in ihrem Job sind und wie sehr sie vorher von Arbeitsagentur und Jobcenter drangsaliert wurden. Arbeit an sich wird zu einem Wert verklärt, unabhängig von deren Sinnstiftung oder sekundären Auswirkungen.

    Währenddessen aus der Ecke der Gewerkschaften: eine Absage an das Bedingungslose Grundeinkommen. Ja, das ist eine Utopie mit vielen Fragezeichen. Ja, wir werden uns sehr detailliert darüber unterhalten müssen, ob und wenn ja wie dies gehen kann. Ja, es wäre eine absolute Revolution und echtes Neuland. Aber das ist ja mit Paradigmenwechseln immer so.

    Ich jedenfalls habe den Eindruck, dass die Gewerkschaften, die sich rein beruflich schon ein bisschen auskennen sollten, noch weniger vom Bedingungslosen Grundeinkommen verstanden haben als Ottonormalleser.

    Korrekt haben die Gewerkschaften erkannt, dass sich der Mensch (unter anderem) durch Arbeit definiert. Gerade deshalb ist es so wichtig, sinnstiftende, nachhaltige Tätigkeiten auszuführen, die man sich ausgesucht hat, in denen man aufgeht, die einem liegen und leicht von der Hand gehen. Es geht genau darum, nicht mehr jeden Scheißjob annehmen zu müssen, bloß um Miete und Lebensmittel zahlen zu können. Es geht darum, nicht mehr morgens mit Bauchschmerzen aufzustehen und sich auf den Arbeitsweg zu zwingen. Es geht darum, sich abends im Spiegel ansehen zu können, ohne zu würgen.

    Eben weil die meisten Menschen nicht glücklich sind, wenn sie daheim hocken und nichts tun, besteht zumindest eine theoretische Chance, dass sie sich auch mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen oder ähnlichen Konstrukten wieder eine Beschäftigung suchen. Eben weil diese „den Alltag strukturiere, für Teilhabe und sozialen Zusammenhalt sorge“.

    Noch nicht belegt ist auch das Argument, dass „mit Anstrengung verbundene, aber nützliche Dienstleistungen“ Gefahr laufen würden, nicht mehr vollbracht zu werden. Zuallererst einmal würden diese nützlichen Dienstleistungen deutlich besser bezahlt und im gesellschaftlichen Ansehen aufgewertet werden müssen, damit sie jemand tut. Darin kann ich nichts Schlechtes erkennen.

    In diesem Zusammenhang lohnt auch ein Blick nach Finnland, wo angeblich das Grundeinkommens-Experiment abgebrochen wurde, weil es gescheitert ist. Glaubt man der verantwortlichen Studienleiterin, ist die Sachlage allerdings eine andere. Auch die finnische Botschaft sah sich zu einem Statement genötigt. Trotzdem bleibt aber der fade Nachgeschmack, dass hier bereits das Ergebnis (also die Nicht-Fortführung) vorweggenommen wird und stattdessen ohne wissenschaftliche Basis eine politisch opportune Agenda durchgezogen wird.

    Der WDR meldet inzwischen wenig überraschend, dass die Arbeitslosenstatistiken seit Jahren geschönt und aufgehübscht werden, um vorzeigbar auszusehen. Nicht, dass dies dem interessierten Bürger nicht seit Jahren bekannt wäre – nur eben etwa zweimal jährlich zur Vorstellung der Statistiken ploppt’s halt hoch.

    Alles in allem: wo stehen wir denn nun? Ich fürchte leider: noch ganz am Anfang. Der Weg, das Verständnis von Arbeit, die Definition von Arbeit, zu wandeln, ist ein langer und steiniger. Wenn wir als Gesellschaft nicht aufpassen, wird uns dieser Wandel überrollen.

    Deshalb haben wir Piraten uns von höherem Mindestlohn über Streichung der Hartz-IV-Sanktionen bis zum Bedingungslosen Grundeinkommen Forderungen ins Programm geschrieben, die ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen. Solange Arbeitgeber und Regierung nicht einsehen, wie notwendig Veränderungen hier sind, gehen wir nicht weg und fordern weiterhin ein, was nötig ist, damit wirklich alle in diesem Land gut und gerne leben können.
    Die Geschichte der Arbeit hat gezeigt, dass ihre Transformationen vielleicht zu verlangsamen waren, jedoch niemals aufzuhalten. Die Arbeitswelt – und mit ihr unser gesamtes Zusammenleben – wird sich ändern. Es ist an uns, diese Änderungen aktiv zu gestalten, solange wir darauf noch Einfluss haben.

  • „Das merkt man dir ja gar nicht an….“

    „Das merkt man dir ja gar nicht an….“

    Am heutigen 05. Mai ist der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Dieser wird seit 1992 von Verbänden und Organisationen der Behindertenhilfe und -selbsthilfe veranstaltet. Oft denkt man beim Schlagwort „Behinderte“ an blinde Menschen, Menschen im Rollstuhl oder an die Teilnehmer der Paralympics, die vielfältige körperliche Behinderungen haben.

    Mentale, psychische und seelische Behinderungen geraten leicht aus dem Blick der Öffentlichkeit, weil man sie den Menschen nicht ansieht. Wir möchten das ändern und machen heute darauf aufmerksam, dass auch die „unsichtbaren“ Behinderungen ein Recht auf Gleichstellung mit sich bringen. Hierzu haben wir mit einem Betroffenen gesprochen (*).

    Kannst Du sagen, welche Art Behinderung Du hast und wie lange Du schon als behindert giltst?
    „Meine Behinderung ist psychischer Natur und seit Mai 2017 anerkannt.“

    Wie geht es Dir damit?
    „Ich finde es gut, dass ich einen anerkannten Grad der Behinderung habe. Es gibt mir die Möglichkeit, mein Erleben wohlwollender zu betrachten und mich nicht unter Druck zu setzen, wenn ich mal wieder in der „normalen Welt“ nicht mithalten kann. Meine Erkrankung selbst steht nochmal auf einem ganz anderen Blatt…“

    Welche Herausforderungen bringt Dein Alltag mit sich?
    „Ich bin oft schnell erschöpft, kann mich nicht lange am Stück konzentrieren und muss zusätzlich stark auf einen regelmäßigen Schlaf achten. Auch darf ich mich theoretisch nicht allzu sehr positivem Stress aussetzen (z.B. sowas wie Erfolg im Studium oder Verliebtheit), was ich aber praktisch als unmöglich umsetzbar und auch als starke Einschränkung empfinde. Zudem habe ich starke Schwierigkeiten, mich selbst zu motivieren und bin immer dankbar, wenn es ein von außen vorgegebenes Gerüst gibt.“

    Wie gehen Menschen mit Dir um, die von Deiner Behinderung erfahren bzw. denen Du sagst, dass es sich dabei um eine anerkannte Behinderung handelt?
    „Meist fällt der Satz: „Das merkt man Ihnen/dir ja gar nicht an.“.“

    Welche konkreten politischen Maßnahmen würden Deinen Alltag verbessern?
    „Ein Grundeinkommen zu haben, von dem ich leben kann. Aber das wäre wohl bei der Mehrheit der Menschen der Fall, egal, ob eine anerkannte Behinderung vorliegt oder nicht. Aber auch das geplante Landesgesetz über psychiatrische Unterbringung in Bayern macht mir Angst. Solche Gesetze stempeln ab, statt dass sie helfen, Verständnis zu wecken. Ich hoffe, dass das Gesetz überarbeitet oder ganz zurückgezogen wird.“

    (*) Die Identität des Betroffenen ist den Interviewern bekannt. Zu seinem Schutz ist das Interview anonymisiert.

  • Einladung zum Bundesparteitag 18.1 und Aufstellungsversammlung für die Europawahl 2019

    Einladung zum Bundesparteitag 18.1 und Aufstellungsversammlung für die Europawahl 2019

    Hiermit laden wir euch herzlich zum ordentlichen Bundesparteitag 2018.1 der Piratenpartei Deutschland im „Werk ohne Namen“ in Sömmerda (Auenstraße 3, 99610 Sömmerda)ein.

    Der Parteitag beginnt am Samstag, dem 09. Juni 2018, um 10 Uhr und endet am Sonntag, dem 10. Juni 2018, voraussichtlich um 18 Uhr. Die Festlegung eines anderen Endes bleibt der Versammlung vorbehalten. Am Samstag beginnt die Akkreditierung ab 09 Uhr. Die Akkreditierung ist während des gesamten Parteitags möglich. Für die Akkreditierung ist ein gültiges Ausweisdokument (z. B. Personalausweis) notwendig.

    Die vorläufige Tagesordnung:

    • TOP 1: Eröffnung durch den Vorsitzenden, Begrüßung und Gastreden
    • TOP 2: Wahl der Versammlungsämter (Versammlungsleitung, Wahlleitung, Protokoll)
    • TOP 3: Formalia
    • TOP 4: Beschluss der Tages- sowie Wahl- und Geschäftsordnung
    • TOP 5: Satzungsänderungsanträge/Satzungsbeiordnungsanträge
    • TOP 6: ggf. Wahl von Verantwortlichen für den Basisentscheid (BEO)
    • TOP 7: Anträge zu Wahl- oder Grundsatzprogramm, Sonstige Anträge, Positionspapiere
    • TOP 8: Sonstiges
    • TOP 9: Schließung des Parteitages und Verabschiedung

    Am Samstagabend wird die Veranstaltung nach Beschluss unterbrochen.

    Zeitgleich findet die Aufstellungsversammlung zur Europawahl 2019 statt.

    Die Versammlungen werden jeweils zu passenden Zeitpunkten unterbrochen, um zur jeweils anderen Veranstaltung zu wechseln.

    Satzungsänderungs-, Satzungsbeiordnungs- oder Programmanträge sind dann fristgerecht eingegangen, wenn sie bis zum 11. Mai 2018 um 23:59 Uhr MESZ beim Bundesvorstand eingereicht sind und von fünf Piraten beantragt wurden. Für sonstige Anträge und Positionspapiere gibt es keine Frist und es reicht ein Pirat als Antragsteller aus. Anträge können ab sofort im Antragsportal oder per E-Mail eingereicht werden.

    Beim letzten Bundesparteitag wurde beschlossen, dass auf diesem Parteitag die Wahl von Verantwortlichen für den Basisentscheid (BEO) vorgesehen werden soll.

    Bitte beachtet, dass ihr nur stimmberechtigt seid, wenn ihr alle eure Mitgliedsbeiträge entrichtet habt. Dazu habt ihr verschiedene Möglichkeiten:

    Bei Unklarheiten wendet euch bitte an euren jeweiligen Landesvorstand oder direkt an beitrag@piratenpartei.de – im Zweifel ist ein Zahlungsbeleg über den von euch entrichteten Mitgliedsbeitrag hilfreich.

    Außerdem laden wir euch herzlich zur Aufstellungsversammlung für die Europawahl ein. Diese findet zeitgleich (Beginn am Samstag, dem 09. Juni 2018, um 10 Uhr, Ende voraussichtlich am Sonntag, dem 10. Juni 2018, um 18 Uhr) mit dem Bundesparteitag 18.1 der Piratenpartei Deutschland im „Werk ohne Namen“ in Sömmerda (Auenstraße 3, 99610 Sömmerda) statt.

    Der Bundesvorstand hat bei seiner Klausur in Hannover am 08. April gemäß §8(2) EuWG [2] die Aufstellung einer gemeinsamen Liste für alle Länder („Bundesliste“) beschlossen.
    Hierfür suchen wir Kandidaten, die sich für diese gemeinsame Liste aufstellen lassen.

    Auf der Wiki-Seite zum Bundesparteitag wird in den nächsten Tagen noch die Möglichkeit geschaffen, sich bereits jetzt als Kandidat vorzustellen.

    Wenn ihr kandidieren möchtet, müsst ihr eure Wählbarkeitsbescheinigung mitbringen!
    Stimmberechtigt sind die Parteimitglieder, die §6 des Europawahlgesetzes erfüllen und nicht nach §6a vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Zur Akkreditierung wird ein gültiges  Ausweisdokument und für Unionsbürger ein Nachweis über den Wohnsitz in der EU benötigt. Am besten bringt ihr euren oder Reisepass mit Meldebescheinigung mit!

    Die vorläufige Tagesordnung für die Aufstellungsversammlung:

    • TOP 1: Eröffnung der Aufstellungsversammlung durch den Bundesvorsitzenden
    • TOP 2: Wahl der Versammlungsämter (Versammlungsleitung, Wahlleitung, Protokoll)
    • TOP 3: Formalia
    • TOP 4: Wahl des Schriftführers und der zwei Personen, die neben dem Versammlungleiter die Versicherung an Eides statt gemäß §32 Abs.4 Nr.3 EuWO abgeben
    • TOP 5: Frage, ob ein Versammlungsteilnehmer die Mitgliedschaft oder das Wahlrecht eines Akkreditierten Teilnehmers bezweifelt
    • TOP 6: Beschluss der Tages- und Geschäftsordnung
    • TOP 7: Beschluss über die Vorstellungsreihenfolge
    • TOP 8: Beschluss über das Wahlverfahren
    • TOP 9: Wahl der Bewerber für den Wahlvorschlag gemäß Wahlordnung: Vorstellung der Bewerber (maximal 10 Minuten pro Kandidat), Fragerunden, Wahlgang/Wahlgänge
    • TOP 10: Formalia
    • TOP 11: Schließung der Aufstellungsversammlung

    Am Samstagabend wird die Veranstaltung nach Beschluss unterbrochen.

    Zeitgleich findet am selben Ort ein Bundesparteitag statt, auf dem wir das Programm beschließen wollen.

    Die Versammlungen werden jeweils zu passenden Zeitpunkten unterbrochen, um zur jeweils anderen Veranstaltung zu wechseln.

    Wir freuen uns auf euch!

    Viele Grüße

    Der Bundesvorstand der Piratenpartei Deutschland
    Carsten Sawosch
    Sebastian Alscher
    Ute Elisabeth Gabelmann
    Astrid Semm
    Lothar Krau
    Dorothea Beinlich
    Thomas Knoblich
    Tobias Stenzel
    Petra Stoll

  • GroKo-Angriff auf Wählerwillen und Meinungsvielfalt: Piraten wollen geplante Sperrklausel zur Europawahl stoppen

    GroKo-Angriff auf Wählerwillen und Meinungsvielfalt: Piraten wollen geplante Sperrklausel zur Europawahl stoppen

    Zwei Millionen nicht repräsentierte Wählerstimmen, ein Europaparlament ohne Piratenpartei, Freie Wähler, Tierschutzpartei, zusätzliche Abgeordnete für CDU/CSU und SPD – so wäre die Europawahl 2014 nach jenen Spielregeln ausgegangen, die die Bundesregierung am Dienstag im EU-Rat für künftige Europawahlen durchdrücken will.

    Nachdem das Bundesverfassungsgericht wiederholt Versuche der Großen Koalition gestoppt hat, die Abbildung des Wählerwillens im Europaparlament durch eine Sperrklausel zu behindern und sich gleichzeitig selbst mehr Sitze zuzuweisen, will Bundeskanzlerin Merkel die Karlsruher Urteile nun durch Vorgaben aus Brüssel aushebeln. Die erst gestern veröffentlichte Vorlage für die Ratssitzung am Dienstag soll größere Mitgliedstaaten zur Einführung einer Sperrklausel zwischen 2 und 5 % bei künftigen Europawahlen verpflichten. Nur das selbst nicht betroffene Belgien leistet noch Widerstand, wird von der deutschen Bundesregierung aber extrem unter Druck gesetzt.

    „Wir prüfen rechtliche Schritte gegen diesen Angriff auf unser Grundgesetz und den Wählerwillen, insbesondere einen Antrag auf einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts“

    erklärt Carsten Sawosch, Bundesvorsitzender der Piratenpartei.

    „Millionen von Wählerstimmen unter den Tisch fallen lassen zu wollen, nur um sich selbst mehr Posten zu besorgen – das ist skrupellos. Unsere Europaabgeordnete Julia Reda wird von Politico oder Forbes zu den einflussreichsten Europaabgeordneten gezählt. Sie ist die anerkannte Stimme der Internetnutzer im Kampf um ein modernes Urheberrecht und für digitale Freiheitsrechte in Brüssel. Solche Expertise darf Europa nicht verloren gehen – dafür werden wir Piraten kämpfen.“

    Die von Berlin vorgeschobene Gefahr einer Zersplitterung des EU-Parlaments hat schon das Bundesverfassungsgericht nicht gesehen, zumal sich 5 der 7 deutschen Einzelmandatsträger einer der großen EU-Parlamentsfraktionen angeschlossen haben.

  • Freiheit von Forschung und Lehre

    Bereits zum zweiten Mal findet morgen der „March for Science“ statt. Das ist nötiger denn je, denn die Situation an Hochschulen und Universitäten ist alles andere als rosig. Wissenschaft ist schon lange Spielball der Mächtigen aus Industrie und Politik, da bedarf es keines Trumps. Er hat nur den Vorhang niedergerissen. Die Freiheit, die da aller Orten proklamiert wird, wurde schon lange geopfert.

    PIRATEN stehen für die Freiheit von Forschung und Lehre, für OpenData und OpenAccess. Für eine Wissenschaft, die es nicht zulässt, dass Theorien als „Verschwörungstheorien“ betitelt werden, nur weil deren Aussage nicht genehm ist. Das Wissen, das in öffentlichen Einrichtungen erlangt wird, muss offen und allen zugänglich sein – ohne Wenn und Aber. Hochschulen und Universitäten müssen wieder das werden, was sie einmal waren: die Universitäten der Ort der allgemeinen Grundlagenforschung, für das „Neue“, Fachhochschulen hingegen mit einer eher anwendungsorientierten Forschung für Handwerk, Mittelstand, Industrie, Land- und Forstwirtschaft.

    Prekäre Arbeitsplatzsituationen in Forschung und Lehre, aber auch in der Verwaltung der Hochschulen greifen immer mehr um sich. Daher liegt das Hauptaugenmerk des akademischen Mittelbaus nicht auf der Forschung, sondern ist verständlicherweise darauf ausgerichtet, wie man die nächsten Jahre übersteht. Sekretärinnen sind inzwischen eigentlich mehr akademische Assistenten – und das meist für mehrere Lehrstühle. Bei manchen ist es inzwischen gar normal geworden, mehrere Arbeitsverträge zu haben, bunt gemischt, befristet und unbefristet, und alles beim selben Arbeitgeber.

    Hochschulen dürfen keine Durchlauferhitzer mit Schnellbesohlung für verwertbares Wissen sein. Die Reformen der letzten Jahre führten jedoch genau dazu. Früher war es üblich, z.B. in Technikstudiengängen auch Philosophie, Ethik, Arbeitswissenschaften, BWL etc. zu lehren. Heute wird nur (aus)gebildet für das, was die Industrie gerade fordert– nicht mehr, nicht weniger. Umfangreiches, themenübergreifendes Wissen? Fehlanzeige.

    Verstehen wir uns nicht falsch: eine zumindest europaweite Vergleichbarkeit aller Studienangebote war und ist eine gute Idee. Dafür hätten aber die bereits bekannten ECTS-Punkte vollauf genügt. Denn dabei ist es egal, ob der Abschluss am Ende Master, Diplom oder Magister heißt. Aber unter dem Vorwand, die „nationalen Hochschulbildungssysteme aufeinander abzustimmen, unter anderem durch eine europaweite Strukturierung des Studienverlaufs“, gab es in den letzten Jahren dann einen Kahlschlag bei der Vielfalt akademischer Wissensvermittlung, der nicht mehr hinzunehmen ist.

    Statt frei zu sein, sind Forschung und Lehre inzwischen zutiefst drittmittelabhängig, also von Geldern aus Wirtschaft und Industrie, die den Universitäten für gezielte Forschung zur Verfügung gestellt werden. Diese Drittmittelförderung stammt natürlich von „potenten Partnern“ der Forschung: allseits bekannte, multinationale Konzerne aus Pharma-, Chemie-, Rüstungs-, Automobil-, Finanz- und Werbeindustrie sowie immer mehr aus dem BigData-Sektor der Internetbranche. Das ist nichts anderes als ein Zeichen für die marktkonforme Durchdringung unserer Bildung, unserer Arbeit, unserer Freizeit – einfach des ganzen Lebens.

    Wissenschaft gleicht inzwischen immer mehr dem Bild eines Kampfes um Deutungshoheit und Herrschaftswissen. Es hat sich eine Art Mainstreamwissenschaft entwickelt, die alles unterdrückt, was gerade nicht in den Kram passt. Sogenannte Elitenförderung gehört dazu – wo doch die Elite gerade diejenigen sein sollten, die statt Förderung eher Freiräume zur Entwicklung benötigen. Förderung benötigen die, die einen schwierigen Zugang zu Bildung haben.

    In Zeiten, in denen Begrifflichkeiten wie „Fake News“ oder „Hate Speech“ – die es übrigens schon immer gab – als Waffe gegen alle unliebsamen Aussagen und Meinungen, zur Unterdrückung freier Meinungsäußerung, als Begründung für unsägliche Gesetze wie das NetzDG – also schlicht und einfach für die Manifestierung eigener Deutungshoheit missbraucht werden, wünscht man sich schon lange einen Aufschrei der Gesellschaft: eine Demo, wie die „Freiheit statt Angst“ oder „Wir haben’s satt“ in ihren besten Tagen.

    Statt dessen wird nun mit dem „March for Science“ eine Demo von all jenen organisiert und unterstützt, die für die Entwicklung der letzten 30 Jahre mitverantwortlich sind oder zumindest nichts dagegen taten. Wenn man Slogans wie „Tellerrand? Da schau ich drüber!“ liest, weiß man nicht, ob lachen oder weinen. Die Praxis zeigt ein anderes Bild: interdisziplinär geht schwer.

    Wir sollten uns am „March for Science“ also mit eigenen Forderungen beteiligen – und zwar nach einer vernünftigen Wissenschaftspolitik, nach vernünftigen Arbeitsverträgen im Wissenschaftsbereich und in der Verwaltung, nach Offenheit der Forschung und kollegialer Zusammenarbeit, auch nach dem Ende von Konferenzen und Tagungen und wenn die Presse zu Hause ist.

    Ändern wir daran etwas, beenden wir den neoliberalen Weg – auf vernünftige Art und Weise.