Prognose zum erwarteten Urteil des Bundesverfassungsgericht zum Wahlrecht
Am Dienstag um 10:00 Uhr wird das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zur Wahlrechtsänderung der Ampelkoalition verkünden (1). Es wird erwartet, dass dieses Urteil Wahlrechtsgeschichte schreiben könnte. Eine besondere Verfassungsbeschwerde von „Mehr Demokratie“ wird ebenfalls berücksichtigt, in der zusammen mit 4.242 Bürgern die Forderung erhoben wird: „Runter mit der 5%-Hürde!“
Was könnte entscheidend für das Urteil sein? Folgende Argumente haben dabei Gewicht: Die Sperrklausel wurde vom Parlamentarischen Rat ausdrücklich abgelehnt. Im Grundgesetz und in der Geschäftsordnung des Bundestages gibt es bereits ausreichende Vorkehrungen gegen handlungsunfähige Parlamente. Zudem erweist sich der historische Verweis auf die Weimarer Republik als irreführend; es ist mittlerweile nachgewiesen, dass die Weimarer Republik mit einer Sperrklausel noch instabiler geworden wäre.
Das Parteiensystem hat sich in den letzten vierzig Jahren erheblich verändert und diversifiziert. Heute haben wir mindestens ein Fünf-Parteien-System ohne absolute Mehrheiten, was uns vor neue Herausforderungen stellt – wir müssen lernen, wie Dreier- oder Vierer-Koalitionen oder sogar Minderheitsregierungen funktionieren. Unsere Nachbarländer sind in dieser Hinsicht bereits weiter fortgeschritten.
Die weit verbreitete Annahme, dass eine fehlende oder niedrigere Hürde zu einer Zersplitterung des Parlaments führen würde, ist nach 50 Jahren politischer Entwicklung überholt; die Zersplitterung hat bereits andere Ursachen. In diesem Kontext war die Abschaffung der Grundmandatsklausel, die bisher die strenge 5%-Hürde abmilderte, faktisch eine Verschärfung durch die Ampelkoalition.
Es ist wichtig zu betonen, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Wahlrechts relativ frei ist – sowohl jetzt als auch in der Vergangenheit. Das Bundesverfassungsgericht behält sich jedoch das Recht vor, seine bisherige Rechtsprechung unter neuen Umständen zu ändern. Der signifikante Anstieg an Wählerstimmen, die aufgrund des Scheiterns ihrer bevorzugten Parteien an der 5%-Hürde unwirksam werden, erfordert eine Neubewertung: Bei der Landtagswahl im Saarland 2022 waren bis zu 20% aller abgegebenen Stimmen betroffen.
Der fünfte Wahlrechtsgrundsatz könnte somit wieder angemessen berücksichtigt werden, und Millionen Stimmen würden wieder Gewicht erhalten. Zwei Lösungsansätze stehen zur Diskussion: Die Einführung einer neuen Ersatzstimme für Wähler, deren Partei nicht über die Hürde kommt, oder eine Senkung der Hürde selbst – beispielsweise auf 3%. Dies würde auch den weiteren Klagen von CSU und Linken weitgehend Rechnung tragen.
Meine Prognose lautet daher: Die Hürde wird gesenkt und Wahlen werden dadurch demokratischer – was uns Piraten erfreuen würde.
Kategorie: Kommentar
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Die 5%-Hürde steht auf der Kippe
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Cannabis – Teil-Entkriminalisierung in Deutschland nach 42 Jahren
Der Besitz, Anbau und Konsum von Cannabis wird ab April 2024 unter engen Vorgaben nun auch in Deutschland erlaubt.
Trotz dem lautem Getöse einiger ideologisch verhafteter Politiker hatte der Bundesrat das vom Bundestag beschlossene Gesetz mit 50:19 Stimmen akzeptiert und nicht den Vermittlungsausschutz anzurufen. Der Besitz und Anbau von Cannabis wird somit für Volljährige möglich.
Das Gesetz muss noch amtlich verkündet und von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnet werden. Dann tritt es in Kraft und die Zeit zur Bearbeitung von ca. 180.000 Strafverfahren jährlich (Nutzung, nicht Handel in 2019) [1] [2] wird frei zur tatsächlichen Kriminalitätsbekämpfung.
„Für viele Konsumenten endet mit dieser Entscheidung die Verfolgung und Stigmatisierung.“ kommentiert Sabin Schumacher, Themenbeauftragte für Menschenrechte & Sucht- und Drogenpolitik der Piratenpartei Baden-Württemberg.
1982 wurde Hanf in Deutschland ausnahmslos verboten! Seitdem wurde der Gebrauch dieser weit über 2000 Jahre alten Nutzpflanze verfolgt und der Einsatz von Hanf in vielen Fällen zur Straftat ohne weitere Beachtung des Einsatzes.
„Schon lange fordern wir die Legalisierung von Cannabis und freuen uns, dass eine Kernforderung der Piraten damit umgesetzt wird. Auch wenn die Regelungen noch zu wünschen übrig lassen, so sind wir nun auch in Deutschland auf einem guten Weg der Legalisierung.“ freute sich Sabin Schuhmacher nach der Entscheidung des Bundesrates.
Dass Ministerpräsident Kretschmer tatsächlich kein Verständnis für die Regeln unserer Demokratie hat, zeigte zusätzlich zu seinen Äußerungen das Abstimmungsverhalten der Sachsen. Er hatte für den Verweis an den Vermittlungsausschuss gestimmt, sein Stellvertreter jedoch für die Enthaltung. So wurde die Stimme von Sachsen im Rat ungültig. Für einen billigen PR-Trick riskiert er die Zusammenarbeit in seiner Koalition.
Martin Dulig (SPD) hat hier sogar mehr Courage bewiesen als die SPD im Saarland und Brandenburg. Zusätzlich sitzen in Brandenburg die Grünen in der Regierung und diese haben nicht nur die demokratische Entscheidung ihrer Kolleginnen und Kollegen im Bundestag, sondern auch ihr eigenes Parteiprogramm missachtet. Ebenso in Baden-Württemberg. Dort heißt der Ministerpräsident Kretschmann. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Quellen:
[1] BKA – Polizeiliche Kriminalstatistik 2019
[2] Cannabisfakten – Strafverfolgung
[3] Webseite – Bundesrat kompakt 1042. Sitzung vom 22.03.2024
[4] Beschluss des Bundesrats (PDF)
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Kommentar zur „Strategie für Stromspeicher“
Die Piratenpartei Deutschland begrüßt ausdrücklich das Vorhaben des BMWK, eine Strategie zur Förderung von Stromspeichern zu schaffen.
Sehr positiv aufgefallen ist uns, dass das Hauptgewicht auf Batteriespeicher gelegt wird, eine Strategie, die wir schon länger verfolgen, da diese Technologie eine rasante Kostenskalierung durchläuft und stetig Fortschritte bei den notwendigen Ressourcen gemacht werden, so dass die Umweltwirkung bei steigender Effizienz und Haltbarkeit weiter sinkt.
Aufgefallen sind uns nur wenige Punkte, die für die weitere Ausarbeitung adressiert werden müssen:
- Neue Pumpspeicher zu bauen macht keinen Sinn. Planung, Genehmigung und Umsetzung dauern so lange, dass Neubauten gegen Batterien nicht mehr konkurrenzfähig sein werden. Es wird im Entwurf der Strategie eine Quelle angegeben, die bis 2030 von einem jährlichen Preisverfall um 11% bei Batterien ausgeht (ein Wert der uns realistisch erscheint). Dies lässt finanziell keinen Platz für neue Pumpspeicher, die zudem wegen der massiven Eingriffe in die Landschaft kaum Zustimmung finden werden.
- Die Marktentwicklung der Batteriespeicher verläuft bereits exponentiell. Kleinspeicher sind deutlich in der disruptiven Sprungphase und größere Speicher kurz davor. Hier wird die Entwicklung unterschätzt. Die tatsächlich realisierten Volumen werden in den nächsten Jahren deutlich über den Prognosen im Entwurf liegen. Daraus ergibt sich, dass auch für die geplanten neuen Gaskraftwerke kein marktwirtschaftlicher Bedarf vorhanden sein wird.
- Der bürokratische Aufwand für Stromspeicher muss so gering wie möglich gehalten werden. Speicher, die keine Dienste für das Netz zur Verfügung stellen, sondern nur intern auf einem Grundstück oder in einer Anlage wirken, sollten keinen gesonderten Abgaben oder Verwaltungsauflagen unterliegen.
- Stromspeicher dienen der Entlastung der Netze und damit letztlich der Senkung der Kosten für Strom. Entsprechend dürfen den Stromspeichern keine Hürden gesetzt werden, auch wenn dies bedeutet, dass angestammte Marktteilnehmer ihr Geschäftsmodell verlieren. Priorität hat die sichere, nachhaltige und günstige Versorgung.
Grundsätzlich sehen wir die Zielsetzung als richtig an und hoffen, dass unsere Anmerkungen berücksichtigt werden. Insbesondere die Planungen zum Neubau von Gaskraftwerken und die Wasserstoffstrategie müssen berücksichtigen, dass die Batteriespeicher eine rasante Entwicklung durchmachen werden, durch die konventionelle Stromerzeugung schnell obsolet werden wird. Es wäre ein fataler Fehler, noch signifikant in Gaskraftwerke und zugehörige Infrastruktur zu investieren, da diese Investitionen absehbar stranden werden und nur weiter das Auslaufmodell fossile, zentrale Kraftwerke erhalten helfen.
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Von Davos lernen: PIRATEN fordern Schutzmaßnahmen
Während sich beim Weltwirtschaftsforum in Davos die Reichen und Mächtigen dieser Welt durch umfassende Infektionsschutzmaßnahmen wie PCR-Tests vor Teilnahme, flächendeckende Schnelltests sowie UVC- und HEPA-14-Luftreiniger vor Ansteckungen schützten [1], fallen in den Bundesländern die letzten Regeln. Zuletzt kündigte die Landesregierung Nordrhein-Westfalens (NRW) an, die Isolationspflicht abzuschaffen. Auf Bundesebene wird es eine Verlängerung des § 28b Infektionsschutzgesetz (IfSG) mit seinem vor allem auf dem Papier stehenden Minimalschutz exklusiv für vulnerable Gruppen über den 07.04.2023 hinaus offenbar nicht geben. Der Bundesgesundheitsminister twittert derweil alarmistisch, kann (oder will) aber im Kabinett keine Schutzmaßnahmen durchsetzen. Die nächste Welle – die mittlerweile Neunte! – kündigt sich bereits an.
„Niederschwellige Infektionsschutzmaßnahmen müssen unbedingt weitergeführt werden. Denn das Virus ist nicht plötzlich kaum mehr ansteckend geworden, und die Ansteckungszahlen steigen trotz der immer weniger üblich werdenden Tests wieder an. [2] Die Zahl der Todesfälle ist auf anhaltend hohem Niveau, was auch viel besser zu den Daten aus dem Abwassermonitoring passt als zu den Behauptungen, die Pandemie sei vorbei. [3] Die Abschaffung der Isolation ausgerechnet mitten in der heftigsten Erkältungswelle der letzten Jahrzehnte kommt zur Unzeit. Laut Professor Drosten könnten wir bezogen auf Covid-19 im Frühjahr den Übergang in die endemische Phase erreicht haben, aber die Übergangsphase wird quälend lange dauern. [4] Und was bedeutet überhaupt Endemie? Malaria ist in Afrika endemisch. Die Folge ist keineswegs, dass man dort jetzt alle Moskitonetze abhängt; man hängt stattdessen überall welche auf. Der Schutz muss bleiben,“
erklärt Sandra Leurs, Themenbeauftragte Gesundheit und Pflege der Piratenpartei Deutschland.
„Als erstes erhöht der Wegfall aller Schutzmaßnahmen natürlich für alle das Risiko, sich anzustecken. Für uns Menschen mit Behinderung und damit auch oft verbundenen schweren Grunderkrankungen bedeutet eine Infektion mit Corona zudem immer auch ein hohes Risiko für schwere Verläufe. Der zweite Aspekt ist ganz klar, dass sich Menschen mit Behinderung (und eben Vorerkrankungen) jetzt noch mehr überlegen müssen, ob sie an Aktivitäten in der Gesellschaft teilhaben wollen – oder eben nicht. Da aufgrund des erhöhten Risikos oft „Safety first“ gelten muss, schließt diese Politik viele Menschen von der grundrechtlich garantierten Teilhabe aus. Und schließlich bedeutet der Wegfall der Schutzmaßnahmen auch wieder vermehrte Ausfälle bei Pflegepersonal und Assistenzkräften, auf die viele Menschen mit Behinderung alltäglich angewiesen sind. Womit wir wieder beim #PflegtEuchdochselbst wären,”
konstatiert Antonia-M. Hörster, Bundesthemenbeauftragte Inklusion.
“Somit ist es nicht nur kurzsichtig, sondern auch unverantwortlich, dass schon zum 02.02. die Maskenpflicht im Fernverkehr fallen soll. [5] Einmal mehr beweist die Bundesregierung – Bundesminister Lauterbach sogar wider besseren Wissens [6] -, dass sie keinerlei Interesse an der Gesundheit der Menschen hat, für die sie verantwortlich ist. Obwohl §1 IfSG mit Eigenverantwortung gerade die Übernahme von Verantwortung für den Infektionsschutz verlangt, fordert die derzeitige Begriffsverwendung geradezu dazu auf, die eigene Verantwortung wegzuschieben. Dies ist wieder einmal typisch für eine Politik, die mehr auf Stimmung als auf Wissenschaft hört. Wohin das schon jetzt führt, sieht man daran, dass im ÖPNV trotz existenter Pflicht immer weniger Menschen einen Mund-Nasen-Schutz tragen und überall gehustet und geniest wird,”
kritisiert Thomas Ganskow, Vorsitzender der PIRATEN SV Hannover.
„Dass Länder wie NRW infizierten Kindern ausdrücklich nahelegen, in die Schule zu gehen, und nicht einmal für diese nachweislich ansteckende Personengruppe eine Maskenpflicht verhängen, wird für weitere Ansteckungen sorgen. Aussagen wie ‚Kranke Kinder gehören nicht in die Schule‘ [7] sind bloße Schutzbehauptungen, denn man zwingt sie ja durch Präsenzpflicht und gefallene Isolation gerade dazu, ihre Keime in die Klassenräume zu schleppen. Und dies bei den nachgewiesenen langfristigen Schädigungen durch überstandene Covid-19-Infektionen an den Körpern der Kinder, auch bei den vermeintlich gesundeten. [8] Ohne Pflicht hält sich kaum jemand an die wachsweichen Empfehlungen, wohl auch aus Angst vor den vielerorts üblich gewordenen Anfeindungen.
All dies geschieht bei anhaltend hoher Übersterblichkeit, bei der allein in der Woche vor Weihnachten 2022 7.000 zusätzliche Todesfälle zu beklagen waren. [9] Dies wird aktuell jedoch nicht mehr durch schwere Akutverläufe verursacht, es sind tödliche Folgen oft Monate nach der Infektion. [10] Folgen, die man von SARS und MERS kennt, den beiden ‚Cousins‘ von SARS-CoV-2. Auch ein hoher Anteil an durch diese Infektionen ausgelösten ME/CFS-Erkrankungen stellt eine traurige Parallele dar. [11]
Um dies nicht zu einem langfristigen Dauerproblem mit massiven Auswirkungen auf die Bevölkerungsgesundheit und die Volkswirtschaft werden zu lassen, gäbe es einen effektiven Hebel: Als Folge von Cholera- und Polio-Epidemien und Umweltkatastrophen sind Kläranlagen, Wasseranalysen und Schwimmbadchlorierungen längst Pflicht. Noch behandeln wir Luft so, wie vor 150 Jahren auch das Trinkwasser behandelt wurde: alles rein, wird schon gut gehen. Belgien ist europäischer Vorreiter darin, auch für die Innenraumluft effektive Hygienevorschriften zu etablieren. [12] Auch in Deutschland brauchen wir ein Recht auf saubere Luft in Innenräumen. Das, was in Davos Standard war, muss auch bei uns überall üblich werden,“
ergänzt Oliver Ding von der AG Gesundheit + Pflege.
Quellen:
[1] https://www3.weforum.org/docs/AM23_Health_and_Safety_Measures.pdf
[2] Roland Jäger dokumentiert täglich die erwartete Fallzahl des RKI und die tatsächliche Abweichung davon, u.a. am 27.1.2023: https://twitter.com/RolandJger4/status/1618885517529190401
[3] https://www.ndr.de/nachrichten/info/Corona-Last-weiter-hoch-Abwassermonitoring-in-Berlin,audio1292874.html, Aktuelle Werte zum Abwassermonitoring sind im tagesaktuellen Dashboard des RKI zu finden: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/COVID-19-Trends/COVID-19-Trends.html
[4] https://www.tagesspiegel.de/wissen/christian-drosten-im-interview-die-notsituation-in-den-kliniken-wird-qualend-lange-dauern-weil-so-viele-erreger-zirkulieren-9071788.html (leider Paywall)
[5] https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/corona-lauterbach-maskenpflicht-bahn-fernverkehr-101.html
[6] https://www.morgenpost.de/politik/article237336971/maskenpflicht-lauterbach-corona-regeln-buschmann.html
[7] https://www.schulministerium.nrw/25012023-schulbetrieb-nach-auslaufen-der-corona-verordnungen
[8] https://www.infranken.de/lk/erlangenhoechstadt/uni-klinikum-erlangen-corona-infektion-bei-jungen-patienten-studie-zeigt-erschreckende-spaetfolgen-art-5558200
[9] https://taz.de/Uebersterblichkeit-in-Deutschland/!5909707/
[10] https://taz.de/Weniger-Corona–und-Grippefaelle/!5911613/
[11] https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7850177/
[12] In https://twitter.com/leseerlaubnis/status/1608529505991147521 ff. wird die Entwicklung seit dem Beschluss vom 12.7.2022 zur Verbesserung der Raumluftqualität an geschlossenen Orten, die öffentlich zugänglich sind, dargestellt, Originaltext des Gesetzesentwurfs: https://www.dekamer.be/FLWB/PDF/55/2820/55K2820001.pdf -

Energiepolitik ist kein Witz!
Leider hat man aber in letzter Zeit oft den Eindruck, dass die Clowns in der Politik unterwegs sind und die, von denen man eigentlich Comedy erwartet, sehr viel kompetenter im Thema unterwegs sind.
So hat schon im Oktober „Die Anstalt“ den deutschen Strommarkt und die Mechanismen zur Preisbildung auseinander genommen. Was auf den ersten Blick wie Irrsinn erscheint (auf den zweiten, dritten, vierten… auch), ist bittere Realität. Man hat den Eindruck, das gesamte Marktdesign ist nach der Prämisse aufgebaut, dass die alten Stromkonzerne ordentlich Gewinne machen müssen, egal wie viel die Bürger und die Wirtschaft dafür bezahlen.
Wir können da nur anmerken „Wir haben es euch seit Jahren gesagt…“ und mit Bedauern feststellen, dass diese Fakten hauptsächlich im Comedy-Format auftauchen und nicht auf der Titelseite aller seriösen Zeitungen stehen. Immerhin geht es hier um immense Steigerungen der Lebenshaltungskosten und auch massive Nachteile für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Nachgelegt hat die Heute Show im Januar, mit einem Special zu LNG und Energiewende. Neben der Absurdität, dass ein grüner Wirtschafts- und Klimaminister das dreckigste schwimmende LNG-Terminal in das Umweltschutzgebiet Wattenmeer holt, um damit Flüssiggas teilweise aus Förderung mit Fracking zu importieren, wird auf die Absurditäten eingegangen, die die Energiewende behindern. Oder sollte man schon von „verhindern“ reden?
Ein völlig irrer Aufwand für die Genehmigung (25 Aktenordner voller Anträge, Gutachten, Bescheide usw. für einen einzelnen Windpark) und komplett an den Haaren herbeigezogene Umweltauflagen (Pfützen gießen, damit die Gelbbauchunke sich wohl fühlt) sind ganz offensichtlich gezielte Behinderung, man sollte schon von Sabotage reden.
Die AG Energiepolitik hatte bei ihrer letzten Sitzung Besuch von einem Errichter und Betreiber von EE-Anlagen, der dazu aus der Praxis erzählte. Vom Antrag bis zur Inbetriebnahme der ersten Windkraftanlage vergingen 7 Jahre.
Dazu kommen absehbar auch noch weitere Probleme, sowohl durch den Mangel an Fachkräften, als auch an Baumaschinen. So gibt es in Deutschland nur 6 Kräne, die geeignet sind, die aktuellen Windkraftanlagen mit großer Nabenhöhe zu errichten. In weitere zu investieren ist auch nicht so einfach, denn die politischen Rahmenbedingungen ändern sich ständig. Die „Übergewinnsteuer“, mit der eigentlich die ungerechtfertigten zusätzlichen Gewinne der fossilen Energiewirtschaft abgeschöpft werden sollen, wird voraussichtlich primär die mittelständischen Betreiber erneuerbarer Anlagen treffen. Damit ist für diese nicht kalkulierbar, ob sie solche Investitionen sicher finanzieren können.
Es bleibt festzustellen, dass zwei Satiresendungen hier sehr viel sauberer recherchiert und kommuniziert haben als die Mehrzahl der „seriösen“ Medien. Wobei einem das Lachen im Hals stecken bleibt, wenn man sich klar macht, dass dieser Wahnsinn real ist. In einer Mischung aus lobbygesteuerter Politik und auf Behinderung ausgerichteter Verwaltung werden hier massive Schäden angerichtet. Die Verzögerung der Energiewende kostet Zeit, Geld, Umweltschäden und hat uns in ungesunde Abhängigkeiten gebracht.
Wir können nur hoffen, dass die Sofortmaßnahmen zur Beschleunigung von Genehmigungen auch Wirkung entfalten. Aber dann laufen wir auch in das Problem des Fachkräftemangels und anderer Nachschubprobleme und das, weil jahrelang alles behindert und verzögert wurde.
Die gefährlichen Clowns sitzen in der Politik und den lustigen Clowns danken wir an dieser Stelle ganz ausdrücklich dafür, dass sie ein extrem ernstes Thema kompetent angegangen sind.
Zwei Sendungen die man gesehen haben sollte:
[1] https://www.zdf.de/comedy/die-anstalt/die-anstalt-vom-4-oktober-2022-100.html
[2] https://www.zdf.de/comedy/heute-show/heute-show-spezial-vom-20-januar-2023-102.html -

Advent, Advent, die Armut – sie brennt (aus)
ein Kommentar von Anne Herpertz
Über 13 Millionen Menschen in Deutschland sind arm(utsgefährdet). Das ist nicht weniger als eine enorme Schande. Und das Entscheidende: Es ist kein Zufall, erst recht kein individuelles Eigenverschulden, sondern die Konsequenz unsozialer, systematisch wegsehender und menschenverachtender Politik.
Armut betrifft viele gesellschaftliche Gruppen – allen voran viele Alleinerziehende, Geflüchtete, Rentner:innen, Menschen ohne Arbeit, Menschen mit Behinderung, Studierende, Auszubildende und Kinder. Sie wird begleitet von psychischen Belastungen, gesellschaftlichen Stigmata und einem verachtenswerten Menschenbild bei einigen Nicht-Betroffenen. Vielfach wird Armut individualisiert und die Schuld bei Betroffenen gesucht. Mediale Bloßstellungen und pauschale Vorverurteilungen erledigen den Rest.
Kommen wir auf den entscheidenden Punkt zurück: Armut entsteht nicht „aus Versehen“. Sie kann bekämpft werden, wenn es politisch gewollt ist. Doch das ist es derzeit nicht. Das ab Januar geltende „Bürgergeld“ (Hartz IV-light) war schon als Vorschlag von der Ampel kein „Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik“. Die wenigen Verbesserungen wurden auch noch in großen Teilen durch die Verhinderungsmacht CDU/CSU kassiert. Eine Sache wurde sogar verschlimmert: Nahezu ohne große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit wurde durch den Kompromiss im Vermittlungsausschuss über das Bürgergeld das Sanktionsmoratorium, das eigentlich bis Juni 2023 hätte gelten sollen, aufgehoben. Der Begriff der Sanktion taucht zwar im Bürgergeld-Gesetz nicht mehr auf, aber dafür die Leistungsminderung, die letztlich nichts anderes als Sanktionen bedeutet. Wann hören Regierungsparteien endlich auf, hier und da ein paar Euro mehr oder hier und da ein wenig Entlastung als ernst zu nehmende Sozialpolitik zu verkaufen? Hat denn niemand wirklich vor, reelle finanzielle Bedrohungslagen für Menschen anzugehen?
Armut wird in Deutschland nicht bekämpft, sondern verwaltet. Ein anständiger Staat bemisst sich nicht nur an der reinen Distribution von Sozialleistungen, sondern auch durch die Art und Weise, wie er sie verteilt. Berechtigte Ansprüche verkommen immer mehr zu Almosen. Menschen, die hinter vielfältigen Schicksalen stehen, verkommen zu Nummern (oder besser noch, „Kunden“), die sich entmenschlichend vor dem Staat nackt machen müssen. Sind das Kennzeichen eines sozialen Staates? Ich bezweifle es zutiefst.
Ich kämpfe mit jeder Zelle meines Körpers für ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Nun könnte ich eine ganze Reihe von Argumenten anführen – von freier Entfaltung, über Verhandlungsmacht für Arbeitnehmende, hin zu einem Leistungsbegriff, der nicht auf Erwerbsarbeit beruht. All dem zugrunde liegt letztlich eine einzige Formel: Jeder Mensch soll ein Leben in Würde führen dürfen und niemand soll in Armut leben müssen. Ganz einfach, weil er/sie existiert. Das käme meiner Vorstellung eines grundlegend sozialen Staates am nächsten.
Doch bis wir dahin kommen, liegt es neben dem politischen Druck, den wir aufbauen, noch immer an uns als Gesellschaft, diese Zustände abzufedern und Solidarität zu zeigen. Mit Entstigmatisierung und Sensibilisierung im Umfeld fängt es an. Auch rund um Weihnachten wieder passender: Wer hat, der gibt. Zum Beispiel dem sanktionsfrei e.V., der Menschen, die von Sanktionen bzw. zukünftig Leistungsminderungen betroffen sind, finanziell und anwaltlich unterstützt. Oder als #Bratenpaten, #Technikpaten, #Geschenkpaten und #Kleiderpaten an die OneWorryLess-Foundation, die Menschen in Armut in konkreten Anliegen Würde zurückgibt. Auch wenn es nicht die Aufgabe der Zivilgesellschaft sein sollte, die Missstände des deutschen Sozialsystems auszugleichen, gilt: Respekt an alle, die helfen, wo der Staat versagt.
Advent, Advent, die Armut – sie brennt (aus). Frohe Feiertage und eine besinnliche Zeit – die man nicht nur sich selbst, sondern auch anderen ermöglichen kann.
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Stellungnahme Strompreisbremse – irreführend und fehlerhaft
Am 15.12.2022 hat der Bundestag die Strom- und Gaspreisbremse beschlossen. Was genau da beschlossen wurde, ist nicht so einfach zu sagen, denn in den letzten Stunden vor der Abstimmung kamen noch mehrere 100 Seiten Änderungsanträge – ein konsolidierter Text steht noch nicht zur Verfügung.
Aber im Kern ist hier ein Bürokratiemonster geschaffen worden, das nicht zu sinkenden Energiepreisen führt, sondern die tatsächlichen Kosten versteckt. Statt die Marktmechanismen zu modifizieren, um die Preise wirklich zu reduzieren, wird für einen gewissen Anteil der Energie Steuergeld verwendet, um die hohen Preise zu bezahlen.
Es werden nun also viele Milliarden zu den Energieversorgern überwiesen, in der Hoffnung den größten Teil davon anschließend mittels einer Übergewinnsteuer wieder einsammeln zu können. Zu erwarten ist, dass dies in erster Linie bei den kleineren Unternehmen, also primär bei den Erneuerbaren, klappen wird. Die großen Konzerne werden sich wahrscheinlich weigern und vermutlich erfolgreich klagen.
Das Regelwerk für die Zuschüsse ist so komplex, dass es wohl Monate dauern wird, bevor man die Wirkung tatsächlich überblicken kann. Die Bürger und Unternehmen dürfen sich also überraschen lassen, ob sie sich in Zukunft noch Energie leisten können. Auf jeden Fall ist schon zu sehen, dass insbesondere einkommensschwache Haushalte und die mittelständische Wirtschaft wieder das Nachsehen haben werden. Gerade für kleinere Unternehmen und energieintensive Unternehmen ist diese „Preisbremse“ reiner Zynismus: Der Zuschuss, der bei einer vernünftigen Regelung gar nicht notwendig wäre, soll versteuert werden.
Auch die Vorschläge der Opposition waren nicht hilfreich, aus der rechten Ecke kam der übliche Unsinn man solle die Atom- und Kohlekraftwerke wieder ans Netz bringen und von links nur allgemeine Kritik, ohne konstruktive Vorschläge.
Wir bleiben dabei, dass der richtige Ansatz wäre, die Preisfindung in den Energiemärkten zu ändern. Mit dem Preis von Erdgas wird spekuliert. Der hohe Strompreis kommt dadurch zustande, dass die wenigen Prozent Strom aus Erdgas den Preis für den gesamten Strom bestimmen. Diesen relativ kleinen Anteil des Stroms preislich zu deckeln und die tatsächlichen Kosten mittels einer Umlage, ähnlich der EEG-Umlage, zu finanzieren, würde den Strompreis sofort und wirkungsvoll reduzieren.
Aber die Bundesregierung hat sich für ein umständliches, fehlerhaftes Regelwerk entschieden, das nicht hilft, aber eine Menge Steuergelder in die Kassen der großen Energiekonzerne umlenkt. Die Deckelung der Strom- und Gaspreise wird dazu führen, dass die geförderten Preise das Minimum der zukünftigen Preise darstellen werden.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass diese Strom- und Gaspreisbremse nicht mal eine Mogelpackung ist. Es ist ganz offensichtlich, dass es sich dabei um eine massive Fehlleistung handelt. Kein Problem wird gelöst, aber massiv Geld verschwendet und der Missstand betoniert.

