Kategorie: Gastbeitrag

  • Solidarischer Herbst?

    Solidarischer Herbst?

    Unter dem Motto „Solidarischer Herbst“ fanden am 22.10.22 bundesweit Demonstrationen und Kundgebungen statt. Getragen von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis fanden sich dabei über 24.000 Menschen zusammen. Ich selbst war bei der Kundgebung in Hannover anwesend. Beiträge von verschiedenen Organisationen mahnten dabei eine sozial gerechte Klimapolitik, Einkommensanpassung an die Inflation, zielgerichtete Heiz- und Stromkostenhilfen und Investitionen in eine sozial verträgliche Mobilitätswende an. Alles hängt mit allem zusammen, nichts darf einzeln betrachtet werden. Das wurde damit einmal mehr dargestellt.

    Was niemand gefordert hat, war, um es im Stil von Bundeskanzler Scholz zu sagen, ein Dreifachwumms bei der energetischen Sanierung einerseits und der generellen Umstellung auf regenerative Energien andererseits zu fordern.

    Energetische Sanierung

    Ersteres würde direkt den Menschen zu Gute kommen. Denn damit sinken die Verbräuche an Heizenergie und damit auch die Heizkosten. In der derzeitigen Rechtslage würde eine derartige Modernisierung zu einer Erhöhung der Mietkosten führen, was in der aktuellen Situation mit massiver Steigerung der Lebenshaltungskosten für viele Menschen nur schwer finanzierbar sein dürfte.

    Würden die entsprechenden Investitionen nicht nur wie aktuell mit 15% gefördert sondern bspw. wie beim Strom- oder Gaspreis zu 80%, wären die Mieterhöhungen sehr viel schneller bzw. finanziell verträglicher refinanziert. Und durch die damit in Verbindung stehende Energieeinsparung mehrheitlich wahrscheinlich gar nicht spürbar, da die Warmmietekosten entsprechend fallen. Hier hätten wir also wirklich eine solidarische Finanzierung, da diese aus allgemeinen Steuermitteln erfolgt. Eine entsprechende Förderrichtlinie könnte sich ausschließlich auf Mehrfamilienhäuser beziehen oder an einer entsprechenden Wohnfläche orientieren. Die berühmt berüchtigte Villa mit Swimmingpool anders als beim Gaspreisdeckel erhielte damit keine Förderung. Damit wäre sie zielgerichteter, als das bislang geplante Vorgehen.

    Aktuell tauchen derartige Überlegungen in keiner öffentlichen Diskussion auf. Doch auch die gerade verhängte Strafzahlung in Millionenhöhe für u.a. im Gebäudebereich nicht erreichte Klimaschutzziele zeigt den massiven Nachholbedarf in diesem Bereich.

    Regenerative Energien

    Viel wichtiger wäre jedoch, massiv in den Ausbau der regenerativen Energien, insbesondere der Photovoltaik, zu investieren. Insofern ist beispielsweise die niedersächsische Regelung bei weitem nicht ausreichend. Sie sieht ab 2023 bei Neubauten von Nicht-Wohngebäuden eine mehr als löcherige Solar-Dachpflicht und für Wohngebäude lediglich eine Vorbereitung für die Installation vor. Hier muss dringend nachgeschärft werden, um wirkliche Wirkung zu entfachen. Denn allein, dass es die Möglichkeit gibt, die Pflicht bei „Unwirtschaftlichkeit“ zu umgehen, ist unter den derzeitigen Preisentwicklungen eine der wahrscheinlichsten Verweigerungsgründe bei in Quartalszahlen denkenden Unternehmen.

    Dies dürfte den weitaus höheren Anteil an Investitionen zur Folge haben. Doch es gibt verschiedene Gründe, warum es immer noch kein entsprechendes Paket von Seiten der Bundesregierung gibt. Erstens hat man in der Vergangenheit systematisch die EE-Industrie in Deutschland kaputt gemacht. Fachkräfte, die nun an allen Ecken und Enden fehlen, sind dadurch abgewandert. Der vorläufige Höhepunkt war die Aufgabe eines der letzten großen Hersteller von Rotorblättern für Windkraftanlagen. Eine nennenswerte Solarindustrie gibt es schon länger nicht mehr.

    Ein weiterer Grund resultiert daraus. Denn mittlerweile dominiert China den Markt für Photovoltaikanlagen. Kein Wunder also, dass Bundeskanzler Scholz keine Verstimmungen im Verhältnis zu diesem Überwachungsstaat aufkommen lassen will und sich vehement dafür einsetzt, gegen bestehende Erfahrungen aus dem Verkauf von Gasspeichern an russische Unternehmen und Ratschläge aus den eigenen Reihen, mit Teilen des Hamburger Hafens erneut ein Stück Infrastruktur in fragwürdige ausländische Hände gehen zu lassen. Es wird spannend sein, welche Bereiche der Deutschen Wirtschaft ihn bei seiner demnächst anstehenden China-Reise begleiten werden. Das könnte ein Fingerzeig sein, welche Schwerpunkte in den Wirtschaftsbeziehungen gelegt werden sollen.

    Damit werden aber die Fehler der Vergangenheit noch auf eine andere Weise wiederholt. Ziel muss doch sein, eine eigenständige deutsche oder besser noch europäische Wirtschaft aufzubauen, die insbesondere im Bereich von Infrastruktur und Zukunftstechnologie unabhängig von politischen Entwicklungen im Ausland agieren kann. Dazu gehört dann auch die Entwicklung alternativer Werkstoffe, um sich unabhängig von ausländischen Rohstoffen zu machen. Mit einer entsprechenden Forschungspolitik kann man die Grundlagen schaffen.

    Alles andere ist – vor allem, wenn es Potentaten in fragwürdigen Regimen wie Katar, Saudi-Arabien oder eben auch China zu Gute kommt – unsolidarisch mit den Menschen vor Ort.

    Zum Autor: Thomas Ganskow, 55, ist Landesvorsitzender der PIRATEN Niedersachsen und war Spitzenkandidat zur Landtagswahl 2022.

  • Gamescom 2022 – Woran mangelt es der Gaming-Branche?

    Gamescom 2022 – Woran mangelt es der Gaming-Branche?

    Wir PIRATEN waren auf der Gamescom 2022 und haben sowohl die politischen Veranstaltungen als auch die verschiedenen Stände von kleinen und großen Entwicklerstudios geentert.
    Dabei fiel mir vor allem auf, wieviel versprochen wird und wie viel davon letztlich nur Versprechen bleiben werden.

    Was kann Gaming?

    Dass die Gaming-Szene immer größer geworden ist und dass mittlerweile jeder, der ein Smartphone hat, auch spielt, sollte uns allen klar sein. Aber Gaming und auch der sich entwickelnde VR-Gaming (Virtual Reality – Virtuelle Realität) Bereich haben viel mehr Möglichkeiten als das einfache Spielen.
    In der Gaming-Szene haben sich größere Gemeinschaften entwickelt;
    diese Communitys verbindet vor allem der Spaß am Spiel oder am generellen Spielen. Als solches bieten diese Communitys eine Möglichkeit, Menschen, egal von welcher Herkunft, ob introvertiert oder nicht, zusammenzubringen. Auch bietet es vielen Menschen die Chance, sich vorurteilsfrei durch diese Communitys zu bewegen – sie sind eben nicht sichtbar.
    Aber auch in der generellen Inklusion schaffte die Gaming-Branche zu punkten. Die sogenannte Gamification (Spielifizierung) hat immer größeren Anklang gefunden.

    Gamification

    Als Gamification wird die Anwendung spieltypischer Elemente in einen spielfremden Kontext bezeichnet. Dazu zählen Erfahrungspunkte, Highscores, Fortschrittsbalken, Ranglisten, virtuelle Güter oder Auszeichnungen. Durch diese soll im Wesentlichen eine Motivationssteigerung der Personen erreicht werden, die sonst als zu monoton empfundene Aufgaben absolvieren müssen.
    Gamification findet zunehmend Anwendung in Bereichen wie Fitness und Gesundheit, Ökologie und Nachhaltigkeit, Weiterbildungsprogramme, Online-Shopping oder im Schul- und Ausbildungssystem.
    Einige der bekannteren Apps in den Bereichen sind wohl „Duolingo“, eine Spracherwerbsapp, die dich spielerisch dazu bewegt, neue Sprachen zu lernen. Oder auch „adidas Running by Runtastic“, welche dich für jeden gelaufenen Kilometer entlohnt und so dazu anregt, dich körperlich zu ertüchtigen.

    Was wird bereits getan?

    Gerade für kleine Entwicklerstudios ist die finanzielle Komponente ausgesprochen wichtig. Dort gibt es im Bereich der Landes- und Bundesförderungen bereits einige wenige Anlaufstellen. Insbesondere auf die Bundesförderung werde ich im Laufe des Textes zurückkommen. Es gibt einige wenige Landesförderungen, die sich besonders engagieren, kleinere und mittlere Studios zu unterstützen. Besonders hervorzuheben sind dabei die Landesförderung von Bayern, Nordrhein-Westfalen und Berlin/Brandenburg.
    Auch der deutsche Computerspielpreis ist eine Auszeichnungsveranstaltung, die in Zusammenarbeit vom game – Verband der deutschen Games-Branche e. V. und dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr veranstaltet wird. Bei dieser werden deutsche digitale Spiele in 14 Kategorien ausgezeichnet und Preisgelder verliehen.

    Woran mangelt es?

    Innerhalb der deutschen Gaming-Branche gibt es so einige konkrete Baustellen, die ich euch im Folgenden versuche, etwas aufzuschlüsseln und entsprechende Lösungsvorschläge zu unterbreiten.

    Finanzierung

    Es ist wichtig und richtig, die kleinen und mittleren Entwicklerstudios über die partiell bestehenden Landesförderungen zu unterstützen und auch die Bundesförderung in Höhe von 50 Millionen Euro ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch wenn man sich die Entwicklungspreise von digitalen Spielen anschaut, wird einem schnell klar, dass dieses Gelder nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sind.
    Dass die FDP immer predigt, man müsse mehr investieren und dann auf der Gamescom 2022 ankündigt, man kürze die Förderung von 50 auf 48 Millionen Euro, dürfte für die meisten Indie-Studios auch ein Schlag ins Gesicht gewesen sein. Bei einer Kürzung um 2 Millionen Euro sprechen wir gegebenenfalls sogar über das Überleben einiger Entwicklerstudios.

    Auch der unglaublich hohe bürokratische Aufwand bei der Beantragung einer solchen Gamesförderung scheint für viele kleine Studios nicht bewältigbar. Diese Gelder dürfen nämlich nicht für den im Antragsprozess oft notwendigen Rechtsanwalt oder Finanzberater verwendet werden, sondern sind projektgebunden. Dieser Aufwand ist für die meisten nicht realisierbar, so einige Indie-Entwickler im Interview mit mir.
    Im Klartext bedeutet das, wenn wir unsere kleinen Entwicklerstudios wirklich unterstützen wollen, braucht es größere Fördermittel auf Landes- und Bundesebene sowie eine Entbürokratisierung der Förderprozesse. Erst dann können sich unsere Spieleentwickler auf das konzentrieren, wofür wir sie tatsächlich unterstützen möchten: die Entwicklung deutscher digitaler Spiele!

    E-Sport

    Die Verbreitung von E-Sport wird in Deutschland immer größer. Mehr und mehr deutsche E-Sport-Teams versuchen im internationalen Raum Fuß zu fassen (Schalke04 oder Eintracht Spandau als Beispiele). Und auch größere internationale E-Sport-Events finden immer wieder in Berlin oder Köln statt.
    Was bräuchte es konkret, um E-Sport in Deutschland besser zu fördern?
    Ein erster Schritt wäre, E-Sport als Sportart oder zumindest als gemeinnützig anzuerkennen. Dass Sport nicht immer körperlich sein muss, sollten wir alle beim Stichwort Schach spätestens verstanden haben. Zudem verbinden die meisten E-Sport Spiele die Faktoren des Zusammenhalts als Team, der Strategie, der Übung und der körperlichen Aspekte wie Reflexe und Konzentration.
    Als offizielle Sportart stünde der Gründung von gemeinnützigen Gamingvereinen oder der Angliederung von E-Sport Abteilungen an bestehende Sportvereine nichts mehr im Wege. Mit der Anerkennung der Gemeinnützigkeit von E-Sport hätten die Vereine die Möglichkeit, gemeinnützige Events zu veranstalten und sich als solche besser zu finanzieren. Je mehr diese Szene wächst und solche Events gefördert werden, desto eher kann sich Deutschland zu einem E-Sport Standort entwickeln, dies käme auch dem Tourismus zugute.

    Lernanwendungen

    Wie ich bereits beschrieben habe, ist Gaming so viel mehr als nur einfacher Zeitvertreib. Es braucht einen Wettbewerb zwischen verschiedenen Entwicklerstudios, um Lernanwendungen zu entwickeln, die im Bildungsbereich eingesetzt werden können. So könnten wir unsere lokale Gameentwicklung fördern, unsere Schulen mit neuen Lernanwendungen unterstützen und gegebenenfalls Lernende mit Lernschwierigkeiten spielerisch einfangen. Ein Gewinn für Bildung und Wirtschaft.

    Fachkräfte

    Ein großes Problem vor allem für kleine und mittlere Studios, ist es, Programmierende für sich zu gewinnen. Die Gewinne in der Wirtschaft sind gerade für Senior-Programmierende deutlich lukrativer und lässt die deutsche Spieleentwicklerszene oft damit zurück, den Nachwuchs an den Universitäten abzuholen und im Laufe der Entwicklung einzuarbeiten, dafür braucht es große Leidenschaft.
    Gerade hier ist eine bessere Gamesförderung notwendig, damit diese Studios entsprechende Stellen schaffen und auch erfahrene Entwickler:innen mit entsprechenden Gehältern, unbefristeten Verträgen und eben attraktiveren Angeboten einfangen können.

    Einfluss auf die Wirtschaft

    Gaming ist als Wirtschaftszweig nicht zu unterschätzen. Mit ca. 300 Milliarden ist die Gaming-Branche weltweit größer als die Musik- und Filmindustrie zusammen. Offensichtlich eine Industrie, die man nicht einfach links liegen lassen sollte. Allein der deutsche Spielemarkt wirft jährlich 10 Milliarden Euro Umsatz ab, wovon nur 5 % deutsche Entwickler:innen erwirtschaften. Ein immenser Verlust, den wir in Kauf nehmen.
    Also was konkret ändern? Wir müssen den deutschen Entwicklerstudios die gleich guten internationalen Bedingungen bieten, nur dann schaffen wir es, deutsche Spiele vermehrt auf dem Markt zu etablieren. Dazu gehört es, einen Großteil der oben genannten Punkte zu verbessern und mehr zu investieren, um größere Attraktivität schaffen, damit auch wir den Sprung zum Gamingstandort schaffen können.

    Fazit

    Wenn wir den Sprung zur Weltspitze der Gaming-Branche schaffen wollen, gibt es viel zu tun. Auf dem Weg sind viele der jungen, kleinen Entwicklerstudios abzuholen. Länder wie Kanada haben das längst erkannt, mehr und früher investiert und strategisch den Ausbau zum Gaming Standort verfolgt. Das gilt es aufzuholen!
    Genau da möchte ich ansetzen und all die vielen Menschen in der deutschen Gamingentwicklung abholen und unterstützen, den Kulturschaffenden und Kreativen dabei helfen, ihre Projekte weiter umzusetzen, damit weiterhin junge und alte Menschen diesen Bereich der deutschen digitalen Kultur genießen können.

  • Krankenhausschließungen bundesweit im Gange

    Krankenhausschließungen bundesweit im Gange

    Die AG Gesundheit und Pflege der Piratenpartei wünscht sich keine „Reform von oben“, sondern eine „Reform von unten“ mit Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, der Krankenhausträger, der Beschäftigten und ihrer Organisationen und Vertretungen, Patient:innenorganisationen, der ambulanten Dienste und Praxen sowie ihrer Beschäftigten. [1] Die Zukunft könnte so aussehen wie am Beispiel des Rhein-Sieg Kreises in NRW:
    Es gibt vier mittelgroße Krankenhäuser im Umkreis von wenigen Kilometern mit unterschiedlichen Leistungsschwerpunkten und in der Hand von unterschiedlichen Trägern. Hier könnte eine Kooperation förderlich sein. Es müsste allerdings eine Möglichkeit geschaffen werden, ihre Leistungsangebote stärker aufeinander abzustimmen.

    Eine andere Möglichkeit wäre, alle abzureißen und eine neue Großklinik zu bauen wie in Dänemark. [2] Aber darüber sollten die Menschen der Region entscheiden und nicht die Gesundheitsbürokratie, Bertelsmann oder ein privatwirtschaftliches Beratungsinstitut aus Berlin.

    Beim Betrachten der Krankenhauspläne der Landesregierung und diverser anderer Bundesländer [3], wird schnell klar, dass hier wieder einmal nur auf Gewinnmaximierung gesetzt wird.
    Vielleicht erhoffen sich die Verantwortlichen durch die Schließungen auch, dass das Pflegepersonal sich bei den noch geöffneten Kliniken bewirbt und somit dort den Personalnotstand lindert. Doch das wird kaum geschehen. Pflege-(fach-)kräfte nehmen nicht auch noch längere Arbeitswege in Kauf. Stattdessen besteht die Gefahr, dass diese Menschen den Pflexit bevorzugen könnten und wir somit kein Personal gewinnen sondern endgültig für die Pflege verlieren!

    Für die AG Gesundheit und Pflege der Piratenpartei stehen die Menschen im Mittelpunkt und nicht die gewinnorientierten privaten Betreiber von Klinikketten. Deshalb sind wir für den Entwurf eines Krankenhausplans anhand einer vorher durchgeführten Studie. Mit den Menschen in den einzelnen Regionen und der Initiative Krankenhaus statt Fabrik [4] sowie der Kölner Initiative Gesunde Krankenhäuser in NRW [5] und mit dem Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte [6] soll dann gemeinsam entschieden werden, welche Krankenhäuser bedarfsgerecht sind.

    Quellen:
    [1] https://www.patientennetz.net/?page_id=360
    [2] https://www.deutschlandfunkkultur.de/gesundheitsversorgung-ist-daenemarks-krankenhauspolitik-ein-100.html

    [3] Krankenhauspläne nach Bundesland:

    [4] https://www.krankenhaus-statt-fabrik.de/
    [5] https://gesunde-krankenhaeuser-nrw.de/wer-wir-sind/
    [6] https://www.vdaeae.de/ Zeile: 1034

  • DIDACTA 2022 – haben wir aus der Pandemie gelernt?

    DIDACTA 2022 – haben wir aus der Pandemie gelernt?

    Gastbeitrag von Wilk Spieker der AG Bildung

    Seit zwei Jahren wird nun das erste mal wieder in Präsenz die größte Bildungsmesse in Deutschland, die DIDACTA, in Köln veranstaltet. zwei Jahre Corona Pandemie, die im Bildungsbereich ihre Spuren hinterlassen haben. Geschlossene Schulen und Bildungseinrichtungen, Distanzunterricht und unzählige digitale Angebote haben die Lernenden in der Zeit ab März 2020 begleitet. Die Besucher der DIDACTA könnten also mit der Erwartung die Messe besuchen, dass sich das digitale Angebot grundsätzlich gegenüber 2019 verändert hat. Aber schauen wir mal, ob die DIDACTA dieser Erwartung gerecht wird.

    Um es vorweg zu nehmen, es ist voll. Aussteller sind reichlich vorhanden und Besucher:innen auch. Der Hunger nach neuen Konzepten scheint groß zu sein, nie war eine Bildungsmesse wichtiger als direkt am Ende der Pandemie. Obwohl, Ende der Pandemie? Nein, die Pandemie ist nicht zu Ende, der Distanzunterricht wird weiter fester Bestandteil für Lernende sein und insgeheim weiß jeder, dass der Herbst wieder mit Einschränkungen einhergehen wird.

    Werden wir also mit Konzepten für den Herbst auf der DIDACTA überflutet? Ein Blick auf die 568 Aussteller und ihre Angebote lässt da hoffen. Als Lehrkraft gehe ich nun auf die Suche nach Hilfestellungen für einen DSGVO-konformen Unterricht, der den Anforderungen an den Distanzunterricht genügt.

    In erster Linie aber erstmal die Kosten im Blick behalten, denn Geld ist nicht vorhanden. Der Digitalpakt aus 2019 hat zwar viele Milliarden versprochen, angekommen ist aber nur wenig. Technisch darf es nicht aufwändig sein, denn die Pflege der Software sollte jeder Lehrende selbst durchführen können. Und nicht zu vergessen: der Lehrplan, muss sich natürlich auch irgendwo wiederfinden lassen.

    Kaum in der Halle angekommen fällt Aura Air auf, ein angeblich intelligenter Luftreiniger für das Klassenzimmer. Tolles Produkt, aber der Preis wird den Schulträger eher dazu bewegen, wieder auf das Lüften der Klassenräume hinzuweisen.

    Ja es ist smarter geworden in den letzten Jahren. In den Produktnamen findet sich zumeist der Begriff „smart“. Mit Cobra SMARTsense kann ich Versuche im naturwissenschaftlichen Bereich mit einer App begleiten und auswerten. Und da ist sie auch, die erste DS-GVO konforme Plattform mit : ec-ol-die.

    In der nächsten Halle dann weiter digitale Angebote: kluug LEAD Lernen, LogoDIDACT bieten tatsächlich eine Komplettlösung für den Schulträger an. Angebote wie myViweboard oder NetMan geht es dann mehr um die digitale Didaktik an den Schulen. Interessante Lösungen, die neugierig machen, mit Tablet und Beamer interaktiv zu werden. Aber eben nicht auf Distanz. Bis zur Halle 7 gibt es reichlich Lösungen für digitales Lernen und auch für Distanzunterricht. Smarte Lösungen für kommende Pandemiejahre, aber eben teuer. Hier hätte ich dann doch einen großen Stand aufgebaut mit dem Angebot: wie komme ich an das Geld, diese Lösungen zu finanzieren! Ich glaube dieser Stand hätte den meisten Zulauf.

    Aber noch mal zur Halle 7, hier präsentiert sich dann der Deutsche Bildungsserver mit dem Thema OER – „open educational resources“ (freie Bildungsressourcen). Anders als erwartet bekomme ich aber keine themenspezifischen Angebote für meinen Unterricht auf Distanz, vielmehr geht es um die „Sichtbarmachung“ des Thema OER. Sichtbarmachung? Bei der letzten Konferenz in Berlin 2014 hatten wir schon das Thema Sichtbarmachung. Suchen wir nach fast 10 Jahren immer noch nach den Best-Practice-Beispielen? Warum wird das Rad immer wieder neu erfunden? Meine Vermutung ist, dass immer wieder Lösungen angeboten werden, die zwar gut sind, nur wenn sie dann gut sind kostet es Geld „Sharing is caring“ findet somit nicht statt und so wird der OER-Stand auch in Zukunft keine kostengünstige Lernplattform anbieten können, wo hautpsächlich die Lehrenden ihr Wissen einbringen und Lernende bei der Nutzung auch auf Distanz ihren Vorteil haben.

    Fazit der DIDACTA 2022: Die Pandemie ist angekommen bei den Verkäufer:innen von Plattformen und digitalen Lösungen. Wer ein volles Portemonnaie hat kann fleißig ordern und bekommt Lösungen, die auch in Zukunft jeder Pandemie den Schrecken nehmen. Die 95% der Kolleg:innen, die ohne Geld kommen, kommen mit guten Ideen zurück über die geredet wird, mehr dann aber auch nicht. Wie in den Jahren vor der Pandemie konzentriere ich mich beim Einkaufen also wieder auf die klassischen Hilfsmittel für den Unterricht und lasse die digitalen Lösungen dort wo sie sind: im Land der unerreichbaren Möglichkeiten.

  • Datenschutz – so aktuell wie nie zuvor

    Datenschutz – so aktuell wie nie zuvor

    Den Verlust von Freiheit merkt man erst, wenn es zu spät ist. Je mehr wir uns darauf einlassen, unsere Freiheit zu Gunsten des Versprechens einer höheren Sicherheit zu beschränken, umso mehr geben wir sie auf. Den Verlust an Freiheit werden nicht die zuerst merken, die ihr Leben dort führen, wo die wohlig weiche gesellschaftliche Mitte ist, sondern diejenigen, die anders sind.

    Und es wird im Kleinen beginnen. Man wird sich fragen: Kann ich das so sagen? Wenn jemand sieht, was ich geschrieben hab, was wird dieser Dritte von mir denken? Wenn mein Arbeitgeber das Bild von mir sieht, was wird wohl passieren? Sicher sind wir nur mit der Gewissheit, dass wir Kontrolle darüber haben, dass wir den Freiraum haben zu sein, wie wir sind. Dass wir sicher sein können, dass man Privatsphäre oder gar Intimsphäre genießt. Dazu gehört auch, dass man von sich nicht mehr preisgeben muss, als notwendig ist.

    Aber diese Freiheit wird von zwei Seiten zerrieben. Von Seiten des Staates und von Seiten des Überwachungskapitalismus.

    Zu einer freien Gesellschaft gehört auch, die Regierenden kritisieren zu können, ohne mit Repression rechnen zu müssen. Grundrechte räumen uns die Rechte ein. Beispielsweise das Recht Meinungen frei zu äußern und zu verbreiten oder das Versammlungsrecht. Denn es ist keine Begegnung auf Augenhöhe, der Staat ist zunächst immer mächtiger als der Einzelne. Sich mit anderen zu organisieren, um gemeinsam die Stimme zu erheben, ist daher ungemein wichtig, um frühzeitig ein Korrektiv zu bieten. Ein Korrektiv gegen ein Abrutschen in Totalitarismus, Willkür und Verbrechen. Ein Überwachungsstaat ist auch Teil der deutschen Geschichte, und Geschichte gibt einem immer auch eine Verantwortung mit.

    Wenn jeder damit rechnen muss, dass vieles über seine Kommunikation ohne Anlass gespeichert werden kann, dann fühlt sich niemand mehr frei. Dann wird die Gesellschaft oder der Staat schnell wie ein panoptisches System empfunden. Dann folgt die automatische Selbstkontrolle, der Verzicht darauf zu sein wie man ist, zu sagen oder schreiben, was man denkt. Ein Problem daraus ist, dass man darauf verzichtet staatliche Maßnahmen oder Bestrebungen zu kritisieren und sich mit anderen zu organisieren, um Unmut deutlich zu machen.

    Schaut man sich die Tendenz an, welche Überwachungsgesetze zuletzt verabschiedet wurden, und ob man sich eher in Richtung einer freien oder weniger freien Gesellschaft bewegt, dann ist die Richtung klar. Mit zunehmender Videoüberwachung, dem Wunsch nach Vorratsdatenspeicherung, Staatstrojaner, Fingerabdruckpflicht im Personalausweis, Verschärfungen der Polizeigesetze in den Bundesländern, Forschung an Gesichtserkennungssoftware, und nicht zuletzt die aktuellen Bestrebungen zur Chatkontrolle, also der Abschaffung des digitalen Briefgeheimnisses und vielem mehr geht der Weg klar weg von einer freien Gesellschaft.

    Mit der Digitalisierung und der Zunahme digitaler Angebote wuchs auch der Überwachungskapitalismus. Dieser erklärt Erfahrungen von Privatmenschen zum Rohstoff für Produktion und Verkauf. Aus unserer Online-Suche, der Wahl der Beiträge, die wir lesen, aus unserem Einkaufsverhalten, Zahlungsverkehr, unseren Bildern, unseren Gesichtsausdrücken auf Bildern, und vielem mehr werden Informationen über uns gewonnen.
    Über die Daten hinaus, die für das Erbringen der eigentlich gewünschten Leistung hinaus notwendig sind, werden weitere Daten gesammelt, denn Daten können zu Wissen werden, und Wissen wird zu Geld – und Macht. Diese Macht wird häufig dazu gebraucht, uns zu bestimmten weiteren Verhaltensweisen zu motivieren. Sei es der Kauf eines bestimmten Produktes, das Kennenlernen bestimmter Leute, bis hin zur Manipulation von Wahlentscheidungen. Es ist die Manipulation unseres Verhaltens zum Profit Dritter, und das auf eine perfide Weise, die uns vollkommen natürlich und von uns selbst gewollt erscheint.

    Man kann gewiss lange über den freien Willen und die freie Entscheidung des Individuums sprechen. Der einzige Weg aber, sich einer Manipulation zu verschließen wäre, wenn man sicher sein könnte, dass diese Daten nicht verwendet werden oder gar nie erfasst werden. Ein Dienstleister jedoch hat keinen natürlichen Anreiz, auf die Sammlung von Daten über uns zu verzichten.

    Beide dieser Fronten zeigen, wie wichtig Datenschutzgesetze sind. Wie wichtig es ist, juristisch Grenzen zu setzen, und diese auch wirksam durchsetzen zu können. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass diese schon seit vielen Jahren zu beobachtende Entwicklung zu einem Ende kommt. Ganz im Gegenteil. Und umso wichtiger ist es, hier wachsam zu sein und die Stimme zu erheben, wo wir als Menschen in unserer Freiheit, unserer Möglichkeit zu selbstgewählten Entfaltung eingeschränkt werden.

    Happy privacy day.

  • PIRATEN-Politik im EU-Parlament: „Woran wir im Jahr 2021 gearbeitet haben und was uns gelungen ist“

    PIRATEN-Politik im EU-Parlament: „Woran wir im Jahr 2021 gearbeitet haben und was uns gelungen ist“

    Dieser Beitrag des EU-Parlamentariers Mikuláš Peksa (Piratenpartei Tschechien) wurde zuerst auf auf dessen Homepage veröffentlicht, zu finden unter folgendem Link: https://mikulas-peksa.eu/ge/das-jahr-2021/

    Werfen Sie mit uns einen Blick auf die Arbeit, welche die Piraten dieses Jahr im Europäischen Parlament geleistet haben.

    Der weltweite Kampf gegen die Pandemie ist noch immer nicht ausgestanden. Die EU-Länder haben den einheitlichen Covid-Pass ins Leben gerufen, der allen Europäerinnen und Europäern und allen Menschen, die in Europa leben, die Türen in alle Länder der Union öffnet – ein unbezahlbares Privileg. Der einheitliche QR-Code gibt uns Reisefreiheit, vom höchsten Norden bis in den tiefsten Süden, vom äußersten Osten bis in den westlichsten Zipfel der Europäischen Union.

    Im Sinne unserer Werte als europäische Piratenpartei kämpften wir für eine dezentralisierte Covid-Pass-Lösung, die schließlich von der Kommission genehmigt wurde. Anders als bei der ursprünglich angedachten EU-weiten Datenbank, werden unsere sensiblen Gesundheitsdaten nun lokal gespeichert, wodurch das potenzielle Risiko eines massiven Datenmissbrauchs enorm reduziert werden konnte.

    Impfungen gegen Covid-19: Patente freigeben

    Im Europäischen Parlament setze ich mich für die Freigabe von Patenten für die Herstellung von Impfstoffen ein. In der aktuellen Situation kann es einfach nicht sein, dass lediglich die Impfstoffentwickler und eine Handvoll ausgewählter Partnerunternehmen diese weltweit so dringend benötigten Impfstoffe herstellen dürfen. Diese Vorgehensweise verteuert jede Impfdosis und verlangsamt den weltweiten Impffortschritt. Beides ist völlig unnötig und sogar gefährlich, da sich so weitere Mutationen entwickeln können, die langfristig auch für Länder mit einer hohen Durchimpfungsrate problematisch werden könnten. Da die Steuerzahler bereits für die Impfstoffforschung bezahlt haben, ist es meiner Ansicht nach nur fair, dass die Patente für diese Impfstoffe freigegeben werden. Ich habe daher die Europäische Kommission und den Rat aufgefordert, die Initiative zur Freigabe der Patente zu unterstützen.

    Das Internet der Zukunft: ‚Digital Services Act‘ zum Schutze der Bürgerinnen und Bürger

    Die personenbezogenen Daten der Europäerinnen und Europäer werden dank der neuen europäischen Legislative, dem Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act) – für das ich Hauptberichterstatter im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) sowie Schattenberichterstatter im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) war – besser geschützt. Ich halte es für keine Übertreibung, dieses Gesetz als revolutionär zu bezeichnen.

    Es bringt völlig neue Regeln für große Online-Plattformen. Heute missbrauchen die großen Akteure der digitalen Welt wie Facebook und Google (um nur einige zu nennen) ihre Monopolstellung auf dem Markt und speichern ohne unser Wissen oder unsere Zustimmung enorme Mengen personenbezogener Daten über uns. Mit diesem Gesetz nimmt die Europäische Union eine weltweite Vorreiterrolle bei der Ersetzung veralteter Vorschriften aus der Zeit vor Facebook ein und überholt beispielsweise die USA, wo in den kommenden Jahren ähnliche Rechtsvorschriften auf den Tisch kommen werden.

    Der zentrale Gedanke hinter dem Gesetz über digitale Dienste ist das europäische Konzept zur Modernisierung und transparenteren, zugänglicheren und freieren Gestaltung dieser Plattformen. Eine der Hauptforderungen der PIRATEN, die ich in den Abschlussberichten der Ausschüsse ECON und ITRE durchsetzen konnte, ist die sogenannte Interoperabilität. Sie ermöglicht Europäerinnen und Europäern eine plattformübergreifende Kommunikation und damit auch die Öffnung des Digitaldienstemarktes für kleinere Akteure. Gleichzeitig haben wir uns für die Wahrung der Privatsphäre der Nutzer eingesetzt, indem wir die Rechte zur Entfernung illegaler Inhalte klar definiert haben.

    DORA: Harmonisierte Sicherheitsstruktur gegen Cyberangriffe im Finanzwesen

    Als federführender Berichterstatter im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) habe ich in diesem Jahr an der europäischen DORA-Verordnung, die Verordnung über die sogenannte ‚Betriebsstabilität digitaler Systeme im Finanzsektor‘ (Digital Operational Resilience Act) gearbeitet, die neue Regeln für die Sicherheit von Finanzdaten und Geld der Bürgerinnen und Bürger in Europa festlegt. Diese Arbeit war und ist enorm wichtig, da es von Jahr zu Jahr mehr Cyberangriffe gibt. Die größten Cyberangriffe sind durchaus in der Lage, auch ganze Bankunternehmen auszuschalten und die Interessen von uns allen zu gefährden. DORA soll sicherstellen, dass im Falle eines Cyberangriffs schnell, effektiv und vor allem organisiert reagiert wird. Die Verordnung vereinheitlicht und verbessert die IT-Sicherheitsanforderungen für Finanzdienstleistungen, um die Auswirkungen eines Angriffs zu minimieren und so unser Geld besser zu schützen.

    Ein derartiger Angriff kann, in tschechischen Kronen ausgedrückt, einen Schaden im zweistelligen Millionenbereich verursachen [Anmerkung: Der Wechselkurs Euro zu Krone liegt aktuell etwas unter 1:25]. In DORA ist daher die Verpflichtung zur Entwicklung angemessener Notfallpläne enthalten. Die wichtigsten Erfolge, die wir im Namen der PIRATEN durchsetzen konnten, sind die zentrale Meldung von Vorfällen, die unabhängige Kontrolle von Sicherheitsaudits und der Datenaustausch mit den Behörden. Bislang wurden diese Anforderungen von jedem Mitgliedstaat selbst festgelegt, sodass Banken 27 verschiedene nationale Vorschriften einhalten mussten. Mit DORA wurde dieses System vereinfacht und in einen gemeinsamen europäischen Rahmen gegossen.

    Verschwendung öffentlicher Gelder verhindern

    Im Ausschuss für Haushaltskontrolle (Committee on Budgetary Control – CONT) bin ich seit Langem mit der Überwachung des Umgangs mit europäischen Geldern befasst. In einer Zeit, in der massiv in die Bekämpfung der Klima- und Pandemiekrise investiert wird, ist es besonders wichtig, eine transparente Umverteilung der Gelder innerhalb der europäischen Fonds sicherzustellen. Als Schattenberichterstatter habe ich an den Empfehlungen des Europäischen Parlaments zur Digitalisierung der öffentlichen Haushaltskontrolle mitgewirkt, die zahlreiche Lösungen zur Verhinderung des Versickerns von Geldern durch Betrugs- und Korruptionshandlungen zu bieten haben. Allein für das Jahr 2019 geht es hier um einen Betrag in Höhe von 3,37 Milliarden Euro.

    Ein neues, standardisiertes, digitales Überwachungssystem soll diesen völlig unnötigen Geldverlust verhindern. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, wohin ihr Geld fließt, weshalb das neue System so transparent wie möglich sein muss. Ich trete auch für die Einrichtung eines öffentlich zugänglichen einheitlichen europäischen Registers der tatsächlichen Eigentümer ein, und dafür, dass die darin enthaltenen Informationen für jedermann überprüfbar sein müssen. Nur so können sich Vertreter der Öffentlichkeit, und insbesondere auch Journalisten, an der Aufdeckung von Betrug und Korruption beteiligen. Ich bin der Ansicht, dass die Europäische Union das Vertrauen der Öffentlichkeit nur durch maximale Offenheit und Verbindlichkeit gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern gewinnen kann.

    Korruption aufklären und verfolgen

    In diesem Jahr ging auch ein langgehegter Wunsch von mir in Form der Schaffung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EPPO) in Erfüllung. Sie hat die Aufgabe, Handlungen und Umstände zu untersuchen und zu verfolgen, bei denen der Verdacht auf den Straftatbestand der Veruntreuung europäischer Gelder besteht. Jeder eingebundene Mitgliedstaat hat seine eigenen Kandidaten für das Amt als Europäische Staatsanwälte ernannt. Gleichzeitig ist die EPPO als unabhängige europaweite Einrichtung in der Lage, grenzüberschreitenden Betrug zu bekämpfen, was für nationale Richter eine harte Nuss ist.

    Allein in den ersten drei Monaten ihres Bestehens wurden 300 Betrugs- und Korruptionsfälle bearbeitet, die zusammen rund 4,5 Milliarden Euro des europäischen Haushalts ausmachten. Dieses Geld kann sicherlich sinnvoller eingesetzt werden als in den Taschen von Oligarchen und Betrügern, die sich daran gewöhnt haben, europäisches Geld und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu missbrauchen. Zu diesen zählt beispielsweise auch der ehemalige tschechische Premier Andrej Babiš – auch ihm droht eine Strafverfolgung durch die Europäische Staatsanwaltschaft.

    Transparenz bei Lobbykontakten

    Als Hauptberichterstatter habe ich auch zur Schaffung eines gemeinsamen, einheitlichen und unabhängigen ethischen Rahmens der EU beigetragen. Auch die Europäische Kommission unter der Führung von Ursula von der Leyen hat dies zu einer ihrer Prioritäten gemacht. Insgesamt 50% der ehemaligen Kommissare und 30% der ehemaligen Mitglieder des Europäischen Parlaments arbeiten heute für Organisationen, die die EU selbst als Lobbyisten bezeichnet. Damit missbrauchen sie ihre privilegierte Stellung in den EU-Strukturen und ihre Verbindungen zur europäischen Politik. Auch dieses Problem ist durch einen einheitlichen ethischen Rahmen in den Griff zu bekommen, der zu mehr Transparenz bei Lobbytreffen, öffentlichen Auftragsvergaben, der Annahme von Spenden oder der Verwendung von Bankkonten für öffentliche Gelder beitragen wird.

    Natur- und Umweltschutz

    Auch in diesem Jahr war ich einer der wenigen tschechischen (Euro-)Abgeordneten, die sich intensiv für den Schutz der tschechischen Natur und Umwelt eingesetzt haben. Im Europaabgeordnetenbüro befassen wir uns seit langem mit zwei speziellen Fällen – der Verschmutzung des, und das darauffolgende Fischsterben im Fluss Bečva und dem Bergbau in der Grube Turów. In beiden Fällen liegen meiner Meinung nach klare Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit vor. Gerade Brüssel kann oft helfen, wenn Betroffene in ihren jeweiligen Heimatländern mit versagenden nationalen Regierungen konfrontiert sind. Aktuell befassen wir uns im Europäischen Parlament mit einer Petition tschechischer Bürgerinnen und Bürger, die vom Bergbau in der Grube Turów in Polen betroffen sind. Einen ersten Erfolg konnten wir bereits verbuchen – die Europäische Kommission schloss sich der tschechischen Klage vor dem Europäischen Gerichtshof an und es konnte ein sofort wirksames Abbauverbot erreicht werden.

    Gegen Polen wurde jetzt eine Geldstrafe von 35 Millionen Euro verhängt (weil das Land dieser Entscheidung des Gerichts nicht nachgekommen ist), die mit jedem weiteren Tag um eine weitere halbe Million wächst. Es muss allerdings gesagt werden, dass Geldstrafen allein keine Lösung sind, wenn sie nicht den tatsächlichen Verursacher eines Problems treffen. In diesem Fall sind es das Bergbauunternehmen PGE und natürlich die in Polen regierende Partei PiS. Deshalb geht unser Kampf für die tschechische Landschaft und Umwelt weiter. Im kommenden Jahr werden wir uns weiter dafür einsetzen, dass die Kommission und der EU-Gerichtshof das Ende des Bergbaus in Turów durchsetzen.

    Als Mitglied der europäischen Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz habe ich die Verpflichtung der EU zur Klimaneutralität bis 2050 unterstützt, einschließlich des Meilensteins einer 55%igen Reduzierung der Emissionen bis 2030 (gegenüber dem Wert von 1990). Ich setze mich für eine transparente und im Einklang mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen (und nicht mit den politischen Ambitionen der Förderer oder ihrer Verbündeten in den verschiedenen Regierungen) stehende Reduzierung des CO2-Ausstoßes ein. Es ist mir wichtig, dass diese notwendigen Veränderungen auf sozial gerechte Art und Weise erfolgen. Ein Beispiel ist der neu eingerichtete Europäische Fonds für einen gerechten Übergang (Just Transition Fonds – JTF), bei dem wir uns dafür eingesetzt haben, dass die Gelder in Dienstleistungen und Innovationen fließen, die den Bürgerinnen und Bürgern der Union direkt zugutekommen.

    In meinen Augen muss dieser Fonds speziell auch kleine und mittlere Unternehmen berücksichtigen, da vor allem sie auf diesem Weg unterstützt werden sollen. Das ist genau jener Punkt, den ich aktuell bei der tschechischen Herangehensweise durchzusetzen versuche, da unsere Behörden einen absolut gegensätzlichen Ansatz verfolgen und, statt die Menschen, in den Kohleregionen große Bergbaugiganten bzw. dubiose Unternehmen mit unklaren Verbindungen unterstützen und fördern möchten.

    Ich bemühe mich, die tschechische Öffentlichkeit systematisch und konsequent über die europäische Umweltpolitik zu informieren, da das Thema der Reduzierung des CO2-Fußabdrucks in den tschechischen Medien noch relativ „neu“ ist und es neben vielen Informationen auch zahlreiche Ungenauigkeiten und Vereinfachungen gibt, die es zu berichtigen bzw. zu erklären gilt. Auch aus diesem Grund habe ich 2021 meinen Podcast „Růst s čistým svědomím“ (‚Wachstum mit reinem Gewissen‘) ins Leben gerufen, in dem ich versuche, die Fachdebatten über Umwelt und Nachhaltigkeit in einer für Otto Normalverbraucher verständlichen Form wiederzugeben. Ich möchte das Informationsdefizit in der tschechischen Debatte ausgleichen, das in der Rede unseres Ex-Premiers Babiš bei der COP 26 in Glasgow deutlich wurde. Bei dieser Konferenz diskutierte buchstäblich die ganze Welt darüber, wie die schrecklichen Auswirkungen des Klimawandels auf alles und jeden – auf Menschen, Staaten, Nationen, den Boden unter unseren Füßen, den Zustand der Natur – verhindert werden können, und der tschechische Premierminister die Europäische Kommission wegen der Emissionszertifikate kritisierte, weil es ihm nicht gefiel, dass auch seine Chemiekonzerne zahlen sollen.

    Auf ein erfolgreiches Jahr 2022

    Ich freue mich, dass meine Arbeit konkrete Ergebnisse zeigt. Sei es die Förderung der Interoperabilität im Entwurf des Gesetzes über digitale Dienste, die das Funktionieren der digitalen Welt langfristig stark beeinflussen wird, oder der Covid-Pass, der uns europäischen Bürgerinnen und Bürgern das tägliche Leben erleichtert.

    Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung und wünsche Ihnen einen guten Start ins Jahr 2022.

  • Bundestagsdebatte zu Mobilität am 13.01.2022

    Bundestagsdebatte zu Mobilität am 13.01.2022

    [green_box] Ein Beitrag von smegworx [/green_box]

    Am 13.01.2022 fand die erste Debatte zu den Themen des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr statt.

    Dabei trat auch der neue Verkehrsminister Volker Wissing ans Mikrofon. Vorausgegangen waren an diesem Tag Veröffentlichungen in diversen Medien (u.a. Spiegel, Tagesspiegel), die bereits Statements zu definierten Punkten der Mobilitätspolitik der Bundesregierung von eben jenem V. Wissing veröffentlichten. Unter anderem eine Warnung vor dem Kauf von PKW mit Verbrennungsmotoren und die Möglichkeit der örtlichen Ausgestaltung von Geschwindigkeitsbeschränkungen (Tempo 30 auf Hauptstraßen innerorts).

    Daher wurde, zumindest aus meiner Perspektive, der Rede vor dem Plenum auch eine besondere Aufmerksamkeit zuteil. Würde V. Wissing auch diese Statements aufgreifen und als Eckpunkte einer zukünftigen Mobilitätspolitik definieren?

    Mobilität als Grundbedürfnis

    Zunächst einmal hebt V. Wissing hervor, dass „Mobilität und Kommunikation Grundbedürfnisse der Menschen“ und diese „klimaneutral“ zu erfüllen sind. Wichtig ist dabei, dass „Klimaschutz umfassend und sektorübergreifend gedacht“ werden muss. Im Folgenden verweist er darauf, dass es dazu „klimaneutralen(r) öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), Bahn, Schiffe und Flugzeuge bedürfe, attraktiver und sicherer Rad- und Fußwege und im PKW-Bereich den Umstieg auf Elektromobilität“.

    Klimaschutz durch Elektromobilität – etwas arg kurz gesprungen

    Der Verkehrsbereich soll die Klimaschutzziele erreichen, indem bis 2030 15 Millionen Elektroautos auf Deutschlands Straßen unterwegs sind.

    So weit so gut. Warum gerade zur Einhaltung der Klimaschutzziele hier ausschließlich auf den Bereich Elektromobilität eingegangen wird, verwundert dennoch. Denn gerade ein gut ausgebauter ÖPNV, eine bessere Anbindung des Umlands, Optimierung der Verkehrsangebote im ländlichen Bereich, ein attraktives Radwegenetz (wie im Nationalen Radverkehrsplan beschrieben) sowie die Nutzung und Schaffung von resilienten Stadtteilen haben sicher einen größeren und nachhaltigeren Einfluss auf die Erreichung der erwähnten Klimaschutzziele, als der bloße Verweis auf die Elektromobilität.

    Keine Absage an eFuels

    Und es wird noch ein bisschen verwirrender. Denn gleich in seiner nächsten Passage hebt V. Wissing hervor, dass gleiches (Einhaltung der Klimaschutzziele und kurzfristige Senkung des CO2-Ausstoßes) auch durch die Nutzung „strombasierter Kraftstoffe, eFuels“ erreicht werden kann. Dabei verweist er nicht nur auf die in diesem Bereich eher denkbaren Schiffe, Nutzfahrzeuge oder Flugzeuge, sondern auch auf die „Bestandsflotten der PKW“.

    Natürlich könnte man jetzt sagen, dass dieser Einwurf ja nur für Bestandsflotten gelte, bei neuen Fahrzeugen jedoch auf Elektromobilität gesetzt werde.

    Richtig, dennoch hat dies einen kleinen Pferdefuß: Denn in der gesamten Rede des Bundesministers wird mit keinem Wort darauf eingegangen, wann der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor nun erfolgen solle. Da auch der Koalitionsvertrag hier nur extrem schwammig bleibt (möglichst vor 2035 – was übrigens ein EU-Ziel ist) bleibt zu befürchten, dass wir bis zum endgültigen Ausstieg noch einen riesigen Bestand an nicht rein batterieelektrisch betriebenen PKW (BEV) haben werden. Der dann wohl mit eFuels betrieben werden soll.

    Dazu passt auch die nachfolgende Aussage des Ministers, dass sich „Mobilität auch in Zukunft technologieoffen weiterentwickeln“ muss. Dies umfasst auch eine Absage an ein „Verbot neuer Technologien“ und man dürfe auf Grund der Vielfältigkeit der Mobilität nicht alles nur auf „einen Antrieb umstellen“.

    Ganz ehrlich: Im Gegensatz zu den in den oben benannten Medien postulierten Statements klingt das nun gar nicht mehr so deutlich nach einer „Warnung, einen Verbrenner zu kaufen“. Insofern drängt sich schon die Frage auf, warum V. Wissing diese doch sehr klare Positionierung nicht auch in der Bundestagsdebatte klar gemacht hat. Sondern vielmehr hier eine Hintertür, auch oder gerade, für eFuels so sperrangelweit offen lässt.

    Nachhaltige Mobilität

    Der Minister verweist darauf, dass „Mobilität vielfältig“ ist (sehr wichtig) und „Nachhaltige Mobilität … einfach …, bequem und bezahlbar“ sein muss. Dieser Aussage kann man sicher bedenkenlos zustimmen. Auch wenn ich ein bisschen wehmütig die Begriffe sicher und barrierefrei vermisse.

    Warum aber im nächsten Satz dann ausgerechnet der „Ausbau der Schnelladeinfrastruktur“ (HPC) und der „unbürokratische Zugang zur öffentlichen Ladeinfrastruktur“ die „drängendsten Themen“ sind, dafür vermag ich an dieser Stelle gerade kein Verständnis aufbringen. Hier hätte ich mir, wie oben bereits erwähnt, ganz andere Schwerpunkte gewünscht. Oder diese auch erwartet.

    Digitalisierung und Mobilität

    Ein wichtiger Aspekt, die Rolle der Digitalisierung, wird danach durch V. Wissing aufgegriffen. Dank der Digitalisierung lassen sich „ganz neue Mobilitätsangebote entwickeln, die individuell auf die Situation der Menschen passen“.
    Offen lässt der Minister jedoch, wie dies konkret ausschauen kann oder zumindest welche Synergieeffekte die Digitalisierung der Mobilität mit sich bringen kann.

    Dass als Grundlage für eine moderne Mobilität „ein holpriges Internet und Mobilfunklöcher“ eines Standortes Deutschland unwürdig sind, darauf verweist V. Wissing beim Übergang auf das andere grundsätzliche Thema seines Ressorts.

    Zum Abschluss verweist V. Wissing darauf, dass erstmals mehr in die Schiene (aber auch weiterhin in die Straße) investiert werde und dass es schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren geben müsse. Alles Punkte, zu denen es sicherlich keinen Dissens geben wird.

    Wie ist der Vortrag des Ministers einzuschätzen

    Ich bin, um es freundlich zu formulieren, nach diesem Vortrag von V. Wissing etwas ernüchtert. Klar, in einer Bundestagsrede lassen sich sicher nicht alle Punkte einbauen, die für eine moderne und zukunftsfähige Mobilitätspolitik wichtig sind.

    Warum aber, gerade im Kontext der Einhaltung der Klimaschutzziele, ein klares Bekenntnis zur Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs (MIV), ein Statement zum Voranbringen des „Deutschlandtakt“, zur dringenden Verlagerung des Last- und Güterverkehrs auf die Schiene, der Anbindung des suburbanen und ländlichen Raums oder auch der Bedeutung des Rad- und Fußverkehrs unterbleibt, das erschließt sich mir nicht.

    Dass Begriffe wie Verkehrswende, Mobilitätswende oder Antriebswende nicht vorkommen, das mag man V. Wissing nicht zu sehr anlasten, auch wenn es natürlich schöner gewesen wäre sie auch zu hören.

    Was allerdings ebenso deutlich wurde: Eine Warnung vor dem Kauf eines Verbrenners oder gar die Bestätigung der Flexibilisierung des Gestaltungsspielraums der Kommunen (Tempo 30 auf Hauptstraßen) blieben völlig unerwähnt.

    Das ist nicht nur sehr schade, sondern wirft auch die Frage auf, warum V. Wissing dies offensichtlich gegenüber diversen Medien so deutlich äußert, in der Bundestagsdebatte aber sehr laut dazu schweigt.

    Bei all den Ausführungen wird dann aber dennoch deutlich, dass V. Wissing vielleicht doch (immer noch) mehr der „Anwalt der Autofahrer“ ist, als es derzeit durch andere Vereine und Verbände wahrgenommen werden will.

    Nach diesem ersten Eindruck möchte ich V. Wissing gern zurufen:
    „Es ist noch viel Luft nach oben, Herr Minister.“

    Miteinander statt Gegeneinander

    Auf einen Punkt bzw. formulierten Wunsch aus der Rede von V. Wissing möchte ich dennoch zusätzlich eingehen.

    „Mehr Verständnis für das Bedürfnis und die Sichtweise des anderen. Etwas weniger Bereitschaft, sich sofort und ständig zu empören!“

    Ja, die Verkehrs- und Mobilitätsbedürfnisse sind, je nach Sichtweise, genauso heterogen wie die Menschen, die sich mit diesen Themen beschäftigen. Genauso heterogen wie die Schwerpunkte und Ziele, die dabei verfolgt werden.

    Oftmals verbunden mit einem „aber mein Thema/Ziel/Verkehrsmittel ist viel wichtiger als Deines“. Oder noch schlimmer, wie unter bestimmten Hashtags in sozialen Medien zu beobachten, in Beleidigungen, Ausgrenzungen, Diffamierungen oder Beschimpfungen ausartend.

    Die Mobilitätswende ist eines der wichtigsten Vorhaben, um unser Land zukunftsfähig zu machen. Für uns, für unsere Kinder und alle nachfolgenden  Generationen. Ein Gegeneinander wird allerdings nicht dazu führen, dass wir diese Ziele erreichen, oder auch die Menschen in unserem Land dafür begeistern können.

    Daher: Danke Herr Wissing für diese klaren und wichtigen Worte.

  • Freiheit in der Pandemie

    Freiheit in der Pandemie

    „Die Freiheit besteht darin, dass man alles das tun kann, was einem anderen nicht schadet“ So steht es in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die die französische Nationalversammlung 1789 verabschiedet hat. Dieser Satz drückt aus, dass Freiheit nicht nur einen individuellen Bezug hat, sondern auch einen gesellschaftlichen. Denn der Mensch existiert nicht alleine. 

    Seit Beginn des Jahres 2020 wird die Welt von einem Virus heimgesucht. Das Corona-Virus verursacht Atemwegserkrankungen, die darin enden können, dem Menschen den Sauerstoff zu nehmen, den er zum Überleben braucht. Das Virus ist eine organische Struktur, die darauf programmiert ist, sich bestmöglich zu vermehren. Durch Aerosole (Luftpartikel) überträgt es sich zwischen den Menschen. Diese sind dem Corona-Virus ein guter Wirt. Denn wir brauchen zum Leben nicht nur Luft sondern auch Gemeinschaft. 

    Für den Menschen, ein soziales Lebewesen, wird so das ihm eigenste, die Suche nach anderen Menschen, zum Nachteil. Das Virus greift uns als Gesellschaft dort an, wo es uns am meisten schmerzt, in der Gemeinschaft selbst. Es richtet unsere sozialen Bedürfnisse gegen uns. Wir sind dazu gemacht, gemeinsam mit anderen Menschen zu lernen, Sport zu machen oder zu bejubeln, zu lachen, zu singen und zu tanzen.

    Diese Sehnsucht und die Fähigkeit des Virus, sich immer aufs Neue an geänderte Rahmenbedingungen anzupassen, haben dazu geführt, dass wir schon bald ins dritte Jahr der Pandemie gehen. Maßnahmen, die wir ergriffen hatten, halfen, die Pandemie zu bestimmten Zeiten abzuschwächen; dennoch sind wir aktuell in einer Situation, in der in vielen Regionen die medizinischen Kapazitäten an der Belastungsgrenze sind oder diese schon überschritten haben. Ein zuvor bereits kaputt gespartes Gesundheitswesen sowie Erschöpfung und fehlende Anerkennung der dort beschäftigten Menschen, haben darüber hinaus dazu geführt, dass viele Krankenhäuser unter Personalmangel leiden. So können vorhandene Ressourcen nicht mehr sinnvoll ausgeschöpft werden, denn ohne Personal keine medizinische Versorgung. 

    Als eines der reichsten Länder der Welt können wir aktuell keine umfängliche Gesundheitsversorgung mehr sicherstellen, wie sie für uns zuvor selbstverständlich war. Das Risiko einer unzureichenden medizinischen Versorgung, oder gar dem Verwehren einer Behandlung, betrifft nun uns alle. Niemand wird widersprechen, dass dieser Zustand untragbar ist. 

    Und nun?

    Wie wollen wir als Gesellschaft von Individuen nun damit umgehen? Die Antworten reichen von “laufen lassen und akzeptieren” bis zu “Ausgangssperre und hart kontrollierter Impfzwang mit maximalem Druck auf Ungeimpfte”. Denn auf den Intensivstationen und an den dortigen Beatmungsgeräten finden wir nun überdurchschnittlich häufig Ungeimpfte und ältere Menschen. Wie kann, wie soll die Politik in der Folge reagieren?

    Artikel 2 des Grundgesetzes schützt die körperliche Unversehrtheit der Menschen. Die Piratenpartei tritt darüber hinaus in ihrem Grundsatzprogramm für die Selbstbestimmtheit des Menschen, und insbesondere auch für Patienten in medizinischer Behandlung ein:

    • Seine Würde und Autonomie sind zu respektieren. Im Rahmen seiner Möglichkeiten entscheidet er über die Form, Intensität und Reichweite der Behandlung. [1]

    Der Staat muss jedoch auch den Körper, den Geist und das Leben aller Menschen, also der Gemeinschaft seiner Individuen, schützen. Es gilt, die Rechte des Individuums und der Gemeinschaft gegeneinander zu balancieren.

    Die Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Vor dem Hintergrund, dass die Mehrheit der wahlberechtigten Bürger in Deutschland den Bundestag, und in der Folge eine Regierung findet, die dem mehrheitlichen Wunsch der Wähler entspricht, kann in diesem Fall “der Staat” als Ausdruck einer gesellschaftlichen Mehrheit betrachtet werden. Das Grundgesetz mit seinen Rechten für das Individuum drückt also auch die Abwehrrechte bzw. Schutzrechte des Menschen gegen eine Mehrheitsmeinung aus. Der Kern der freiheitlichen demokratischen Grundordnung besteht auch im Schutz der Rechte gesellschaftlicher Minderheiten, die daher beim Aushandeln einer Lösung im Umgang mit der Pandemie zwingend ebenfalls zu berücksichtigen sind. Die Angemessenheit der Einschränkung von Rechten erfordert folglich einen erheblichen Aufwand, bevor zu Lösungen gegriffen wird, die die körperliche Freiheit oder auch die Berufsausübung (GG Artikel 12 (1) ) einschränken. Juristisch kann über Auslegung und Details nun trefflich gestritten werden, für die Piratenpartei fasst spätestens das Grundsatzprogramm mit “Würde und Autonomie sind zu respektieren” das Thema gut zusammen.

    Rechte einfordern, Freiheiten einklagen, das sind alles gute und wichtige Maßnahmen, die dem Schutz unserer Demokratie dienen, und ich unterstütze sie explizit. Sie liefern aber keine Antwort und keine Möglichkeiten, wie wir aus der Pandemie herauskommen. Aber sie bieten eine Leitlinie in der Frage, ob wir alles getan haben, was möglich und notwendig ist. Was wären nun also mögliche Maßnahmen, und welche erscheinen dienlich?

    Impfpflicht

    Häufig wird unterschieden zwischen Impfpflicht und Impfzwang, es bestünde ein substantieller Unterschied. Juristisch betrachtet mag dies stimmen. Aber machen wir uns nichts vor: Spätestens wenn ein Kind nicht zur Schule gehen kann, weil es nicht geimpft ist oder der Arbeitnehmer einen signifikanten Anteil seines Einkommens für einen täglichen Test ausgeben muss (oder gar nicht mehr arbeiten darf), wird die Impfpflicht zum Zwang – egal wie wir es nennen. Ich persönlich schließe beispielsweise eine Impfpflicht nicht generell aus, sie kann angemessen sein; ich hoffe aber, dass wir gar nicht zu dieser Notwendigkeit kommen und sehe sie aktuell auch nicht. Wir sind weit davon entfernt, alle anderen Möglichkeiten ausgereizt zu haben.

    Tatsächlich brauchen wir Lösungen für zwei Probleme: Die Übertragung des Virus muss verlangsamt oder gestoppt und das Gesundheitssystem entlastet werden. 

    Verbreitung

    In Bezug auf die Übertragbarkeit haben wir meiner Meinung nach die Möglichkeiten zur Kontaktreduktion bei weitem nicht ausgereizt. In Anerkennung der Tatsache, dass auch geimpfte Menschen das Virus weitergeben, sind volle Fussballstadien der Wahnsinn. Es dürfte unstrittig sein, dass alleine die Einschränkung auf Treffen von maximal 1.000 oder 100 oder auch nur 10 Menschen die Übertragungswege deutlich reduzieren würde. Hier wurde folglich noch nicht alles gegeben, um die Anzahl an Ansteckungen zu verringern. 

    Impfen

    Mit einem Anstieg der Impfquote würde nicht nur die Ausbreitung eingedämmt, sondern auch die Belastung des Gesundheitswesens senken. Denn wir wissen, dass geimpfte Personen deutlich seltener schwere bis lebensgefährdende Konsequenzen aus einer Infektion davontragen. 

    Beim Thema Impfung erlebte ich mit Schrecken, wie sich die öffentlichen Stellen zurücklehnten und im Öffnen von Impfzentren und dem Verteilen des Impfstoffs ihren Job als getan betrachteten. Warum wurde nicht deutlich proaktiver auf die Menschen zugegangen? Warum haben wir keine mobilen Impfteams, die auf Anruf die Menschen besuchen? Warum gibt es so wenige Impfbusse vor Supermärkten, um niedrigschwellige Angebote zu machen? Jedes Unternehmen weiß, ein Produkt in den Regalen zu haben, führt nicht von alleine dazu, dass Menschen kommen und es kaufen. Das Unternehmen muss aktiv werben und locken. Und selbstredend muss dann auch die Ware, in diesem Fall der Impfstoff, verfügbar sein. Warum gibt es keine personalisierten Briefe an die Menschen? “Lieber xy, wir haben dir einen Termin im Impfzentrum reserviert. Sag Bescheid, wenn du nicht weißt, wie du hinkommst oder dir ein anderer Termin besser passt.” Das sind Maßnahmen, die ich von einem Staat erwarte, der die Grundrechte seiner Bürger respektiert und sich für ihren Erhalt einsetzt. Das passierte nicht. Aber auch dafür ist es noch nicht zu spät. 

    Entlastung der Intensivstationen

    Ebenso wäre ein Schritt, um den Stress auf das Gesundheitssystem zu reduzieren, die Kapazitäten insbesondere der Intensivstationen aufzustocken. Wenn die Annahme korrekt ist, dass Personalmangel diesen Zustand verschlimmerte, dann sollte alles getan werden, dass medizinisches Fachpersonal ein Interesse hat, wieder in diese Arbeit zurückzukehren. Warum wird  beispielsweise nicht Personal, das in die Intensivstationen zurückkehrt, eine finanzielle Prämie von sagen wir 10.000 EUR gewährt? Für chronisch unterbezahlte Pflegende eine verdiente Sonderzahlung, und als Gesellschaft sollte es uns das wert sein – egal ob sie nun als Preis für den Erhalt der Grundrechte oder als Preis zur Rettung von Menschenleben betrachtet wird.

    Lokale Lösung reicht nicht 

    Darüber hinaus sollten wir zu keinem Zeitpunkt vergessen, dass es sich bei Corona um eine weltweite Pandemie handelt. Es reicht also nicht, allein nationale Maßnahmen zu ergreifen und sich darauf zu verlassen, dass andere Länder ihrerseits die Pandemie in den Griff bekommen. Selbst beim besten Willen der Länder wird es vielen nicht gelingen. Und die Grenzen abzuriegeln wird ebenfalls unmöglich sein. Daher ist internationale Unterstützung notwendig.

    Das Handeln eines Jeden zählt

    Ich habe hier vor allem über das Handeln des Staats geschrieben, welches Vorgehen meiner Meinung nach von Seiten der öffentlichen Hand angemessen, mittlerweile sogar dringend und zwingend erforderlich ist. Wenn wir eines nicht haben, ist es Zeit, und in den letzten Jahren wurde zu viel verschlafen. Vor allem im Hinblick auf klare Kommunikation und Maßnahmen wie oben beschrieben. Gerade weil wir diesen Rückstand nicht mehr gut machen werden können, müssen jetzt alle Mittel ausgereizt werden, die wir ohne unverhältnismäßige Freiheitsverletzungen oder -einschränkungen im Köcher haben.

    Nicht geschrieben habe ich über die Erwartung an meine Mitmenschen, sei es in ihrem Handeln oder auch im Umgang miteinander. Persönlich hoffe ich auf Solidarität. Zu Beginn der Krise haben wir gezeigt, wie sehr wir füreinander da sein, einander aushelfen können. Wir erinnern uns daran, als es zu Beschränkungen kam und wir füreinander eingekauft haben, wo dies nicht jedem möglich war. 

    Auch ich habe mich impfen lassen, aus Solidarität, aus Hoffnung, dass wir Erwachsenen die Krise in den Griff bekommen und so unsere Kinder auch ungeimpft sicher sind. Wieder in Anlehnung an Kant: “Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.” Aber es deswegen dann eben nicht Gesetz werden muss.

    Quellen:

    [1] wiki.piratenpartei.de/Programm#Der_selbstbestimmte_Patient