Kategorie: Gastbeitrag

  • Wasser – das Gold der Zukunft?

    Wasser – das Gold der Zukunft?

    Trinkwasser als Spielball von Finanzhaien

    Schon im Jahr 2002 schrieb das ‚Handelsblatt‘ die prophetischen Zeilen: „Der Bedarf an Wasser steigt mit zwei bis drei Prozent jährlich doppelt so schnell wie die Weltbevölkerung. Experten gehen davon aus, dass im Jahr 2025 ein Drittel der Menschheit keinen Zugang zu sauberen Trinkwasser mehr haben wird. Analysten rechnen mit zweistelligen Wachstumsraten für Dienstleister, Ausrüster und Versorger auf dem Wassermarkt.“ [1]

    Die Fluchtursache Wassermangel

    Ende August 2015 hat das World Resources Institute (WRI) eine Studie über weltweiten Wassermangel veröffentlicht. Die meisten der Krisenländer, aus denen derzeit Geflüchtete nach Europa kommen – Syrien, der Irak, Afghanistan, Libyen, Eritrea – sind auf der Karte des WRI tiefrot eingefärbt.

    Es gebe einen „wachsenden Konsens“ in der Forschung, dass der Klimawandel ein „Multiplikator für bereits existierende Spannungen“ sei, heißt es im Bericht des „Clico“-Projekts („Climate Change, Hydro-conflicts and Human Security) von 2013. Jüngst prognostizierten Forscher gar, dass die Golfregion in wenigen Jahrzehnten unbewohnbar sein könnte.

    Skrupellose Finanzjongleure aus den Industrieländern sind demnach für eine große Zahl an Geflüchteten mitverantwortlich, die Menschen die elementarsten Lebensgrundlagen in ihrer Heimat entziehen. [2]

    Die Situation in den Entwicklungsländern

    Beinahe hinter jedem Produkt, das wir im Alltag nutzen, steckt mehr Wasser als man sehen kann. Dieses sogenannte virtuelle Wasser bezeichnet die zur Herstellung eines Produktes benötigte Menge an Wasser. Darunter fallen der Anbau der Grundstoffe, die Weiterverarbeitung dieser und die Transportwege. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen Gegenstand wie ein T-Shirt oder um eine Tasse Kaffee handelt ( beliebte Konsumgüter in westlichen Industrieländern wie zum Beispiel Kaffee, Kakao, Baumwolle, Schweinefleisch, Sojabohnen, Rindfleisch oder Nüsse). Einen hohen Verbrauch an virtuellem Wasser hat Deutschland in den benachbarten Industrienationen, zu einem besonders großen Teil aber auch in Brasilien, der Elfenbeinküste, Indonesien, Ghana oder Indien. [3]

    Nestlé nimmt Menschen in Afrika das Wasser – der Pure Life Skandal [Dokumentation ARD – 8 Minuten]. [4]

    Die neoliberale Privatisierung in Großbritannien unter Thatcher

    Was eine Privatisierung und Börsennotierung bewirkt, zeigte sich in Großbritannien am Beispiel der Trinkwasserversorgung. Diese wurde 1989 von der konservativen Thatcher-Regierung gegen den Willen eines Großteils der britischen Bevölkerung privatisiert. So unbeliebt war die neoliberale Privatisierung schon damals, dass die Tories deren Einführung in den 1980er Jahren zweimal verschoben hatten, um mögliche Niederlagen bei Parlamentswahlen zu vermeiden.

    In der Folge kam es -in einem der reichsten Länder Europas- zu Szenen wie im Katastrophengebiet eines Entwicklungslandes: Briten, die ihre Wasserrechnung nicht mehr bezahlen konnten, mussten auf offener Straße von Tankwagen versorgt werden. Derweil erlebte der Börsenhandel von Wasserrechten einen Boom – als die Spekulationsblase platzte, blieben die Verbraucher auf den im Nirwana verschwundenen Milliarden sitzen. [5]

    Eine in der Zukunft mögliche Labour-Regierung will die Wasserversorgung re-verstaatlichen und den Profitgedanken verbannen. Stattdessen will man eventuelle Überschüsse für Investitionen in Infrastruktur oder in die Kostensenkung stecken. [6]

    Die deutsche Gewerkschaft Ver.di schreibt dazu: „Wasser ist mittlerweile kostbar geworden, weltweit agierende Unternehmen wollen damit hohe Gewinne erzielen. Sie treiben die Preise für Wasserversorgung und -entsorgung immer weiter in die Höhe. Und vielleicht erhalten auch Sie eines Tages kein sauberes Wasser mehr, weil Sie es nicht bezahlen können oder weil sich die Bereitstellung für ihren örtlichen Versorger nicht lohnt.“ [7]

    Das Menschenrecht auf Wasser

    Am 28. Juli 2010 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit der Resolution 64/292 das Recht auf Wasser als Menschenrecht anerkannt. Die Resolution ist mit 122 Mitgliederstimmen angenommen worden. 41 Staaten haben sich ihrer Stimme enthalten. Zum angemessenen Lebensstandard zählt das Recht auf sanitäre Einrichtungen und sauberes Wasser. Darüber hinaus sind andere Menschenrechte ohne das Recht auf Wasser gar nicht vorstellbar:

    • Das Recht auf Leben ist ohne Wasser nicht möglich
    • Das Recht auf Nahrung und der Schutz vor Hunger schließt Wasser natürlicherweise mit ein
    • Das Recht auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit ist ohne sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen nicht zu erreichen. [8]

    Die UN-Konventionen richten sich an die Mitgliedsstaaten und fordern diese zu staatlichem Handeln auf. Aber damit allein ist den Menschen, die von der Wasserversorgung abgeschnitten sind, nicht gedient.
    Wasser ist nicht nur ein Produkt für Konsumenten, die die Ware bezahlen können, sondern ein Gemeinschaftsgut für alle. Hier muss auch ein individuelles Naturrecht gelten, Wasser von all denjenigen verlangen zu können, die es im Überfluss haben, weil niemand ein vorrangiges Recht vor allen anderen haben kann, auf der Erde zu leben. [9]

    Wem „gehört“ das Wasser?

    Die Bürgerinitiative Right2Water sammelte in einer Protest-Petition fast zwei Millionen Unterschriften, sodass sich die EU-Kommission gezwungen sah, die Pläne wieder zurückzunehmen. Die EU-Bürgerinitiative verbuchte dies als Erfolg – obgleich in Griechenland als Gegenleistung für die ESM-Rettungskredite eine Öffnung des Wassermarktes für private Anbieter gefordert wurde.

    Der Zugang zu Trinkwasser müsse sich für alle Menschen verbessern, insbesondere für schutzbedürftige und ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen, heißt es in aktuellen Vorschriften der EU-Kommission. Vor zwei Jahren brachte Right2Water zudem einen Gesetzesvorschlag auf den Tisch, der für einere bessere Wasserqualität sorgen soll. [10]

    Das Geschäft mit dem Trinkwasser

    Coca-Cola und Pepsi, Danone und Nestlé – alle liefern sich einen Konkurrenzkampf um die besten Quellen, streiten um Förderlizenzen, jagen nach mehr Absatz und höherer Rendite. [11]

    Die unterschiedlichen Beispiele Flint, Vittel und Lüneburg

    Die US-Stadt Flint wollte Geld sparen – und zapfte ihr Trinkwasser ab dem Sommer 2014 aus einem Fluss. Doch die Wasseraufbereitungsanlage konnte das Wasser nicht entsprechend den Trinkwasservorschriften aufbereiten. Das aggressive Wasser löste Blei aus alten Leitungen, viele Bürger wurden krank.

    Der Skandal in der früheren Industriestadt wurde zum Symbol für soziale Ungerechtigkeit in den USA. In der mehrheitlich von Schwarzen bewohnten Stadt lehnten die Behörden zuerst Beschwerden der Einwohnerinnen und Einwohner ab. Das änderte sich erst, als der Fall landesweit für Aufsehen sorgte und Umweltschutzbehörden Druck ausübten. [12] [13]

    Seit Jahrzehnten ist Nestlé in Frankreich aktiv und produziert in der Kleinstadt Vittel aus drei Brunnen sein gleichnamiges Wasser. Das immer gleiche Geschäftsmodell: Für lächerliche Gebühren besonders hochwertiges Trinkwasser (aus 250 Meter Tiefe) abpumpen und in Plastikflaschen verpackt in ganz Europa verkaufen. .

    Die Kritik daran wird seit Jahren von Anwohnern und Naturschützern formuliert. Jetzt stellt sich Vittel dieser Kritik vor laufender Kamera – und zeigt sich uneinsichtig. Dabei sinkt der Grundwasserspiegel ständig – jährlich um ca. 30 cm. Für ein Geschäft, bei dem plastikverpacktes Wasser mit phantastischen Gewinnspannen weltweit teuer verkauft wird.

    Die Versorgung der Bevölkerung gerät also mittelfristig ernsthaft in Gefahr. Nachfolgende Generationen laufen Gefahr, dass sie mit Tankwagen versorgt werden müssen – ein schlechter Witz, angesichts dieser ehemals wasserreichen Region.

    Nestlé weist die durchaus realistischen Szenarien der Anwohner zurück und möchte so weitermachen wie bisher. Der Konzern beharrt auf seinem Gewohnheitsrecht und den laufenden Verträgen. Auch zur fragwürdigen Abfüllung in PET sieht der Konzern aktuell keine Alternativen. Die Geschäftspraktiken von Nestlé in Vittel werden demnach auch in den nächsten Jahren bestehen bleiben – bis die Brunnen versiegen. [14]

    Coca-Cola betreibt im Landkreis Lüneburg derzeit zwei Brunnen. Mit der Inbetriebnahme des zweiten Brunnens 2016 wurde die erlaubte Entnahmemenge zwar nicht erhöht, aber die Entnahmefrist bis 2041 verlängert. Seit 2020 baut Coca-Cola nun an einem dritten Brunnen. Geplant ist mit diesem neuen Brunnen zusätzlich 350 000 Kubikmeter Wasser zu fördern. [15]

    Der Coca-Cola Konzern zahlt in Lüneburg 9 Cent pro Kubikmeter. Diese Einnahmen sind nach dem NWG (Niedersächsisches Wassergesetz) zweckgebunden und werden zum Schutz von Gewässern verwendet. Respekt, vor diesem letztlich ironischen Prozedere.

    Ausschlagebend waren für den Deal offenbar die entstandenen Arbeitsplätze bei Förderung, Logistik und Produktion – Coca-Cola beschäftigt aktuell 190 Mitarbeiter am Standort Lüneburg. Befürworter des dritten Brunnens argumentieren folglich mit der Sicherung von Arbeitsplätzen in der Hansestadt. Darüber hinaus würden über die Gewerbesteuer Einnahmen generiert.

    Dagegen opponiert seit Mitte 2020 eine Bürgerinitiative. Sie befürchtet, dass sich das Grundwasser in vermehrt auftretenden Dürreperioden verknappt und somit der Bevölkerung in Zukunft nicht mehr im ausreichenden Maße zur Verfügung steht. [16]

    Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels In Deutschland

    Die vergangenen drei Sommer waren regional von großer Trockenheit geprägt. In diesem Sommer hatte der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) vor einer schwierigen Versorgungssituation mit Trinkwasser in einigen Regionen gesprochen. „Die letzten drei Jahre war der Klimawandel für viele von uns ganz persönlich wahrnehmbar“. [17]

    Wasserverschwendung in der Landwirtschaft am Beispiel der Baumwolle

    Weltweit werden jedes Jahr 256 Kubikkilometer Wasser für den Baumwollanbau verbraucht. Etwa 44 Prozent davon gehen in den Export. Indien, die Türkei, Pakistan, Usbekistan, Bangladesh und China liefern zusammen mehr als zwei Drittel der weltweiten Baumwollproduktion und sind auch Deutschlands Top-Lieferanten. Durch den Import von Rohbaumwolle und Baumwollprodukten hinterlässt Deutschland jährlich einen Fußabdruck in Höhe von 5,46 Kubikkilometer – das entspricht neun Prozent seines gesamten landwirtschaftlichen Wasser-Fußabdruckes im Ausland. [18]

    Nestlé und Julia Klöckner – der Konzern des Grauens und die Ministerin

    In den Siebzigerjahren veröffentlichte eine englische Hilfsorganisation die Studie „The Baby Killer“. Sie kritisierte die Nestlé-Werbung für Milchpulver in Entwicklungsländern scharf, weil sie Mütter vom Stillen abbringe und dazu verleite, Milchpulver mit verschmutztem Wasser anzurühren. Nestlé, so die Studie, sei damit verantwortlich für den Tod unzähliger Säuglinge. [19]

    Dass nun der Nestlé-Deutschland-Chef jüngst selbst bei der Ministerin auftauchte, findet der Konzern trotzdem nicht anrüchig, sondern als Zeichen dafür, dass man doch offen agiere. „Für uns ist es wichtig, transparent zu sein. Dazu gehört es auch, öffentlich darüber zu informieren, wenn wir uns mit einem Vertreter der Politik austauschen“, sagt dazu ein Sprecher von Nestlé-Deutschland. [20]

    Schlußbemerkung

    Den größten Image-Crash verursachte der Firmenlenker selbst. In einem Interview hatte Verwaltungsratspräsident Peter Brabeck-Letmathe davon gesprochen, dass Wasser eben kein öffentliches Gut und der Zugang zu Wasser eben kein Menschenrecht sei, sondern Wasser einen Marktwert habe. Die Äußerung sorgte weltweit für Empörung, denn Nestlé verdient sehr gut an dem Geschäft mit dem Wasser – die Schweizer sind Marktführer für in Flaschen abgefülltes Trinkwasser. Um in dem Segment zu wachsen, hat Nestlé weltweit Wasserrechte (auch in sehr trockenen Regionen) gekauft und steht dafür am Pranger. [21]

    Der Dokumentarfilm „Bottled life“ beleuchtet die Geschäftspraktiken des Unternehmens. [22]

    Wasser ist entgegen der Meinung des Nestlé-„Präsidenten“ natürlich Gemeingut und hat den Anspruch eines Menschenrechts. Überlassen wir es widerstandslos einigen Mega-Konzernen zur Gewinnmaximierung, nehmen wir billigend in Kauf, dass es für Einkommensschwache unerschwinglich wird und vermehrt zu Sperren des Versorgers kommt – wie es heute schon beim Strom für einige hunderttausend Haushalte in Deutschland zur Gewohnheit geworden ist. [23]

    Quellen/Fußnoten:

    [1] https://www.handelsblatt.com/archiv/analysten-erwarten-sprudelnde-gewinne-fuer-wasserfonds-und-wasserzertifikate-wasser-wird-das-oel-des-21-jahrhunderts/2176242.html?ticket=ST-365963-zzbdjd9YDXnbAUzezcfx-ap4
    [2] https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/fluechtlinge-klimawandel-und-wassermangel-verschaerfen-gefahr-a-1059195.html
    [3] https://www.fluchtgrund.de/2016/11/virtuelles-wasser-wie-der-westen-dritte-welt-staaten-austrocknet/
    [4] https://www.youtube.com/watch?v=CoOECk4UCkE
    [5] https://www.arte.tv/de/videos/082810-000-A/wasser-im-visier-der-finanzhaie/
    [6] https://www.heise.de/tp/features/Labour-Partei-will-britische-Wasserversorgung-verstaatlichen-4175851.html
    [7] https://www.verdi.de/themen/internationales/wasser-ist-menschenrecht
    [8] https://www.menschenrechtsabkommen.de/recht-auf-sauberes-wasser-1122/
    [9] https://ethik-heute.org/%EF%BB%BFwasser-ein-menschenrecht-fuer-alle/
    [10] https://www.heise.de/tp/features/Wem-gehoert-das-Wasser-4923155.html?seite=all
    [11] https://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article158777647/Schmutziger-Kampf-um-sauberes-Wasser.html
    [12] https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/trinkwasserskandal-in-flint-anklage-wegen-totschlags-erhoben-a-1152145.html
    [13] https://orf.at/stories/3178233/
    [14] https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/nestle-vittel-wasser-100.html
    [15] https://www.landeszeitung.de/lokales/93279-was-wir-ueber-die-wasserplaene-von-coca-cola-wissen2/
    [16] https://www.tagesschau.de/inland/tagesthemen-mittendrin-cocacolabrunnen-101.html
    [17] https://www.rnd.de/wissen/klimawandel-grundwasser-in-deutschland-konnte-knapp-werden-DFPIZIWFUX55SF2WE2OJ7ARSBY.html
    [18] https://www.wwf.de/themen-projekte/fluesse-seen/wasserverbrauch/wasser-verschwendung
    [19] https://www.sueddeutsche.de/politik/nestle-gigant-der-skandale-1.4477635
    [20] https://www.sueddeutsche.de/politik/kloeckner-ernaehrung-gesund-lebensmittel-lobbyismus-1.4477633
    [21] https://www.stern.de/wirtschaft/news/nestlé–die-skandale-der-vergangenen-jahre-6475346.html
    [22] https://www.bottledlifefilm.com/hauptseite
    [23] https://www.zdf.de/nachrichten/heute/wenn-das-licht-ausgeht-stromsperren-betreffen-hunderttausende-100.html

  • Private Kommunikation muss auch vor Behördenzugriff geschützt bleiben

    Private Kommunikation muss auch vor Behördenzugriff geschützt bleiben

    Von Anja Hirschel, Themenbeauftragte Digitaler Wandel und Alexander Kohler, Themenbeauftragter für Außen- & Sicherheitspolitik

    Aktuell wird im EU-Ministerrat eine Initiative erarbeitet, die Behörden Zugang zu privater Kommunikation gestatten soll und damit sichere Kommunikation einschränkt. Dies ignoriert offensichtlich die Tatsache, dass solche Zugänge ein Einfallstor für Hacker jedweder Art ist. Denn auch Behörden selbst sind nicht vor Hacks sicher, wie das Beispiel des SolarWinds Hacks zeigt.

    Gerade während der aktuellen Pandemie zeigt sich deutlich, wie wichtig die Digitalisierung ist. Es zeigt sich aber auch, wie abhängig wir von den kritischen Infrastrukturen im „Digitalen“ Raum sind, um Unternehmen am Laufen zu halten und die Kommunikation zu gewährleisten. Gleichzeitig müssen der breiten Öffentlichkeit auch die Gefahren bewusster werden, also welche Gesetzmäßigkeiten im „Neuland Internet“ herrschen und wie wichtig besonders die Resilienz an dieser Stelle für uns alle ist.

    Gegen Ende 2020 kamen Meldungen über einen Hack der ZS Firma SolarWinds auf. Dies führte dazu, dass sehr viele Verantwortliche großer US Konzerne und Ministerien in Panik gerieten. Doch worum geht es dabei genau? Und inwiefern ist es relevant für jeden von uns?

    Die Bedeutung dieses Vorfalls wird deutlich sichtbar wenn man das Unternehmen im Zentrum der Meldung, die Firma SolarWinds aus Austin, Texas (USA), genauer betrachtet. SolarWinds ist ein Dienstleister für Softwarelösungen im IT- und Netzwerkmanagement, insbesondere im Sektor IT-Sicherheit. Mit den Produkten von SolarWinds können Datenbanken und Systeme verwaltet, sowie Datenflüsse optimiert und verfolgt werden.

    Neben US-Regierungsbehörden wie dem Pentagon, Nuklearforschungseinrichtungen und diverser US-Geheimdienste befinden sich auch die 500 größten US-Unternehmen unter den 300.000 Kunden dieses Anbieters. Die Angreifer haben sich damit also nicht nur ein einzelnes Ziel herausgesucht, sondern sich sehr geschickt den Zugriff auf viele Kunden von SolarWinds, inklusive Geheimdiensten, gleich mit gesichert. Die Angreifer sind, bildlich dargestellt, bei einem „Schlüsseldienst“ eingebrochen und haben nicht nur nur einen Schlüssel, sondern gleich den Generalschlüssel zu den Kundensystemen mehrerer Unternehmen erbeutet. Dadurch hatten sie die Möglichkeit, dort überall Zugriff zu erlangen.

    Laut SolarWinds sind etwa 18.000 der 33.000 Nutzer der Plattform Orion betroffen. Diese hatten ein Update, das mit der sogenannten „Sunburst“ Hintertür kompromittiert war, eingespielt (Update des Zeitraums März-Juni 2019). Immerhin wurden bereits kurze Zeit später, im September 2019, erste Anzeichen für einen Angriff auf SolarWinds festgestellt. So wurde die Firma von einem Sicherheitsfachmann explizit gewarnt, dass man mit dem Passwort „solarwinds123“ jederzeit Zugriff auf den Updateserver von SolarWinds erlangen könne. Zudem wurden diverse potenzielle Zugriffsmöglichkeiten auf SolarWinds schon 2017, also zwei Jahre zuvor, auf einem Exploit-Forum zum Kauf angeboten.

    Doch wie genau sind die Hacker nun vorgegangen, um so viele Systeme infiltrieren zu können? Sie haben direkt am Build-Prozess angesetzt, also dort, wo mehrere Quelldateien zusammengeführt und in ein lauffähiges Konstrukt konvertiert werden. Die „Sunburst“ Schadsoftware wurde über die Orion-Plattform eingeschleust, und mit gültigen Schlüsseln von SolarWinds zertifiziert. Nach der Installation des Updates wurde der Trojaner nicht sofort, sondern erst nach einer Ruhezeit von zwei Wochen aktiv. Er verband sich mit dem Internet, analysierte das Netzwerk, sammelte Daten, und lud weiteren Schadcode herunter.

    Auch deutsche Unternehmen und Behörden sind von der Attacke betroffen, zum Beispiel das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), die Wehrtechnische Dienststelle (WTD) und das Robert-Koch-Institut (RKI) [6], Wenn nun aber Behörden Zugang zu privater Kommunikation haben, kann durch solche Hacks in der Folge kaskadenartig auch gleich die private Kommunikation einer Vielzahl von Nutzern kompromittiert werden. Sowohl fremde Regierungs- als auch sonstige Organisationen mit Hacker-Wissen könnten dies via „Backdoors“ oder „Frontdoors“ angreifen und ausnutzen, wie am Beispiel des SolarWinds Hacks nun eindrucksvoll exemplarisch demonstriert wurde.

    Die Lehre aus diesem Angriff ist daher, dass IT-Sicherheit nur dann gewährleistet ist, wenn bekanntgewordene Verwundbarkeiten von IT-Systemen konsequent geschlossen statt bewusst offen gehalten werden.

  • Freiheit in der Coronakrise – Individuum und Gesellschaft

    Freiheit in der Coronakrise – Individuum und Gesellschaft

    Die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Coronavirus Pandemie werden oft als Angriff auf die bürgerliche „Freiheit“ kritisiert. Schränkt die Mund-Nasen-Bedeckung also unzulässig unsere Freiheit ein? Ganz im Gegenteil! Diese Diskussion lenkt derweil von wirklichen Gefahren für unsere freiheitliche Gesellschaft ab.

    Was bedeutet also bürgerliche Freiheit?
    Die Freiheit des Individuums ist Grundlage unserer demokratischen Gesellschaft. Insbesondere in Bezug auf die Coronakrise aber zeigt sich, dass die Freiheit des Einen jene seines Nächsten unmittelbar beeinflussen kann, da die Eindämmung der Pandemie vom Verhalten Aller abhängt. Freiheit kommt also mit Verantwortung, für sich selbst genauso wie für Mitmenschen im Umfeld. Dabei ist es die staatliche Aufgabe, individuelle Interessen auszubalancieren, sodass die Freiheiten jedes Einzelnen maximiert werden, ohne in Konflikt miteinander zu stehen.

    Der Konflikt zwischen Freiheit und Verantwortung wurde schon seit Langem in der Philosophie diskutiert. Im frühen 20. Jahrhundert, unter dem Eindruck aufkommender diktatorisch-kollektivistischer Ideologien in der Sowjetunion und Deutschland, wurde der Konflikt zwischen Individuum und Gemeinschaft in der Philosophie zentral. Im Nachkriegs-Deutschland wurde mit Finanzminister Ludwig Erhard, Vertreter des Ordoliberalismus, die Soziale Marktwirtschaft zum Ausgleich individueller und gemeinschaftlicher Bedürfnisse entworfen. Hierzu schrieb Erhard: „Eine Freiheit, die nicht um das Ganze weiß, eine Freiheit, die sich nur an individuellen, egoistischen Interessen ausrichtet und dafür womöglich noch staatlichen Schutz oder Duldung fordert, wird zu einem Zerrbild dieses höchsten Wertes.“ Was auf das Wirtschaftssystem bezogen war, gilt auch für das gesellschaftliche Leben generell.

    Nach Jahrzenten des staatlichen Rückzuges sehen manche Kommentatoren die Gefahr, dass ein ungezügeltes Dogma des Liberalismus die zu Grunde gelegte Freiheit selbst zerstört. So warnt ein kürzlich erschienener Essay in der Süddeutschen Zeitung: „In der Demokratie ist es Aufgabe der Politik, dass sich die Sphären des Individuellen und des Kollektiven verbinden, durchdringen.“ Dazu passend schrieb die Philosophin Annemarie Pieper bereits 2013 in Philosophie-inDebate: „Die praktische Vernunft ist es, die dem Einzelnen Einschränkungen seiner Freiheit gebietet, um der Freiheit aller willen.“

    PIRATEN mögen in der Vergangenheit Freibeuter geheißen haben, aber auf einem Schiff braucht es Teamgeist – geradezu die Grundlage für die solidarische Gesellschaft freier Individuen.

    Deshalb fordern wir, die Autoren:

    1. Coronavirus-Maßnahmen aufrechterhalten – die Infektionen müssen runter und dort dauerhaft bleiben
    2. Freiheitliche Bürgerrechte schützen – insbesondere auch online, ohne Überwachung
    3. Partizipation sichern – Bedingungsloses Grundeinkommen zur wirtschaftlichen Teilnahme und persönlichen Entfaltung
    4. Umweltschutz befördern – eine gesunde Umwelt ist unser aller Lebensgrundlage und damit notwendig zum Frieden zwischen den Völkern
  • Eltern und Corona: Zwischen finanziellen und gesundheitlichen Problemen

    Eltern und Corona: Zwischen finanziellen und gesundheitlichen Problemen

    Die Infektionszahlen steigen wieder und überall liest man von der nun kommenden zweiten Welle. Auch im Landkreis Berchtesgadener Land steigen zur Zeit die Infektionszahlen, weshalb für den ganzen Landkreis nun ein Lockdown beschlossen wurde. Seit Dienstag müssen alle Schulen und Kitas geschlossen bleiben [1]. Nur eine Notbetreuung soll als Kita-Ersatz angeboten werden, welche jedoch nur für Kinder zur Verfügung steht, deren Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten [2].

    Doch was hat das für Auswirkungen auf Eltern, die keinen Zugang zur Notbetreuung haben? In solchen Familien bleibt häufig die einzige Lösung, dass ein Elternteil von der Arbeit Zuhause bleibt, was jedoch aber viele Probleme mit sich bringt.
    Zum Einen erscheint es im ersten Moment doch widersprüchlich, dass die Politiker einerseits gar nicht oft genug beschwören können, wie wichtig es ist, Schul- und Kitaschließungen zu vermeiden. Andererseits sprechen die zweiwöchigen Schließungen im Corona-Hotspot Berchtesgadener Land eine ganz andere Sprache. Dort wurden nun nämlich im Zuge des Lockdowns alle Schulen und Kitas geschlossen, obwohl eine Studie des Robert-Koch-Instituts (RKI) nahelegt, dass Kitas keineswegs einen großen Anteil am Infektionsgeschehen haben [3]. Zusätzlich zu den Schließungen aufgrund des Infektionsgeschehens kommen nun auch noch die Streiks der Gewerkschaften ver.di und GEW im öffentlichen Dienst, also teilweise auch in Betreuungseinrichtungen [4].

    Natürlich haben die Erzieher*innen das gute Recht zu streiken, aber das kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Deswegen waren während der Pandemie (besonders zu Beginn) bereits viele Kitas geschlossen und einige sind es nun erneut, was eine massive Belastung für die Eltern darstellt.
    Als wären die Kita-Schließungen für die Eltern nicht schon schlimm genug, werden diese leider oft zu kurzfristig angekündigt. So geschehen etwa in Fürstenfeldbruck und Olching, wo trotz des geringen Anteils der Einrichtungen am Infektionsgeschehen am Freitag beschlossen wurde, dass bereits am Montag rund die Hälfte der Kinder nicht in die Schule bzw. die Kita können [5]. Die Eltern wurden auf diese Art kurzfristig vor viele Probleme gestellt, da natürlich auch keine Notbetreuung angeboten werden konnte. Man musste für sein Kind also über´s Wochenende auf die Schnelle irgendeine Betreuung organisieren. Egal in welcher Situation die Familie lebt, am Ende bleiben immer dieselben zwei Möglichkeiten: Großeltern oder Urlaub. Normalerweise würde die Entscheidung nicht wirklich schwer fallen, aber in Corona-Zeiten ist es nicht so leicht, die Kinder einfach mal schnell bei den Großeltern abzuliefern. Man steht vor der Wahl: Entweder die Großeltern einem gesundheitlichen Risiko aussetzen oder ein Elternteil nimmt Urlaub und somit auch finanzielle Einbußen in Kauf. Häufig fiel die Wahl auf letzteres, aber nicht jeder kann so spontan bezahlten Urlaub nehmen. Am Ende fällt dann schon mal die Hälfte des Einkommens weg und die Familie gerät in finanzielle Schwierigkeiten, welche diese sehr belasten können. Die Folgen sind für beide Elternteile eine sehr hohe psychische Belastung: Auf dem einen lastet der Druck, die Familie nur mit dem eigenen Einkommen über die Runden bringen zu müssen. Das andere Elternteil belasten nicht nur die finanziellen Probleme, sondern auch die Notwendigkeit, die eigenen Kindern nun rund um die Uhr adäquat zu betreuen und zu unterhalten.

    Letzten Endes sind solche psychischen Probleme nicht nur gefährlich für die Gesundheit, sondern auch für das Familiengefüge an sich, denn an so etwas kann eine Familie durchaus zerbrechen.
    Keine Frage, die Corona-Maßnahmen sind zur Zeit enorm wichtig, um das Infektionsgeschehen kontrollieren zu können, aber dennoch darf man nie die Folgen der Maßnahmen außer Acht lassen. Die Schließung von Kitas sollte immer der wirklich allerletzte Ausweg sein. Am Anfang der Pandemie wussten wir uns nicht anders zu helfen, aber mittlerweile wissen wir, dass Kitas keineswegs Treiber des Infektionsgeschehens sind, deswegen ist es durchaus vertretbar diese geöffnet zu lassen, solange es in der Einrichtung selbst keine positiven Corona-Fälle gibt. Sollte es aber doch zu Schließungen kommen, wäre eine Möglichkeit, dass ein betroffener Elternteil bezahlten Urlaub nehmen kann, dessen Kosten komplett oder zumindest größtenteils vom Staat gezahlt werden. Das würde zumindest in finanzieller Hinsicht schon einmal großen Druck von den Eltern nehmen.

    Quellen/Fußnoten:
    [1]: https://www.sueddeutsche.de/bayern/corona-bayern-news-inzidenz-ampel-1.5081423 (vom 19.10.2020)
    [2]: https://www.rnd.de/wissen/notfallbetreuung-fur-kinder-wer-hat-anspruch-wo-und-wie-wird-sie-beantragt-3SBAONKLCJASBFU6ASMHSYOJKM.html
    [3]: https://www.tagesschau.de/inland/coronavirus-landsberg-kitas-101.html
    [4]: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-heute-kita-streik-wir-eltern-sind-wegen-corona-am-limit-mordprozess-ohne-leichen-1.5080647
    [5]: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/fuerstenfeldbruck/corona-massnahmen-eltern-ueben-heftige-kritik-an-homeschooling-1.5079877

  • Zeit für Visionen – Weltraumforschungstag

    Zeit für Visionen – Weltraumforschungstag

    Helmut Schmidt sagte einst, dass man zum Arzt gehen solle, wenn man Visionen habe. Wahrscheinlich eines seiner schlechteren Zitate. Vielmehr hat man nichts in der Politik zu suchen, wenn man keine Visionen hat.

    Visionen sind es, die unsere Zukunft gestalten. Aufgabe der Politik ist es nicht nur zu verwalten, sondern Entwicklung zu stimulieren und zu lenken. Und wie soll das gehen, ohne eine Vision von der Zukunft zu haben, davon, wo hin sich die Gesellschaft entwickeln soll, wie sie mit Veränderung und Fortschritt umgehen soll?

    Eine der größten Visionen des letzten Jahrhunderts war es, Menschen zum Mond zu schicken. John F. Kennedy begründete die Aufgabe, innerhalb von weniger 10 Jahren dieses Ziel zu erreichen damit, dass es schwer sei und nicht einfach und es darum das Richtige sei, was man tun könnte. Damit sollte er Recht behalten. Die vielen Technologien und Verfahrensweisen, die durch das Apollo-Projekt entstanden, verschafften den USA jahrzehntelang einen wirtschaftlichen Vorsprung. Die Missionen inspirierten weltweit eine Generation von Technikern und Wissenschaftlern.

    Wie immer ist es bei Forschung nicht so einfach, vorher zu sagen, was man finden wird und ob und was man damit praktisch anfangen kann. Satellitentechnik erschien bei den ersten Versuchen den meisten Menschen als nette Spielerei, heute liefern fast 3000 aktive Satelliten Navigationsdaten, Kommunikation, Wetterinformationen, Landvermessung, Umweltdaten und vieles mehr. Ein erheblicher Teil der Weltraumforschung dient eigentlich der Erforschung unser Erde.

    Auch die Erkundung der anderen Planeten unseres Sonnensystems hat uns geholfen, unseren eigenen Planeten besser zu verstehen, mit der Venus als deutlicher Mahnung, wie weit ein Klima weg laufen kann, wenn die Zusammensetzung der Atmosphäre zu viele Treibhausgase enthält.

    Viele Jahrzehnte ging die Entwicklung in der Raumfahrt nur schleppend weiter, aber in den letzten Jahren hat sich die Geschwindigkeit enorm gesteigert. SpaceX landet seine Trägerraketen routinemäßig und fliegt (bisher) bis zu fünf mal mit derselben ersten Stufe; Blue Origin will das auch bald tun, mit einer noch größeren Trägerrakete. Und was macht Europa? Baut mit der Ariane 6 eine etwas billigere Wegwerfrakete. Deutschland überlegt, einen Startplatz für kleine Raketen zu bauen.

    Was fehlt, ist eine Vision.

    Eine Vision, die darauf aufbaut, was uns die ersten 70 Jahre Raumfahrt (60 davon bemannt) gebracht haben: Jede Menge Technologie und viel Alltagstechnik, die wir völlig selbstverständlich einsetzen und oft nicht mal darüber nachdenken, dass das Smartphone uns nur deshalb sagen kann, wo wir uns gerade befinden, weil in ein paar 100 km Höhe dutzende Satelliten präzise Navigationsinformationen senden. Unser Verständnis des Universums wurde enorm voran gebracht durch Weltraumteleskope und Sonden, die etliche Male gezeigt haben, dass unsere Vorstellungen falsch waren und auch etliche Male bestätigt haben, was Theorien vorher sagten.

    Der Forschung folgten oft die praktischen Anwendungen. Satelliten mit präziser Abstandsmessung bestätigten Annahmen aus der Allgemeinen Relativitätstheorie, ähnliche Technik kommt heute kommerziell zur präzisen Landvermessung zum Einsatz. Ressourcen und Erkenntnisse gibt es in großen Mengen im Weltraum, auch solche, die uns helfen werden, unseren Planeten lebenswert zu erhalten.

    Aus all diesen Gründen ist es Zeit, dass Europa aufhört, klein zu denken und stattdessen wirklich in die Weltraumforschung und Raumfahrt investiert. Einen Airbus schmeißt man nicht nach einem Flug weg, warum tut man das mit einer Ariane-Rakete?

    Nicht zum Arzt, sondern (z.B.) zu den Sternen geht man mit einer Vision.

  • Kann man mit Finanzentzug oder Abschaffung der Polizei insgesamt Polizeigewalt reduzieren oder verhindern?

    Kann man mit Finanzentzug oder Abschaffung der Polizei insgesamt Polizeigewalt reduzieren oder verhindern?

    Originaltitel: Eliminating or reducing police violence by abolishing or defunding the police?
    (Freie Übersetzung nach Jeffrey Ian Ross, US-amerikanischer Spezialist für Polizeigewalt und Kriminologie und Preisträger des John Howard Award des Jahres 2020 der Academy of Criminal Justice Sciences.)

    Es war vorhersehbar: Mit einer derart großen Anzahl an Protestierenden, die sich gegen den Mord an George Floyd durch einen weißen Polizeibeamten stellen, antworteten viele Polizisten wiederum mit Gewalt.

    In der letzten Woche konnten wir aus erster Hand oder über die sozialen Medien viel unangebrachte, nichtprovozierte, gewaltvolle sowie exzessive Polizeigewalt (unter anderem Würgegriffe, Festhalten durch Knien auf Brust/Rücken, Tränengas, Vertreiben der Personen durch Polizeifahrzeuge, Gummigeschosse, …) als Antwort auf friedlichen Protest beobachten.

    Als jemand, der Polizeigewalt studiert hat, kann ich sagen, dass diese Praxis in der Geschichte der USA tief verwurzelt ist. Und obwohl Gewalt durch die Polizei in immer weniger Fällen rechtlich erlaubt ist, (beispielsweise durch den Standard „force continuum“), ist es nach wie vor Praxis geblieben, was zum Teil auf das Rechtssystems (beispielsweise Immunität der Polizeibeamten), die Macht der Polizeigewerkschaften und andere soziale Institutionen zurückzuführen ist. Eines der vorherrschenden Themen in der Geschichte der amerikanischen Polizeiarbeit waren Forderungen nach Veränderung und die Notwendigkeit von Reformen. Aber die Polizei zu ändern war ein harter Kampf; es gab nur wenige Siege und viele Rückschläge.

    Gleichzeitig mit dem Versuch der Demokratischen Partei, Polizeireformgesetze durch den Kongress zu verabschieden, haben in jüngster Zeit zwei relativ radikale Vorschläge durch Proteste, Nachrichten und soziale Medien Aufmerksamkeit erregt: Abschaffung/Abbau der Polizei und Entzug von finanziellen Mitteln.

    Obwohl diese Forderungen eine gewisse Unterstützung finden, stoßen sie erwartungsgemäß auf den Widerstand konservativer Politiker und Experten und Polizeigewerkschaften, weil diese Wählerschaften das Gefühl haben, dass ihre Macht in Frage gestellt wird. Sie haben Angst vor Gruppen, die diese Positionen vertreten, und die Alternativlösungen müssen noch klar festgelegt werden. Es gibt auch die Auffassung, dass wir die Polizei nicht einfach abschaffen können. Denn wenn wir das täten, bliebe die Frage, wer uns vor Kriminellen beschützen wird?

    Radikal oder nicht, in Minneapolis sind Bemühungen im Gange, die Polizeistationen „abzubauen“ und einen neuen Mechanismus zu entwickeln, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. In New York City kündigte Bürgermeister Bill de Blasio, der nach den Polizeiaktionen im Zusammenhang mit den jüngsten Protesten heftig kritisiert wurde, am späten Sonntagabend an, dass er plant, die finanziellen Mittel des NYPD zu kürzen.

    Die jüngsten Entwicklungen werfen die Frage auf, ob die Abschaffung wirklich eine so utopische Idee ist. Nicht ganz. Zum Beispiel werben die Quäker und ein großer Kreis im akademischen Bereich der Kriminologie und Strafrechtspflege seit sehr langer Zeit für die Abschaffung von Gefängnissen. Neben der Gründung der Internationalen Konferenz über die Abschaffung der Strafen, der Abhaltung halbjährlicher Treffen, regelmäßigerPodiumsdiskussionen bei akademischen Konferenzen und einer wachsenden Zahl an Stipendien, war ihr größter Erfolg, das Bewusstsein für die Kostspieligkeit von Gefängnissen sowohl finanziell als auch in Bezug auf den menschlichen Tribut zu schärfen, den sie denjenigen, die inhaftiert sind, ihren Lieben und dem Rest der Gesellschaft abverlangen. Wenn wir über den Abbau der Polizei nachdenken, sind wir gezwungen, auch andere mögliche Mechanismen in Betracht zu ziehen, die die gleichen Ziele erreichen können, die wir den Polizeidienststellen anvertrauen.

    Eine Zwischenposition ist die Umverteilung der Polizeibudgets. Die meisten Amerikaner sind schockiert über die extrem hohen Summen, die sie für die Polizei ausgeben und den Prozentsatz, den sie in unseren Stadt- und Bezirkshaushalten verbrauchen. Zum Beispiel gibt allein das NYPD 6 Milliarden Dollar pro Jahr aus.

    Wie kommt es dazu? Jedes Jahr stehen Chefs und Kommissare der Polizei bewaffnet mit ausgefallenen PowerPoint-Präsentationen vor Rathaus- und/oder Bezirksvorständen und erklären, warum sie mehr Geld benötigen. Im Interesse des organisatorischen Überlebens ist das sinnvoll. Denn nur wenige gewählte Politiker wollen bei der Kriminalitätsbekämpfung schwach erscheinen (erinnern Sie sich an Willie Horton). Also kapitulieren sie und winken diese aufgeblähten Polizeibudgets fast durch. Ebenso haben Polizeigewerkschaften und Akkreditierungsstellen die Polizeibehörden und die ihnen obliegenden Regierungsstellen dazu gedrängt, ihre Budgets auf ein alarmierendes Niveau zu erhöhen.

    Unter der Annahme, dass die Budgets weitgehend unverändert bleiben, müssen wir sicherstellen, dass die Polizeibudgets für die Dinge ausgegeben werden, für die die Gemeinden (nicht nur die Polizei) wollen, dass sie ausgegeben werden (d. h. Umverteilung), wie z.B. verbesserte Polizeiausbildung, bessere Beziehungen zwischen den Polizeibehörden, polizeiliche Rechenschaftsmaßnahmen, polizeiliche Sportligaprogramme (ähnlich dem Baltimore-Beispiel) usw. Aber alles nur in dem Ausmaß, das die Bürger wollen.

    Die Alternative ist ein umfangreicherer Entzug der Finanzierung. Die Budgetkürzung der Polizei ist haushaltspolitisch sinnvoll. Seit den 1960er Jahren haben die US-Bürger die politischen Entscheidungsträger und Gesetzgeber aufgefordert, die Unsummen, die sie für das Militär ausgeben, zu kürzen. Als Reaktion darauf haben die Bürger öffentliche (auch Regierungs-) „Watchdog“-Agenturen gegründet, die die Ausgaben von Regierungsbehörden überwachen, um sie im Zaum zu halten.

    Es sind viele Ideen im Umlauf, was mit dem Überschuss an Polizeibudgets oder mit den vorgeschlagenen Haushaltserhöhungen geschehen soll. Man könnte das verbleibende Geld in Programme und Fachleute (z. B. Sozialarbeiter, öffentliche Lehrer, etc. ) umlenken, die der Gemeinschaft auf verschiedene Weise nutzen können. Warum muss man zum Beispiel einen Polizisten rufen, wenn ein Obdachloser störendes Verhalten an den Tag legt? Ein geeigneterer Fachmann für diese Aufgabe könnte ein Sozialarbeiter sein, der für den Umgang mit dieser Bevölkerungsgruppe ausgebildet ist.

    – mit freundlicher Genehmigung des Autors Jeffrey Ian Ross.

  • Zwischen Abgeordneten, lauter PIRATEN und Corona: Mein Praktikum im (leeren) Europaparlament

    Zwischen Abgeordneten, lauter PIRATEN und Corona: Mein Praktikum im (leeren) Europaparlament

    Noch nicht einmal ein Jahr ist es her, dass ich meinen Mitgliedsantrag an die Piratenpartei geschickt habe. Hätte mir damals jemand erzählt, dass ich innerhalb der nächsten Monate bei den PIRATEN so viele spannende, interessante und auch verantwortungsvolle Aufgaben erledigen darf, so viel Neues dazulernen werde, so viele nette Leute kennenlernen werde und sogar ein dreiwöchiges Praktikum bei unserem Abgeordneten Patrick Breyer im Europaparlament machen darf, hätte ich das hundertprozentig nicht geglaubt. Ehrlich gesagt kann ich das selbst jetzt noch nicht mal richtig begreifen. Aber so ist das nun mal in der Piratenpartei. Wir sind nicht einfach ein Haufen Nerds oder Politikneulinge, sondern eine buntgemischte und motivierte Truppe, die die Hoffnung auf eine bessere Welt noch nicht aufgegeben hat und mit ihren begrenzten Mitteln alles dafür tut, die Welt Stück für Stück hin zum Positiven zu verändern. Da eröffnen sich schnell mal neue, bisher ungeahnte Möglichkeiten.

    In diesem Blogbeitrag möchte ich einen Einblick geben, welche Erfahrungen und Eindrücke ich während meiner Zeit im Europaparlament sammeln konnte, wo ich als „dahergelaufener“ 18-jähriger Informatikstudent überhaupt sinnvoll helfen konnte und wie das Coronavirus meine Pläne durchkreuzt hat.

    Der erste Tag

    Mein erster Arbeitstag im Parlament war der 9. März. Um 10:30 Uhr holte mich Daniel Mönch, unser politischer Geschäftsführer und Mitarbeiter von Patrick, am Haupteingang des Parlaments ab. Nach einem kurzen Zwischenhalt im Akkreditierungszentrum stellt er mir all die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Piratendelegation vor – und das sind echt erstaunlich viele. Anschließend nahm ich an der Teamsitzung von Patricks Büro teil, welche mir einen ersten Einblick davon gab, was Europaabgeordnete noch so alles machen, außer in Plenar- oder Ausschusssitzungen zu sitzen oder mit den Medien in Kontakt zu stehen. Ebenso wurde mir bereits jetzt klar, wieso jeder Abgeordnete auch mehrere Mitarbeiter benötigt und was – zumindest so grob – deren Aufgabe ist. Nach der Teamssitzung richteten wir mir noch die nötigen Zugänge für die IT-Infrastruktur des Parlaments ein, und schon konnte die Arbeit beginnen. Von 16 Uhr bis 17 Uhr war dann Fraktionssitzung der Fraktion „Grüne/EFA“, der die Abgeordneten der Piratenparteien angehören. Die ganze Sitzung drehte sich allein um die Frage, ob die Abgeordneten trotz des Coronaviruses weiter vom Parlament aus arbeiten müssen oder nicht. Was noch keiner wusste: in nicht einmal 24 Stunden ist bereits die letzte Sitzung bzw. Veranstaltung vorbei, die in nächster Zeit überhaupt im Parlament stattfinden wird. Anschließend ging es in die erste und zugleich auch schon letzte Plenarsitzung, die ich mir während meines Praktikums von der Zuschauertribüne aus angeschaut habe. Auch diese drehte sich nur um Corona – jedoch nur 15 Minutem, weil nach dieser kurzen Zeit die Sitzung schon wieder beendet wurde. „Ansteckungsrisiko verringern“ war der Grund dafür, ebenso wie für die Absage fast aller weitern Plenarsitzungen in dieser Woche.

    Eine Woche im EU-Parlament

    In meiner ersten Woche als Praktikant war wirklich kein Tag auch nur ansatzweise ähnlich wie der andere – davon abgesehen, dass ich mich immer weigerte, schon um 17:30 Uhr mit dem Arbeiten aufzuhören und ich abends immer noch an Mumble-Sitzungen (eine Art Telefonkonferenz) teilnahm. Abgesehen vom Schreiben von Pressemitteilungen oder dem Schneiden von Videos – Dingen, die ich auch sonst oft für die Piratenpartei mache – skriptete ich mehrere Videos, drehte ich zwei Interviews mit Patrick, übersetzte Texte wie beispielsweise einen Video-Guide für den Rest der Delegation ins Englische und schoss viele Fotos von Patrick und dem Parlamentsgebäude für zukünftige Pressemitteilungen und Sharepics für Social Media. Außerdem bekam ich weitere interessante Einblicke, wie und an was sowohl Patrick als unserer Europaabgeordneter als auch sein restliches Team arbeiten.

    Es war schon absurd, einfach so im Europaparlament rumlaufen zu können und dabei ständig Abgeordneten über den Weg zu laufen, die man vorher immer nur im Internet, auf Social Media oder im Fernsehen gesehen hat. Auf dem Weg ins Parlament Tiemo Wölken zu treffen, in einer Kantine des Parlaments unserem heißgeliebten Freund Axel Voss über den Weg zu laufen oder auf dem Weg zum Aufzug Martin Sonneborn im Gang stehen zu sehen ist definitv etwas, was einem als Politkinteressiertem gut gefällt.

    Corona bricht aus

    Nachdem bereits Montag fast alle Plenarsitzungen abgesagt worden waren, folgten am Mittwoch alle weiteren Sitzungen und sonstigen Veranstaltungen des Parlaments – egal ob Fraktionssitzung, Ausschussitzung oder Meeting einer Arbeitsgruppe. Und das auch gleich für die nächste Woche. Außerdem bekamen alle Abgeordneten und sonstigen Mitarbeiter die Anweisung, wenn möglich von zu Hause aus zu arbeiten und nicht mehr ins Parlament zu kommen. Ab dem Moment wurde es im Europaparlament von Tag zu Tag immer leerer. Donnerstag wirkte es schon wie ausgestorben, Freitag war es nochmal ein ganzes Stück leerer. An der Essenstheke in der Kantine waren wir Freitag sogar die einzigen. Gleichzeitig wurden auch die sonstigen Schutzmaßnahmenvon Tag zu Tag ausgeweitet. Wir bekamen Emails mit Anweisungen, dass wir uns von nun an nicht mehr die Hand geben oder uns umarmen sollen und dass man wenn möglich 1,5 Meter Abstand voneinander halten soll. Überall standen Desinfektionsmittelspender herum. In der Kantine konnte man sich nicht mehr selber Essen nehmen, alle Theken waren mit Folien abgedeckt, die Köche trugen alle Mundschutz, Handschuhe und Schutzausrüstung und zahlen konnte man nur noch mit Karte. Ende der Woche war so gut wie alles im Parlament zu – und auch wir Mitarbeiter von Patrick begaben uns am Wochenende letzendlich zurück nach Deutschland, um von daheim weiter zu arbeiten. Das war gerade noch rechtzeitig, denn Montag schlossen bereits alle Restaurants, Bars, Schulen und Co. in Belgien, ab Mittwoch gab es Ausgangssperren und kurz danach stellte auch Flixbus alle Busreisen ein.

    Homeoffice als Pirat

    Ab meiner zweiten Praktikumswoche war also Homeoffice angesagt, was auch sehr gut geklappt hat. An meiner Arbeitsweise hat sich dadurch eigentlich nicht großartig etwas geändert. Klar, wenn ich Fragen hatte konnte ich nicht mehr einfach jemanden im Büro fragen, sondern musste die Person anschreiben und bei den Teammeetings saßen wir nicht mehr im gleichen Raum, aber ansonsten ist eigentlich alles gleich geblieben. Das liegt aber vor allem auch daran, dass wir PIRATEN generell nahezu alles über das Internet erledigen und sich dementsprechend auch an der Arbeitsweise unserer Partei rein gar nichts geändert hat – bis auf die Stammtische, die momentan ausfallen beziehungsweise teilweise virtuell stattfinden.

    Was ich vom Homeoffice aus alles gemacht habe

    Die beiden Wochen, in denen ich von meinem Schreibtisch aus daheim gearbeitet habe, waren nahezu vollständig der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gewidmet. Hauptsächlich schrieb ich Pressemitteilungen und Skripte für Videos und übersetzte alle möglichen Texte wie beispielsweise alle Pressemitteilungen und den Video-Guide vom Deutschen ins Englische. Des Weiteren entwarf ich die Texte für Übersichtsseite zur EU-Urheberrechtsreform und zur TERREG-Verordnung, bereitete eine Menge Sharepics sowie vorformulierte Texte für Social Media vor. Und auch sonst gab es immer kleinere Aufgaben, die es zu erledigen galt – langweilig wurde mir also nicht. Hätte ich bei einem Abgeordneten einer andere Partei Praktikum gemacht, hätte ich sehr wahrscheinlich lang nicht so viele interessante und verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen dürfen – das ist definitiv auch ein Bonus, den nur die PIRATEN als Mitmachpartei bieten.

    Was ich mitnehme

    Auch wenn das Praktikum alles andere als so war, wie die normalen Praktikas im Europaparlament, nehme ich neben tollen Erinnerungen und Erfahrung auch viele interessante Einblicke in das Geschehen im EU-Parlament und die Arbeit von Abgeordneten und deren Mitarbeitern mit. Eine Sache, die mich mit am meisten überrascht hat, ist, wie sehr die Abgeordneten im EU-Parlament auch parteiübergreifend innerhalb der selben Fraktion oder innerhalb des selben Ausschusses zusammenarbeiten. Schließlich hört man in den Medien immer nur davon, wie sich die verschiedenen Parteien anfeinden und gegenseitig kritisieren, und nicht, wie sich die Abgeordneten auch gegenseitig – zumindest teilweise und meist auch nur in ihren Fachgebieten – helfen. Des Weiteren war es wirklich schön, so viele Leute zu sehen, die Vollzeit für die europäischen Piratenparteien arbeiten und mit ihrer Arbeit und ihrem Einsatz die weltweite Piratenbewegung und unsere Forderungen und Ideen voranbringen. Schließlich habe ich während meines Praktikums auch immer mehr das Gefühl bekommen, dass selbst Politiker, die aus meiner Sicht wirklich bescheuerte Positionen vertreten, teilweise auch nur das Beste für die Gesellschaft wollen und einfach der Meinung sind, dass ihre Forderungen gut für uns seien.

    Was ich euch mitgeben will

    Auch das Praktikum im Europaparlament hat mir mal wieder gezeigt, dass ich in bei den PIRATEN sehr gut aufgehoben bin und dass die Piratenpartei einfach die beste Partei ist, die ich mir vorstellen kann. Und jetzt, bald ein Jahr nach meinem Parteieintritt, und nach meinem Praktikum im Europaparlament, kann ich rückblickend nur sagen, dass ich froh bin, diesen Schritt damals gemacht zu haben, dass ich dankbar bin, dass mich zahlreiche Parteimitglieder so nett aufgenommen haben und dass ich mich auf unsere weitere gemeinsame und hoffentlich erfolgreiche Zeit schon sehr freue. Politisch läuft in Deutschland, aber auch in der EU einfach noch viel zu viel falsch – und von alleine wird es leider auch nicht besser werden, das hat mir erstmals die EU-Urheberrechtsreform gezeigt. Deshalb ist jeder einzelne gefragt: Jeder zählt, jeder ist entscheidend und jeder kann dazu beitragen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Auch du! Ich jedenfalls habe mit den PIRATEN die für mich richtige Partei gefunden und durch meinen Einsatz das Gefühl, etwas bewegen zu können und Teil von etwas Großem zu sein.

  • E-Mobilität nicht zu Ende gedacht

    E-Mobilität nicht zu Ende gedacht

    Nahezu jedes E-Auto wird in Zukunft mit bis zu 6.000 € prämiert. Wer aber über ein Pedelec, E-Bike oder Rennrad zum Pendeln nachdenkt, ist auf sich allein gestellt. Warum ist das ein Problem?

    Ein entscheidender Faktor der Mobilitätswende ist die Förderung der E-Mobilität. Darin sind sich alle einig. Und auch wenn im Internet alle möglichen Informationen rund um die „wahre Ökobilanz“ von E-Autos kursieren, der elektrische Antrieb von Fahrzeugen ist, wenn richtig eingesetzt und mit Ökostrom betrieben, eine nachhaltige Form der Mobilität. Vorausgesetzt, also richtig eingesetzt und im Sinne eines nachhaltigen Mobilitätskonzepts. E-Autos zu fördern ist also ebenso richtig, wie Solar- und Windenergie zu bezuschussen. Eigentlich.

    E-Autos kein Allheilmittel

    Auch wenn die ökologische Bilanz von E-Autos deutlich besser als ihr Ruf ist, sind E-Autos nicht das Wundermittel. Selbstverständlich lösen wir die Klimakrise nicht, indem wir mit Benzinern und Diesel vollgestopfte Innenstädte mit E-Autos vollstopfen. Dazu noch ein paar E-Scooter und das Verkehrschaos ist perfekt. Nein, eine Mobilitätswende bedeutet auch: Deutlich weniger motorisierter Individualverkehr, deutlich mehr ÖPNV und viel viel mehr Rad- und Fußverkehr. Das ist die Erkentnis, die man erlangt, wenn man sich die Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors genau ansieht und nach einer ernst gemeinten Lösung sucht.

    Warum weniger Autos?

    In den 60er Jahren haben wir mit der „autogerechten Stadt“ Städte geschaffen, die förmlich schreien: „Fahr mit dem Auto!“. Das mag vor 60 Jahren eine ganz famose Idee gewesen sein, ist aber mit dem Wissen über die globale Erderwärmung ein ernstzunehmendes Problem geworden. Das Kernproblem dieses Verkehrskonzepts liegt auf der Hand: Wir bewegen regelmäßig 2 Tonnen Masse um ca. 78 kg Gewicht zu transportieren. Dazu kommt ein erheblicher Verbrauch an Fläche. In Zeiten von Landflucht, steigender Bevölkerung und nicht zuletzt einer lebensbedrohlichen Klimakrise muss man kein Verkehrsexperte sein um zu erkennen, dass dieses Modell langfristig zum Scheitern verurteilt ist. Schon heute wird immer kleinerer Verkehrsraum unter immer mehr Menschen aufgeteilt. Man kann durchaus versuchen, das ewig weiter zu erhalten, irgendwann kollabiert ein solches System aber, bzw. ist bereits dabei, zu kollabieren. Und so lange wir den Anspruch erheben zum Transport von 78 kg Mensch 2 Tonnen Masse zu bewegen, sagt uns bereits die Physik, dass ein solches Unterfangen niemals echt nachhaltig sein kann. Man kann es so nachhaltig wie möglich gestalten und sich größte Mühe bei der Reduzierung von Ressourcen und Emissionen geben. Am Ende des Tages ist diese Form der Mobilität aber allein aus energetischer Sicht niemals wirklich nachhaltig. Die Antwort muss also darin liegen, Radverkehr, ÖPNV in einem ungekannten Ausmaß zu fördern und auszubauen. Die Piratenpartei fordert schon lange den komplett ticktetlosen Nahverkehr, den Ausbau von Rad- und Fußinfrastruktur sowie autofreie Innenstädte.

    Pedelecs unterschätzt

    Elektro-Mobilität besteht aber nicht nur aus Autos. Ein völlig unterschätztes Element der elektrogetriebenen Fortbewegung sind Pedelecs, S-Pedelecs und E-Bikes.
    Wer morgen ein neues Elektroauto kaufen möchte, bekommt bis zu 6.000 € Prämie vom Staat. Das ist schön und gut. Warum aber sind Menschen, die sich für Pedelecs und E-Bikes interessieren, finanziell auf sich allein gestellt? Ein ordentliches Pedelec ist nicht nur um ein Vielfaches nachhaltiger als jedes E-Auto, es ist ebenso eine ernstzunehmende Antwort für Pendler\*innen.
    Es mag am Automobilland Deutschland liegen, dass wir zum einen ein völlig falsches Verstädnis des Fahrrads haben und zum anderen, in bestimmten industriellen Interessen begründet, auch kein besonders großes Interesse an der Förderung von Fahrrädern haben. Dennoch liegt im Bereich der Pedelcs und E-Bikes ein vollkommen unterschätztes Potential: Mit einem ordentlichen Pedelec lassen sich weite Strecken schweißfrei und gemütlich fahren. Das Pedelec ist nicht nur günstig, es ist in vielen Fällen sogar deutlich schneller und vor allem flexibler als jedes Auto. Und wer es noch schneller will, bekommt mit einem S-Pedelec ein Fahrrad, welches ohne große Probleme 45 km/h fährt.

    Ich selbst bin Student und habe mir als Lösung für meine inner- und außerstädtische Mobilität Mitte Oktober ein Pedelec im Wert von 2.800 € zugelegt. Mit diesem Fahrzeug fahre ich zur Uni, nehme meine Termine als Kommunalpolitiker wahr und fahre auch 20-30 km nach Ingelheim oder Wiesbaden. Und ich bin weder sportbegeistert noch sonderlich masochistisch veranlagt. Im Gegenteil: Mein Studium fordert mich mit Akrobatik, Modern Dance und Fechten sportlich so sehr, dass ein normales Fahrrad für mich nicht in Frage kam. Ich hatte das Konzept „Pedelec“ als Mobilitätslösung überhaupt nicht auf dem Schirm bis ich über einen Freund erstmals überhaupt die Anwesenheit dieser Lösung mitbekommen habe. „E-Bike“ – das war für mich vorher so ein dickes, schweres Fahrrad für meine Großeltern. Dass ich von den Vorzügen dieser Lösung nichts wusste, ist schade und ein politisches Versagen. Es existiert nahezu keine politische Kampagne, die eine Investition in Fahrräder und Pedelecs bewirbt. 2.800 € Anschaffungspreis waren für mich als Stundent eine ganze Menge Geld. Sicherlich war diese Investition eine der klügsten meines Lebens, keine Frage. Dennoch hätte ich mir Unterstützung gewünscht.

    Ja, ein Fahrrad ist ein Fahrzeug

    In Deutschland scheint aber in Bezug auf Radverkehr ein falsches Verständnis vorzuherrschen: **“Jede\*r hat doch so ein Rad im Keller!“** Das Fahrrad wird nicht wirklich als Fahrzeug wahrgenommen, sondern eher als ein Accessoire oder ein Hobby. Aber ein Pedelec im Wert von knapp 3.000 € ist kein Spielzeug, sondern ein vollständiges Fahrzeug. Es dient einem klaren Zweck, hat Verschleiß und will angeschafft und gewartet werden.

    Politische Offensive gefragt

    Es ist höchste Zeit, eine politische Offensive zu starten, die dem enormen Potential von Fahrrädern, gleich ob motorisiert oder nicht, gerecht wird. Wer als Pendler\*in ein Rennrad, Pedelec oder S-Pedelec kauft, trifft nicht nur eine verdammt gute Entscheidung – er investiert in eine der nachhaltigsten Formen der Mobilität überhaupt. Er sollte mindestens im selben Maße wie ein Autokäufer in dieser nachhaltigen Investition bestärkt und gestützt werden. Bis dato fehlt es aber nicht nur an Prämien und Kaufunterstützung, überhaupt müsste eine Kampagne her, die diese Form der Mobilität stärker bewirbt und ihr zu der Größe verhilft, die sie verdient. Der Fokus auf E-Autos mag der Automobilindustrie ein großer Dienst sein – nachhaltig ist es aber nicht.

    „Pedelecs, E-Bikes und Rennräder sind kein Spielzeug ein paar sportverrückter Ökofreaks, sondern eine ernstzunehmende Antwort auf eine der drängendsten Fragen unserer Zeit.“
    Maurice Conrad, Bundesthemenbeauftragter für Umwelt, Klima und Tierschutz.