Kategorie: Gastbeitrag

  • „Mein Weg zu den PIRATEN“ oder „Politik ist eine ganz blöde Sache“

    „Mein Weg zu den PIRATEN“ oder „Politik ist eine ganz blöde Sache“

    Wer bin ich?

    Ich heiße Lorena, mein Nick ist lorycamo. Ich bin 17, Slowako-Deutsche, schreibe gern Texte und möchte Astronautin werden. Was suche ich dann eigentlich bei den PIRATEN?

    Wie alles begann…

    Die Klasse 10a sitzt im Sozialkundeunterricht. Alle sind gelangweilt, notieren also längst nicht mehr mit, was der Lehrer sagt, wenn sie ihm denn überhaupt noch zuhören.
    „…und Lorena erzählt uns jetzt etwas über die Themen der Tagesschau gestern.“
    Gerade noch so wach hebe ich den Kopf, richte meinen Blick nach vorn zum Lehrerpult.

    Tagesschau… Irgendwas mit Erdoğan war doch, oder? Und ging es nicht vor ner Woche mal um die Flüchtlinge – schon wieder?

    „Tja, da weiß ich ehrlich gesagt nichts Konkretes, aber…-“
    Mein Lehrer unterbricht mich, als er aufsteht und betrübt den Kopf senkt.
    „Es interessiert euch also wirklich nicht, was in der Welt passiert, das ist bedauerlich. Ich würde euch empfehlen…-“
    Die Klasse flüstert. Mein Sitznachbar beugt sich zu mir rüber:
    „Als könnten wir jemals was dran ändern, was da vor sich geht… ist doch eh deprimierend.“
    Ich verdrehe die Augen, stütze meinen Kopf lethargisch in die rechte Handfläche.
    Die Stunde heute zieht sich ja eeeewig…

    Und dann?

    Tja, dann kam die Oberstufe. Ich lebe in Rheinland-Pfalz, das bedeutet, mein Land macht es mir praktisch fast unmöglich, Sozialkunde abzuwählen.
    So besuche ich also eine öde Unterrichtsstunde nach der nächsten. Zumindest habe ich einen neuen Lehrer, den Unterricht verstehe ich immer noch nicht, ich verbringe meine Freizeit doch nicht mit Politik… die Parteien die im Bundestag sitzen, sind doch sowieso alle nichts für mich!

    Die CDU ist mir zu verstaubt, Merkel spricht mir zu langsam.
    Von der SPD hab ich die Schnauze voll, immerhin wohne ich in einem SPD-infestierten Kaff- wenn gewählt wird, taucht das ganze Dorf in ein grelles Rot. Wofür die so stehen, scheint ihnen aber selbst nicht so klar zu sein.
    Die Grünen kommen mir irgendwie unsympathisch vor, als wäre die Art Politiker eine vom Aussterben bedrohte Tierart und überhaupt, irgendwie muss Politik doch aus mehr bestehen als aus Umweltschutz?
    Die FDP macht hübsche Plakate, aber ich finde sie kalt und weltfremd, die Linke ist mir zu DDR-ig und die AfD scheint irgendwie unter einer bizarren Angststörung zu leiden.

    Politik ist mir einfach fremd und es kommt mir vor, als würde keine Partei so wirklich das verkörpern, was ich fühle oder will. Ich kann doch eh nichts ändern, denke ich mir.

    Wie ich innerhalb eines Tages alles wegwarf und umdachte

    „Du, Lorena, hast du Lust am Samstag mit mir nach Saarbrücken zu fahren? Da soll so eine Demo gegen Artikel 13 und so sein. Ich will nicht alleine gehen.“
    Janine ist meine beste Freundin, ihr Traumberuf ist freischaffende Künstlerin. Unter einem Pseudonym betreibt sie einen winzigen YouTube-Kanal und kann irre gut zeichnen.
    „Du weißt, es geht ja irgendwo um meine Zukunft, ich mag am Ende sagen können: Wenigstens hab ich es probiert.“
    Ich lehne mich in meinem Schreibtischstuhl zurück, nehme das Telefon in die andere Hand. Wirklich Lust habe ich ehrlich gesagt nicht. Aber vielleicht können wir nach der Demo etwas essen. Abends steigt sowieso eine Party, da können wir uns auch früher treffen und zusammen da hin gehen. Was hab ich zu verlieren?
    „Fein, dann bin ich dabei. Wann soll ich dann an dem Tag bei dir aufkreuzen?“

    Als Janine und ich an dem Samstag auf den Vorplatz des Theaters kamen, hatten sich bereits eine Menge Menschen eingefunden und marschierten gerade los.
    Auf den Plakaten wurde ein gewisser Herr Voss kritisiert, und es ging irgendwie um Filter im Internet. Ich hatte mir flüchtig ein Video zur Thematik angesehen, anscheinend so flüchtig, dass ich tatsächlich keine Ahnung hatte, wogegen ich die nächsten zwei Stunden demonstrieren sollte.
    „Wer sind eigentlich diese Piraten?“, frage ich. In der Menge sah ich eine Handvoll orangener Flaggen, auf denen wiederum das Logo einer Flagge und der Parteiname prangte.

    Die zeigen ja wirklich… Flagge.

    „Das sind die Organisatoren, soweit ich weiß. Die haben auch den Stand aufgebaut und organisieren die Rednerrunde oder so.“
    „Keine Ahnung, wer das ist.“
    Und so zogen wir an dem Tag durch die Straßen, ich verlor fast mein Gehör wegen der Trillerpfeifen, aber was mich mitriss, war der Geist der Menschen.

    Die hier stehen für etwas. Die hier klagen an, fordern… Gerechtigkeit. Die Frage, die ich mir all die Jahre in Zusammenhang mit Politik gestellt hatte: Wo bleibt die Gerechtigkeit?

    Und hier, in der großen Menge, stellte man dieselbe Frage.
    Langsam aber sicher fing ich an, in die wütenden Rufe der Demonstranten mit einzustimmen.
    Nach der Demo schrieb ich meinem Freund:

    • Ich: demo ist um 😀
    • Ich: sind jetzt fancy essen
    • Er: und wie wars so?
    • Ich: hat spaß gemacht
    • Ich: fühle mich jetzt politisch engagiert
    • Ich: zum ersten mal in meinem leben
    • Er: yay
    • Er: ich liebe dich

    Ich glaube das war der Schalter, der umgelegt werden musste.

    Und was bringt dir das jetzt?

    Naja, lasst mich noch fertig erzählen.
    Am nächsten Mittwoch druckte ich den Mitgliedsantrag aus.
    Am Donnerstag lief ich quer durch die Walachei meines geliebten Kaffs, um den Brief einzuwerfen.
    Am Freitag stieß ich auf der Piratenwebsite auf eine Ausschreibung zum Team der Öffentlichkeitsarbeit und schrieb sofort eine Mail zur Bewerbung.
    Am Samstag bekam ich die Einladung in die Teamsitzung auf Mumble für den Montag.
    Mein Mitgliedsantrag erreichte Berlin an eben diesem Montag, an dem ich bereits vom Presseteam warm und herzlich begrüßt wurde.
    Wenig später folgte mein Beitritt zur AG Drogen- und Suchtpolitik.
    Am 14.04.2019 um 20:05 Uhr erfolgte dann mein offizieller Beitritt, 23 Tage nach der Demo.
    Meine hauptsächliche Nachmittagsbeschäftigung ist nun das Informieren über aktuelle Themen und das zeitnahe Lektorieren von Pressemitteilungen. Manchmal schreibe ich auch Texte und manchmal spreche ich mit anderen PIRATEN über ihre Erfahrungen. Manchmal öffne ich mein Fenster europaweit und nutze die Chance, Einblicke in beispielsweise Patrick Breyers Parlamentsarbeit zu erlangen.
    Und Sozialkunde macht Spaß, wenn man weiß, worum es geht.
    Ich jedenfalls habe meinen Platz im Team gefunden, habe das Gefühl, etwas bewegen zu können und Teil von etwas Großem zu sein.

    Nun wünsche ich dir, lieber Leser, dass du auch deinen Platz in der Welt findest, sei es bei den Grünen, Christdemokraten oder den PIRATEN. Natürlich würde ich mich freuen, dich bald in unserer Gemeinschaft anzutreffen, immerhin sind PIRATEN nicht nur Datenschutz und Internet, Umwelt, Gerechtigkeit, Freiheit und Dialog, sondern auch eine Familie, ein Ratgeber und eine Gruppe von Kämpfern, die für eine bessere Zukunft zusammenstehen.
    Ich hoffe, du konntest durch meine Perspektive deine eigene etwas erweitern und dass du darüber nachdenkst, ob du nicht auch dein Leben einmal ganz auf den Kopf stellen möchtest.

  • 70 Jahre Grundgesetz – brauchen wir ein neues?

    70 Jahre Grundgesetz – brauchen wir ein neues?

    Am 1. September 1948 trat der Parlamentarische Rat, ein von den Länderparlamenten der westlichen Besatzungzonen gewähltes, aus 61 Männern und 4 Frauen bestehendes Gremium, zusammen und begann seine Beratungen über eine neue deutsche Verfassung. Am 23. Mai 1949 wurde diese Verfassung nach einem Mehrheitsbeschluss der Länderparlamente verkündet. Dieser Tag gilt damit gleichzeitig als Geburtsstunde der (alten) Bundesrepublik. Mit Rücksicht auf die drohende Teilung Deutschlands sprach man damals aber noch nicht von einer deutschen Verfassung, sondern von einem Grundgesetz, das zunächst für den westlichen Teil Deutschlands gelten sollte.
    Über vierzig Jahre später ging der Plan der Gründer der Bundesrepublik endlich auf. Mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 erlangte das als Interimslösung gedachte Grundgesetz dann tatsächlich den Status einer Verfassung für alle in Deutschland lebenden Menschen.
    In seiner Entstehung vor 70 Jahren war es dennoch ein Provisorium, aber eines von der Sorte, denen man gemeinhin nachsagt, dass sie lange halten. Das hat augenscheinlich sehr viel mit der Qualität seiner Aussagen zu tun. Die meisten Artikel des Grundgesetzes haben bis heute im Originaltext Bestand und das ist gut so.

    Es stellt sich allerdings immer mehr die Frage, ob das Grundgesetz in unserer gesellschaftlichen Realität tatsächlich noch die Rolle spielt, die ihm als allgemeingültige Verfassung definitiv zusteht. Insbesondere müssen sich unsere führenden Politiker fragen lassen, ob sie das Grundgesetz vielleicht doch irgendwie falsch verstanden haben, obwohl sie sich doch so gerne darauf berufen.

    Aussagen, die tief blicken lassen

    Kanzlerin Merkel (CDU) gab am 1. September 2011 auf einer Pressekonferenz in einem der bei ihr nur sehr selten auftretenden Momente, in denen sie Dinge klar benennt, ihr etwas seltsames Demokratieverständnis zu Protokoll. Sie findet Demokratie ja gar nicht schlecht, aber marktkonform sollte sie schon sein.

    Frau Merkel – wir haben uns das Grundgesetz in seiner aktuellen Fassung als PDF-Datei herunter geladen und es nach dem Wort „Markt“ durchsucht. Das Ergebnis ist schier unglaublich: Es kommt dort nicht ein einziges Mal vor. „Systemrelevant“ auch nicht. „Demokratie“ taucht als Wort im Übrigen ebenfalls nicht auf; als Adjektiv hingegen häufiger. Besonders gut gefiel uns in diesem Zusammenhang der Artikel 20, der mit dem Satz beginnt: „Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ Aber um das Soziale kümmert sich ja zum Glück die SPD; seit gefühlt 30 Jahren mit ständig nachlassendem Erfolg und entsprechend zurecht sinkenden Wählerstimmen.

    Christian Lindner (FPD) geht in seinem ebenso steten wie vehementen Bemühen, den „freien Markt“ zu verteidigen, noch einen Schritt weiter als unsere Noch-Kanzlerin. In der aktuellen Debatte um Enteignungen, die in Artikel 15 geregelt sind, entblödet er sich nicht einmal, Änderungen am Grundgesetz selbst zu fordern: „Artikel 15 passt nicht zur sozialen Marktwirtschaft. Er ist ein Verfassungsrelikt und wurde aus gutem Grund nie angewandt. Ihn abzuschaffen, wäre ein Beitrag zum sozialen Frieden und würde die Debatte wieder auf das Wesentliche lenken.“
    Jetzt mal Butter bei die Fische, Herr Lindner: Wenn Sie schon solche Sprechblasen von sich geben, sollten Sie wenigstens bei der Wahrheit bleiben. Enteignungen hat es nicht nur in der gerne als Schreckgespenst beschworenen DDR gegeben, sondern sehr wohl auch in der alten Bundesrepublik. Betroffen waren allerdings selten Personen oder Unternehmen, von denen die FDP Parteispenden kassiert, sondern meist Privatleute oder kleinere Firmen, deren Grundstücke dem Bau einer Autobahn oder – höchst aktuell – einer Stromtrasse im Wege standen. Viele Grüße an dieser Stelle an Herrn Altmaier (CDU) und sein NABEG (Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz), das sehr deutlich die doppelten Standards entlarvt, die beim Thema Enteignung für die einen gelten und für die anderen eben nicht.

    Zurück zum Artikel 15

    Er lautet: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden…“ Das geht in den Augen von Marktradikalen wie Lindner natürlich gar nicht, weil es den „sozialen Frieden“ und vor allem den gigantischen Wohlstand ihres Klientels ganz erheblich gefährden würde.
    Ich empfehle Herrn Lindner in diesem Zusammenhang dringend, Artikel 14, Absatz (2) nachzulesen. Dort steht nicht: „Eigentum ist nur sich selbst und seiner Mehrung verpflichtet. Sein Gebrauch dient ausschließlich dem Wohl seiner Besitzer.“

    In der Auslegung des Grundgesetzes geht die sogenannte „Alternative für Deutschland“ besonders selektiv zu Werke. Stephan Brandner hielt vor ein paar Tagen eine flammende Rede zur Verteidigung unserer Verfassung. Er behauptete allen Ernstes, die „AfD sei die einzige Partei der Rechtsstaatlichkeit“ und bezichtigte die „Altparteien“ recht pauschal, diese ständig zu verletzen.
    Hauptthema der AfD ist und bleibt die Asylpolitik. In Artikel 16a, Absatz (1) heißt es zunächst: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“. Die folgenden Absätze 2 bis 5, die erst in den 1990iger Jahren eingefügt wurden, schränken dieses Asylrecht erheblich ein, worauf sich die AfD sehr gerne beruft. Tatsächlich verstößt das AfD-Parteiprogramm gerade in der Asylfrage komplett gegen das Grundgesetz; Stichwort Obergrenze. Jeder, der eine solche fordert (Grüße auch nach Bayern bzw. ins Heimatministerium), hebelt Artikel 16a grundsätzlich aus. Dass die AfD das individuelle Asylrecht an sich abschaffen will, sprich, sich in dieser Frage am Grundgesetz selbst vergreift, machten Weidel und Gauland bereits 2017 deutlich und äußerten auch ganz konkrete Vorstellungen, wie die Alternativen dazu aussehen könnten.

    Bezug nehmend auf diese menschenverachtenden Aussagen blättern wir mal ganz an den Anfang des Textes des Grundgesetzes:

    „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ – Artikel 1 (1)
    Nicht dagegen: „Die Würde des Deutschen ist unantastbar.“

    „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ – Artikel 2 (2)
    Jeder, nicht nur die Deutschen in Deutschland. Deshalb darf es uns auch nicht gleichgültig sein, wenn Menschen, die aus Verzweiflung vor Krieg oder Perspektivlosigkeit aus ihrer Heimat geflüchtet sind, im Mittelmeer ertrinken.

    „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ – Artikel 3
    Die nicht nur von der AfD betriebene, wenig subtile Vorab-Differenzierung in „kriminelle Ausländer“ und „brave Deutsche“ halte ich daher für definitiv unzulässig.

    Brauchen wir ein neues Grundgesetz?

    Da sich die PIRATEN konsequent auf dem Boden der Verfassung bewegen, beantworte ich diese Frage mit einem ganz klaren Nein. Es bedarf aus gegebenen Anlässen sicherlich einiger Ergänzungen; denken wir z.B. an die Festschreibung der Lenkung der Digitalisierung oder der konsequenten Durchsetzung dringend notwendiger Maßnahmen zur Erhaltung unserer Umwelt.
    Wir PIRATEN wollen den vorhandenen Text des Grundgesetzes nicht ändern oder gar Passagen streichen. Uns geht es vielmehr darum, diesen Text und unsere gesellschaftliche Realität wieder in größere Übereinstimmung zu bringen. Zuviel davon ist uns in den letzten Jahren verloren gegangen. Wir werden uns auch weiterhin mit allen demokratischen Mitteln gegen den aktuell immer weiter voranschreitenden Abbau bürgerlicher Rechte zur Wehr setzen.

    Freiheit. Würde. Teilhabe.
    Dafür stehen wir und dafür brauchen wir eure Stimme bei der Europawahl 2019.

  • Reform des Transsexuellengesetzes – Lasst mich endlich selbst bestimmen!

    Reform des Transsexuellengesetzes – Lasst mich endlich selbst bestimmen!

    Seit so vielen Jahren fordern wir eine Reform des „Transsexuellengesetzes“ (TSG) und endlich soll es soweit sein: Justiz- und Innenministerium legen einen Gesetzesentwurf vor und verschlimmbessern damit die Lage für Betroffene.

    Das TSG ist mit fast 40 Jahren massiv veraltet. Mehrere Teile wurden bereits vom Verfassungsgericht gekippt und so ist es wenig verwunderlich, dass jetzt eine Reform kommen soll … eher, dass es so lange gedauert hat. Grund für den Vorstoß von Justiz- und Innenministerium dürfte aber das Gesetz zum „dritten Geschlechtseintrag“ sein, welches Anfang des Jahres in Kraft trat.

    Das Gesetz war eigentlich dafür gedacht, lediglich Inter*Menschen, also solchen, die von Geburt an körperlich nicht eindeutig männlich oder weiblich sind, die Möglichkeit zu geben, den Geschlechtseintrag „divers“ zu erhalten. Dabei war es handwerklich aber so unsauber verfasst, dass theoretisch JEDER den eigenen Geschlechtseintrag ändern lassen könnte. Eine Chance, die speziell Trans*Menschen genutzt haben, die das bisher nur unter massiver Schikane über das TSG tun konnten.

    Für einen kurzen Zeitraum hatten wir also tatsächlich Selbstbestimmung … verrückt, ich weiß. Entsprechend liegt nun der neue Entwurf vor, der die Situation lösen soll, und statt der üblichen Wochen haben die Verbände genau 48 Stunden Zeit, zu reagieren und ihre Meinung kundzutun. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

    Die guten Seiten

    Aber kommen wir doch zum Gesetz selbst, denn tatsächlich ist nicht alles schlecht. Ein paar positive Änderungen gibt es, auch wenn diese leider sehr schnell abgehakt sind.

    Zuallererst fällt die „Unwirksamkeitsklausel“ weg. Diese besagt, dass Trans*Personen, die mehr als 300 Tage nach dem Beschluss ein Kind bekommen, ihren geänderten Namen wieder verlieren. Das Offenbarungsverbot wurde erweitert, so dass es in Zukunft einfacher wird, Zeugnisse und ähnliche Dokumente auf den neuen Namen ändern zu lassen. Zudem ist erfreulich, dass Trans*Personen ganz offiziell den Eintrag „divers“ nutzen können.

    Auch die Pflicht zu zwei psychotherapeutischen Gutachten soll wegfallen, diese mussten bisher selbst gezahlt werden und das konnte gerne mal 1000€ kosten. Das ist besonders unangenehm, wenn man bedenkt, dass der Gutachter natürlich auch ein negatives Gutachten ausstellen kann. Stattdessen wird es nun eine „Beratung“ geben, deren Kosten der Staat trägt. Genau hier wird es aber wieder schwierig:

    Bei der „Beratung“ geht es nicht, wie zu erwarten, darum, die Betroffenen über mögliche Behandlungswege und Risiken, sowie rechtliche Dinge aufzuklären, sondern darum, am Ende zu bescheinigen „ob sich die betroffene Person ernsthaft und dauerhaft einem anderen oder keinem Geschlecht als zugehörig empfindet“ … Erneute Fremdbestimmung also. Wieder einmal muss man darauf hoffen, dass die beratende Person einem gut gesinnt ist und sich nicht als transphob herausstellt.

    Das Verfahren

    Hat man nun also die Bescheinigung in der Tasche, wird es Zeit für den nächsten Schritt: Das Gericht. Ja, Ihr lest richtig! Anstatt mit der Bescheinigung einfach zum Standesamt zu gehen und den Geschlechtseintrag ändern zu lassen, muss man weiterhin durch ein Gerichtsverfahren, welches wiederum oft mehrere hundert Euro Kosten und mehrere Monate Wartezeit mit sich bringt. Nicht zu vergessen die psychische Belastung, die es mit sich bringt, vor Gericht dafür kämpfen zu müssen, endlich man selbst sein zu dürfen.

    Und damit kommen wir auch schon zu einer der schlimmsten Neuerungen: Bist du verheiratet, wird auch dein Partner angehört. Das klingt zwar erst einmal logisch, ist aber eine sehr schlechte Idee. Der Umgang mit der Transidentität des Partners ist nicht immer einfach und leider gibt es auch so manch extreme Reaktionen, um die Transition zu verhindern. Zum Beispiel der Versuch, das gemeinsame Sorgerecht zu entziehen. Dieser Extremfall wird jetzt noch massiv verschärft. So kann eine Aussage, die jener der betroffenen Person entgegensteht, im Zweifel dazu führen, dass das Gerichtsverfahren verloren wird.

    Besonders unangenehm: Das neue Gesetz sieht drei Jahre Wartezeit nach einem abgelehnten Antrag vor. Wenn man also das Pech hat, einen Gutachter oder Richter zu erwischen, der ein Problem mit Trans*Menschen hat, bedeutet das im schlimmsten Fall weitere drei Jahre verschenkte Lebenszeit.

    Offiziell will man damit verhindern, dass man Namen und Personenstand zu häufig ändert. Es wirkt aber eher wie der Versuch, Menschen davon abzuhalten, es überhaupt zu versuchen. Viele Betroffene werden sich zweimal überlegen, ob sie denn schon „bereit“ für das Verfahren sind oder nicht doch noch warten, bis sich das Passing weiter verbessert. Wertvolle Zeit, die verloren geht.

    Es gibt noch zahlreiche weitere Probleme, (so ist die Definition des Innenministeriums von „trans“ völlig realitätsfern und Verwandtschaft wird vom Offenbarungsverbot ausgenommen), aber dann würde der Artikel vermutlich zehn Seiten lang werden. Stattdessen möchte ich ein paar Verbesserungsvorschläge einbringen:

    Was braucht ein neues Trans*Gesetz

    Wie gehts weiter mit dem Geschlechtseintrag? Hier sehe ich zwei sinnvolle Optionen. Entweder jeder Mensch bekommt die freie Wahl und kann den Eintrag auf Wunsch ändern lassen, oder wir schaffen ihn einfach gleich ab. Schließlich leben wir in einer Zeit, in der die Gesellschaft immer weniger nach Geschlechtern trennt und die Grenzen ohnehin verschwimmen.

    Eine Beratung halte ich für sinnvoll, aber bitte eine echte Beratung, kein verstecktes Gutachten. Hier sollte über die medizinischen Vorgänge, die rechtlichen Änderungen und alle Aspekte rund um die Transition aufgeklärt werden. Meinetwegen auch über mehrere Sitzungen. Das Entscheidende: Die beratende Person bescheinigt nur die Teilnahme an der Beratung, nicht ob sie die betroffene Person als trans sieht. Dadurch ist sichergestellt, dass umfassend informiert wurde, ohne jedoch in die Selbstbestimmung einzugreifen.

    Als dritten Punkt sollte das Gerichtsverfahren wegfallen. Gerichtsverfahren kosten Unmengen an Geld, Zeit und Nerven, nur damit man am Ende für knappe 10 Minuten vor dem Richter steht. Stattdessen sollte ein einfacher Gang zur zuständigen Behörde genügen. Zu dieser bringt man dann die oben genannte Beratungsbescheinigung mit und die Sache ist erledigt.

    Depressionen und psychische Belastung

    Ich bin selbst betroffen und spreche teilweise aus persönlicher Erfahrung, teilweise aus Berichten anderer. Viele Menschen in meinem Freundeskreis sind ebenfalls trans* und nicht zuletzt durch meine Mitgliedschaft im Diversity-Jugendzentrum in München erlebe ich häufig aus nächster Nähe, wie belastend die aktuelle Situation für manche Menschen ist. Viele Betroffene leiden unter Depressionen, da sie oft weder von der Gesellschaft, noch der eigenen Familie akzeptiert werden.

    Eine Umfrage aus den USA gibt an, dass 41% der teilnehmenden Trans*Personen schon einmal versucht haben, sich umzubringen, der Durchschnitt in den USA liegt bei 4,6%. Es ist nicht einfach, belastbare Zahlen für Deutschland zu finden, aber man kann mit Sicherheit sagen, dass Trans*Menschen überproportional vertreten sind. Der neue Gesetzesentwurf wird die Lage für Betroffene sicher nicht verbessern. Im Gegenteil, er wird Leben kosten.

    Anmerkung: Depressionen
    Depressionen sind eine ernstzunehmende Krankheit, aber man muss da nicht alleine durch. Wenn Du Hilfe brauchst, wendest Du Dich am besten direkt an Deinen Hausarzt oder die Deutsche Depressionshilfe. Immer erreichbar ist die TelefonSeelsorge unter 0800/111 0 111.

    Anmerkung: Trans*Hilfe
    Bist du selbst trans* oder glaubst es sein zu können? Dann gibt es einige Vereine, die Dir helfen können. So bietet der TransInterQueer e.V. eine umfassende Liste mit lokalen Angeboten an und auch TransMann e.V. ist bundesweit aktiv.

  • CO2-Steuer – Lösungsansatz oder Irrweg

    CO2-Steuer – Lösungsansatz oder Irrweg

    Die Erde hat sich seit 1850 um über ein Grad erwärmt. Der Anstieg des Kohlendioxid-Gehaltes in unserer Atmosphäre von 280 auf 420 ppm (parts per million) ist dafür die Hauptursache. Einhergehend mit der Erderwärmung häufen sich, statistisch belegbar, weltweit Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, schwere Stürme und Überschwemmungen, die enorme Schäden verursachen. Klimasimulationen besagen, dass eine weitere Erwärmung um 4 Grad Celsius bis 2100 mit unabsehbaren, katastrophalen Folgen droht, wenn wir so weiter wirtschaften wie bisher. Könnte eine CO2-Steuer dieser verhängnisvollen Entwicklung entgegen wirken?

    Die Erderwärmung ist eines der gravierendsten Probleme unserer Zeit. Dies gilt mittlerweile als breiter, durch wissenschaftliche Daten gestützter gesellschaftlicher Konsens. Dabei kommt die Tatsache an sich beileibe nicht als neue Erkenntnis daher. Die Klimaforscher präsentieren ihre Ergebnisse und ihre damit verbundenen Warnungen schon seit mehr als 30 Jahren.

    Neu ist dieser breiter gewordene Konsens, initiiert vor allem durch junge Menschen und ihre Bewegung Fridays For Future. FFF bringt die alteingesessenen, eher der Wirtschaft zugeneigten „Profis“ schwer ins Grübeln, aber noch nicht genug ins Schwitzen. Ihre Argumentationslinien brechen zusammen, ihre Glaubwürdigkeit leidet. Die Politiker unter den Profis befürchten sogar Wählerschwund und schlagen deshalb in letzter Zeit ganz zaghaft neue Töne an. An ihrem grundsätzlichen Herangehen an die Sache ändert das freilich wenig. Auch diese neuen Töne klingen, hört man genauer hin, wie die alten Lieder – nur in Moll, weil man nun zumindest eingesehen hat, wie deprimierend alle Bemühungen, das Klimaproblem in den Griff zu bekommen, bislang verlaufen sind.

    Die Idee einer CO2 – Steuer

    Es gibt bereits eine Reihe von Ländern, die diese Steuer erheben. Die Schweden kennen sie seit 1991. Seit Ende April wird erstmals auch eine deutsche CO2-Steuer ernsthaft diskutiert. Die Frage ging zwar sehr schnell im Strudel anderer „wichtigerer Themen“ unter, aber deshalb ist sie noch lange nicht vom Tisch.

    Wie üblich übernahm die SPD in Gestalt der von ihr gestellten Umweltministerin Schulze die Rolle der Überbringerin der schlechten Botschaft. Und wie üblich feuerten die GroKo-“Partner“ der SPD, die CDU/CSU sofort aus allen Rohren zurück. Da soll noch einer sagen, die deutsche Politik sei nicht vorhersehbar.

    CO2-Steuer vs. Emissionshandel

    FDP-Vollprofi Lindner betrachtet die Angelegenheit immerhin etwas differenzierter. Statt einer CO2-Steuer favorisiert er den Ausbau des Emissionshandels. Die Idee, die dahinter steckt, ist folgende: Betreiber von Anlagen, die CO2 emittieren, müssen je Tonne frei gesetztes CO2 ein Zertifikat zu einem bestimmten Preis erwerben. An sich eine gute Idee. Bei näherer Betrachtung stellt sich Lindners Vorschlag, der auch von Teilen der Union mitgetragen wird, jedoch als klassische Nebelkerze heraus.

    Der CO2-Zertifikatshandel wurde bereits im Jahre 2005 auf europäischer Ebene installiert, konnte aber bis dato keinen nennenswerten Beitrag zur Verminderung des CO2-Ausstoßes leisten. Die Begründung dafür ist sehr einfach. Bei weitem nicht alle Anlagenbetreiber sind in der Pflicht, „Verschmutzungsrechte“ zu erwerben. Die Sektoren Verkehr (außer Flugverkehr) und Wärmeerzeugung bleiben komplett außen vor, obwohl sie für über 50% der CO2-Emissionen verantwortlich sind. Außerdem steht der aktuelle Preis für ein CO2-Zertifikat, in keinem vernünftigen Verhältnis zum (zukünftigen) Schaden, den die Anreicherung des Gases in der Atmosphäre verursacht. Er ist in den letzten Jahren zwar von 5 auf 26 Euro gestiegen, lag aber auch schon mal unter 2 Euro je Tonne. Das hängt u.a. damit zusammen, dass schlicht zu viele Zertifikate im Umlauf sind.

    Herr Lindner möchte den Zertifikatshandel nunmehr reformieren, ihn sogar ausweiten und weiß dabei ganz genau, dass die dazu notwendige europäische Gesetzgebung Jahre in Anspruch nehmen würde; Zeit, die wir nicht haben.
    Politiker wie Lindner lassen keine Gelegenheit aus, den „sich selbst in vernünftiger Weise regulierenden freien Markt“ vehement zu verteidigen. In Wirklichkeit aber organisieren sie diesen Markt klammheimlich straff im Sinne ihrer Lobby. Genau das haben sie hinsichtlich des Zertifikatshandels getan und versuchen nun, das gefundene „erfolgreiche Modell“ weiter zu führen.

    Die inhaltliche Ausgestaltung einer CO2-Steuer

    Eine deutsche CO2-Steuer, die alle CO2-Emissionen erfasst, ließe sich wesentlich schneller umsetzen. Die SPD peilt Ende 2019 dafür an. Das Konzept der Sozialdemokraten sieht vor, die Steuer vollständig an anderer Stelle an die Verbraucher zurück zu geben. Es gibt Berechnungen, nach denen untere Einkommen von der Steuer sogar netto profitieren. Von der SPD betriebene wahrhaftige Sozialpolitik – das wäre mal etwas Neues. Wir befürchten allerdings, dass auch dieser Ansatz von einem faulen GroKo-Kompromiss hinweggespült wird. Die Union kann sich, Stand Anfang Mai, eine CO2-Steuer mittlerweile durchaus vorstellen – im Rahmen einer Steuerreform, bei der die Unternehmen entlastet werden. Da wissen wir doch, wohin das zusätzlich eingenommene Geld am Ende fließt.

    Besser als eine Steuer, die im ganz großen Topf landet, dessen Inhalt dann nach Gutdünken der Regierung verteilt wird, wäre ohnehin eine zweckgebundene CO2-Abgabe, die ausschließlich für Maßnahmen zur Reduzierung der CO2-Emissionen verwendet wird.
    Bleiben wir aber der Einfachheit halber bei einer Steuer.

    Die CO2-Steuer in Zahlen

    Welcher Preis wäre dann angemessen? Laut einer neuen Studie des Internationalen Währungsfonds würden 70 Dollar (rund 62 Euro) pro Tonne CO2 genügen, die Weltwirtschaft schnell genug zu dekarbonisieren, um das in Paris formulierte 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Das Umweltbundesamt nannte jüngst die Zahl von 180 Euro und bezifferte damit den Schaden, die jede vom Menschen frei gesetzte Tonne CO2 an unserer Umwelt verursacht.
    Die jungen Wilden von FFF haben diesen Wert aufgegriffen und leiten daraus die Höhe der von ihnen geforderten CO2-Steuer ab. Eine gerechte und – das sollten selbst die Fans strikten, ökonomischen Rechnens an dieser Stelle eingestehen – auch wirtschaftlich sinnvolle Forderung. Wir missbrauchen unsere Atmosphäre schon viel zu lange als Mülldeponie und müssen endlich erkennen, dass das Abladen von Müll schon heute einen Preis hat. Wenn sich unsere Jugend dagegen wehrt, diesen Preis in der Zukunft alleine zu bezahlen, ist das nur allzu verständlich.

    Man müsste eine Zahl irgendwo zwischen 62 und 180 Euro finden, oder auch erst einmal mit 30 Euro anfangen. Der eigentliche Knackpunkt ist jedoch: Die Steuereinnahmen müssten zweckdienlich, sprich tatsächlich für eine konsequente Hinwendung zu erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz verwendet werden. Durch sinnvolle Investitionen in mehr moderne Gebäudetechnik, Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen, Elektromobilität, ÖPNV, Wärmepumpen und vor allem in Energiespeicher ließe sich der vom CO2 getriebene Klimawandel stoppen. Laut IWF für 62+ Euro pro Tonne CO2. Und wären solche Investitionen nicht sogar gut für die Wirtschaft? Dann ginge allerdings der SPD-Plan, die Steuer komplett an den Bürger zurück zu geben, nicht auf. Oder vielleicht doch? Die Steuer könnte, längerfristig betrachtet, sogar zu sinkenden Energiepreisen führen.

    Wen die Steuer trifft…

    62 Euro pro Tonne CO2 bedeuten allerdings sofort einen Preisaufschlag von ca. 15 Cent je Liter Benzin bzw. 17 Cent für Diesel. Das sind freilich knallharte Fakten, die die Autonation Deutschland bis ins Mark erschüttern. Mit ihnen kann man hervorragend gegen eine CO2-Steuer wettern und trifft dabei voll den Nerv der Deutschen. Die sind zwar zu 85% der Meinung, dass man etwas gegen den Klimawandel tun müsse, lehnen aber zu 65% eine CO2-Steuer ab.

    Die PIRATEN wollen sie dennoch, aber eben keine in der von CDU/CSU favorisierten Richtung, die wiederum nur Otto Normalverbraucher treffen würde. Wir bevorzugen den nachhaltigen und erfolgreichen schwedischen Ansatz. Dort, wie auch in der Schweiz, werden die Einnahmen an den Bürger zurück gegeben; teils direkt, teils , indem der Staat ganz bewusst Technologien subventioniert, die geeignet sind, den CO2-Ausstoß zu reduzieren.

    Das ganze Geschrei über die Verteuerung von Treibstoffen und Heizmaterialien verschleiert im Übrigen einen ganz wichtigen Fakt, der auch nur vereinzelt in den Leitmedien angesprochen wird: Welcher Wirtschaftssektor bläst eigentlich das meiste CO2 in die Luft?

    …und wen sie stattdessen treffen sollte

    Statistiken belegen klar, dass der Verkehr zwar eine gewichtige Rolle spielt, unangefochtener Spitzenreiter ist aber die Energiewirtschaft. Sie hatte auch im Jahre 2017 in Deutschland einen Anteil von knapp 41% an den Gesamtemissionen von Treibhausgasen. Dieser Anteil ist gegenüber den Vorjahren kaum gesunken. Warum eigentlich? Die Technologien der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen sind seit Jahren ausgereift. Sie werden allerdings zu wenig und wenn, dann nicht an der richtigen Stelle gefördert und in vielen Punkten sogar aktiv behindert.

    Dass für eine einzige Kilowattstunde Braunkohlestrom ca. 1,1 kg CO2 in der Luft landen, wird sehr selten thematisiert. Die Rechnung, was Braunkohlestrom mit einer CO2 – Steuer von, sagen wir wieder 62 Euro je Tonne kosten müsste, enthält man uns vorsichtshalber ganz vor. Die Stromgestehungskosten (das ist verkürzt gesprochen der Preis, für den eine Kilowattstunde Strom produziert werden kann) würden sich für Braunkohlestrom um ca. 6,9 Cent pro Kilowattstunde erhöhen. Sie lagen 2018 mit 4,5 bis 8 ct/kWh bereits über denen von großen Photovoltaik-Freiflächenanlagen (3,8 bis 6,5 ct/kWh) und waren mit denen der onshore Windkraftanlagen vergleichbar. Wohlgemerkt ohne CO2-Steuer und erst recht ohne Berücksichtigung der vom Braunkohletagebau hinterlassenen Landschaftsschäden.

    Die Steuer würde also den Weiterbetrieb von Braunkohlekraftwerken plötzlich völlig unrentabel machen. Der Ökostrom, der ständig als viel zu teuer verteufelt wird, wäre auf einen Schlag günstiger. Und das Beste daran: Wir können ihn selbst produzieren! Wir könnten es umso besser, je mehr der Staat die eingenommene Ökosteuer für die Förderung erneuerbarer Energien verwendet. Wir könnten unserem Nachbarn überschüssigen Strom für 12 ct/kWh oder weniger verkaufen. Wir könnten Bürgerenergie-Genossenschaften gründen. Kommunen könnten ihre Energieversorgung in die eigenen Hände nehmen, vollständig basierend auf erneuerbaren Quellen. Kurz und gut – bereits eine moderate CO2-Steuer wäre das endgültige und ziemlich kurzfristige Aus für alle deutschen Kohlekraftwerke.

    Schon bis Ende 2019 könnte ein Viertel der vorhandenen Kohlekraftwerksleistung stillgelegt werden. Dafür müsste der Staat nicht einmal Entschädigungen an die Eigentümer zahlen, weil die meisten der betroffenen Kraftwerke über 40 Jahre alt und als schlimmste Dreckschleudern damit betriebswirtschaftlich abgeschrieben sind.
    Ersatzkapazitäten stehen in Form von deutlich ökologischeren Gaskraftwerken und künstlich klein gehaltenen Erneuerbaren ausreichend zur Verfügung.

    Warum passiert das dann nicht?

    Das weitere Betreiben einer Anlage, deren Investitionskosten komplett zurück geflossen sind, lohnt sich einfach viel mehr, als in eine neue zu investieren; also zumindest solange der Betrieb nicht durch eine CO2-Steuer sanktioniert wird. Und natürlich wollen FDP und Union keine Sanktionen für ihre Kernklientel.

    Was Anlass zu verhaltenem Optimismus gibt: Bei den Big Playern der Energiewirtschaft selbst setzt das Umdenken ein. RWE hat sich von den Planungen neuer Kohlekraftwerke endgültig verabschiedet. Bei der Entscheidung dürften weniger die Einsicht in die Notwendigkeit, sondern vielmehr ökonomische Parameter eine Rolle gespielt haben. Aber sei‘s drum – wir begrüßen den Schritt von RWE und hoffen, andere Energieriesen werden folgen.

    Die Rolle des mündigen Verbrauchers

    Nach dieser eher distanzierten Betrachtung der Fakten stünde uns ein wenig Reflexion des eigenen Tuns gut zu Gesicht; auch wenn‘s schmerzhaft ist. Wie groß ist der pro Kopf CO2-Fußabdruck der Deutschen? Im Wikipedia findet man hierzu eine sehr aufschlussreiche Tabelle. Rund neun Tonnen CO2 pro Kopf im Jahr 2016. Wir könnten jetzt mit dem Finger auf alle Nationen zeigen, die in der Rangliste vor uns liegen. Das würde zwar unser Selbstwertgefühl steigern, aber keinen Beitrag zur Erreichung des Pariser Klimaziels liefern. Dazu müssten wir uns mit ungefähr zwei Tonnen pro Kopf und Jahr begnügen. Vielleicht verkaufen uns ja die Afrikaner die notwendigen Emissions-Zertifikate…

    Viele Deutsche werden beim bloßen Gedanken, auf irgendetwas verzichten zu müssen, ganz spontan totenblass. Aber ist ein wenig Verzicht nicht ein kleiner Preis dafür, unseren Kindern und Kindeskindern einen bewohnbaren Planeten zu hinterlassen? Und überhaupt – ist es tatsächlich Verzicht, wenn wir unsere Lebensweise ganz bewusst ändern? Müssen wir tatsächlich allen Segnungen, die uns die Werbung verheißt, wie Lemminge hinterherlaufen, die Klippe schon vor Augen?

    Brauchen wir tatsächlich den 300 PS SUV, der mehr als 10 Liter Diesel auf 100 km umsetzt, wenn wir uns damit vornehmlich in der Stadt bewegen? Genügt dafür nicht ein 50 PS Elektroauto, das wir idealerweise mit unserer eigenen Solaranlage aufladen? Bei der Preisdifferenz zwischen dem SUV und dem kleinen Stromer würde diese heutzutage locker mit abfallen. Müssen wir tatsächlich drei Mal im Jahr irgendwo hinfliegen, um dem grauen Alltag zu entfliehen? Das Graue könnte schon viel bunter werden, würden wir einfach mal wieder mehr miteinander reden – vielleicht sogar darüber, wie wir unsere Politiker zwingen könnten, in der Klimafrage endlich das Richtige zu tun.

    Eines kristallisiert sich immer mehr als unumstößliche Tatsache heraus: Entweder wir ändern unsere Art zu leben freiwillig oder die Umstände werden uns mittelfristig ziemlich brutal dazu zwingen. Lassen wir‘s nicht darauf ankommen.

  • Notre-Dame als GAU des Internet der freien Kommunikation

    Notre-Dame als GAU des Internet der freien Kommunikation

    Notre-Dame brennt, ein Ereignis von historischem Ausmaß. Youtube untertitelt die Videos jedoch mit Infobox-Texten aus der Encyclopedia Britannica zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Zensur-Bots hatten vorsorglich die Videos als Fake News identifiziert und den Inhalt entsprechend kommentierend „richtig“ gestellt.
    Einen besseren Live-Test für die Fehlbarkeit der schöngedachten neuen Internet Welt kann es nicht geben. Die Dimension der Fehlinterpretation AI-getriebener Bots, einer künstlichen Intelligenz (KI, im englischen Artifical Intelligence: AI), prallt frontal gegen frisch verabschiedete Gesetze. Gesetze, die davon ausgehen, dass AI in der Lage sein würde, intelligent zu zensieren.
    Die deutsche Geschichte ist reich an Satire über Zensurbehörden. Da haben jedes deutsche Reich und jede deutsche Republik ihre ganz eigenen Qualitäten entwickelt. Aber: Immer waren es Funktionäre, Beamte oder andere Funktionsträger. Immer waren es Menschen.

    Mit AI-Zensur-Bots, darunter auch der Upload Filter, wird ein neues Kapitel in der Zensurgeschichte aufgeschlagen. Es könnte heißen „Zensur im Zeitalter der fremdgesteuerten Ahnungslosigkeit – alienated ignorance-AI“. Bis dato war es eine Amtshandlung, eine Entscheidung, eine Weisung, ein Verbot, gegen das man sich zum Teil wehren, das man vielleicht austricksen konnte. Jetzt wird die Verantwortung auf eine dritte Macht, götter- oder schicksalsgleich verschoben. In den Medien heißt das dann, dass der „Youtube-Algorithmus .. gescheitert“ sei. Ein Algorithmus ist eine Handlungsvorschrift, eine Dienstanweisung, ein Script Code, programmiert von einem verschlafenen Programmierer mittlerer Intelligenz, geplant von einem Systemarchitekten mit mittlerer Intelligenz in Erwartung einer höheren Intelligenz. Später wird man sagen: „so entstand die Matrix“.
    Was für eine Informationswelt entsteht, wenn unsere Bilder und Töne von AI vorzensiert werden? Wer verbreitet dann Fake News? Die aktuelle Entwicklung der großen Informationskanäle, in Reaktion auf neue Internet Gesetze ist jetzt schon verheerend, obwohl sie noch in keinem europäischen Land verabschiedet wurden.

    Vom Profit getriebene Interessen der traditionellen Kunstverwerter zerstören organisch gewachsene Suchalgorithmen, entstanden aus dem Bedürfnis, das zu finden was man sucht. Inzwischen kann man sich nicht mehr sicher sein, ob das Angebotene nur scheinbar das Gewünschte ist. Vielleicht entschied ein Zensur-Bot, lieber die „Richtige“ Alternative abzuspielen.
    Vielleicht ist es aber auch ein Marketing-Bot, der (nach der Werbung) bezahlten Inhalt präsentiert, der zu irgendetwas überreden soll, geschickt zugeschnitten auf die Suchanfrage.
    Wo wird mein hochgeladenes Material eingeordnet? Gibt es vielleicht wieder schwarze Listen? Klopft irgendwann ein Sicherheitsorgan an meine Tür? Wer kontrolliert das Ganze?

    Notre-Dame ist nicht nur ein Sinnbild der Verletzlichkeit unserer Symbole, die im Anblick ihrer Zerstörung Gefühle auslösen, einen besten Freund verloren zu haben. Notre-Dame ist zugleich ein Symbol dafür, wie das Internet der freien Kommunikation geschlachtet wurde. Geschlachtet und ausgeweidet, im vorauseilenden Gehorsam, von den Internet-Giganten selbst.
    Die Triade aus geldgeilen Verlagen, an Selbstüberschätzung leidenden Politikern und moralinsauren Mediendebatten macht die Weiten der Ozeane zu einer nebligen Brühe aus Geisterbildern und Truglichtern. Folgen Sie bitte dem grünen Licht…
    Es ist Zeit, sich neue Surfreviere zu suchen. Piraten lieben das freie Meer und die freie Sicht.

  • Urheberrechtsreform und Inklusion

    Urheberrechtsreform und Inklusion

    Für behinderte Menschen ist das Internet nicht nur das Fenster zur Welt, sondern oft auch die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen. Artikel 13/17 würde dem einen Riegel vorschieben. Ein Gastbeitrag von einem Betroffenen.

    In Deutschland sollen Menschen mit einer Behinderung gefördert werden, so dass ihre Nachteile, seien sie psychischer oder physischer Natur, ausgeglichen werden.
    Jedoch scheint der CDU das Thema Inklusion nicht wichtig. Die von dieser Partei mitinitiierte Reform des Urheberrechts, insbesondere der umstrittene Artikel 13 (17), hat das Potential, mein Studium und meine Existenz in Deutschland zu bedrohen.

    Über mich, mein Leben und meine Krankheit:

    In den letzten 5 Jahren verlief mein Leben vollkommen anders und weitaus schlechter, als ich es jemals geplant hatte.
    Im Jahre 2014, als ich mich gerade im 2. Semester meines Studiums befand, erkrankte ich an Colitis Ulcerosa, einer chronischen und bisher unheilbaren Darmkrankheit. Die Symptome können durch Medikamente und diverse Therapien nur unterdrückt werden. Obwohl die Erkrankung nicht selten auftritt, bekennen sich viele Betroffene nicht öffentlich dazu, sei es aus Scham oder aus Angst, von den Mitmenschen abgelehnt zu werden. Die Krankheit hat mir damals das Weiterführen meines Studiums verwehrt. Es ist mir kaum möglich, das Haus zu verlassen. Die schlaflosen Nächte und die Nebenwirkungen der Tabletten und Infusionen haben mich vollkommen verändert; psychisch als auch physisch. So wiege ich heute fast 20 Kilo weniger.
    Das Schlimmste aber ist: Ich gelte als austherapiert, weil jegliche Behandlungen keine Wirkung gezeigt haben. Dafür waren einige davon mit so starken Nebenwirkungen verbunden, dass ich nicht einmal mehr die einfachsten Tätigkeiten ausführen konnte.
    Nach dem unvermeidlichen Abbruch meines Direktstudiums schrieb ich mich bei einer Fernuni ein, um keine Lücke in meinem Lebenslauf entstehen zu lassen und meine Zukunftschancen zu wahren.
    Die letzten Jahre konnte ich einigermaßen normal leben. Der Preis dafür sind hohe Kortison-Dosierungen und die Einnahme sehr vieler Medikamente. Dennoch blieb mir das längere Verlassen meiner Wohnung nach wie vor verwehrt.
    Schließlich musste ich meinen Stolz beiseite schieben und öffentliche Hilfe in Anspruch nehmen. Ich schickte also meine Patientenakte und einen Antrag an das Versorgungsamt, um meinen GdB (Grad der Behinderung) zu bestimmen. Nach kurzer Zeit erhielt ich eine Bestätigung, sodass ich nun mit schwerbehinderten Menschen gleichgestellt bin.

    Was also tun in meiner Situation?

    Auf Youtube und Twitch bin ich seit längerem unter „DeinRoXas“ bekannt. Ich helfe Menschen und unterhalte sie mit meinen Livestreams. Es gelang mir, dieses Hobby zu einem Nebenjob umzufunktionieren. Ein „normaler“ Nebenjob war und ist aufgrund meiner Krankheit bis heute undenkbar für mich. Eigentlich war es schon immer mein Traum, mein Hobby eines Tages zum Beruf zu machen. Dank der aktuellen Politik von CDU und SPD rückt dieser Traum allerdings in weite Ferne; mehr noch: Diese Politik stürzt mich in existenzielle Nöte.

    Was bedeutet die Urheberrechtsreform für mich?

    Mein Hobby als Nebenjob hat es mir bislang ermöglicht, mein Studium zu finanzieren und meine Einschränkungen durch die Behinderung auszugleichen.
    Die Reform des Urheberrechts wird diese Option vollkommen zunichte machen. Die Groko-Parteien ruinieren meine Zukunft, meine Perspektiven, meinen Beruf und mein psychisches Wohl.
    Der Artikel 13 (17) ist in dieser Form ein Schritt in die falsche Richtung. Wenn ich Videos veröffentliche, die beispielsweise Nintendospiele thematisieren, erhebt Nintendo keinen Einspruch gegen diese Verwendung, solange bestimmte Regeln befolgt werden. [2]

    Es ergibt sich nunmehr die absurde Situation, dass ich vom japanischen Hersteller selbst die Erlaubnis habe, seinen Content unter Einhaltung dieser Regel auf Youtube zu publizieren, während im Hintergrund demnächst ein Uploadfilter droht, der genau dies verhindert. Ich verstehe an dieser Stelle nicht, wieso diverse Politiker, die offensichtlich keine Ahnung von der Materie haben, einen solchen Uploadfilter bzw. eine Erkennungssoftware einfach durchwinken.
    Kein wirklicher Funfact dazu: Die gleichen Politiker haben Uploadfilter in ihrem Koalitionsvertrag ausdrücklich abgelehnt.

    Ich frage diese Politiker:

    • Wie soll ein anderer Nebenjob in meiner speziellen Situation, die aber viele andere aus den unterschiedlichsten Gründen ebenso betrifft, auszuüben sein?
    • Wie soll ich in Zukunft mein Leben, mein Studium, handhaben, wenn mir mein Nebenjob, den ich von zu Hause aus ausüben konnte und der mir noch etwas Freude am Leben bereitet, verliere?

    Es kann gut sein, dass ich diesen Nebenjob bald aufgeben muss, verbunden mit der bitteren Erkenntnis, dass die führenden Politiker dieses Landes auch gegen Menschen mit Behinderung vorgehen, um die Lobbyisten, die sie an die Macht brachten und sie an der Macht halten, zufrieden zu stellen.

    Ist das nur mein persönliches Problem?

    Nein. Mit meiner Leidensgeschichte stehe ich bei weitem nicht alleine da. Es gibt viele Creator wie mich, viele Erkrankte, die vor ähnlichen Problemen stehen, sich aber nicht trauen, lautstark zu opponieren.
    Die Einführung von Uploadfiltern wird nicht nur eine enorme Änderungen für Konsumenten einbringen, sondern auch für Künstler und Kreative auf Plattformen wie etwa Twitch und Youtube.

    Bevor etwas veröffentlicht wird, sei es ein geschütztes Zitat, ein Bild, ein Video oder ein Livestream, muss geprüft werden, ob das Material gegen Urheberrechte verstößt. Diese Filter-Technik ist nach Meinung von Experten unausgereift und könnte auch Inhalte löschen, bei denen kein Verstoß vorliegt.
    Livestreams auf öffentlichen Straßen könnten gesperrt werden, wenn Musik im Hintergrund zu hören ist und der verantwortliche Creator keine Lizenzen für diese besitzt.
    Es sind viele Fragen offen, die weder IT-Experten noch die Politiker, die für Artikel 13 sind, sachgerecht und vernünftig beantworten können.
    Aufgrund dieser Unklarheiten bleibt besagten Plattformen nichts anderes übrig, als unter Umständen die gesamte EU auszugrenzen, weil sie ansonsten selbst dafür sorgen müssten, dass keine Urheberrechtsverletzungen auftreten.

    Mein Fazit:

    Ist in einer Demokratie nicht das Volk der eigentliche Souverän? Was mir Hoffnung macht: Speziell junge Menschen erheben in letzter Zeit ihre Stimme, demonstrieren, entwickeln ungeahntes und vom Mainstream wohl auch ungewolltes Interesse für die Politik. Sie werden daraufhin beschimpft, sogar als „Bots“ tituliert, welche angeblich von US-amerikanischen Konzernen beeinflusst und für Demonstrationen bezahlt werden, aber sie lassen sich nicht beirren. Interessant wird sein, wie sie bei den demnächst anstehenden Wahlen abstimmen.

    Momentan wird die Stimme der Bevölkerung jedoch ignoriert. Menschen mit Behinderungen, so wie in meinem Falle, die sich ihren Lebensunterhalt finanzieren und kaum eine andere Möglichkeit oder eine Aussicht auf gesundheitliche Besserung haben, bekommen von der CDU/CSU weitere Nachteile im Leben aufgedrückt.

    Und am Ende stellen wir uns alle nur noch eine Frage: „Welcher Aspekt hat in der heutigen Demokratie einen größeren Stellenwert? Demokratie oder Lobbyismus?“

  • „Darknet-Gesetz“: Das Ende des Home Office

    „Darknet-Gesetz“: Das Ende des Home Office

    Der Bundesrat hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, welches in Zukunft „internetbasierte Leistungen“ verbietet, „deren Zugang und Erreichbarkeit durch besondere technische Vorkehrungen beschränkt und deren Zweck oder Tätigkeit darauf ausgerichtet ist, die Begehung von [bestimmten] rechtswidrigen Taten zu ermöglichen oder zu fördern“.
    Aber was bedeutet das, und warum jaulen diese unbequemen Interneterklärer schon wieder auf?

    Wen trifft dieses Gesetz?

    Mit dem Gesetz ist explizit das sogenannte Darknet gemeint, der Teil des Internets, der nicht offen zugänglich ist. Darunter sind einige Seiten, die illegale Dienstleitungen anbieten: Waffen, dokumentierten Kindesmissbrauch, Drogen…
    Der größte Teil des Darknets besteht jedoch aus legalen Geräten, wie zum Beispiel dem Smarthome oder einem privaten Server.

    Das Gesetz trifft durch die unglaublich weit gefasste Definition aber nicht nur das Darknet, sondern alle möglichen verschlüsselten Kommunikationen im Internet. Darunter zum Beispiel sogenannte Virtual Private Networks, VPN. Vielleicht haben Sie dieses Akronym schon einmal im Zusammenhang mit Homeoffice gehört? Wenn Sie von zu Hause aus arbeiten und dabei mit hochsensiblen Kundendaten umgehen, müssen Sie einiges an Datenschutz beachten. Das bedeutet, Sie können nicht einfach so mit ihrem Firmennetzwerk kommunizieren, sondern müssen diese Kommunikation von Ihrer normalen Internetkommunikation trennen. VPN-Tunneling nennt sich das. Die Kommunikation mit Ihrem Firmennetzwerk läuft dabei im besten Fall abgeschirmt und verschlüsselt [1].

    Wie funktioniert Internetkommunikation?

    Stellen Sie sich das Internet als Stadt vor: Normalerweise läuft ihre Internetkommunikation so, dass Sie einen Postboten losschicken, dem Sie eine Postkarte mit Ihrer Frage mitgegeben haben. Dieser fährt nun zu der Adresse Ihrer Webseite, die Sie sich als Haus vorstellen können und gibt Ihre Frage ab. Dabei kann er keine direkte Route fahren, sondern fährt über bestimmte Knotenpunkte, Kreuzungen und Kreisverkehre. An der Zieladresse angekommen sucht die Webseite eine Antwort heraus, schreibt sie wieder auf eine Postkarte. Der Postbote erhält diese und kommt zu Ihnen zurück. Nun wäre es natürlich ein Leichtes für Spione, Ihren Postboten auf seinem Weg abzufangen und ihm die Postkarte abzunehmen. Man kann ebenfalls verfolgen, wo er hingeht und von wo er kommt.

    Bei verschlüsselter Kommunikation legen Sie die Postkarte vorher in eine Schatztruhe, die Sie abschließen. Adresse und Absender stehen noch auf der Kiste drauf, aber die Informationen sind für niemanden ersichtlich. Nur der Empfänger kann die Kiste aufschließen. Jedoch kann immer noch jeder nachverfolgen, mit wem Sie kommunizieren und wie oft. Die Adressen die angefragt werden stehen ja noch drauf.

    Wie funktioniert die Verschlüsselung?

    Ein VPN arbeitet so, dass es einen Tunnel zwischen Ihnen und ihren Zieladressen gräbt. Ihr Wohnzimmer ist dann, theoretisch gesehen, über einen langen Tunnel mit Ihrem Ziel verbunden. Das kann beispielsweise Ihr Arbeitgeber sein. Der Postbote kann nun ohne Umwege zu seinem Ziel laufen. Es ist zwar für einige noch möglich zu sehen, dass Informationen ausgetauscht werden, aber niemand kann diese Informationen auf Ihrem Weg abfangen. Salopp gesagt wurde Ihre Firma um ein neues Büro erweitert, dass zwar räumlich woanders ist, technisch gesehen aber im selben Gebäude.

    Der Generalverdacht – ein Aus für Homeoffice, Bankgeschäfte…

    Ohne dieses VPN wäre Homeoffice für die meisten von uns nicht möglich. Aber ein VPN ist eine internetbasierte Leitung, deren Zugang beschränkt ist und so vom Gesetz betroffen. Nur Sie können auf das VPN zugreifen – genau das ist ja der Sinn der Sache. Mit dem neuen Gesetz wäre VPN verboten.
    Natürlich wollen Sie mit Ihrer Arbeit keine Straftat begehen. Sie wollen nur Kundendaten abrufen, die Präsentation für das Meeting bearbeiten, Zahlen in Ihre Tabelle eingeben. Aber: Woher weiß die Polizei, was Sie im Internet tun? Das VPN schirmt Sie ab. Alle ihre Daten gehen durch einen Tunnel! Die Polizei müsste jeden einzelnen Postboten anhalten, die Schatzkisten öffnen lassen und kontrollieren, ob sich zwischen ihrer Mail an den Firmenvorstand nicht doch ein Joint, ein laszives Bild eines Jugendlichen oder eine Kalaschnikow befindet.
    Natürlich würden Sie das nie tun! Ich glaube Ihnen das auch. Aber die Polizei kann das ja nicht wissen. Sie fallen unter Generalverdacht. Genauer gesagt hält der Staat durch dieses Gesetz alle Internetnutzenden in Deutschland für pädosexuelle, drogendealende Waffennarren der Mafia.
    Andere Beispiele für Internetbasierte Leistungen sind beispielsweise Ihre Bankgeschäfte (die müssen natürlich ebenfalls sicher verlaufen), oder aber Ihr Online-Shopping beim Kistenschieber Ihres Vertrauens.

    Schutz vor autoritären Regimen

    Auch TOR-Betreiber müssten mit Strafen rechnen. TOR bietet eine Möglichkeit, im Internet die Identität zu verschleiern, indem man die Verbindung zur gewünschten Webseite über das TOR-Netzwerk aufbaut. Dieses TOR-Netzwerk leitet die Verbindung über diverse Zwischenstellen, die voneinander nichts wissen, weiter. Stellen Sie sich vor, unser Postbote aus dem Beispiel vorhin geht nicht direkt zu seiner Zieladdresse, sondern besucht vorher viele andere Adressen, verkleidet sich dort und geht dann erst weiter zur nächsten. Am Ende weiß die Webseite nicht, wer dort Informationen hingesendet oder abgefragt hat.
    Das TOR-Netzwerk ist zum Beispiel essenziell für politische Dissidenten in undemokratischen Staaten. Es kann aber auch einfach nur Ihrem persönlichen Drang nach Privatsphäre befriedigen. Oder aber Sie wollen mal wieder irgendetwas Illegales tun – wie nach Inkrafttreten der Urheberrechtsreform ein Meme hochladen. All dies ermöglicht TOR. Jetzt ist Deutschland ein demokratischer Staat und Dissidenten müssen hier derzeit keine Strafen fürchten. Noch. Sollte sich Deutschland irgendwann dazu entscheiden, doch die Demokratie hinter sich zu lassen – was bislang ja nur ein oder zweimal vorkam – können wir nicht damit rechnen, dass dieses Gesetz aufgehoben wird.

    Gute Ausbildung statt schlechte Gesetze

    Wie aber könnten Darknet-Verbrecher wirklich gefangen werden? Das Anbieten von illegalen Dienstleistungen und Materialien ist bereits illegal. Es benötigt also kein neues Gesetz. Es ist aber verständlicherweise schwierig, diesen Anbietern habhaft zu werden, wenn sie ihre Identität verschleiern und geschützte Zugänge nutzen. Wenn die Postboten mitunter Nachrichten von Kriminellen herumtragen ist es jedoch nicht sinnvoll, Postboten zu verbieten. Vielmehr ist es ja so, dass sich Kriminelle eher selten damit aufhalten lassen, indem man etwas verbietet. Es steckt bereits im Begriff der Kriminalität, dass Verbote missachtet werden.
    Die Polizei könnte ganz einfach auf mehr Ausbildung im Bereich Digitalisierung setzen. Noch immer scheitern viele Ermittlungen an mangelnder Fachkompetenz im Bereich der Computerkriminalität. Das würde jedoch Geld kosten, die man in die Ausbildung und die Ausstattung der Polizistinnen und Polizisten stecken müsste.

    Das Gesetz ist daher nicht nur sinnlos und verheerend in seinen Auswirkungen für die Allgemeinbevölkerung, sondern auch zu kurz gedacht. Denn das Internet geht nicht wieder weg.

    Fußnote:
    [1] Es gibt unverschlüsselte VPN-Netzwerke. Aber Sie sollten Ihre Kommunikation verschlüsseln, deshalb reden wir nicht darüber.

  • 25 Jahre Tafeln – (K)Ein Grund zum Feiern?

    25 Jahre Tafeln – (K)Ein Grund zum Feiern?

    Am 1. Februar 2018 erscheint eine Sonderbriefmarke aus Anlass des 25. Jahrestages der Gründung der Tafeln in Deutschland. Im Regelfall werden Briefmarken nach wie vor ausgegeben, um „auf herausragende historische oder aktuelle Ereignisse, Geburtstage verstorbener Persönlichkeiten, Wunder der Natur, Besonderes aus den Regionen oder allgemein Wissenswertes“ hinzuweisen. Was aber sagt es aus, wenn ein Jubiläum gefeiert wird, das eigentlich nur darauf hinweist, dass immer mehr Menschen auf privaten Einsatz angewiesen und noch mehr von privaten Spenden abhängig sind, also ihr Einkommen ihr Auskommen nicht mehr sichert?

    Der Staat ist also seit über 25 Jahren nicht in der Lage, sich ausreichend um seine Bürger zu kümmern und kommt somit seiner Fürsorgepflicht nicht nach. In dieser Beziehung hat er vollends versagt und offensichtlich keinerlei Absicht, an dieser Situation etwas zu ändern. Vielmehr scheint es, als ruhe man sich auf dem Engagement und der Hilfsbereitschaft der Zivilgesellschaft und der zahlreichen Freiwilligen bei den Tafeln aus, die sich dort in guter Absicht und mit viel Engagement für Bedürftige stark machen. Denn wie kurz vor Heiligabend des vergangenen Jahres bekannt wurde, versorgen die über 900 Tafeln in Deutschland mittlerweile rund 1,5 Mio. Menschen mit stark vergünstigten oder gar kostenfreien Lebensmitteln.

    Insbesondere unter den Rentenbeziehern ist die Tendenz steigend, sie machen derzeit ein Viertel der Empfänger aus. Menschen, die nach einem langen Leben, oftmals mit der Erziehung von Kindern oder in prekären Arbeitsverhältnissen, selbst mit dem nicht auskommen, was sie an Leistungen zur Grundsicherung erhalten. Diese Entwicklung wird sich noch verstärken. Von den Vollzeitbeschäftigten liegen rund 40% unterhalb des Einkommens von € 15,- pro Stunde, das schon 2012 als gerade noch ausreichend gesehen wurde, um überhaupt Rente in Höhe der Grundsicherung zu erhalten. Dazu kommt das Heer der Minijobber und weiterer prekär Beschäftigter, die nur in den seltensten Fällen ein für eine Rente oberhalb der Grundsicherung ausreichendes Einkommen haben.

    Hier versagt der Staat auf ganzer Linie. Statt wirklich dafür zu sorgen, dass alle Menschen, die ihr Leben lang – bezahlt oder gemeinnützig – gearbeitet haben, ein Auskommen finden, wird mit Mütterrente einerseits und Herabsetzung des Rentenniveaus andererseits versucht, die klammen Kassen der Rentenversicherung auszugleichen. Dabei ist es gar nicht so schwierig, ein Rentensystem zu etablieren, das von allen finanziert für alle da ist. Mit einer Einbeziehung aller Einkommensarten – nicht nur der Lohneinkommen – in die Rentenversicherung, der Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenzen und der Einführung von Höchstrenten wäre ein Mindestrentenniveau finanzierbar, das seinen Namen verdient. Es böte denen, die mehr als die Höchstrente haben wollen, die Möglichkeit, privat dafür vorzusorgen, statt gerade diejenigen dazu zu drängen, Riester-Verträge abzuschließen, die ohnehin kaum Mittel für die private Vorsorge haben. Die Riester-Rente jedoch verringert im Alter nur die Differenz zwischen regulärer Rente und Grundsicherung, bringt aber keinen Mehrwert. Ähnlich wie in unserem Vorschlag wird es in der Schweiz gehandhabt und hat sich dort zum Exportschlager entwickelt. Somit ist dort das Äquivalenzprinzip durchbrochen, das dem deutschen Rentensystem zugrunde liegt. Zeitgemäß ist dieses aber ohnehin nicht mehr.

    Hier ist es an der Zeit, die Zukunft ins Auge zu fassen und das auf breiter Front. Denn das ewige Herumdoktern an der Rente sorgt nicht für Vertrauen in das System, das absehbar sowieso nicht mehr als Drei-Säulen-Modell funktionieren wird. Auch die Versuche, die betriebliche Altersvorsorge (Säule Nummer 2) zu stärken, sind in Zeiten ständiger Jobwechsel zum Scheitern verurteilt. Wer ist denn heute noch von Beginn bis Ende seines Berufslebens bei ein und demselben Arbeitgeber? Und selbst falls doch: nicht jeder davon bietet Elemente der betrieblichen Altersvorsorge.

    Das Problem der Altersarmut und das daraus folgende Angewiesensein auf Tafeln betrifft allerdings einen wachsenden, aber noch kleinen Teil der Tafel-Nutzer. Den über 1,1 Millionen Nicht-Rentnern – also Alleinerziehenden, Kindern, Jugendlichen, Hartz-IV-Empfängern, Spätaussiedlern und Migranten – hilft auch eine vollkommene Umgestaltung der Rentenzusammensetzung nicht weiter. Diese wären jedoch die ersten, die bei der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens einen echten Mehrwert hätten.

    Die Vergesellschaftung von Armut also hat die Tafeln groß gemacht – so wichtig, dass sie im auf Briefmarken gebannten kollektiven Gedächtnis auf eine Stufe mit Karl Marx oder der Deutschen Brotkultur gestellt werden. Eigentlich passend. Aber dennoch ein schlechtes Zeichen für Politik und Gesellschaft an sich.