Autor: Borys

  • Präsenzpflicht in Schulen bei hoher Inzidenz zur Pandemiebekämpfung aussetzen

    Bund und Länder haben am 24. Januar vereinbart, dass die geltenden Corona-Regeln unverändert fortbestehen sollen [2]. Damit gilt weitestgehend Präsenzpflicht in Schulen, während Kontaktreduktion und Arbeiten im Homeoffice die Weiterverbreitung von SARS-CoV-2 verlangsamen sollen. Aktuell steigt die 7-Tage-Inzidenz weiter und hat bundesweit erstmals den Wert von 900 überschritten, mit einem Drittel der Landkreise über 1.000 [1]. 

    Sebastian Alscher, Bundesvorsitzender der Piratenpartei Deutschland, sieht in der Aufrechterhaltung der Präsenzpflicht eine vermeidbare Belastung für Familien und das Umfeld der Schulkinder:

    Als Elternteil möchte ich mein Kind nicht unnötigen Risiken aussetzen, nicht andere Schülerinnen und Schüler und vor allem nicht das Lehrpersonal gefährden, falls mein Kind möglicherweise eine nicht entdeckte Infektion mit sich trägt. Hier ist es an der Zeit, wo immer es möglich ist, während solch hoher Inzidenzzahlen auf Distanzunterricht umzusteigen.“

    Wolf Vincent Lübcke, Generalsekretär der Piratenpartei Deutschland, schließt sich an:

    Familien sorgen sich um ihre Kinder und Angehörige. Da ist es das Mindeste, dass der Staat ihnen zugestehen muss, im Sinne des Aufenthaltsbestimmungsrechts zu entscheiden, ob sie ihre Kinder in die Schule schicken und womöglich den Gefahren einer Infektion aussetzen wollen. Die steigende Zahl von hospitalisierten Kindern und Jugendlichen [3] spricht eine eindeutige Sprache.

    Distanzunterricht ist wegen fehlender Versorgung mit schnellen Internetleitungen zwar vielerorts immer noch eine Herausforderung, dennoch wäre es bereits eine Entlastung in Hinsicht auf unvermeidbare Kontakte in Schulen, wenn Präsenzunterricht mit kleineren Lerngruppen stattfände. Sofern Eltern sich daher in der Lage sehen, das Lernen ihrer Kinder zu Hause sicherzustellen und zu unterstützen, muss die Entscheidung, ob ihre Kinder in Präsenz in der Schule lernen sollen, in ihrer Hand liegen. Lübcke kritisiert, dass die Politik diesbezüglich zu unflexibel sei:

    Hier sind die Länder gefordert, notwendige Möglichkeiten zum Distanzunterricht aufzubauen und anzubieten, auch wenn dies zu einer zusätzlichen Arbeitsbelastung in den Schulen führt. Das Wohl der Kinder muss im Vordergrund stehen!

    Alscher erachtet die aktuellen Quarantäneregeln als widersprüchlich und ungeeignet, die Pandemie effizient zu bremsen. Insbesondere dreifach geimpfte Personen sind als Kontaktperson nicht mehr quarantänepflichtig, können sich als Arbeitnehmer nicht freiwillig isolieren und haben unweigerlich Kontakt zu anderen Personen. Ihre schulpflichtigen Kinder müssen bei negativem Test auch als Kontaktperson verpflichtend mit anderen Kindern in die Schule. Alschers Resümee: 

    Bund und Länder erschweren es mündigen Bürgerinnen und Bürgern, Verantwortung zu übernehmen und zu handeln, wie es die Vernunft gebietet. Der Staat schreibt ihnen seine ganz eigene Abwägung von Infektionsgefahr und Schulpräsenz vor. Ein Nanny-Staat der besonderen Art.

     

    Quellen:
  • Europäischer Datenschutztag: Europaabgeordnete warnen parteiübergreifend vor den Chatkontrolle-Massenüberwachungsplänen der EU

    Europäischer Datenschutztag: Europaabgeordnete warnen parteiübergreifend vor den Chatkontrolle-Massenüberwachungsplänen der EU

    Zum Europäischen Datenschutztag wenden sich Europaabgeordnete in einem parteiübergreifenden Brandbrief an die Europäische Kommission: Die Abgeordneten warnen, dass der für März 2022 von der Kommission angekündigte Gesetzentwurf zur verdachtslosen Nachrichten- und Chatkontrolle auf allen Handys zu einer Massenüberwachung der privaten Kommunikation aller EU-Bürger:innen führen würde. Zudem bedrohe ein solches Gesetz die sichere Verschlüsselung und die IT-Sicherheit allgemein.

    Ähnlich der hochumstrittenen „SpyPhone“-Pläne des Apple-Konzerns will die EU-Kommission zum „Schutz von Kindern“ künftig alle Anbieter von Kommunikationsdiensten dazu zwingen, den Inhalt der gesamten persönlichen Kommunikation aller Bürger:innen anlasslos zu überwachen und zu scannen. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll am 2. März vorgestellt werden. Bisher sicher Ende-zu-Ende verschlüsselte Kommunikation müsste dazu auf allen Handys durchleuchtet und im Verdachtsfall automatisiert ausgeleitet und angezeigt werden. „Die wahllose und generelle vorsorgliche Überwachung der Online-Aktivitäten aller Menschen verursacht verheerende Kollateralschäden“, appellieren die Europaabgeordneten an die zuständigen EU-Kommissar:innen Margrethe Vestager, Margaritis Schinas, Věra Jourová, Thierry Breton, Didier Reynders und Ylva Johansson. Die geplante Chatkontrolle „missachtet den Kern des Grundrechts auf vertrauliche Kommunikation (Artikel 7 der Charta) und ist daher weder notwendig noch verhältnismäßig“ heißt es weiter.

    „Sie hat eine abschreckende Wirkung auf die Ausübung der Grundrechte im Internet, auch für Kinder und Opfer, Minderheiten, LGBTQI-Personen, politische Dissident:innen, Journalist:innen usw. Diese Methode stellt einen Präzedenzfall für die spätere Ausweitung auf andere Zwecke dar. Die Auslagerung von Strafverfolgungsaktivitäten (Verbrechensaufdeckung) an private Unternehmen und deren Maschinen hebt den Schutz auf, den die Unabhängigkeit und Qualifikation öffentlicher Ermittler sowie die institutionelle Aufsicht über deren Aktivitäten gewährleisten.“

    Die EU-Abgeordneten zeigen sich besorgt über jüngste Medienberichte, denen zufolge Ermittler Plattformen für sexuellen Kindesmissbrauch wie „Boystown“ zwar stillgelegt haben, es aber versäumten, die verlinkten Inhalte zur Löschung zu melden. Das bedeutet, dass Tausende von Gigabytes illegaler Bilder weiterhin zugänglich sind.

    „Die Ermittler argumentieren, dass ihnen die Kapazitäten fehlen, um das ihnen bekannte Material zu melden. Würde man die ohnehin schon überlasteten Ermittler noch zusätzlich mit Tausenden von zumeist falschen Meldungen belasten, in denen bekanntes illegales Material über kommerzielle Kommunikationsdienste weitergegeben worden sein soll, ließe man die Opfer im Stich. Der Opferschutz hängt davon ab, dass alle Ressourcen auf die Verhinderung von Missbrauch und der Produktion von Missbrauchsmaterial konzentriert werden,“ so die Abgeordneten.

    Der Europaabgeordnete und Bürgerrechtler Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei) kommentiert:

    „Dieser EU-Big-Brother-Angriff auf unsere Handys zur totalen Durchleuchtung unserer privaten Kommunikation mit fehleranfälligen Denunziationsmaschinen droht in einen Überwachungsstaat nach chinesischem Vorbild zu führen. Soll vielleicht als nächstes die Post alle Briefe vorsorglich öffnen und scannen? Eine wahllose und grundrechtswidrige Suche ins Blaue hinein ist der falsche Weg zum Schutz von Kindern und gefährdet diese sogar, indem ihre privaten Aufnahmen in die falschen Hände geraten und Kinder vielfach kriminalisiert werden. Überlastete Strafverfolger, die nicht einmal für die Sichtung bekannter Kinderpornografie Zeit haben, mit größtenteils falschen Massenanzeigen zu fluten, ist unverantwortlich den Kindern gegenüber, deren Missbrauch dadurch fortgesetzt wird.“

    Hintergrund:

    Die im August 2021 angekündigten Pläne von Apple, persönliche Fotos wahllos nach verdächtigen Inhalten durchsuchen zu wollen, führten zu einem öffentlichen Aufschrei. Mehr als 90 Organisationen forderten das Unternehmen auf, die Pläne zu verwerfen.

    Die Europaabgeordneten warnen, die Kommissionspläne würden einen ähnlichen Proteststurm auslösen. Die Anbieter müssten eine Hintertür in ihre Software einbauen (“client-side scanning”), um eine solche Überwachung zu ermöglichen. Die Einführung einer Routine für die automatische Meldung verdächtiger Kommunikationsinhalte im Falle eines Treffers würde die sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung insgesamt aushebeln und die damit verbundene Sicherheit und das Vertrauen in digitale Kommunikationsinfrastruktur beseitigen. Privatpersonen, Unternehmen und Behörden verließen sich auf die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, um ihre persönlichen, geschäftlichen und staatlichen Geheimnisse zu schützen.

    Mehr Informationen zur Chatkontrolle: www.chatkontrolle.de

     

     

     

  • Datenschutz – so aktuell wie nie zuvor

    Datenschutz – so aktuell wie nie zuvor

    Den Verlust von Freiheit merkt man erst, wenn es zu spät ist. Je mehr wir uns darauf einlassen, unsere Freiheit zu Gunsten des Versprechens einer höheren Sicherheit zu beschränken, umso mehr geben wir sie auf. Den Verlust an Freiheit werden nicht die zuerst merken, die ihr Leben dort führen, wo die wohlig weiche gesellschaftliche Mitte ist, sondern diejenigen, die anders sind.

    Und es wird im Kleinen beginnen. Man wird sich fragen: Kann ich das so sagen? Wenn jemand sieht, was ich geschrieben hab, was wird dieser Dritte von mir denken? Wenn mein Arbeitgeber das Bild von mir sieht, was wird wohl passieren? Sicher sind wir nur mit der Gewissheit, dass wir Kontrolle darüber haben, dass wir den Freiraum haben zu sein, wie wir sind. Dass wir sicher sein können, dass man Privatsphäre oder gar Intimsphäre genießt. Dazu gehört auch, dass man von sich nicht mehr preisgeben muss, als notwendig ist.

    Aber diese Freiheit wird von zwei Seiten zerrieben. Von Seiten des Staates und von Seiten des Überwachungskapitalismus.

    Zu einer freien Gesellschaft gehört auch, die Regierenden kritisieren zu können, ohne mit Repression rechnen zu müssen. Grundrechte räumen uns die Rechte ein. Beispielsweise das Recht Meinungen frei zu äußern und zu verbreiten oder das Versammlungsrecht. Denn es ist keine Begegnung auf Augenhöhe, der Staat ist zunächst immer mächtiger als der Einzelne. Sich mit anderen zu organisieren, um gemeinsam die Stimme zu erheben, ist daher ungemein wichtig, um frühzeitig ein Korrektiv zu bieten. Ein Korrektiv gegen ein Abrutschen in Totalitarismus, Willkür und Verbrechen. Ein Überwachungsstaat ist auch Teil der deutschen Geschichte, und Geschichte gibt einem immer auch eine Verantwortung mit.

    Wenn jeder damit rechnen muss, dass vieles über seine Kommunikation ohne Anlass gespeichert werden kann, dann fühlt sich niemand mehr frei. Dann wird die Gesellschaft oder der Staat schnell wie ein panoptisches System empfunden. Dann folgt die automatische Selbstkontrolle, der Verzicht darauf zu sein wie man ist, zu sagen oder schreiben, was man denkt. Ein Problem daraus ist, dass man darauf verzichtet staatliche Maßnahmen oder Bestrebungen zu kritisieren und sich mit anderen zu organisieren, um Unmut deutlich zu machen.

    Schaut man sich die Tendenz an, welche Überwachungsgesetze zuletzt verabschiedet wurden, und ob man sich eher in Richtung einer freien oder weniger freien Gesellschaft bewegt, dann ist die Richtung klar. Mit zunehmender Videoüberwachung, dem Wunsch nach Vorratsdatenspeicherung, Staatstrojaner, Fingerabdruckpflicht im Personalausweis, Verschärfungen der Polizeigesetze in den Bundesländern, Forschung an Gesichtserkennungssoftware, und nicht zuletzt die aktuellen Bestrebungen zur Chatkontrolle, also der Abschaffung des digitalen Briefgeheimnisses und vielem mehr geht der Weg klar weg von einer freien Gesellschaft.

    Mit der Digitalisierung und der Zunahme digitaler Angebote wuchs auch der Überwachungskapitalismus. Dieser erklärt Erfahrungen von Privatmenschen zum Rohstoff für Produktion und Verkauf. Aus unserer Online-Suche, der Wahl der Beiträge, die wir lesen, aus unserem Einkaufsverhalten, Zahlungsverkehr, unseren Bildern, unseren Gesichtsausdrücken auf Bildern, und vielem mehr werden Informationen über uns gewonnen.
    Über die Daten hinaus, die für das Erbringen der eigentlich gewünschten Leistung hinaus notwendig sind, werden weitere Daten gesammelt, denn Daten können zu Wissen werden, und Wissen wird zu Geld – und Macht. Diese Macht wird häufig dazu gebraucht, uns zu bestimmten weiteren Verhaltensweisen zu motivieren. Sei es der Kauf eines bestimmten Produktes, das Kennenlernen bestimmter Leute, bis hin zur Manipulation von Wahlentscheidungen. Es ist die Manipulation unseres Verhaltens zum Profit Dritter, und das auf eine perfide Weise, die uns vollkommen natürlich und von uns selbst gewollt erscheint.

    Man kann gewiss lange über den freien Willen und die freie Entscheidung des Individuums sprechen. Der einzige Weg aber, sich einer Manipulation zu verschließen wäre, wenn man sicher sein könnte, dass diese Daten nicht verwendet werden oder gar nie erfasst werden. Ein Dienstleister jedoch hat keinen natürlichen Anreiz, auf die Sammlung von Daten über uns zu verzichten.

    Beide dieser Fronten zeigen, wie wichtig Datenschutzgesetze sind. Wie wichtig es ist, juristisch Grenzen zu setzen, und diese auch wirksam durchsetzen zu können. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass diese schon seit vielen Jahren zu beobachtende Entwicklung zu einem Ende kommt. Ganz im Gegenteil. Und umso wichtiger ist es, hier wachsam zu sein und die Stimme zu erheben, wo wir als Menschen in unserer Freiheit, unserer Möglichkeit zu selbstgewählten Entfaltung eingeschränkt werden.

    Happy privacy day.

  • Bedingungslose Bildung

    Bedingungslose Bildung

    +++ bundesweit einheitliches Recht auf bedingungslose Bildung +++ digitale Bildungplattformen besser nutzen +++ Schüler:innen mehr zutrauen +++

    Der aktuelle Ausschluss von Schülerinnen und Schülern in der 5. Welle der Pandemie aufgrund von Quarantäne, Erkrankung, ihres Impfstatus oder durch die Verweigerung des Schnelltestes auf Sars-CoV-2 führt zu erheblicher Unruhe in der Schülerschaft. Der Fall der Hagener Schülerin [1], die den Unterricht von draußen verfolgte, hat hier aufgeschreckt. Auch die Tatsache, dass Jugendämter und Ordnungsbehörden immer häufiger aktiv werden, ist zu beobachten.

    Sven Bechen, Listenkandidat der Piratenpartei Nordrhein-Westfalen und Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Bildung, sieht die Notwendigkeit und Möglichkeit gegeben, die Präsenzpflicht in der Schule auszusetzen:

    „Nach 2 Jahren Pandemie gibt es immer noch kein Konzept den Präsenzunterricht auszusetzen. Bildungsminister:innen beharren vehement auch weiter auf den Präsenzunterricht, obwohl die Erfahrungen des digitalen Unterrichts aus der ersten und zweiten Coronawelle noch umsetzbar wären. So ist Bildung aktuell mit der Bedingung der körperlichen Anwesenheit verbunden und das lehnen wir ab.“

    In der aktuellen Omikronwelle sind in einigen Bereichen Norddeutschlands die Inzidenzen extrem hoch, Spitzenreiter ist hier das Land Bremen mit einer Inzidenz von über 2.500 bei Kindern und Jugendlichen [2]. Das bedeutet, dass im Land Bremen über 1.000 Kinder aktuell aktiv erkrankt sind und hier auch noch die Dunkelziffer recht hoch sein wird. Verbunden mit der Befürchtung, dass das Post- oder Long-Covid Syndrom auch bei der Omikronvariante mit ca. 5 % zu befürchten ist [3] und somit wöchentlich rund 50 Kinder über einen langen Zeitraum weiter behandelt werden müssen. Pro Monat wären somit 200 Kinder über einen langen Zeitraum erkrankt und könnten eben nicht wieder in den Präsenzunterricht.

    Immer mehr Lernende in ganz Deutschland sind nach 2 Jahren Pandemie nicht mehr dazu bereit, dieses Risiko mitzutragen. Daher solidarisieren sich junge Menschen unter dem Hashtag #NichtMitUns in den Sozialen Medien, um für ihr Recht auf physische und psychische Gesundheit einzustehen.

    Für Wilk Spieker, erster Vorsitzender der Piratenpartei Nordrhein-Westfalen und Koordinator der Arbeitsgemeinschaft Bildung, ist es an der Zeit, der Stimme der Jugendlichen mehr Gehör zu schenken:

    „Wir sollten unseren Kindern mehr zutrauen und sie auch freier agieren lassen. In der aktuellen Situation ist es absolut unverantwortlich, die Last der Coronapandemie sowie auch der Klimakrise auf die kommende Generation auszulagern. Dass wir während der Pandemie selbstbestimmtes Lernen und somit moderne Schulform verhindern, zeugt von den aktuellen Fehlern des statischen Schulsystems. Das Jugendamt einzuschalten bei einer 13-jährigen Schülerin ist erschreckend und zeigt das fehlende Fingerspitzengefühl in der Pandemie. Es darf daher die Verantwortlichen nicht wundern, dass die Montagsspaziergänge weiterhin regen Zulauf finden.

    Die Lernplattformen Scobees als auch Schoolfox sind Beispiele, wie man digitales und somit auch selbstbestimmteres Lernen gestalten kann. Hierbei legen wir Wert darauf, dass alle eine bedingungslose Möglichkeit haben, sich weiterzubilden. Hierzu hat die Bundesregierung auch schon Gelder in Form des Teilhabepaketes bereitgestellt. Diese Methode wird aktuell nur von einer uns bekannten Schule verwendet [4]. 

    Die Rechte auf Gesundheit und Bildung schließen sich nicht gegenseitig aus. Daher unterstützen wir die jungen Menschen dabei, für ihre Rechte einzustehen. Dabei liegt es in der Verantwortung der Kultusminister:innen der Bundesregierung, die bitter nötigen Hebel, wie die Aussetzung der Präsenzpflicht und die Einführung einer Bildungspflicht, wie die Piratenpartei sie bereits seit 2011 fordert, in Bewegung zu setzen.

    Quellen:

    [1] www.wp.de/staedte/hagen/unterricht-auf-schulhof-jugendamt-hagen-will-eingreifen-id234299333.html

    [2] www.tagesschau.de/inland/coronavirus-karte-deutschland-101.html Stand: 18.01.22

    [3] www.aerzteblatt.de/nachrichten/126121/Studie-Long-COVID-bei-Kindern-und-Jugendlichen-eher-selten

    [4] www.richtsbergschule.de/schule/scobees/

  • Abstimmung zum Digitale-Dienste-Gesetz: Riesenerfolge und Rückschläge im Kampf um unsere digitalen Grundrechte

    Abstimmung zum Digitale-Dienste-Gesetz: Riesenerfolge und Rückschläge im Kampf um unsere digitalen Grundrechte

    Am 20. Januar hat das EU-Parlament seinen Standpunkt zum Digitale-Dienste-Gesetz (DSA) formell angenommen. Das Parlament verabschiedete eine Formulierung zum Schutz der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und ergänzte zuletzt noch ein Recht, digitale Dienste anonym zu nutzen und zu bezahlen, wo immer dies möglich ist. Dennoch haben die Europaabgeordneten der Piratenpartei beschlossen, den Gesamtbericht abzulehnen. Das wahllose Sammeln der Handynummern aller Uploader:innen auf Erwachsenenplattformen untergräbt das Recht auf Anonymität und gefährdet die Sicherheit und das Leben von Sexarbeiter:innen in der Europäischen Union – eine rote Linie für die Europaabgeordneten der Piratenpartei.

    Mit dem Änderungsantrag 291a)[1] will das Parlament Nutzer:innen dazu verpflichten, ihre Handynummer an Pornoplattformen weiterzugeben, bevor sie Inhalte hochladen oder Kommentare posten dürfen. Diese Bestimmung verstößt gegen die Grundrechte auf Privatsphäre und Datenschutz. In einem Brief an die Gesetzgeber betonte die EU Sex Workers‘ Rights Alliance (ESWA), dass „aufgrund der Stigmatisierung und Kriminalisierung der Produzenten von sexuellen Inhalten für Erwachsene und anderer Arten von Sexarbeit die Sicherheit ihrer Daten von größter Bedeutung ist“. Datenlecks würden „eine direkte Bedrohung für die Sicherheit und das Wohlergehen von Sexarbeitern im realen Leben (offline) darstellen“[2].

    Obwohl die Abgeordneten der PIRATEN-Delegation die ehrenwerten Absichten des Änderungsantrags anerkennen, werden sie keinen Vorschlag unterstützen, der die Sicherheit einer bereits stigmatisierten Personengruppe bedroht. Ebenso wenig können sie es unterstützen, einen Präzedenzfall für die Abschaffung anonymer Veröffentlichungen im Netz mit der Begründung der ‚Abschreckung‘ zu schaffen. Daher hat die PIRATEN-Delegation gegen die aktuelle Fassung des DSA gestimmt.

    PIRATEN setzten sich erfolgreich für digitale Rechte ein

    In anderen Punkten haben die Abgeordneten der Piratenpartei im Europäischen Parlament wichtige Beiträge zur Verbesserung der Privatsphäre der Nutzer:innen geleistet. Erstmals können sich Nutzer:innen generell gegen die allgegenwärtige Online-Überwachung und die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen zu kommerziellen Zwecken in ihren Apps entscheiden, was sie auch vor den ständigen zeitraubenden Einwilligungsbannern bewahrt. Die Einwilligung zu verweigern dürfte künftig nicht komplizierter sein als die Einwilligung zu geben. Online-Plattformen müssten auch denjenigen Nutzer:innen faire Zugriffsmöglichkeiten anbieten, die es ablehnen, umfassend verfolgt zu werden. Darüber hinaus sollen sicher verschlüsselte Dienste vor Eingriffen durch EU-Mitgliedstaaten geschützt werden. Nationale Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung oder Identifizierungspflichten sollen ausgeschlossen werden. Wie von Abgeordneten und dem LIBE-Ausschuss vorgeschlagen, werden Plattformbedingungen, die nicht mit der Meinungsfreiheit, der Medienfreiheit oder anderen Grundrechten übereinstimmen, nichtig sein. Und in einem wichtigen Sieg in letzter Minute will das Parlament nun, dass die Nutzer digitale Dienste anonym nutzen und bezahlen können, wo immer dies möglich ist.

    Dr. Patrick Breyer, Abgeordneter der Piratenpartei im Europäischen Parlament, Berichterstatter für das Digitale-Dienste-Gesetz des LIBE Ausschusses und digitaler Freiheitskämpfer, kommentiert:

    „Die Unterstützung des Parlaments für das Recht, digitale Dienste anonym zu nutzen und zu bezahlen, ist ein großer Sieg für den Schutz unserer Privatsphäre und Sicherheit im Internet. Allein im letzten Jahr sind über 500 Millionen Handynummern von Facebook/Meta geleakt worden. Wir können nicht hinnehmen, dass jedes Jahr durch Datenlecks persönliche Informationen von Millionen von EU-Bürgern in die Hände von Cyberkriminellen gelangen.

    In den bevorstehenden Trilog-Verhandlungen werden wir unsere Erfolge beim Schutz unserer Privatsphäre und der freien Meinungsäußerung im Internet vehement gegen Überwachungs- und Industrieinteressen verteidigen müssen, etwa den Ausschluss von Upload-Filter-Pflichten, den Schutz von Verschlüsselung und das Verbot nationaler Identifizierungspflichten und Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung.

    Viele der Empfehlungen des LIBE-Ausschusses wurden jedoch nicht angenommen [3], so dass „illiberale“ EU-Regierungen in der Lage sein werden, ohne Richterbeschluss unsere Online-Aktivitäten auszuspionieren und Inhalte zu zensieren, auch solche, die in liberalen Demokratien im Ausland gehostet werden. Das Parlament versäumt es, das monopolistische und überwachungskapitalistische Geschäftsmodell der großen Technologiekonzerne grundlegend anzugehen. So werden wir weiter den Gefahren von Dreck schleudernden Timeline-Algorithmen und willkürlicher Konzernzensur ausgesetzt, auch durch fehleranfällige Upload-Filteralgorithmen und KI.“

    Als nächstes muss das Europäische Parlament eine Einigung mit den weniger fortschrittlichen EU-Mitgliedstaaten aushandeln, die von der französischen Regierung angeführt werden. Die Trilog-Verhandlungen werden hinter verschlossenen Türen stattfinden. Der Europaabgeordnete der Piratenpartei Patrick Breyer wird im Namen des LIBE-Ausschusses daran teilnehmen.

    Einige Einblicke in den Inhalt des DSA-Mandats:

    Uploadfilter

    Das Parlament hat aus den Protesten gegen Artikel 13/17 der Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt gelernt und schließt neue Filterpflichten im Gesetz über digitale Dienste aus. Das Versprechen, den „freiwilligen“ Einsatz von fehleranfälligen Filtern durch Internetplattformen zu verbieten, wird jedoch nicht eingehalten. In der Praxis wird sich also nichts ändern.

    Digitale Privatsphäre und Datensicherheit

    Staatliche Behörden können künftig ohne richterlichen Beschluss umfassende Aufzeichnungen über die Online-Aktivitäten einer Person anfordern. Andererseits soll das Recht auf eine sichere Verschlüsselung gewährleistet werden. Und die Anbieter von Diensten könnten nicht durch nationale Rechtsvorschriften verpflichtet werden, personenbezogene Nutzerdaten generell und wahllos auf Vorrat zu speichern.

    Das neu eingeführte Recht auf anonyme Nutzung digitaler Dienste soll lauten: „Anbieter bemühen sich unbeschadet der Verordnung (EU) 2016/679 und der Richtlinie 2002/58/EG in zumutbarem Maße darum, die Nutzung und Vergütung der Dienste zu ermöglichen, ohne personenbezogene Daten des Nutzers zu erheben.“ In einem Erwägungsgrund wird erläutert: „Im Einklang mit dem Grundsatz der Datensparsamkeit und zur Verhinderung der unbefugten Weitergabe, des Identitätsdiebstahls und anderer Formen der missbräuchlichen Nutzung personenbezogener Daten sollten Nutzer das Recht haben, Dienste anonym in Anspruch zu nehmen und zu vergüten, sofern dies mit vertretbarem Aufwand möglich ist. Dies sollte unbeschadet der im Unionsrecht festgelegten Pflichten zum Schutz personenbezogener Daten gelten. Anbieter können eine anonyme Nutzung ihrer Dienste ermöglichen, indem sie davon absehen, personenbezogene Daten zu den Nutzern und ihren Online-Aktivitäten zu erheben, und indem sie die Nutzer nicht daran hindern, anonymisierende Netzwerke für den Zugang zu dem Dienst zu nutzen. Anonyme Zahlungen können zum Beispiel in bar, unter Verwendung bar gezahlter Gutscheine oder über Prepaid-Instrumente erfolgen.“

    Überwachungswerbung

    Die systematische Überwachung und Erstellung von Persönlichkeitsprofilen von Internetnutzern zu Werbezwecken soll nicht verboten werden. Allerdings könnten Nutzer Tracking erstmals generell im Browser bzw. in der App ablehnen („do not track“) und würden dann auch von lästigen Zustimmungsbannern verschont bleiben. Die Einwilligung zu verweigern müsste genauso einfach möglich sein wie die Erteilung der Zustimmung (Verbot von „Dark Patterns“). Nutzer:innen, die nicht getrackt werden möchten, dürften nicht vom Zugang ausgeschlossen werden. Alternative Zugangsmöglichkeiten müssten sowohl für regelmäßige als auch für einmalige Nutzer:innen fair und vernünftig sein, z. B. Zugänge, die mit tracking-freier Werbung finanziert werden. Die gezielte Ansprache von Personen aufgrund ihrer politischen Meinung, ihres Gesundheitszustands, ihrer sexuellen Vorlieben oder ihrer religiösen Überzeugung soll verboten werden.  

    Informationsfreiheit und Zensur

    Regierungen und Behörden könnten die Entfernung von Internetveröffentlichungen ohne Gerichtsbeschluss anordnen. Löschanordnungen aus dem Ausland sollen möglich sein, selbst wenn ein Inhalt im Land der Veröffentlichung völlig legal ist. Das bedeutet, dass Orban in Zukunft auf der Grundlage seiner eigenen Gesetze Inhalte in der gesamten EU löschen lassen kann. 

    Das versprochene Verbot von Netzsperren („löschen statt sperren“) ist nicht Bestandteil des Standpunkts. Internetplattformen müssen die Nutzer auch nicht fragen, bevor sie deren Inhalte entfernen. Die automatische Sperrung von Nutzern, die angeblich wiederholt gegen das Urheberrecht oder andere Gesetze verstoßen haben, wird nach dem Willen des Parlaments zumindest nicht vorgeschrieben.

    Timeline-Algorithmen und Nutzer-Wahlrechte

    Internetkonzerne dürfen weiterhin selbst entscheiden, was in den Timelines der Nutzer erscheint und was nicht. Die Nutzer:innen erhalten nicht das Recht, sich gegen die kommerziellen Empfehlungsalgorithmen zu entscheiden oder externe Algorithmen ihrer Wahl zu verwenden.

    Quellen:

    [1] www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0356_DE.pdf

    [2] www.patrick-breyer.de/wp-content/uploads/2022/01/20211112_Sex_Workers_Alliance_MEP_Letter.pdf

    [3] Umsetzung der Empfehlungen des LIBE-Ausschusses (grün: umgesetzt, rot: nicht umgesetzt): www.patrick-breyer.de/wp-content/uploads/2022/01/2022_01_LIBE-DSA-colour-coding-final.pdf

  • PIRATEN-Politik im EU-Parlament: „Woran wir im Jahr 2021 gearbeitet haben und was uns gelungen ist“

    PIRATEN-Politik im EU-Parlament: „Woran wir im Jahr 2021 gearbeitet haben und was uns gelungen ist“

    Dieser Beitrag des EU-Parlamentariers Mikuláš Peksa (Piratenpartei Tschechien) wurde zuerst auf auf dessen Homepage veröffentlicht, zu finden unter folgendem Link: https://mikulas-peksa.eu/ge/das-jahr-2021/

    Werfen Sie mit uns einen Blick auf die Arbeit, welche die Piraten dieses Jahr im Europäischen Parlament geleistet haben.

    Der weltweite Kampf gegen die Pandemie ist noch immer nicht ausgestanden. Die EU-Länder haben den einheitlichen Covid-Pass ins Leben gerufen, der allen Europäerinnen und Europäern und allen Menschen, die in Europa leben, die Türen in alle Länder der Union öffnet – ein unbezahlbares Privileg. Der einheitliche QR-Code gibt uns Reisefreiheit, vom höchsten Norden bis in den tiefsten Süden, vom äußersten Osten bis in den westlichsten Zipfel der Europäischen Union.

    Im Sinne unserer Werte als europäische Piratenpartei kämpften wir für eine dezentralisierte Covid-Pass-Lösung, die schließlich von der Kommission genehmigt wurde. Anders als bei der ursprünglich angedachten EU-weiten Datenbank, werden unsere sensiblen Gesundheitsdaten nun lokal gespeichert, wodurch das potenzielle Risiko eines massiven Datenmissbrauchs enorm reduziert werden konnte.

    Impfungen gegen Covid-19: Patente freigeben

    Im Europäischen Parlament setze ich mich für die Freigabe von Patenten für die Herstellung von Impfstoffen ein. In der aktuellen Situation kann es einfach nicht sein, dass lediglich die Impfstoffentwickler und eine Handvoll ausgewählter Partnerunternehmen diese weltweit so dringend benötigten Impfstoffe herstellen dürfen. Diese Vorgehensweise verteuert jede Impfdosis und verlangsamt den weltweiten Impffortschritt. Beides ist völlig unnötig und sogar gefährlich, da sich so weitere Mutationen entwickeln können, die langfristig auch für Länder mit einer hohen Durchimpfungsrate problematisch werden könnten. Da die Steuerzahler bereits für die Impfstoffforschung bezahlt haben, ist es meiner Ansicht nach nur fair, dass die Patente für diese Impfstoffe freigegeben werden. Ich habe daher die Europäische Kommission und den Rat aufgefordert, die Initiative zur Freigabe der Patente zu unterstützen.

    Das Internet der Zukunft: ‚Digital Services Act‘ zum Schutze der Bürgerinnen und Bürger

    Die personenbezogenen Daten der Europäerinnen und Europäer werden dank der neuen europäischen Legislative, dem Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act) – für das ich Hauptberichterstatter im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) sowie Schattenberichterstatter im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) war – besser geschützt. Ich halte es für keine Übertreibung, dieses Gesetz als revolutionär zu bezeichnen.

    Es bringt völlig neue Regeln für große Online-Plattformen. Heute missbrauchen die großen Akteure der digitalen Welt wie Facebook und Google (um nur einige zu nennen) ihre Monopolstellung auf dem Markt und speichern ohne unser Wissen oder unsere Zustimmung enorme Mengen personenbezogener Daten über uns. Mit diesem Gesetz nimmt die Europäische Union eine weltweite Vorreiterrolle bei der Ersetzung veralteter Vorschriften aus der Zeit vor Facebook ein und überholt beispielsweise die USA, wo in den kommenden Jahren ähnliche Rechtsvorschriften auf den Tisch kommen werden.

    Der zentrale Gedanke hinter dem Gesetz über digitale Dienste ist das europäische Konzept zur Modernisierung und transparenteren, zugänglicheren und freieren Gestaltung dieser Plattformen. Eine der Hauptforderungen der PIRATEN, die ich in den Abschlussberichten der Ausschüsse ECON und ITRE durchsetzen konnte, ist die sogenannte Interoperabilität. Sie ermöglicht Europäerinnen und Europäern eine plattformübergreifende Kommunikation und damit auch die Öffnung des Digitaldienstemarktes für kleinere Akteure. Gleichzeitig haben wir uns für die Wahrung der Privatsphäre der Nutzer eingesetzt, indem wir die Rechte zur Entfernung illegaler Inhalte klar definiert haben.

    DORA: Harmonisierte Sicherheitsstruktur gegen Cyberangriffe im Finanzwesen

    Als federführender Berichterstatter im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) habe ich in diesem Jahr an der europäischen DORA-Verordnung, die Verordnung über die sogenannte ‚Betriebsstabilität digitaler Systeme im Finanzsektor‘ (Digital Operational Resilience Act) gearbeitet, die neue Regeln für die Sicherheit von Finanzdaten und Geld der Bürgerinnen und Bürger in Europa festlegt. Diese Arbeit war und ist enorm wichtig, da es von Jahr zu Jahr mehr Cyberangriffe gibt. Die größten Cyberangriffe sind durchaus in der Lage, auch ganze Bankunternehmen auszuschalten und die Interessen von uns allen zu gefährden. DORA soll sicherstellen, dass im Falle eines Cyberangriffs schnell, effektiv und vor allem organisiert reagiert wird. Die Verordnung vereinheitlicht und verbessert die IT-Sicherheitsanforderungen für Finanzdienstleistungen, um die Auswirkungen eines Angriffs zu minimieren und so unser Geld besser zu schützen.

    Ein derartiger Angriff kann, in tschechischen Kronen ausgedrückt, einen Schaden im zweistelligen Millionenbereich verursachen [Anmerkung: Der Wechselkurs Euro zu Krone liegt aktuell etwas unter 1:25]. In DORA ist daher die Verpflichtung zur Entwicklung angemessener Notfallpläne enthalten. Die wichtigsten Erfolge, die wir im Namen der PIRATEN durchsetzen konnten, sind die zentrale Meldung von Vorfällen, die unabhängige Kontrolle von Sicherheitsaudits und der Datenaustausch mit den Behörden. Bislang wurden diese Anforderungen von jedem Mitgliedstaat selbst festgelegt, sodass Banken 27 verschiedene nationale Vorschriften einhalten mussten. Mit DORA wurde dieses System vereinfacht und in einen gemeinsamen europäischen Rahmen gegossen.

    Verschwendung öffentlicher Gelder verhindern

    Im Ausschuss für Haushaltskontrolle (Committee on Budgetary Control – CONT) bin ich seit Langem mit der Überwachung des Umgangs mit europäischen Geldern befasst. In einer Zeit, in der massiv in die Bekämpfung der Klima- und Pandemiekrise investiert wird, ist es besonders wichtig, eine transparente Umverteilung der Gelder innerhalb der europäischen Fonds sicherzustellen. Als Schattenberichterstatter habe ich an den Empfehlungen des Europäischen Parlaments zur Digitalisierung der öffentlichen Haushaltskontrolle mitgewirkt, die zahlreiche Lösungen zur Verhinderung des Versickerns von Geldern durch Betrugs- und Korruptionshandlungen zu bieten haben. Allein für das Jahr 2019 geht es hier um einen Betrag in Höhe von 3,37 Milliarden Euro.

    Ein neues, standardisiertes, digitales Überwachungssystem soll diesen völlig unnötigen Geldverlust verhindern. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, wohin ihr Geld fließt, weshalb das neue System so transparent wie möglich sein muss. Ich trete auch für die Einrichtung eines öffentlich zugänglichen einheitlichen europäischen Registers der tatsächlichen Eigentümer ein, und dafür, dass die darin enthaltenen Informationen für jedermann überprüfbar sein müssen. Nur so können sich Vertreter der Öffentlichkeit, und insbesondere auch Journalisten, an der Aufdeckung von Betrug und Korruption beteiligen. Ich bin der Ansicht, dass die Europäische Union das Vertrauen der Öffentlichkeit nur durch maximale Offenheit und Verbindlichkeit gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern gewinnen kann.

    Korruption aufklären und verfolgen

    In diesem Jahr ging auch ein langgehegter Wunsch von mir in Form der Schaffung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) in Erfüllung. Sie hat die Aufgabe, Handlungen und Umstände zu untersuchen und zu verfolgen, bei denen der Verdacht auf den Straftatbestand der Veruntreuung europäischer Gelder besteht. Jeder eingebundene Mitgliedstaat hat seine eigenen Kandidaten für das Amt als Europäische Staatsanwälte ernannt. Gleichzeitig ist die EPPO als unabhängige europaweite Einrichtung in der Lage, grenzüberschreitenden Betrug zu bekämpfen, was für nationale Richter eine harte Nuss ist.

    Allein in den ersten drei Monaten ihres Bestehens wurden 300 Betrugs- und Korruptionsfälle bearbeitet, die zusammen rund 4,5 Milliarden Euro des europäischen Haushalts ausmachten. Dieses Geld kann sicherlich sinnvoller eingesetzt werden als in den Taschen von Oligarchen und Betrügern, die sich daran gewöhnt haben, europäisches Geld und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu missbrauchen. Zu diesen zählt beispielsweise auch der ehemalige tschechische Premier Andrej Babiš – auch ihm droht eine Strafverfolgung durch die Europäische Staatsanwaltschaft.

    Transparenz bei Lobbykontakten

    Als Hauptberichterstatter habe ich auch zur Schaffung eines gemeinsamen, einheitlichen und unabhängigen ethischen Rahmens der EU beigetragen. Auch die Europäische Kommission unter der Führung von Ursula von der Leyen hat dies zu einer ihrer Prioritäten gemacht. Insgesamt 50% der ehemaligen Kommissare und 30% der ehemaligen Mitglieder des Europäischen Parlaments arbeiten heute für Organisationen, die die EU selbst als Lobbyisten bezeichnet. Damit missbrauchen sie ihre privilegierte Stellung in den EU-Strukturen und ihre Verbindungen zur europäischen Politik. Auch dieses Problem ist durch einen einheitlichen ethischen Rahmen in den Griff zu bekommen, der zu mehr Transparenz bei Lobbytreffen, öffentlichen Auftragsvergaben, der Annahme von Spenden oder der Verwendung von Bankkonten für öffentliche Gelder beitragen wird.

    Natur- und Umweltschutz

    Auch in diesem Jahr war ich einer der wenigen tschechischen (Euro-)Abgeordneten, die sich intensiv für den Schutz der tschechischen Natur und Umwelt eingesetzt haben. Im Europaabgeordnetenbüro befassen wir uns seit langem mit zwei speziellen Fällen – der Verschmutzung des, und das darauffolgende Fischsterben im Fluss Bečva und dem Bergbau in der Grube Turów. In beiden Fällen liegen meiner Meinung nach klare Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit vor. Gerade Brüssel kann oft helfen, wenn Betroffene in ihren jeweiligen Heimatländern mit versagenden nationalen Regierungen konfrontiert sind. Aktuell befassen wir uns im Europäischen Parlament mit einer Petition tschechischer Bürgerinnen und Bürger, die vom Bergbau in der Grube Turów in Polen betroffen sind. Einen ersten Erfolg konnten wir bereits verbuchen – die Europäische Kommission schloss sich der tschechischen Klage vor dem Europäischen Gerichtshof an und es konnte ein sofort wirksames Abbauverbot erreicht werden.

    Gegen Polen wurde jetzt eine Geldstrafe von 35 Millionen Euro verhängt (weil das Land dieser Entscheidung des Gerichts nicht nachgekommen ist), die mit jedem weiteren Tag um eine weitere halbe Million wächst. Es muss allerdings gesagt werden, dass Geldstrafen allein keine Lösung sind, wenn sie nicht den tatsächlichen Verursacher eines Problems treffen. In diesem Fall sind es das Bergbauunternehmen PGE und natürlich die in Polen regierende Partei PiS. Deshalb geht unser Kampf für die tschechische Landschaft und Umwelt weiter. Im kommenden Jahr werden wir uns weiter dafür einsetzen, dass die Kommission und der EU-Gerichtshof das Ende des Bergbaus in Turów durchsetzen.

    Als Mitglied der europäischen Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz habe ich die Verpflichtung der EU zur Klimaneutralität bis 2050 unterstützt, einschließlich des Meilensteins einer 55%igen Reduzierung der Emissionen bis 2030 (gegenüber dem Wert von 1990). Ich setze mich für eine transparente und im Einklang mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen (und nicht mit den politischen Ambitionen der Förderer oder ihrer Verbündeten in den verschiedenen Regierungen) stehende Reduzierung des CO2-Ausstoßes ein. Es ist mir wichtig, dass diese notwendigen Veränderungen auf sozial gerechte Art und Weise erfolgen. Ein Beispiel ist der neu eingerichtete Europäische Fonds für einen gerechten Übergang (Just Transition Fonds – JTF), bei dem wir uns dafür eingesetzt haben, dass die Gelder in Dienstleistungen und Innovationen fließen, die den Bürgerinnen und Bürgern der Union direkt zugutekommen.

    In meinen Augen muss dieser Fonds speziell auch kleine und mittlere Unternehmen berücksichtigen, da vor allem sie auf diesem Weg unterstützt werden sollen. Das ist genau jener Punkt, den ich aktuell bei der tschechischen Herangehensweise durchzusetzen versuche, da unsere Behörden einen absolut gegensätzlichen Ansatz verfolgen und, statt die Menschen, in den Kohleregionen große Bergbaugiganten bzw. dubiose Unternehmen mit unklaren Verbindungen unterstützen und fördern möchten.

    Ich bemühe mich, die tschechische Öffentlichkeit systematisch und konsequent über die europäische Umweltpolitik zu informieren, da das Thema der Reduzierung des CO2-Fußabdrucks in den tschechischen Medien noch relativ „neu“ ist und es neben vielen Informationen auch zahlreiche Ungenauigkeiten und Vereinfachungen gibt, die es zu berichtigen bzw. zu erklären gilt. Auch aus diesem Grund habe ich 2021 meinen Podcast „Růst s čistým svědomím“ (‚Wachstum mit reinem Gewissen‘) ins Leben gerufen, in dem ich versuche, die Fachdebatten über Umwelt und Nachhaltigkeit in einer für Otto Normalverbraucher verständlichen Form wiederzugeben. Ich möchte das Informationsdefizit in der tschechischen Debatte ausgleichen, das in der Rede unseres Ex-Premiers Babiš bei der COP 26 in Glasgow deutlich wurde. Bei dieser Konferenz diskutierte buchstäblich die ganze Welt darüber, wie die schrecklichen Auswirkungen des Klimawandels auf alles und jeden – auf Menschen, Staaten, Nationen, den Boden unter unseren Füßen, den Zustand der Natur – verhindert werden können, und der tschechische Premierminister die Europäische Kommission wegen der Emissionszertifikate kritisierte, weil es ihm nicht gefiel, dass auch seine Chemiekonzerne zahlen sollen.

    Auf ein erfolgreiches Jahr 2022

    Ich freue mich, dass meine Arbeit konkrete Ergebnisse zeigt. Sei es die Förderung der Interoperabilität im Entwurf des Gesetzes über digitale Dienste, die das Funktionieren der digitalen Welt langfristig stark beeinflussen wird, oder der Covid-Pass, der uns europäischen Bürgerinnen und Bürgern das tägliche Leben erleichtert.

    Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung und wünsche Ihnen einen guten Start ins Jahr 2022.

  • Klimaschutz – zu kurz gesprungen

    Am 11. Januar stellte Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck die Eröffnungsbilanz zum Klimaschutz in Deutschland vor [1]. Wenig überraschend war das Fazit des Ist-Zustandes, dass die Große Koalition – nett formuliert – einen Trümmerhaufen hinterlassen hat. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien (EE) ist fast zum Stillstand gekommen und die CO2-Ziele werden vorhersehbar vorerst nicht erreicht. 2020 klappte es mit dem CO2-Ziel nur dank günstiger Wetterlage und reduzierten Verbräuchen durch die Pandemie.

    Entsprechend groß ist die Aufgabe, die nun vor der neuen Regierung liegt. Habeck versprach dazu, ambitionierte Ziele zu setzen, die man vielleicht nicht erreicht, statt sich aus politischem Kalkül niedrige Ziele zu setzen, die nicht ausreichen.

    „Leider wird Habeck mit seinen Plänen zur Energiewende seinem eigenen Vorsatz nicht gerecht, denn die gesetzten Ziele sind schon zu niedrig für die notwendigen Klimaziele. Zwar zeigt er sehr viel mehr Motivation zur Veränderung als sein Vorgänger, aber das reicht noch lange nicht aus“,

    kommentiert Guido Körber, Themenbeauftragter Energiepolitik der Piratenpartei Deutschland.

    Die gesetzten Ziele sind nicht ausreichend, um dem Paris-Abkommen gerecht zu werden und die Klimaerwärmung unter 1,5 Grad zu halten, wenn alle anderen Länder mit der gleichen Geschwindigkeit vorgehen.

    So sind bis 2030 nur 80 % EE-Strom geplant und das mit Ausbauzielen von 200 GW PV und 100 GW Wind. Das ist schon rechnerisch zu niedrig, um die 80 % gemäß dem aktuellen Verbrauch zu erreichen. Gänzlich unmöglich wird es, wenn durch die Sektorenkopplung der Strombedarf, wie erwartet, weiter steigt. Hier müssen deutlich höhere Ziele angesetzt werden.

    Dezentraler Ausbau und die Einbeziehung von Mittelstand, Genossenschaften und Bürgern wird nur ein einziges Mal erwähnt. Stattdessen wird umfangreich darauf eingegangen, dass 11.500 km neue Übertragungsnetze gebaut werden müssten. Ein so massiver Ausbau der Übertragungsnetze ist das Gegenteil von dezentral. Er produziert enorme Kosten, die die Stromkunden über die Netzentgelte tragen müssen, und bedient nur das Interesse der Konzerne an großen Strukturen, die zu ihrem Geschäftsmodell passen.

    Dabei muss man wissen, dass die Planungsdaten für die Stromnetze von der Bundesnetzagentur als Geschäftsgeheimnisse unter Verschluss gehalten werden. Wir müssen also einfach glauben, dass die Trassen notwendig sind. Bezahlen werden wir sie 40 Jahre lang mit einer garantierten jährlichen Rendite von 6 bis 9 %, ganz unabhängig davon, ob wir sie überhaupt benutzen.

    Gänzlich fehlen in der Bilanz Speicher. Offensichtlich möchte man lieber Gaskraftwerke bauen, die später irgendwann einmal mit Synthesegas betrieben werden können. Und davon soll auch noch ein großer Teil importiert werden. Ohne lokale Speicher wird die Energiewende aber teuer und schwierig. Die Idee, noch die letzte Kilowattstunde quer durch Europa zu verschieben, um sich den Speicher zu sparen, handelt uns viel teurere Übertragungstrassen ein. Der massive Netzausbau ersetzt nicht die dringend notwendigen Speicher.

    Bei den Plänen zur Umgestaltung des EEG fehlen die wichtigsten Punkte. Ausschreibungen sollen beibehalten werden; nur die Grenze, ab der Anlagen in diese hinein müssen, soll angehoben werden. Dabei waren es gerade Ausschreibungen, die den Ausbau von Wind und PV massiv gebremst haben. Die Ausschreibungen haben insbesondere kleine Marktteilnehmer, wie Genossenschaften, benachteiligt. Der Wegfall unsinniger Regeln, wie der Belastung von Eigenverbrauch und dem massiven bürokratischen Aufwand für kleine und mittlere Anlagen, tauchen ebenfalls nicht auf.

    Guido Körber, Themenbeauftragter Energiepolitik der Piratenpartei Deutschland, kommentiert:

    „Tilo Jung brachte es bei der Pressekonferenz mit seiner Frage auf den Punkt: Was soll denn jetzt der große Wurf sein?

    Denn ein großer Wurf ist das wirklich nicht. Zu wenig ambitioniert, zu viele Geschenke an die Stromkonzerne und schon wieder Zentralisierung statt eines dezentralen Ausbaus, der allen zugutekommt. Es ist Zeit, das EEG auslaufen zu lassen und stattdessen einen regulären Marktzugang für die EE zu schaffen.

    Herr Habeck, im Gegensatz zu Ihrem Vorgänger sind Sie wenigstens halbwegs in der richtigen Richtung unterwegs, aber bitte nicht nur schlendern, sondern laufen und den Kurs korrigieren!“ 

    Quellen:

    [1] www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/Energie/220111_eroeffnungsbilanz_klimaschutz.pdf?__blob=publicationFile&v=8

  • Bundestagsdebatte zu Mobilität am 13.01.2022

    Bundestagsdebatte zu Mobilität am 13.01.2022

    [green_box] Ein Beitrag von smegworx [/green_box]

    Am 13.01.2022 fand die erste Debatte zu den Themen des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr statt.

    Dabei trat auch der neue Verkehrsminister Volker Wissing ans Mikrofon. Vorausgegangen waren an diesem Tag Veröffentlichungen in diversen Medien (u.a. Spiegel, Tagesspiegel), die bereits Statements zu definierten Punkten der Mobilitätspolitik der Bundesregierung von eben jenem V. Wissing veröffentlichten. Unter anderem eine Warnung vor dem Kauf von PKW mit Verbrennungsmotoren und die Möglichkeit der örtlichen Ausgestaltung von Geschwindigkeitsbeschränkungen (Tempo 30 auf Hauptstraßen innerorts).

    Daher wurde, zumindest aus meiner Perspektive, der Rede vor dem Plenum auch eine besondere Aufmerksamkeit zuteil. Würde V. Wissing auch diese Statements aufgreifen und als Eckpunkte einer zukünftigen Mobilitätspolitik definieren?

    Mobilität als Grundbedürfnis

    Zunächst einmal hebt V. Wissing hervor, dass „Mobilität und Kommunikation Grundbedürfnisse der Menschen“ und diese „klimaneutral“ zu erfüllen sind. Wichtig ist dabei, dass „Klimaschutz umfassend und sektorübergreifend gedacht“ werden muss. Im Folgenden verweist er darauf, dass es dazu „klimaneutralen(r) öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), Bahn, Schiffe und Flugzeuge bedürfe, attraktiver und sicherer Rad- und Fußwege und im PKW-Bereich den Umstieg auf Elektromobilität“.

    Klimaschutz durch Elektromobilität – etwas arg kurz gesprungen

    Der Verkehrsbereich soll die Klimaschutzziele erreichen, indem bis 2030 15 Millionen Elektroautos auf Deutschlands Straßen unterwegs sind.

    So weit so gut. Warum gerade zur Einhaltung der Klimaschutzziele hier ausschließlich auf den Bereich Elektromobilität eingegangen wird, verwundert dennoch. Denn gerade ein gut ausgebauter ÖPNV, eine bessere Anbindung des Umlands, Optimierung der Verkehrsangebote im ländlichen Bereich, ein attraktives Radwegenetz (wie im Nationalen Radverkehrsplan beschrieben) sowie die Nutzung und Schaffung von resilienten Stadtteilen haben sicher einen größeren und nachhaltigeren Einfluss auf die Erreichung der erwähnten Klimaschutzziele, als der bloße Verweis auf die Elektromobilität.

    Keine Absage an eFuels

    Und es wird noch ein bisschen verwirrender. Denn gleich in seiner nächsten Passage hebt V. Wissing hervor, dass gleiches (Einhaltung der Klimaschutzziele und kurzfristige Senkung des CO2-Ausstoßes) auch durch die Nutzung „strombasierter Kraftstoffe, eFuels“ erreicht werden kann. Dabei verweist er nicht nur auf die in diesem Bereich eher denkbaren Schiffe, Nutzfahrzeuge oder Flugzeuge, sondern auch auf die „Bestandsflotten der PKW“.

    Natürlich könnte man jetzt sagen, dass dieser Einwurf ja nur für Bestandsflotten gelte, bei neuen Fahrzeugen jedoch auf Elektromobilität gesetzt werde.

    Richtig, dennoch hat dies einen kleinen Pferdefuß: Denn in der gesamten Rede des Bundesministers wird mit keinem Wort darauf eingegangen, wann der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor nun erfolgen solle. Da auch der Koalitionsvertrag hier nur extrem schwammig bleibt (möglichst vor 2035 – was übrigens ein EU-Ziel ist) bleibt zu befürchten, dass wir bis zum endgültigen Ausstieg noch einen riesigen Bestand an nicht rein batterieelektrisch betriebenen PKW (BEV) haben werden. Der dann wohl mit eFuels betrieben werden soll.

    Dazu passt auch die nachfolgende Aussage des Ministers, dass sich „Mobilität auch in Zukunft technologieoffen weiterentwickeln“ muss. Dies umfasst auch eine Absage an ein „Verbot neuer Technologien“ und man dürfe auf Grund der Vielfältigkeit der Mobilität nicht alles nur auf „einen Antrieb umstellen“.

    Ganz ehrlich: Im Gegensatz zu den in den oben benannten Medien postulierten Statements klingt das nun gar nicht mehr so deutlich nach einer „Warnung, einen Verbrenner zu kaufen“. Insofern drängt sich schon die Frage auf, warum V. Wissing diese doch sehr klare Positionierung nicht auch in der Bundestagsdebatte klar gemacht hat. Sondern vielmehr hier eine Hintertür, auch oder gerade, für eFuels so sperrangelweit offen lässt.

    Nachhaltige Mobilität

    Der Minister verweist darauf, dass „Mobilität vielfältig“ ist (sehr wichtig) und „Nachhaltige Mobilität … einfach …, bequem und bezahlbar“ sein muss. Dieser Aussage kann man sicher bedenkenlos zustimmen. Auch wenn ich ein bisschen wehmütig die Begriffe sicher und barrierefrei vermisse.

    Warum aber im nächsten Satz dann ausgerechnet der „Ausbau der Schnelladeinfrastruktur“ (HPC) und der „unbürokratische Zugang zur öffentlichen Ladeinfrastruktur“ die „drängendsten Themen“ sind, dafür vermag ich an dieser Stelle gerade kein Verständnis aufbringen. Hier hätte ich mir, wie oben bereits erwähnt, ganz andere Schwerpunkte gewünscht. Oder diese auch erwartet.

    Digitalisierung und Mobilität

    Ein wichtiger Aspekt, die Rolle der Digitalisierung, wird danach durch V. Wissing aufgegriffen. Dank der Digitalisierung lassen sich „ganz neue Mobilitätsangebote entwickeln, die individuell auf die Situation der Menschen passen“.
    Offen lässt der Minister jedoch, wie dies konkret ausschauen kann oder zumindest welche Synergieeffekte die Digitalisierung der Mobilität mit sich bringen kann.

    Dass als Grundlage für eine moderne Mobilität „ein holpriges Internet und Mobilfunklöcher“ eines Standortes Deutschland unwürdig sind, darauf verweist V. Wissing beim Übergang auf das andere grundsätzliche Thema seines Ressorts.

    Zum Abschluss verweist V. Wissing darauf, dass erstmals mehr in die Schiene (aber auch weiterhin in die Straße) investiert werde und dass es schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren geben müsse. Alles Punkte, zu denen es sicherlich keinen Dissens geben wird.

    Wie ist der Vortrag des Ministers einzuschätzen

    Ich bin, um es freundlich zu formulieren, nach diesem Vortrag von V. Wissing etwas ernüchtert. Klar, in einer Bundestagsrede lassen sich sicher nicht alle Punkte einbauen, die für eine moderne und zukunftsfähige Mobilitätspolitik wichtig sind.

    Warum aber, gerade im Kontext der Einhaltung der Klimaschutzziele, ein klares Bekenntnis zur Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs (MIV), ein Statement zum Voranbringen des „Deutschlandtakt“, zur dringenden Verlagerung des Last- und Güterverkehrs auf die Schiene, der Anbindung des suburbanen und ländlichen Raums oder auch der Bedeutung des Rad- und Fußverkehrs unterbleibt, das erschließt sich mir nicht.

    Dass Begriffe wie Verkehrswende, Mobilitätswende oder Antriebswende nicht vorkommen, das mag man V. Wissing nicht zu sehr anlasten, auch wenn es natürlich schöner gewesen wäre sie auch zu hören.

    Was allerdings ebenso deutlich wurde: Eine Warnung vor dem Kauf eines Verbrenners oder gar die Bestätigung der Flexibilisierung des Gestaltungsspielraums der Kommunen (Tempo 30 auf Hauptstraßen) blieben völlig unerwähnt.

    Das ist nicht nur sehr schade, sondern wirft auch die Frage auf, warum V. Wissing dies offensichtlich gegenüber diversen Medien so deutlich äußert, in der Bundestagsdebatte aber sehr laut dazu schweigt.

    Bei all den Ausführungen wird dann aber dennoch deutlich, dass V. Wissing vielleicht doch (immer noch) mehr der „Anwalt der Autofahrer“ ist, als es derzeit durch andere Vereine und Verbände wahrgenommen werden will.

    Nach diesem ersten Eindruck möchte ich V. Wissing gern zurufen:
    „Es ist noch viel Luft nach oben, Herr Minister.“

    Miteinander statt Gegeneinander

    Auf einen Punkt bzw. formulierten Wunsch aus der Rede von V. Wissing möchte ich dennoch zusätzlich eingehen.

    „Mehr Verständnis für das Bedürfnis und die Sichtweise des anderen. Etwas weniger Bereitschaft, sich sofort und ständig zu empören!“

    Ja, die Verkehrs- und Mobilitätsbedürfnisse sind, je nach Sichtweise, genauso heterogen wie die Menschen, die sich mit diesen Themen beschäftigen. Genauso heterogen wie die Schwerpunkte und Ziele, die dabei verfolgt werden.

    Oftmals verbunden mit einem „aber mein Thema/Ziel/Verkehrsmittel ist viel wichtiger als Deines“. Oder noch schlimmer, wie unter bestimmten Hashtags in sozialen Medien zu beobachten, in Beleidigungen, Ausgrenzungen, Diffamierungen oder Beschimpfungen ausartend.

    Die Mobilitätswende ist eines der wichtigsten Vorhaben, um unser Land zukunftsfähig zu machen. Für uns, für unsere Kinder und alle nachfolgenden  Generationen. Ein Gegeneinander wird allerdings nicht dazu führen, dass wir diese Ziele erreichen, oder auch die Menschen in unserem Land dafür begeistern können.

    Daher: Danke Herr Wissing für diese klaren und wichtigen Worte.