Autor: Borys

  • Mehrheit der EU-Staaten plädiert für europaweit anlasslose Vorratsdatenspeicherung

    Mehrheit der EU-Staaten plädiert für europaweit anlasslose Vorratsdatenspeicherung

    Die Ampelkoalition in Deutschland hat sich zwar entschieden gegen eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen, die Mehrheit der EU-Regierungen hat aber andere Ziele. Ein Diplomatenbericht an das Auswärtige Amt, der heute von dem Nachrichten-Portal netzpolitik.org veröffentlicht wurde, fasst die Wünsche und Pläne der EU-Regierungen in Sachen Vorratsdatenspeicherung zusammen [1]. Die EU-Kommission will nach einer noch anstehenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs tätig werden.

    Der EU-Abgeordnete, Bürgerrechtler und Jurist Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei), der gegen das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung Verfassungsbeschwerde erhoben hat, kommentiert: 

    „Deutschland möchte die anlasslose Vorratsdatenspeicherung stoppen, doch das wird Makulatur, wenn die EU-Kommission sie wie geplant europaweit wieder einführt.

    Die Vorratsdatenspeicherung ist das erste Überwachungsgesetz, das sich gegen die ganze Bevölkerung richtet. Das ist der Dammbruch. Die Unterscheidung zwischen Inhalts- und Kommunikationsdaten stimmt heute nicht mehr. Wir wissen heute, nach dem aktuellen Stand der Forschung, dass Metadaten Rückschlüsse zulassen, die mindestens so tiefgreifend wie die Inhalte sind.

    Bei dem Vorhaben einer flächendeckenden IP-Vorratsdatenspeicherung, dem die Luxemburger Richter zuletzt unter massivem Druck zugestimmt hatten, herrscht leider die größte Einigkeit. Dabei dürfen keinesfalls alle Internetnutzer unter Generalverdacht gestellt und die Anonymität im Netz abgeschafft werden. 

    Eine generelle und undifferenzierte Vorratsspeicherung unserer Identität im Internet ermöglicht die Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile praktisch jeden Bürgers in noch höherem Maße als Telefon-Verbindungsdaten. Es ist im Übrigen nicht nachzuweisen, dass eine Internet-Vorratsdatenspeicherung überhaupt einen statistisch signifikanten Beitrag zu der Zahl der aufgeklärten Straftaten leistete, nachdem die sechsmonatige IP-Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2009 die Aufklärungsquote nicht gesteigert hat.“

    Eine parlamentarische Anfrage hatte zuletzt ergeben, dass aktuell nur 3% der Chatkontrolle-Verdachtsmeldungen von möglicher Kinderpornografie nicht über die IP-Adresse zurückverfolgt werden können [2.1, 2.2]. Zuvor hatte der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung betont, eine IP-Vorratsdatenspeicherung sei „völlig ungeeignet zum Schutz von Kindern“. Weniger als 5% der staatlichen IP-Auskunftsersuchen beträfen Kinderpornografie. Im Jahr 2020 sei die Verbreitung pornografischer Schriften laut Kriminalstatistik zu 91,3% aufgeklärt worden – ohne dass eine Pflicht zur IP-Vorratsdatenspeicherung in Kraft ist [3].

    Quellen:

    [1] cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2022/02/VDS-AA-doc001020445.pdf (in German)

    [2.1] dserver.bundestag.de/btd/20/005/2000534.pdf#page=39 

    [2.2] twitter.com/andre_meister/status/1489624805175439364

    [3] www.vorratsdatenspeicherung.de/content/view/799/79/lang,de/ 

  • Stellt 2022 den Wendepunkt in der digitalen Revolution dar?

    Stellt 2022 den Wendepunkt in der digitalen Revolution dar?

    Dieser Beitrag des EU-Parlamentariers Mikuláš Peksa (Piratenpartei Tschechien) wurde zuerst auf auf dessen Homepage veröffentlicht, zu finden unter folgendem Link: mikulas-peksa.eu/ge/stellt-2022-den-wendepunkt-in-der-digitalen-revolution-dar/

    Letztes Jahr haben wir im Europäischen Parlament lange Debatten über das künftige Aussehen der Online-Welt geführt. Sie wird von einer Handvoll Technologie-Giganten wie Apple und Facebook beherrscht, deren Monopolstellung das Gleichgewicht des digitalen Ökosystems in ungesunder Weise zu ihren Gunsten verschiebt. Der digitale Raum hat eine globale Dimension und reicht weit über die Grenzen der EU-Mitgliedstaaten hinaus. Auch deshalb freue ich mich, dass die Debatte über die notwendige Regulierung großer digitaler Plattformen langsam aber sicher eine transatlantische Dimension annimmt. Die Vereinigten Staaten, insbesondere der US-Kongress, stehen mit der Europäischen Union darüber im Dialog, wie die Dominanz von Monopolen im digitalen Umfeld gelöst werden kann. 2022 sollte in dieser Hinsicht zum Wendepunkt werden. Dieses Jahr müssen die ehrgeizigen Debatten endlich in konkrete Gesetzespakete gegossen werden.

    Was bei der digitalen Transformation schief gelaufen ist

    Das digitale Umfeld von heute gleicht eher einer Anarchie, in der es kaum Regeln gibt und mehr oder weniger alles erlaubt ist. Die letzte europäische Rechtsvorschrift zur Regulierung des Online-Umfelds ist sage und schreibe zwanzig Jahre alt. In diesen zwei Jahrzehnten sind digitale Plattformen zu einem festen Bestandteil unseres Lebens geworden, und es ist heute schwer vorstellbar, dass wir im Internet ohne Google oder Facebook auskommen könnten. Während die positiven Auswirkungen der digitalen Transformation der letzten Jahre auf der Hand liegen, hat die beherrschende Stellung, die einige Plattformen erlangt haben, ihnen nicht nur erhebliche Vorteile gegenüber ihren Mitbewerbern verschafft, sondern auch einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf unsere Demokratie, Gesellschaft und Wirtschaft gebracht.

    Ziel der geplanten Regelungen ist es nicht, die Entwicklung des digitalen Wandels zu bremsen oder den großen digitalen Plattformen mit aller Macht Knüppel zwischen die Beine zu werfen, sondern uns Nutzer und unsere grundlegenden Bürgerrechte zu schützen. Bislang hatten die Plattformen das Privileg, ihre eigenen Regeln festzulegen. Das hat jedoch dazu geführt, dass wir als Einzelpersonen und als einzelne Staaten keine Kontrolle darüber haben, welche Informationen die Plattformen über uns speichern oder welche Inhalte sie uns auf der Grundlage unserer personenbezogenen Daten unterschieben. Die Informationen, die uns die Whistleblowerin Frances Haugen im November persönlich im Europäischen Parlament vorgelegt hat, enthüllten beispielsweise, dass Facebook und Instagram absichtlich Inhalte aus Profitgründen manipulieren, was der psychischen Gesundheit von Minderjährigen und demokratischen Werten generell abträglich ist. Darüber hinaus sind in den letzten Jahren immer wieder sensible personenbezogene Daten von Nutzern, wie bspw. Hausnummern oder Standortdaten, geleakt worden. 2021 wurden beispielsweise die privaten Telefonnummern von 533 Millionen Facebook-Nutzer·innen in einem Hackerforum veröffentlicht. Gesammelt wurden diese Nummern übrigens ohne jeden validen Grund. Es geschah lediglich deshalb, weil es möglich war.

    Neue europäische Legislative  Das Gesetz über digitale Dienste und das Gesetz über digitale Märkte

    Zwei neue europäische Gesetzespakete – das Gesetz über digitale Dienste und das Gesetz über digitale Märkte – sollen ab 2022 dieses Ungleichgewicht zwischen Nutzern und digitalen Plattformen beenden. Die Verabschiedung dieser Gesetze ist eines der Hauptziele der französischen EU-Ratspräsidentschaft, die soeben begonnen hat. Sollten die französische Ratspräsidentschaft dafür zeitlich zu kurz sein, werden wir Tschechen uns in der zweiten Jahreshälfte darum kümmern und die Sache vervollständigen. Das Gesetz über digitale Dienste und das Gesetz über digitale Märkte sollten wichtige Bestandteile der Gestaltung der digitalen Revolution in Europa und Präzedenzfälle für andere entstehende Regelungen in anderen Teilen der Welt werden. Mit diesen beiden Gesetzen sollen neue, bessere Regeln für sehr große Plattformen wie die bereits erwähnten – Google, Apple, Facebook oder Amazon – aufgestellt werden. Der Schwerpunkt liegt auf der Sicherheit und dem Schutz der personenbezogenen Nutzerdaten. Diese Regularien werden den Menschen mehr Kontrolle darüber geben, was sie online sehen: Die Nutzer werden entscheiden können, ob sie gezielte Werbung zulassen wollen oder nicht, und sie werden klare Informationen darüber erhalten, warum ihnen bestimmte Inhalte empfohlen werden. Beide Gesetze, jenes über digitale Dienste ebenso wie jenes über digitale Märkte, dienen dem Schutz des freien Internets, was mit Fug und Recht als eines unserer Bürgerrechte zu betrachten ist. Das bedeutet, dass wir, wenn beispielsweise Plattformen unsere Online-Inhalte grundlos entfernen, ihre Entscheidung anfechten und Beschwerde einlegen können.

    US-Debatte über die Regulierung großer digitaler Plattformen

    Praktisch alle großen digitalen Plattformen, die in erster Linie von den europäischen Vorschriften betroffen sein werden, haben ihren Sitz in den Vereinigten Staaten. Wer jedoch erwartet, dass dies zu einem neuen Streit zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten führen wird, der irrt. In den Vereinigten Staaten verläuft die diesbezügliche Debatte über neue Vorschriften zwar langsamer als in Europa, aber auch dort werden wir in diesem Jahr wahrscheinlich die Ergebnisse der Arbeit der Kongressabgeordneten sehen, die für eine Änderung der Kartellgesetze kämpfen. Das Hauptproblem in der digitalen Welt ist gerade die Existenz von unveränderlichen Monopolen, deren Macht von Jahr zu Jahr wächst. Im vergangenen Juli sagte US-Präsident Joe Biden zu diesem Thema: „Kapitalismus ohne Wettbewerb ist kein Kapitalismus“. In den Vereinigten Staaten herrscht überraschenderweise über das gesamte politische Spektrum hinweg Einigkeit darüber, dass die sogenannten BigTech-Monopole aufgebrochen werden müssen. Selbst der konservative republikanische Senator Ted Cruz vertrat im April 2021 die Ansicht, dass „Big Tech heute die größte Ansammlung von Macht, Markt- und Monopolmacht darstellt, die die Welt je gesehen hat“. Die US-amerikanischen Vorschriften sollten sich an den europäischen orientieren, das heißt der Bürger als Nutzer sollte an erster Stelle stehen und erst dann die Marktinteressen der Plattformen. Es gibt auch eine Debatte über die undurchsichtigen und diskriminierenden Algorithmen, die Technologieunternehmen zur Datenerfassung und Anzeigenschaltung einsetzen.

    Für 2022 ist daher mit einem großen Richtungswechsel bei der globalen digitalen Transformation zu rechnen. Sowohl die europäischen Gesetze über digitale Dienste und Märkte, als auch die sich abzeichnende US-Gesetzgebung werden Präzedenzfälle für die weitere Entwicklung der digitalen Landschaft in der ganzen Welt schaffen. Ich bin davon überzeugt, dass es sich hier um eine Wende zum Wohle der Nutzer und zum Schutz unserer Freiheiten und unserer Privatsphäre handelt.

    Quellen:

    1. Year of reckoning for Big Tech: How U.S. lawmakers plan to rein in companies like Facebook and Google in 2022 (CBC) [Das Jahr der Abrechnung mit den Technologie-Giganten: Wie US- Gesetzgeber Unternehmen wie Facebook und Google ab 2022 in die Schranken weisen werden] – www.cbc.ca/news/business/big-tech-regulation-united-states-social-media-1.6295055
    1. Why 2022 could be a ‘watershed year’ for tech regulation [Warum 2022 den Wendepunkt der Regulierung im Tech-Bereich bringen könnte] (Washington Post) – www.washingtonpost.com/politics/2022/01/03/why-2022-could-be-watershed-year-tech-regulation/
    1. 2022: The turning point in EU’s digital policy [Der Wendepunkt in der Digitalpolitik der EU] (Euroactive) – www.euractiv.com/section/digital/news/2022-the-turning-point-in-eus-digital-policy/
    1. Toward 2022: the state of the tech and telecoms debate [In Richtung 2022: Der Stand der Tech- und Telecom-Debatte] (Politico) – www.politico.eu/sponsored-content/toward-2022-the-state-of-the-tech-and-telecoms-debate/
    1. Hier finden Sie einige Themen, die Brüssel 2022 auf dem Teller haben wird –
  • Abschaltung von Facebook und Instagram in Europa: EU-Abgeordneter Patrick Breyer fürchtet, die EU-Kommission könnte nachgeben

    Der US-Tech-Konzern Meta hat damit gedroht, seine digitalen Dienste Facebook und Instagram in der EU vom Netz zu nehmen, falls die EU dem Konzern nicht die Auslieferung persönlicher Nutzungsprofile in die USA erlaubt. Diese Persönlichkeitsprofile aller Nutzer:innen verwendet Meta, um überwachungsbasierte Werbung und bezahlte Botschaften gezielt und personalisiert auszuspielen. 

    Der EU-Abgeordnete der Piratenpartei Dr. Patrick Breyer, Berichterstatter für das Digitale-Dienste-Gesetz des LIBE Ausschusses und digitaler Freiheitskämpfer, kommentiert:

    „Nach wiederholten Niederlagen vor Gericht – zuletzt mit dem ‚PrivacyShield‘ – will die EU-Kommission schon wieder ein Abkommen zur Auslieferung unserer Daten in die USA schließen, wo sie von der NSA abgesaugt werden. Es ist zu befürchten, dass die Kommission vor den Drohungen der Industrie einknickt, obwohl ein solches Abkommen angesichts des von Snowden enthüllten NSA-Überwachungswahns womöglich erneut vor den Gerichten scheitern würde. 

    In Anbetracht des Profits von Meta in Europa halte ich es für ausgeschlossen, dass der Konzern seine Drohung wahr macht. Im Übrigen wäre ein Rückzug des Überwachungsmolochs aus Europa zu begrüßen, weil dadurch endlich bessere Wettbewerber eine echte Chance erhielten. Im Rahmen des geplanten Digital Markets Act kämpfen wir dafür, unsere Abhängigkeit von Konzernen wie Meta mithilfe von Interoperabilität aufzubrechen und Nutzer:innen eine echte Wahl zu geben.“

  • Das nächste Jahrzehnt wird eine Revolution im Steuerwesen bringen. Die Blockchain verändert die Spielregeln, aber Europa bewegt sich nicht

    Das nächste Jahrzehnt wird eine Revolution im Steuerwesen bringen. Die Blockchain verändert die Spielregeln, aber Europa bewegt sich nicht

    Dieser Beitrag des EU-Parlamentariers Mikuláš Peksa (Piratenpartei Tschechien) wurde zuerst auf auf dessen Homepage veröffentlicht, zu finden unter folgendem Link: mikulas-peksa.eu/ge/das-nachste-jahrzehnt-wird-eine-revolution-im-steuerwesen-bringen-die-blockchain-verandert-die-spielregeln-aber-europa-bewegt-sich-nicht/

    Im vergangenen Jahr sind wir der Steuergerechtigkeit wieder einen Schritt näher gekommen. Aber die Erfolge des letzten Jahres können uns ohne einen grundlegenden Wandel dennoch nicht zum Ziel bringen.            

    Die Euro 2020, die NBA oder das Squid Game mögen die Google Trends für 2021 Hitlisten füllen [1], aber das vergangene Jahr war von vielen anderen wichtigen Themen im Europäischen Parlament geprägt – auch wenn ich nicht leugne, dass ich manchmal mit meinen Kollegen lieber über die versteckten Bedeutungen des koreanischen Überlebensspiels diskutieren würde. Ich bin jedenfalls froh, dass wir die Gelegenheit hatten, echte Themen anzusprechen, die für die europäische Öffentlichkeit wichtig sind. Die Ergebnisse sind es wert.

    Es geht also um Geld, oder besser gesagt um Steuern. Das Wort „Steuern“ ist nicht gerade sexy, aber ohne sinnvolle Erhebung könnte der Staat kaum funktionieren‚ und bei meiner Arbeit in den Ausschüssen CONT (Haushaltskontrolle) und FISC (Fiskalische Angelegenheiten) gehört dieses Thema ohne Übertreibung zum täglichen Brot.

    Digitalisierung, Dezentralisierung = die Zukunft

    Auch wenn der Begriff „Steuer“ sicher keine Begeisterungsstürme auslöst, so ist der Bereich der Steuerpolitik mittlerweile mit Veränderungen und neuen Ansätzen – vor allem in Kombination mit Begriffen wie „Blockchain“ oder „Krypto“ – übersättigt. Die Herausforderung für die europäische Gesetzgebung besteht darin, nicht nur für eine gerechte Steuererhebung zu sorgen und zu verhindern, dass sich große Unternehmen ihrer Pflicht der Entrichtung von Steuern entziehen, sondern auch ein Umfeld zu schaffen, das Innovationen und eine effizientere Verwaltung begünstigt. Diese Überlegung hat beispielsweise zur Gründung des Innovations-Hubs [2] geführt, der mit europäischen Mitteln unterstützt wird und die Entwicklung neuer Kryptotechnologien durch den Austausch von Know-how und einen lockereren Rechtsrahmen erleichtert.

    Was könnte das bringen? Zum Beispiel eine einfachere Überprüfung von Verträgen und Steuerunterlagen, mehr Sicherheit für Gesundheitsdaten oder andere Dinge, die Zeit und Steuergelder sparen – alles natürlich digital, dezentral und ohne die Notwendigkeit eines zentralen Speichers. Wenn Sie mehr dazu hören möchten, empfehle ich die Aufzeichnung unserer Ausschusssitzung [3], in der wir letztes Jahr mit Experten für Digitalisierung und Steuersysteme darüber gesprochen haben, wie das Europäische Parlament und andere Institutionen dem technologischen Fortschritt entgegenkommen können.

    Ausrichtung auf Giganten

    So interessant und notwendig sie auch sein mögen, Blockchain-Innovationen im Steuerbereich stecken noch in den Kinderschuhen. Die wichtigsten Entwicklungen im vergangenen Jahr betrafen jedoch die Besteuerung und die Transparenz der sogenannten multinationalen Konzerne. Die Änderungen, an denen wir mit den Kollegen aus dem Europäischen Parlament aktiv beteiligt [4] waren, waren schließlich so revolutionär, dass die britische Denkfabrik Tax Justice Network – die u. a. den Umfang der Steuerhinterziehungen für jedes Land beobachtet [5] – 2021 als jenes Jahr bezeichnete [6], in dem die „Flut gestiegen ist“ im Kampf für Steuergerechtigkeit.

    Und was genau hat sich geändert? Nicht wenig! Nach vielen Jahren ist es uns trotz des Widerwillens der tschechischen Babiš-Regierung gelungen, das sogenannte öffentliche Country-by-Country Reporting (pCBCR) durchzusetzen. Mit der Verabschiedung des pCBCR im November durch das Europäische Parlament haben die Mitgliedstaaten nun bis spätestens Mitte 2023 Zeit, Rechtsvorschriften zu verabschieden, die große, weltweit tätige Unternehmen dazu verpflichten, ihre Gewinne, Kosten, Verbindungen zu anderen Unternehmen und andere Daten für jedes Land separat offenzulegen.

    Ich bin froh, dass auch der Druck von unserer Seite geholfen hat. Bei diesen Kolossen ist Transparenz einfach unerlässlich.

    Die Europäische Kommission hat außerdem beschlossen [7], gegen Briefkastenfirmen vorzugehen, die keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, sondern lediglich als Strohmänner für andere Personen und Unternehmen dienen. Wenn der Vorschlag im Jahr 2022 Erfolg hat, würden solche Unternehmen alle Steuervorteile verlieren und müssten in einem europaweiten Register aufgeführt werden, was den Steuerbehörden aller Mitgliedstaaten eine Menge Arbeit abnehmen würde. Eine einfachere, schnellere und vor allem effektivere Kommunikation zwischen den nationalen Institutionen ist nicht zuletzt für die Bekämpfung von Steuerhinterziehung von entscheidender Bedeutung, weshalb die „Unshell“-Initiative sicherlich zu begrüßen ist. Aus tschechischer Sicht ist dies eindeutig ein Schritt in die richtige Richtung, denn jüngsten Informationen zufolge wurden diese in Zypern oder anderswo registrierten Briefkastenfirmen auch von einer Reihe tschechischer Politiker missbraucht.

    Aber das Wichtigste ist etwas anderes: die Verabschiedung einer globalen Mindestkörperschaftssteuer, die im Oktober von einer OECD-Arbeitsgruppe endgültig abgelehnt wurde. Wie groß das Problem des weltweiten „Wettlaufs nach unten“ bei den Unternehmenssteuersätzen ist, habe ich bereits im Jahr 2020 beschrieben [8] – und wir haben dem Thema letztes Jahr sogar einen ganzen Bereich gewidmet [9].

    Glücklicherweise wird mit dem neuen Mindestsatz eines der Hauptprobleme beseitigt. Multinationale Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 750 Millionen Euro die dem Mindeststeuersatz unterliegen sollen verlieren nämlich die Möglichkeit, ihre Gewinne in Steueroasen zu „parken“ – und das ist eine gute Nachricht, nicht nur, weil es normal ist, Steuern zu zahlen [10], sondern auch, weil selbst diese relativ niedrige Steuer bis zu 150 Milliarden Dollar in die Staatshaushalte spülen könnte [11].

    Wie soll das konkret geschehen? Das Prinzip ist eigentlich ganz einfach: Das Land, in dem die Muttergesellschaft des Konzerns ihren Sitz hat, kann den Rest der nicht verbrauchten Mittel „nachversteuern“ [11], bzw. von der lokalen Firma verlangen, den Fehlbetrag auf 15 % des Gewinns auszugleichen.

    Neues Jahr, anderes Europa, gleiche Probleme

    Natürlich bedeutet eine „Verabschiedung“ nicht, dass nun die Unternehmen über Nacht die 15%-ige Steuer tatsächlich an das Finanzamt abführen müssen. Wie auch bei dem pCBCR müssen die Regierungen das genehmigte Abkommen zunächst in ihren nationalen Rechtsrahmen aufnehmen. Bei uns wird diese schwierige Aufgabe zunächst auf europäischer Ebene in Angriff genommen, damit die Anwendung der Mindeststeuer nicht im gesamten europäischen Binnenmarkt unter die Räder kommt – eine Aufgabe, mit der derzeit die Europäische Kommission betraut ist.

    Mit etwas Glück könnte dies jedoch relativ schnell geschehen, da es seit dem letzten Jahr einen bedeutenden Wechsel an der Spitze der europäischen Institutionen gegeben hat: Der Vorschlag wird unter der französischen Präsidentschaft diskutiert werden. Und der Elysée-Palast hat mit Blick auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen ein großes Interesse daran, zu zeigen, dass Paris immer noch eine starke Stimme in Europa hat. So sollen laut Präsident Emmanuel Macron im Frühjahr 2022 [12] konkrete Texte vorliegen.

    Bis hierher habe ich das Szenario, in das uns das Jahr 2021 erfolgreich geführt hat, doch recht vielversprechend dargestellt. Abschließend kann ich mir jedoch eine gewisse Skepsis nicht verwehren. Die Probleme des Funktionierens der EU kommen allerdings wie ein Bumerang immer wieder auf uns, oder besser gesagt auf die französische Präsidentschaft, zurück. In Steuerfragen entscheidet Europa nämlich nach dem Einstimmigkeitsprinzip – das heißt, alle Mitgliedstaaten müssen dem Rat der Europäischen Union [13] zustimmen. Damit kann sich die Situation vom letzten Sommer wiederholen, als die Länder, die von der derzeitigen Misere profitieren (in der Regel Steuerparadiese und Länder mit sehr niedrigen Steuersätzen wie Luxemburg, die Niederlande oder Ungarn), mit einem Veto gegen das Abkommen drohten und damit den Inhalt des Vorschlags „verwässerten“. So war es auch bei der Verabschiedung des OECD-Abkommens – also des Textes, den die Europäische Kommission nun in europäisches Recht „gießt“ [14]. Das gleiche Szenario droht uns jetzt im EU-Rat.

    Ein solches Ergebnis wäre natürlich enttäuschend für alle, die sich in den letzten Jahren für mehr Steuergerechtigkeit eingesetzt haben. Die Kollegen meiner Heimatfraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz im Europäischen Parlament, mit denen ich in den letzten Jahren oft im Bereich der internationalen Besteuerung zusammengearbeitet habe, sind der Meinung, dass, wenn es den europäischen Steuerparadiesen gelingt, den Vorschlag für eine Mindeststeuer zu unterlaufen, „die ehrgeizigeren Mitgliedstaaten ihre Zusammenarbeit vertiefen und gemeinsam handeln sollten“ [15]. Und ich hoffe aufrichtig, dass Tschechien einer dieser Staaten sein wird, wenn dies geschieht.

    Sie können aber darauf wetten, dass die Änderungen am Steuersystem nicht mit der Einführung der globalen Mindeststeuer enden – und auch nicht enden sollten. Bei den zahlreichen Probleme mit der Art und Weise, wie wir öffentliche Gelder sammeln und verwalten, wäre es in der Tat traurig, würden wir uns mit nur wenigen, wenn auch bedeutenden, Änderungen zufrieden zu geben.

    Quellen:

    [1] trends.google.com/trends/yis/2021/GLOBAL/

    [2] b-hub.eu/

    [3] www.europarl.europa.eu/committees/en/public-hearing-on-the-impact-of-new-tech/product-details/20211104CHE09661

    [4] www.europarl.europa.eu/doceo/document/CRE-9-2021-04-28-INT-3-127-0000_EN.html

    [5] taxjustice.net/country-profiles/

    [6] taxjustice.net/2021/12/20/a-year-the-tide-turned-in-the-fight-for-tax-justice/

    [7] www.politico.eu/article/european-parliament-shell-companies/

    [8] mikulas-peksa.eu/danove-raje-cesko/

    [9] spravedlivedane.cz/

    [10] mikulas-peksa.eu/openlux-banky-transparentnost-II/

    [11] www.reuters.com/business/finance/what-is-global-minimum-tax-deal-what-will-it-mean-2021-10-08/

    [12] www.reuters.com/business/eu-draft-texts-implementing-global-corporate-minimum-tax-deal-by-spring-macron-2021-12-09/

    [13] *Bzw. in seiner ECOFIN-Konfiguration und damit der Vorschlag genehmigt werden kann, muss er von den Finanzministern der Mitgliedstaaten des Rates der EU und dem Europäischen Parlament gebilligt werden.

    [14] taxjustice.net/press/oecd-tax-deal-fails-to-deliver/

    [15] www.greens-efa.eu/opinions/2021/12/17/big-profits-should-mean-fair-taxes/

  • Alt(maier)lasten bei der BEG – Bundesförderung für effiziente Gebäude

    Alt(maier)lasten bei der BEG – Bundesförderung für effiziente Gebäude

    Am 24. Januar 2022 ist Bundeswirtschafts- und Klimaminister Habeck voll in eine Falle getappt, die ihm sein Vorgänger hinterlassen hat. Die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) war abrupt beendet worden, weil die Zahl der Anträge das Budget völlig überschritt [1]. Kurzfristig wurde nun entschieden, dass die Förderung vorerst doch weiter laufen soll, um den Schaden zu begrenzen [2].

    Mit dem Förderprogramm werden energiesparsames Bauen und energetische Sanierung gefördert. Viele Bauherren hätte der Förderstopp kalt erwischt, denn laut ursprünglicher Angabe sollten Anträge noch bis zum 1. Februar 2022 eingereicht werden können. Mit dem Förderstopp wären alle noch nicht bearbeiteten Anträge auf einen Schlag hinfällig geworden. Manch einem dürfte das die Bauplanung gesprengt haben, was zu ernsten Problemen mit der Finanzierung führen kann, z.B. wenn schon Kredite vereinbart sind. 

    Was ist eigentlich wirklich geschehen?

    Wirtschaftsminister Peter Altmaier hatte im November 2021 entschieden, das Programm Anfang Februar 2022 auslaufen zu lassen. Prinzipiell mit der richtigen Begründung, dass die Förderrichtlinien überarbeitet werden müssen, weil viele der geforderten Ziele mittlerweile zum Standard geworden sind. Sinn der Förderung kann es schließlich nicht sein, zu fördern, was ohnehin getan werden würde. Denn es geht ja darum, Anreize zu setzen, besser zu werden.

    Das Timing war für die Planung von Bauvorhaben denkbar ungünstig. Altmaier auf dem Weg zur Tür hinaus und Habeck wusste noch nicht sicher durch welche Türe er in welches Ministerium hineingehen würde. Damit war also gesetzt, dass es eine Lücke bei den Förderungen geben würde zwischen dem Ende der alten Förderung und dem Beginn einer neuen Förderung, die erst mit mehreren Monaten Verzug zu erwarten wäre. Ohne Aussicht auf ein anschließendes neues Förderprogramm begann sofort ein massiver Ansturm an Anträgen zum ursprünglich angegebenen Fristende. 

    Am 24. Januar 2022 wurde eine Förderantragssumme von 20 Milliarden € überschritten und die Reißleine gezogen. Habeck hatte offensichtlich versäumt, bei Amtsantritt ein Team zu beauftragen, das sich darum kümmert, zu schauen, welche Alt(maier)lasten der Vorgänger zurück gelassen hat. Statt die Situation mit einer Übergangslösung zu entschärfen, hat Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck sich komplett vorführen lassen. Die Grünen zeigen leider immer wieder, dass sie gut darin sind, sich Beine stellen zu lassen oder selber zu stolpern, wie auch an der Affäre um die Boni für Parteivorstände zu sehen war.

    Also lieber Herr Habeck: Es hilft, wenn man nach der Amtsübernahme erst mal schaut, ob noch gespannte Mausefallen in den Schubladen liegen.

    Ein kleiner Tipp dazu: Vorgänger Altmaier hatte einen Mitarbeiter, der gleichzeitig Vorsitzender der Astroturfing-Organisation „Vernunftkraft“ ist. Vielleicht sitzt dieser immer noch als nettes U-Boot im Ministerium.

     

    Quellen:

    [1] www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/kfw-foerderung-fuer-energieeffiziente-gebaeude-gestoppt-101.html

    [2] www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2022/02/20220201-loesung-fuer-kfw-gebaeudefoerderung-steht.html

  • Safer Internet Day #fitfordemocracy

    Safer Internet Day #fitfordemocracy

    Heute ist Safer Internet Day. Bei der Fülle möglicher Themen unter dieser Headline, geht es beim Safer Internet Day dieses Jahr treffenderweise um „Fit für die Demokratie, stark für die Gesellschaft!“ – nachdem “Meinungsbildung durch Influencer” und das Thema “Fakenews” in den letzten Jahren auf der Agenda standen.

    Fit für die Demokratie,…

    Interessant, dass gerade bei einem Aktionstag, in dem das Internet im Mittelpunkt steht, an unser demokratisches Verständnis und die daraus hervorgehende starke Gesellschaft appelliert wird. Wir sprechen über Fitness für die Demokratie. Also die körperliche und geistige Bereitschaft für die Demokratie. Und tatsächlich ist es ja genau das, was uns die Demokratie abverlangt. Sie ist vielleicht die unbequemste Regierungsform. Das Set von Regeln, das uns am meisten herausfordert. Das von uns verlangt, auszuhalten, dass Menschen mit Meinungen kollidieren. Diese Kollision kann bis zur körperlichen oder auch psychischen Erschöpfung führen. Es ist also an uns, an jedem Einzelnen, dafür zu sorgen, fit zu sein, sich zu stärken, die Meinung anderer zu akzeptieren, diese auch mal stehen lassen zu können.

    Stehen lassen zu können, und erst recht nicht mit Beleidigung, Hetze oder Hass zu reagieren. Auch wenn wir nur einen Monitor vor uns haben: Auf der anderen Seite, Empfänger der Reaktion, sind Menschen. Wir reden nicht mit Pixeln oder Profilfotos, sondern eben mit Menschen, so wie wir selbst Menschen sind. Diese Toleranz und Notwendigkeit Meinungen auszuhalten gilt auf beiden Seiten, sie befreit nicht von Manieren und Umgangsformen, wie sie sich jeder selbst für sich wünscht. Ich kann mir schwer vorstellen, dass irgendjemand selbst gerne sprichwörtlich bespuckt werden möchte, was leider nur allzu oft in Debatten beobachtet werden kann.

    Es gehört ebenso zu dieser Fitness, sich die Mühe zu geben bzw. einen Schritt zurück zu machen und festzustellen, von welcher Güte die Informationen sind, auf denen die eigene Meinung oder auch die Reaktion aufbaut. Im Internet ist nicht immer alles wie es scheint, und erst recht nicht immer ohne eigene Interessen.

    Daher: Stärkt euch, werdet fit. Fit für die Demokratie

    …stark für die Gesellschaft

    Zu Üben und so den eigenen Umgang mit Meinungen zu stärken, durch diese Eigenleistung wachsen wir zu einer starken Gesellschaft heran. Wir werden eine starke Gesellschaft, wenn wir so den Raum schaffen, dass Menschen die Möglichkeit haben, sich zu versammeln. Sich zu treffen, untereinander auszutauschen, sich einzusetzen – für Grundrechte, wie freie Religion oder zu lieben, wen man möchte. Darüber zu berichten, wie reichhaltig und vielseitig unsere Gesellschaft ist. Die Freiheit sich zu organisieren, wenn uns etwas nicht gefällt, oder gerade weil uns etwas gefällt. Wir werden eine starke Demokratie, indem wir Raum zulassen oder ihn sogar verteidigen für diejenigen, die nicht unserer Meinung sind.

    Wir kommen zu einer starken Demokratie, indem wir uns gegenseitig stärken, wenn wir beispielsweise Hassrede etwas entgegenstellen und nicht unbeantwortet lassen, oder indem wir auf Fakenews hinweisen, und das freundlich, nicht mit schäumendem Mund oder einer moralisch überhöhten Position.

    Es liegt an uns. Wir können die Gesellschaft so gestalten, wie du und ich sie haben möchten.

    Die EU-Initiative “klicksafe” formuliert sehr treffend: „Demokratie ist kein gegebener Zustand, sondern muss sich im Alltag immer wieder neu bewähren, erfinden, überzeugen. Eine starke Medienkompetenz ermöglicht eine starke Demokratiekompetenz. Damit dies gelingt, müssen wir regelmäßig trainieren, denn eine nachlassende und schwache Demokratie gefährdet die Vielfalt in unserer Gesellschaft.“

  • Verkehrspolitisches Mittelmaß – irgendwie typisch Deutschland

    Verkehrspolitisches Mittelmaß – irgendwie typisch Deutschland

    [green_box] Ein Beitrag von smegworx [/green_box]

    Der Trend hin zu elektrifizierten Fahrzeugen hält bei Neuzulassungen an. Und dennoch ist das, insbesondere für das „Autoland“ Deutschland, weder eine Erfolgsstory, noch ein Grund zu übermäßigem „Jetzt können wir uns alle auf die Schulter klopfen!“

    Klar, nach absoluten Zahlen – und darauf wird sicher der Verkehrsminister Volker Wissing hinweisen – hat Deutschland im Jahr 2021 im europäischen Vergleich die meisten Elektrofahrzeuge zugelassen. Rein elektrisch betrieben (BEV) waren das 355.961 PKW und nochmals 325.449 sogenannte Plug-in-Hybride (PEHV).

    Das war es auch schon an guten Nachrichten

    Nicht mehr ganz so gut sieht es dagegen aus, wenn man die Zahlen ins Verhältnis zu den Gesamtzulassungen setzt. (Aufgrund der für diese Betrachtung irrelevanten Zulassungszahlen lassen wir Brennstoffzellen/Wasserstoff-Fahrzeuge und LPG/CNG-Fahrzeuge außen vor.) Da erreichen in Deutschland die rein elektrischen Fahrzeuge nur noch einen Anteil von 13,57 % und die Plug-in-Hybride einen Anteil von 12,41 %.

    WOW, mag jetzt der ein oder andere sagen: Das sind doch immerhin mehr als ein Viertel aller Neuzulassungen. Stimmt natürlich. Und ja, es gibt auch Länder in Europa, die gerade hinsichtlich der Elektromobilität noch weit hinter Deutschland liegen. Ob es uns allerdings wirklich gefällt, wenn wir uns mit Bulgarien oder Zypern vergleichen? Das ist allerdings auch nicht entscheidend.

    Fossile Verbrenner in Deutschland – Elektromobilität in Norwegen

    Wenn der Anteil von BEV und PHV somit bei 25,98 % liegt – dann werden immer noch knapp drei Viertel der Fahrzeuge als Benziner oder Diesel zugelassen.

    Wie es anders geht, zeigt uns das Beispiel Norwegen. Dort wurden zwar zahlenmäßig „nur“ 114.000 rein elektrische Fahrzeuge zugelassen. Allerdings entspricht dies einem Anteil von 64,5 % an den Neuzulassungen [2]. Die Differenz zu Norwegen liegt damit allein in diesem Segment bei 50,93 %.

    Nehmen wir jetzt noch die, natürlich auch in Norwegen zugelassenen, Plug-in-Hybride mit dazu (38.000 / 21,7 %) dann sieht die Gesamtbilanz noch düsterer aus. Den 86,2 % der zugelassenen Fahrzeuge in Norwegen stehen die nun doch ziemlich mickrig ausschauenden 25,98 % in Deutschland gegenüber. 60,22 % beträgt damit das Defizit gegenüber dem europäischen Primus.

    Wir hinken politisch meilenweit hinterher

    Angesicht dieser für Deutschland ziemlich deprimierenden Zahlen ist die Frage, was denn da Norwegen jetzt so anders macht, völlig zutreffend und auch folgerichtig. Wie lässt sich das erklären?

    Ganz sicherlich nicht nur damit, dass die Menschen in Norwegen vielleicht neuen, umweltfreundlichen Technologien gegenüber vielleicht positiver eingestellt sind. Und sicherlich auch nicht damit, dass Norwegen bei seiner, durch natürliche Voraussetzungen bedingt, Energiegewinnung ohnehin schon viel „grüner“ ist. (95 % des Strombedarfs in Norwegen wird via Wasserkraft gewonnen.)

    In Norwegen hat das vielmehr damit etwas zu tun, dass frühzeitig eine entsprechende Vision vorhanden war. Und noch viel wichtiger: Dass die Politik auch den Mut hatte, die notwendigen politischen Weichenstellungen herbeizuführen und das durch konkrete Gesetze und Verordnungen dann auch umzusetzen.

    Klingt schon irgendwie echt abenteuerlich, wenn die Politik so handelt. Oder?

    Ganz konkret hat Norwegen folgende Maßnahmen umgesetzt (selbst wenn einige davon jetzt aufgrund der erreichten Quote bereits wieder zurückgefahren werden/aufgehoben worden sind):

    • Ausstieg aus den Neuzulassungen von Verbrennern ab 2025
    • Nutzung von Busspuren
    • Kostenloses Parken
    • Teilweise kostenloses Laden oder Ladepreise ab 5 ct/kWh
    • Mehrwertsteuerbefreiung für Elektrofahrzeuge
    • Halbierung der Maut
    • Eine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur

    Wenn wir jetzt einmal gegenüberstellen, welche Maßnahmen davon wir in Deutschland bis 2030 umsetzen wollen, dann bleibt eigentlich nur noch eine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur übrig. Zumindest dann, wenn man das Ziel der 1 Million Ladepunkte auch wirklich erreicht.
    Alle anderen Maßnahmen hierzulande: Komplette Fehlanzeige.

    Politisches Versagen – und (noch) keine wirkliche Besserung in Sicht

    Angesichts dieser für Deutschland desaströsen Gegenüberstellung muss man von einem politischen Versagen in der deutschen Verkehrspolitik sprechen.

    Von fehlender Vision, fehlenden Konzepten, fehlendem Mut.

    Einem Versagen, was maßgeblich durch die CSU zu verantworten ist, die über lange Jahre die Verantwortung für den Verkehrssektor hatte. Und was sich dann zusätzlich auch durch das Desaster von Glasgow manifestierte.

    Natürlich kann man dem jetzt gerade ins Amt gekommenen Verkehrsminister Wissing nicht unbedingt die Versäumnisse der Vergangenheit anlasten. Aber selbst der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition entspricht nicht ansatzweise den Erwartungen, die viele im Vorfeld geäußert und auch erhofft hatten. Das lässt sich nicht nur am Herumeiern bezüglich des Ausstiegs aus dem Verbrenner festmachen, zu dem man im Koalitionsvertrag keine Jahreszahl findet. Irgendwann nach den Zielen der EU. Und gefühlte Ewigkeiten nach Norwegen.

    Auch von den in Norwegen im Gesamtpaket umgesetzten Maßnahmen findet man im Koalitionsvertrag, bis auf den Ausbau der Ladeinfrastruktur und eine auf wackligen Füßen stehenden „Innovationsprämie“, nichts. Das ist im Hinblick auf die angestrebte Antriebswende beschämend. Und wird auch durch ständige Diskussion über „Technologieoffenheit“, „eFuels“ oder „Brennstoffzellenantriebe“ nicht besser.

    Was es jetzt bräuchte

    1. Ein klares Statement des Bundesverkehrsministers pro Elektromobilität
    2. Aufsetzen eines Gesamtpaketes (analog Norwegen) und eine beschleunigte Umsetzung
    3. Einführung eines Bonus-/Malussystem bei PKW-Neuzulassungen
    4. Ein klares Bekenntnis mit Jahreszahl zum Ausstieg aus der Zulassung fossiler Verbrenner
    5. Eine nachträglicher Beitritt zur Erklärung von Glasgow

    Das ist alles kein Hexenwerk. Das ist alles möglich. Wenn der politische Wille vorhanden ist.

    Hat die aktuelle Bundesregierung diesen? Haben Sie diesen Mut und diesen Willen, Herr Wissing?

    Zum Schluss

    Nein, die Elektromobilität alleine wird niemals ausreichen, um die auch von uns angestrebte Mobilitätswende und die Verkehrswende zu ermöglichen. Dazu sind viel mehr Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen notwendig. Einige davon findet Ihr auch im aktuellen Programm der Piratenpartei.

    Aber: Wenn wir in Deutschland bereits bei der Antriebswende hinter den Notwendigkeiten meilenweit hinterherlaufen (auch: kläglich versagen), wie sollen uns dann die wesentlich größeren Vorhaben Mobilitätswende und Verkehrswende gelingen?

  • EU-Kommission deklariert Erdgas und Atomenergie als nachhaltig – Körber: „Kniefall vor Lobbygruppe“

    Am 2. Februar 2022 hat die EU-Kommission die Taxonomie für nachhaltige Investments veröffentlicht [1]. Damit wird eingestuft, welche Investments als umweltfreundlich gelten und damit zum Beispiel von Investmentfonds entsprechend ausgewiesen werden können. Die Taxonomie ist also mit entscheidend dafür, in welche Projekte Geld in großem Umfang investiert wird. Geschaffen wurde die Taxonomie, um Greenwashing zu verhindern – also es nicht zuzulassen, dass Projekte einfach als nachhaltig deklariert werden, obwohl sie es nicht sind.

    Entsprechend groß war schon im Vorfeld die Kritik an den Plänen der Kommission, Atomkraft und Erdgas als nachhaltig einzustufen [2], was sie nun dennoch entschieden hat. Als delegierter Rechtsakt kann allerdings das EU-Parlament diese Entscheidung mit einer Zweidrittel-Mehrheit revidieren.

    Guido Körber, Themenbeauftragter für Energiepolitik der Piratenpartei Deutschland, kommentiert dazu:

    „Die EU-Kommission selbst betreibt mit der Taxonomie Greenwashing und belegt mal wieder, dass sie als undemokratischstes Element der EU dringend reformiert gehört.

    Erdgas und Atomkraft als nachhaltig einzustufen ist nur richtig, wenn man es unter dem Aspekt sieht, dass beide Technologien sehr nachhaltige Schäden hinterlassen. Keine der beiden Technologien hilft uns dabei den Klimawandel zu stoppen – im Gegenteil. Mit dieser unverantwortlichen Fehleinstufung werden Investitionen in Sackgassen umgelenkt, die dann für wirklich nachhaltige Projekte, wie den Ausbau von Erneuerbaren Energien und Energie-Speichern, fehlen.

    Es bleibt die Hoffnung, dass das Europaparlament die nötige 2/3-Mehrheit zusammen bekommt, um diesen Kniefall vor einer Lobbygruppe zu stoppen. Die deutsche Regierung hat es mit ihrem Herumumlavieren wegen des Erdgases mit versaut.“

     

    Quellen:

    [1] ec.europa.eu/info/publications/220202-sustainable-finance-taxonomy-complementary-climate-delegated-act_en

    [2] www.piratenpartei.de/2022/01/09/greenwashing-verhindern-durch-greenwashing-der-absurde-eu-taxonomiestreit-der-ampel/