Schlagwort: Demokratie

  • CETA – Wortbruch und Schummelpackung

    CETA – Wortbruch und Schummelpackung

    Freihandel, hört sich doch gut an? Keine Behinderungen im Warenverkehr, keine unnötigen Zölle, Handel auf Augenhöhe.

    Leider erinnern Freihandelsabkommen oft an Hundekuchen, der bellt nicht und Hund ist auch nicht drin. So ist es auch mit CETA. Da ist jede Menge drin, verteilt auf 1600 Seiten Vertrag findet sich ein bunter Bauchladen von Themen aus dem Bereich Laissez-Faire-Economy, aber ganz wenig Freihandel.

    Die Tatsache, dass die Grünen jetzt der Ratifizierung zugestimmt haben, kann man nur als kompletten Ausverkauf der eigenen Werte bezeichnen. Die Absenkung von Umweltstandards und die Einrichtung eines privaten Schiedsgerichts sind weithin bekannt, aber der Vertrag geht noch deutlich darüber hinaus.

    Alleine schon die Einrichtung des Schiedsgerichts wird zu massiven Behinderungen im Bereich von Umwelt- und Klimaschutz führen. Da ist beispielsweise die kanadische Ölproduktion aus Ölsand. Dagegen ist der Braunkohletagebau in Deutschland eine Oase des Naturschutzes. Der Abbau von Ölsand hinterlässt vergiftete Ödlande und die Abscheidung des Öls ist energetisch enorm ineffizient. Trotzdem hat die EU, vor der ursprünglichen Verabschiedung von CETA, Produkte aus Ölsand als kaum CO2-intensiver als konventionell geförderte Petrorohstoffe eingestuft. Natürlich könnte man jetzt auf die Idee kommen, das wieder zu ändern, aber dummerweise gibt es dann das Schiedsgericht.

    Weniger bekannt sind z. B. die Regelungen im Bereich des Urheberrechts. Da hat man vorgeblich ja „nur“ die Berner Konvention umgesetzt. Eine Regelung aus dem Jahr 1974, die komplett aus der Zeit gefallen ist. Sie ist bis dato nicht mehr ansatzweise anwendbar und dennoch wurde sie in massiv verschärfter Form in den Vertrag aufgenommen.

    Im Prinzip wurde die Beweislast bei Copyrightstreitigkeiten umgekehrt. Wer sein Copyright „hinreichend“ belegen kann, darf dafür sorgen, dass Waren im Zoll beschlagnahmt werden. Witzig dabei ist, dass es als hinreichend gilt, ein vermeintliches Original mit Namen darauf vorweisen zu können. Die Autoren dieser Klauseln dachten wohl an das auf Büttenpapier handgeschriebene Original und weniger an die heutige Realität digitaler und damit leicht manipulierbarer Dokumente, Bilder, usw. (CETA Vertrag Seite 168, Art. 20.42).

    Auch sehr hilfreich als Waffe ist die Option, dass bei Copyrightstreitigkeiten nicht etwa der normale Rechtsweg gilt. Es ist vorgesehen, dass strafrechtliche Prozesse und Maßnahmen eingesetzt werden (CETA Vertrag Seite 165, Art. 20.35).

    Meint ihr, dass diejenigen, die derzeit laut über den angeblichen Freihandel jubeln, das auch noch tun werden, wenn ein Mitbewerber einen Copyright-Streit auf der Basis von Ideen aus dem Jahr 1974 vom Zaun bricht? Ein leicht bearbeitetes digitales Dokument kann man doch recht schnell zur Hand haben und schon verursacht der Zoll für eine kleine Einfuhr-Verzögerung und vielleicht sorgt er noch für eine Hausdurchsuchung.

    Auch sehr nett ist, dass man sich darauf verständigt hat, dass öffentliche Dienstleistungen insbesondere dann, wenn sie eine natürliche oder zugesprochene Monopolstellung haben, nach kommerziellen Maßgaben erfolgen müssen (CETA Vertrag 124 ff Kapitel 18.5). Also Schluss mit unter Wert verkaufter kommunaler Wasserversorgung, Müllentsorgung und dem ganzen anderen Zeug, das nur den Gewinnabsichten von Konzernen im Weg steht. Praktischerweise gibt es das Schiedsgericht, vor dem kann man dann klagen, wenn kommunale Betriebe im Weg sind.

    Ein Thema, an dem ganz viele Firmen interessiert sind, die nach Kanada exportieren wollen, sind die sogenannten „nicht tarifären Handelshemmnisse“. Das sind hauptsächlich Standards, die dafür notwendig sind ein Produkt auf den Markt bringen zu können. Hier hat man sich auf eine gegenseitige Anerkennung der Produktzulassung geeinigt.

    Klingt toll, oder?
    Aber nur, solange man nicht weiß, wie das in der EU und in Kanada funktioniert.

    Kanada ist mit seinen Standards mit den USA harmonisiert, zumindest so weit das chaotische Standardisierungs-System der USA das zulässt. In Kanada ist es zumindest formal staatlich organisiert, in den USA primär durch Versicherungen vorgegeben. In Kanada funktionieren Standards für die Sicherheit von Produkten so, dass es akkreditierte Prüflabore gibt, die Produkte auf die Einhaltung der Standards überprüfen. Dummerweise hat aber jedes Labor seine eigenen, spezifischen Standards. So kann es vorkommen, dass es für einen Sachverhalt mehr als ein Dutzend Standards gibt, die eigentlich qualitativ gleichwertig sind, aber leicht voneinander abweichen.

    Eine kanadische Firma, die ihr Produkt so hat testen lassen, kann dieses dann nach CETA auch in der EU auf den Markt bringen.

    Umgekehrt wird es spannend. In der EU müssen die meisten Produkte nicht zertifiziert werden. Das trifft nur für kritische Produkte zu, beispielsweise Medizinprodukte und Fahrzeuge. Bei den meisten Produktkategorien gibt es einen Satz eindeutiger Standards, die eingehalten werden müssen. Der Hersteller ist dafür verantwortlich dies entweder durch eigene Tests oder mit externen Labor sicherzustellen und erklärt dann die Konformität der Produkte.

    Also hat eine europäische Firma für die meisten Fälle keinen Vorteil durch CETA, es ist weiterhin die Zertifizierung notwendig, zusätzlich zur CE-Konformitätserklärung in Europa. 1:0 für Kanada?

    Sehr spannend ist auch die Frage, was das für Folgen für das europäische Standardisierungssystem und die CE-Kennzeichnung haben wird. Bisher gilt die Regel, dass es für einen Sachverhalt genau einen verbindlichen Standard gibt. Diesen Zustand zu erreichen, hat Jahrzehnte gedauert. Angefangen hat die EU mit ca. 1,4 Millionen nationalen Standards, bis heute wurden diese auf 160.000 EU-weit geltende Standards reduziert.

    Damit in der EU ein Produkt auf den Markt gebracht werden darf, muss es das CE-Zeichen tragen und eine Konformitätserklärung dazu existieren. Mit CETA bedeutet das jetzt, dass ein kanadisches Prüfzeichen dazu berechtigen würde, die CE-Konformität zu erklären. Also eigentlich müssten damit die Vorgaben für die jeweiligen Produktarten erweitert werden, so dass das Produkt den europäischen Standards, oder einer Auswahl aus dem Bündel der kanadischen Standards entsprechen muss.

    Offensichtlich fehlte bei der Verhandlung von CETA an vielen Stellen der Sachverstand, an anderen haben sich Lobbyinteressen von Konzernen durchgesetzt. Insgesamt ist dieser Vertrag kein Freihandelsvertrag, sondern eine Mogelpackung, die mal wieder zum Nachteil der Bürger und der kleinen und mittleren Unternehmen ausgeht.

    Die Kehrtwende der Grünen, diesem Vertrag zuzustimmen ist um so weniger verständlich, da dieselbe Regierung grade den Ausstieg aus der Energiecharta beschlossen hat, einem Vertrag mit genau so toxischen Elementen wie CETA. Leider ist dennoch kein Lerneffekt zu sehen.

    Der CETA Vertrag in komplettem Umfang:
    https://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/september/tradoc_152806.pdf
     

  • CETA-Abkommen – Fahrlässig, unverantwortlich und intransparent

    CETA-Abkommen – Fahrlässig, unverantwortlich und intransparent

    Lange wurde bereits über das europäisch-kanadische Handelsabkommen CETA diskutiert – jetzt hat der Bundestag es ratifiziert. Bereits zu Beginn der Verhandlungen gab es Kritik an diesem Freihandelsabkommen und breite Proteste der Zivilgesellschaft. Mangelnde Integration von Klima- und Umweltfragen, Intransparenz und Ignoranz gegenüber den Anliegen der Menschen und demokratischen Interessen, sind nur einige der vielen Kritikpunkte am Handelspakt. Am kritikwürdigsten ist jedoch der Investitionsschutz, das sieht auch Sven Bechen, stellv. Politischer Geschäftsführer der Piratenpartei Deutschland so:

    „Durch den Investitionsschutz können Investoren Staaten vor einem internationalen Schiedsgericht verklagen. Dies ermöglicht ausländischen Investoren und globalen Konzernen gegen staatliche Regulierungen vorzugehen und diese langfristig aufzuweichen. CETA schützt im Kern einseitig die Interessen der Großkonzerne. Es untergräbt demokratische Willensbildung, wirksame Umweltpolitk und gefährdet unsere Arbeitnehmerschutzrechte. Die Bundesregierung hat die letzten fünf Jahre nicht genutzt, diese fehlerhaften Punkte nachzubessern – die „Protokollerklärungen“ und „Interpretationsauslegungen“ der Bundesregierung werden nicht reichen und den internationalen Konzernen genau die Klagemöglichkeiten beschaffen, die wir befürchten. Dass dies unter dem Deckmantel der Fußball Weltmeisterschaft und den Protesten zu Qatar passiert ist typisch und intransparent.“

    Eine Verfassungsbeschwerde gegen CETA wurde zwar bereits abgewiesen, doch auch das Verfassungsgericht sah einige Teile des Handelsabkommens als kritisch an, darunter vor allem die sogenannten Schiedsgerichte. Auch müsste Deutschland dafür Hoheitsrechte an die EU übertragen. Dabei ist sich das Bundesverfassungsgericht nicht sicher, ob ein solcher Übertrag an Hoheitsrechten überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar wäre.

    „Wir PIRATEN stellen uns weiterhin gegen die Ratifizierung des CETA Handelsabkommen. Ein solches Abkommen zu unterzeichnen , in welchem Bürgerrechts-, Umwelt-, und Grundgesetzfragen nicht geklärt sind, halten wir für fahrlässig und unverantwortlich. Auch kritisieren wir die Intransparenz der Bundesregierung. Ein solches Abkommen, was durch Sonderjustiz den Lebensalltag, die Bürgerrechte und die Daseinsvorsorge beeinflussen könnte, MUSS im öffentlichen Diskurs stehen und vor der Ratifizierung behandelt werden,“

    so Bechen.

  • Urteil zur Vorratsdatenspeicherung: Europa muss frei von Massenüberwachung sein!

    Urteil zur Vorratsdatenspeicherung: Europa muss frei von Massenüberwachung sein!

     

    In seinem heutigen Urteil [1] hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) das deutsche Gesetz zur verdachtslosen Vorratsspeicherung der Telefonverbindungs- und Standortdaten der gesamten Bevölkerung zur Erleichterung der Strafverfolgung gekippt. Die verdachtslose Vorratsspeicherung von Internetverbindungsdaten, mit deren Hilfe die Internetnutzung rückverfolgt werden kann, hat er zur Verfolgung schwerer Straftaten dagegen nicht beanstandet. Auch das sogenannte Quick Freeze-Verfahren wird zur Verfolgung schwerer Straftaten zugelassen.

    Der EU-Abgeordnete Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei) fordert die Ampelkoalition auf, den Koalitionsvertrag umzusetzen und jede Form der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung zu beenden:

    „Die massenhafte und flächendeckende Aufzeichnung der Kommunikation, Bewegungen und Internetnutzung völlig unbescholtener Menschen ist eine totalitäre Maßnahme, die mit den Werten einer freien Demokratie nicht vereinbar ist. Der EuGH hat auf massiven Druck überwachungswütiger Regierungen eine IP-Vorratsdatenspeicherung im Internet nicht beanstandet. Sie würde aber jeden Internetnutzer unter Generalverdacht stellen und die Internetnutzung der gesamten Bevölkerung, die unsere intimsten Vorlieben und Schwächen abbildet, nachvollziehbar machen. 

    IP-Adressen sind wie unsere digitalen Fingerabdrücke. Eine so totale Erfassung würde Kriminalitätsvorbeugung durch anonyme Beratung und Seelsorge, Opferhilfe durch anonyme Selbsthilfeforen und auch die freie Presse gefährden, die auf anonyme Informanten angewiesen ist. Ich rufe die Ampelkoalition dazu auf, jede Form der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung mit einem neuen Gesetz abzuschaffen und sich für ein Europa frei von Massenüberwachung und Generalverdacht einsetzen.“

    Anne Herpertz, Bundesvorsitzende der Piratenpartei Deutschland, schließt sich dem an:

    Massenüberwachung ist das Gegenteil dessen, was europäische Werte verkörpern. Freiheit und Demokratie verlieren ihre Bedeutung, wenn es Staaten wie Deutschland gibt, die Vorratsdaten speichern wollen. Wozu ein moderner Überwachungsstaat in der Lage ist, zeigt sich in China mehr als eindrücklich. Jeder Schritt wird überwacht, dokumentiert und auch sanktioniert von einem allmächtigen Staat, der alles kontrolliert. Das muss uns in Europa eine Warnung sein und kein Vorbild. Der EuGH hat uns dieses Mal wohl vor Schlimmerem bewahrt. Dennoch müssen wir wachsam bleiben: Die Politiker:innen, die neue Ideen zur Überwachung immer wieder einbringen, sind noch immer da. Einen dauerhaften Schutz für die Freiheit gibt es leider nicht – sie muss jedes Mal aufs Neue errungen werden.“

    Breyer weist die Forderung von Bundesinnenministerin Faeser (SPD) nach einer Vorratsspeicherung von IP-Adressen zur Verfolgung von Missbrauchsdarstellungen und Kinderpornografie im Netz zurück:

    „Vorratsdatenspeicherung ist ein völlig untaugliches Mittel zum Schutz von Kindern, umgekehrt dient Anonymität ihrem Schutz, indem sie anonyme Beratung, Selbsthilfe und Anzeigen ermöglicht. Nach der amtlichen Kriminalstatistik ist die Aufklärungsquote bei Internetdelikten schon heute überdurchschnittlich hoch (65%), bei (kinder-)pornografischen Darstellungen liegt sie sogar bei rund 90%. Nach eigenen Angaben der Bundesregierung können 97% der Verdachtsmeldungen auch ohne IP-Vorratsdatenspeicherung nachverfolgt werden.[2]

    Als wir 2009 in Deutschland eine sechsmonatige IP-Vorratsdatenspeicherung hatten, ging die Aufklärungsquote sogar zurück, weil eine Vorratsdatenspeicherung Straftäter zum Einsatz von Anonymisierungsstrategien veranlasst, so dass ihre Kommunikation selbst im Verdachtsfall nicht mehr zu überwachen ist. In EU-Ländern mit IP-Vorratsdatenspeicherung ist die Aufklärungsquote nicht höher.[3] Der richtige und überfällige Weg, um sexuellem Missbrauch und dessen Ausbeutung wirksam entgegen zu treten, sind verstärkte Präventionsmaßnahmen und -projekte sowie anonyme Beratungs- und Therapieangebote. Auch dass polizeiliche Durchsuchungen und Auswertungen in Verdachtsfällen oft Monate oder Jahre dauern und das BKA bekannte Missbrauchsdarstellungen im Netz stehen lässt, ist völlig inakzeptabel.“

    Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht schrieb zu der Frage der IP-Vorratsdatenspeicherung in einem Gutachten wörtlich: „Insbesondere gibt es bislang keinen Hinweis dafür, dass durch eine umfängliche Verfolgung aller Spuren, die auf das Herunterladen von Kinderpornografie hindeuten, sexueller Missbrauch über den Zufall hinaus verhindert werden kann.“ Gestern sprachen sich zahlreiche Organisationen und Verbände gegen eine IP-Vorratsdatenspeicherung aus.[4]

    Auch der Koalitionsvertrag sieht eine Datenspeicherung nur anlassbezogen und mit richterlicher Anordnung vor. Neben Bundesinnenministerin Faeser (SPD) erwägt aber auch die EU-Kommission eine anlasslose und flächendeckende Vorratsspeicherung von Internet-Protokolladressen und hat dazu eine Initiative angekündigt.

    Mit der heutigen Entscheidung hat der EuGH eine vorgelegte Rechtsfrage beantwortet. Damit ist das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht fortzusetzen, dass unter Beachtung des heutigen Urteils eine eigene Entscheidung treffen wird. Die Teile des Gesetzes, die gegen die Grundrechtecharta verstoßen, dürfen in Deutschland nicht angewendet werden. Ein Entwurf für eine Neuregelung in Deutschland wird zeitnah erwartet.

    Eine 2022 veröffentlichte Meinungsumfrage [5] hat ergeben, dass 51% der Befragten in Deutschland eine verdachtslose Vorratsdatenspeicherung ablehnen, während nur 31% dafür und 19% unentschieden sind. Fast die Hälfte der Befragten in Deutschland (45%) würde auf Beratung durch einen Eheberater, einen Psychotherapeuten oder eine Entzugsklinik per Telefon, Handy oder E-Mail verzichten, wenn sie wüssten, dass ihr Kontakt registriert wird.

     

    Basiswissen zum Thema Vorratsdatenspeicherung:

    https://www.patrick-breyer.de/vorratsdatenspeicherung/ 

    Alle Beiträge zu dem Thema:

    https://www.patrick-breyer.de/tag/vorratsdatenspeicherung/

     

    Quellen:

    [1] https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=265881&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1

    [2] dserver.bundestag.de/btd/20/005/2000534.pdf#page=32

    [3] https://www.patrick-breyer.de/studie-strafverfolgung-funktioniert-ohne-vorratsdatenspeicherung/

    [4] https://grundrechte.ch/2013/MPI_VDS_Studie.pdf

    [5] https://www.patrick-breyer.de/umfrage-vorratsdatenspeicherung-schadet-der-bevoelkerung/

  • Safer Internet Day #fitfordemocracy

    Safer Internet Day #fitfordemocracy

    Heute ist Safer Internet Day. Bei der Fülle möglicher Themen unter dieser Headline, geht es beim Safer Internet Day dieses Jahr treffenderweise um „Fit für die Demokratie, stark für die Gesellschaft!“ – nachdem “Meinungsbildung durch Influencer” und das Thema “Fakenews” in den letzten Jahren auf der Agenda standen.

    Fit für die Demokratie,…

    Interessant, dass gerade bei einem Aktionstag, in dem das Internet im Mittelpunkt steht, an unser demokratisches Verständnis und die daraus hervorgehende starke Gesellschaft appelliert wird. Wir sprechen über Fitness für die Demokratie. Also die körperliche und geistige Bereitschaft für die Demokratie. Und tatsächlich ist es ja genau das, was uns die Demokratie abverlangt. Sie ist vielleicht die unbequemste Regierungsform. Das Set von Regeln, das uns am meisten herausfordert. Das von uns verlangt, auszuhalten, dass Menschen mit Meinungen kollidieren. Diese Kollision kann bis zur körperlichen oder auch psychischen Erschöpfung führen. Es ist also an uns, an jedem Einzelnen, dafür zu sorgen, fit zu sein, sich zu stärken, die Meinung anderer zu akzeptieren, diese auch mal stehen lassen zu können.

    Stehen lassen zu können, und erst recht nicht mit Beleidigung, Hetze oder Hass zu reagieren. Auch wenn wir nur einen Monitor vor uns haben: Auf der anderen Seite, Empfänger der Reaktion, sind Menschen. Wir reden nicht mit Pixeln oder Profilfotos, sondern eben mit Menschen, so wie wir selbst Menschen sind. Diese Toleranz und Notwendigkeit Meinungen auszuhalten gilt auf beiden Seiten, sie befreit nicht von Manieren und Umgangsformen, wie sie sich jeder selbst für sich wünscht. Ich kann mir schwer vorstellen, dass irgendjemand selbst gerne sprichwörtlich bespuckt werden möchte, was leider nur allzu oft in Debatten beobachtet werden kann.

    Es gehört ebenso zu dieser Fitness, sich die Mühe zu geben bzw. einen Schritt zurück zu machen und festzustellen, von welcher Güte die Informationen sind, auf denen die eigene Meinung oder auch die Reaktion aufbaut. Im Internet ist nicht immer alles wie es scheint, und erst recht nicht immer ohne eigene Interessen.

    Daher: Stärkt euch, werdet fit. Fit für die Demokratie

    …stark für die Gesellschaft

    Zu Üben und so den eigenen Umgang mit Meinungen zu stärken, durch diese Eigenleistung wachsen wir zu einer starken Gesellschaft heran. Wir werden eine starke Gesellschaft, wenn wir so den Raum schaffen, dass Menschen die Möglichkeit haben, sich zu versammeln. Sich zu treffen, untereinander auszutauschen, sich einzusetzen – für Grundrechte, wie freie Religion oder zu lieben, wen man möchte. Darüber zu berichten, wie reichhaltig und vielseitig unsere Gesellschaft ist. Die Freiheit sich zu organisieren, wenn uns etwas nicht gefällt, oder gerade weil uns etwas gefällt. Wir werden eine starke Demokratie, indem wir Raum zulassen oder ihn sogar verteidigen für diejenigen, die nicht unserer Meinung sind.

    Wir kommen zu einer starken Demokratie, indem wir uns gegenseitig stärken, wenn wir beispielsweise Hassrede etwas entgegenstellen und nicht unbeantwortet lassen, oder indem wir auf Fakenews hinweisen, und das freundlich, nicht mit schäumendem Mund oder einer moralisch überhöhten Position.

    Es liegt an uns. Wir können die Gesellschaft so gestalten, wie du und ich sie haben möchten.

    Die EU-Initiative “klicksafe” formuliert sehr treffend: „Demokratie ist kein gegebener Zustand, sondern muss sich im Alltag immer wieder neu bewähren, erfinden, überzeugen. Eine starke Medienkompetenz ermöglicht eine starke Demokratiekompetenz. Damit dies gelingt, müssen wir regelmäßig trainieren, denn eine nachlassende und schwache Demokratie gefährdet die Vielfalt in unserer Gesellschaft.“

  • Europäischer Datenschutztag: Europaabgeordnete warnen parteiübergreifend vor den Chatkontrolle-Massenüberwachungsplänen der EU

    Europäischer Datenschutztag: Europaabgeordnete warnen parteiübergreifend vor den Chatkontrolle-Massenüberwachungsplänen der EU

    Zum Europäischen Datenschutztag wenden sich Europaabgeordnete in einem parteiübergreifenden Brandbrief an die Europäische Kommission: Die Abgeordneten warnen, dass der für März 2022 von der Kommission angekündigte Gesetzentwurf zur verdachtslosen Nachrichten- und Chatkontrolle auf allen Handys zu einer Massenüberwachung der privaten Kommunikation aller EU-Bürger:innen führen würde. Zudem bedrohe ein solches Gesetz die sichere Verschlüsselung und die IT-Sicherheit allgemein.

    Ähnlich der hochumstrittenen „SpyPhone“-Pläne des Apple-Konzerns will die EU-Kommission zum „Schutz von Kindern“ künftig alle Anbieter von Kommunikationsdiensten dazu zwingen, den Inhalt der gesamten persönlichen Kommunikation aller Bürger:innen anlasslos zu überwachen und zu scannen. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll am 2. März vorgestellt werden. Bisher sicher Ende-zu-Ende verschlüsselte Kommunikation müsste dazu auf allen Handys durchleuchtet und im Verdachtsfall automatisiert ausgeleitet und angezeigt werden. „Die wahllose und generelle vorsorgliche Überwachung der Online-Aktivitäten aller Menschen verursacht verheerende Kollateralschäden“, appellieren die Europaabgeordneten an die zuständigen EU-Kommissar:innen Margrethe Vestager, Margaritis Schinas, Věra Jourová, Thierry Breton, Didier Reynders und Ylva Johansson. Die geplante Chatkontrolle „missachtet den Kern des Grundrechts auf vertrauliche Kommunikation (Artikel 7 der Charta) und ist daher weder notwendig noch verhältnismäßig“ heißt es weiter.

    „Sie hat eine abschreckende Wirkung auf die Ausübung der Grundrechte im Internet, auch für Kinder und Opfer, Minderheiten, LGBTQI-Personen, politische Dissident:innen, Journalist:innen usw. Diese Methode stellt einen Präzedenzfall für die spätere Ausweitung auf andere Zwecke dar. Die Auslagerung von Strafverfolgungsaktivitäten (Verbrechensaufdeckung) an private Unternehmen und deren Maschinen hebt den Schutz auf, den die Unabhängigkeit und Qualifikation öffentlicher Ermittler sowie die institutionelle Aufsicht über deren Aktivitäten gewährleisten.“

    Die EU-Abgeordneten zeigen sich besorgt über jüngste Medienberichte, denen zufolge Ermittler Plattformen für sexuellen Kindesmissbrauch wie „Boystown“ zwar stillgelegt haben, es aber versäumten, die verlinkten Inhalte zur Löschung zu melden. Das bedeutet, dass Tausende von Gigabytes illegaler Bilder weiterhin zugänglich sind.

    „Die Ermittler argumentieren, dass ihnen die Kapazitäten fehlen, um das ihnen bekannte Material zu melden. Würde man die ohnehin schon überlasteten Ermittler noch zusätzlich mit Tausenden von zumeist falschen Meldungen belasten, in denen bekanntes illegales Material über kommerzielle Kommunikationsdienste weitergegeben worden sein soll, ließe man die Opfer im Stich. Der Opferschutz hängt davon ab, dass alle Ressourcen auf die Verhinderung von Missbrauch und der Produktion von Missbrauchsmaterial konzentriert werden,“ so die Abgeordneten.

    Der Europaabgeordnete und Bürgerrechtler Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei) kommentiert:

    „Dieser EU-Big-Brother-Angriff auf unsere Handys zur totalen Durchleuchtung unserer privaten Kommunikation mit fehleranfälligen Denunziationsmaschinen droht in einen Überwachungsstaat nach chinesischem Vorbild zu führen. Soll vielleicht als nächstes die Post alle Briefe vorsorglich öffnen und scannen? Eine wahllose und grundrechtswidrige Suche ins Blaue hinein ist der falsche Weg zum Schutz von Kindern und gefährdet diese sogar, indem ihre privaten Aufnahmen in die falschen Hände geraten und Kinder vielfach kriminalisiert werden. Überlastete Strafverfolger, die nicht einmal für die Sichtung bekannter Kinderpornografie Zeit haben, mit größtenteils falschen Massenanzeigen zu fluten, ist unverantwortlich den Kindern gegenüber, deren Missbrauch dadurch fortgesetzt wird.“

    Hintergrund:

    Die im August 2021 angekündigten Pläne von Apple, persönliche Fotos wahllos nach verdächtigen Inhalten durchsuchen zu wollen, führten zu einem öffentlichen Aufschrei. Mehr als 90 Organisationen forderten das Unternehmen auf, die Pläne zu verwerfen.

    Die Europaabgeordneten warnen, die Kommissionspläne würden einen ähnlichen Proteststurm auslösen. Die Anbieter müssten eine Hintertür in ihre Software einbauen (“client-side scanning”), um eine solche Überwachung zu ermöglichen. Die Einführung einer Routine für die automatische Meldung verdächtiger Kommunikationsinhalte im Falle eines Treffers würde die sichere Ende-zu-Ende-Verschlüsselung insgesamt aushebeln und die damit verbundene Sicherheit und das Vertrauen in digitale Kommunikationsinfrastruktur beseitigen. Privatpersonen, Unternehmen und Behörden verließen sich auf die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, um ihre persönlichen, geschäftlichen und staatlichen Geheimnisse zu schützen.

    Mehr Informationen zur Chatkontrolle: www.chatkontrolle.de

     

     

     

  • Hongkong: Deutschland darf dem Demokratieabbau nicht tatenlos zusehen

    Hongkong: Deutschland darf dem Demokratieabbau nicht tatenlos zusehen

    Den Beschluss des chinesischen Volkskongresses im Bezug auf das Wahlrecht in Hongkong kommentiert der politische Geschäftsführer der Piratenpartei Daniel Mönch:

    „Als Joshua Wong zu Besuch in Europa war, standen namhafte Politiker gerne an seiner Seite und haben sich für das Pressefoto ablichten lassen. Heute sitzt der gleiche Joshua Wong im Gefängnis, weil er sich für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt hat. Die gleichen Politiker, die damals gerne Bilder gemacht haben, schweigen heute. Wir fordern alle anderen demokratischen Parteien dazu auf, sich klar mit den Menschen in Hongkong zu solidarisieren, das Vorgehen der kommunistischen Partei in Hongkong zu verurteilen und sich für die Freilassung inhaftierter Aktivisten einzusetzen.

    Mit der Entscheidung das Wahlrecht in Hongkong zu begrenzen, hat der Chinesische Volkskongress das Schicksal von Hongkong besiegelt. Alle, die den Versprechungen der kommunistischen Partei Chinas noch Glauben geschenkt haben, wurden mit dem heutigen Tag eines besseren belehrt. Die internationale Gemeinschaft, aber insbesondere Deutschland, muss endlich passende Antworten für das rücksichtslose Vorgehen Chinas finden. Wir erinnern uns, dass Verteidigungsminister Heiko Maas China mit Konsequenzen drohte, wenn die Versprechen im Bezug auf Grundrechte der Bürger von Hongkong nicht eingehalten werden. Mit der Entscheidung, nur noch „Patrioten“ zur Wahl zuzulassen, sind alle Aussichten „ein Land zwei Systeme“ aufrecht zu erhalten, Geschichte.
    Herr Maas, handeln Sie! Appeasement ist im Umgang mit Diktatoren die menschenverachtende Systeme betreiben immer die falsche Antwort. Die Bundesregierung muss die Zusammenarbeit mit der kommunistischen Partei Chinas aufkündigen, jede andere Reaktion ist unglaubwürdig.“

  • Hong Kong: Neues Wahlrecht beendet die Demokratie

    Hong Kong: Neues Wahlrecht beendet die Demokratie

    Den Beschluss des chinesischen Volkskongresses, das Wahlrecht in Hongkong zu begrenzen, kommentiert die Europaabgeordnete der tschechischen Piraten Markéta Gregorová:

    „Das europäische Volk steht an der Seite der Bürger von Hongkong. Die systematische Demontage aller politischen Freiheiten in Hongkong durch die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) ist inakzeptabel. Der autoritären Machtergreifung muss mit europäischen Wirtschaftssanktionen gegen die verantwortlichen KPCh-Mitglieder begegnet werden.
    Das Territorium von Hongkong kann nicht länger als ein vom chinesischen Festland getrenntes System betrachtet werden. Die freie Bevölkerung Hongkongs muss die Möglichkeit haben, visafrei in die Europäische Union einzureisen und sich dort unbegrenzt aufzuhalten, wenn sie dies wünscht. Unsere diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu einem expansiven China müssen auf diese grobe Verletzung des Völkerrechts reagieren und die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Das Investitionsabkommen zwischen China und der EU darf nicht ratifiziert werden.“

  • Wir brauchen eine Demokratie-Kultur

    Wir brauchen eine Demokratie-Kultur

    Ein Kommentar von Sebastian Alscher, Bundesvorsitzender der Piratenpartei Deutschland, zur Bundespressekonferenz am 13. Januar zum Auftakt des zweiten bundesweiten Bürgerrates „Deutschlands Rolle in der Welt“.

    Bei der Bundespressekonferenz zum Beginn des Projektes Bürgerrat „Deutschlands Rolle in der Welt“ unter der Schirmherrschaft von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, erlaubte sich Herr Dr. Schäuble einen Kommentar zur Piratenpartei, auf den ich gerne Bezug nehmen möchte.

    Als Piratenpartei setzen wir uns für Basisdemokratie ein. Wir glauben nicht nur, dass alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, sondern auch, dass vernünftiges Regieren nicht funktioniert, ohne die Menschen einzubeziehen, die von den Entscheidungen betroffen sein werden. Für uns führt daher kein Weg an Volksentscheiden vorbei, die zu wichtigen Fragestellungen angestoßen werden sollten. Die Autorität der Staatsorgane ist eine von dem Menschen durch Wahlen verliehene. Und um die Stabilität unserer freiheitlich demokratischen Ordnung aufrecht zu erhalten ist es gleichermaßen wichtig, diese Autorität ständig zu bekräftigen. Eine offene Gesellschaft bietet die Möglichkeit, demokratisch zu wählen und abzuwählen. Eine Gesellschaft, die permanent in Entwicklung ist mit dem Ziel, den Status Quo für etwas besseres zu verwerfen. Stabilität bedeutet daher, regelmäßig zu bekräftigen, dass eine Abwahl nicht bevorsteht. Gleichzeitig wäre es ein Trugschluss, zu glauben, dass die Bekräftigung des Status Quo nur durch Wahlen erfolgen würde. Und dass gleichermaßen auch eine Abwahl, also ein Entzug der Autorität, nur durch Wahlen erfolgen könnte. Eine solche Resignation mit dem Zustand in der Gegenwart verleiht sich über vielerlei Wege Ausdruck. Wahlen sind nur eine Art diese sichtbar zu machen. Hier nur alle vier Jahre auf den Kompass zu schauen, ist meiner Meinung nach sehr gefährlich.

    Auch Bürgerräte werden als ein solches Mittel verstanden, und sollen nun als nächster Versuch zu mehr bürgernahen Entscheidungen ausprobiert werden. Dr. Schäubles Schirmherrschaft ist, und da macht er keinen Hehl daraus, nun unverholen lediglich ein weiterer Versuch zu mehr Bürgernähe. Mein Ziel ist nicht, hier die Glaubwürdigkeit seiner Bereitschaft zu hinterfragen; er wird Bürgerräte der Alternative von Volksbefragungen schlichtweg vorziehen, quasi ein plebiszitäres Feigenblatt.

    Nun erwähnte er im Rahmen der Pressekonferenz auch, es habe in Deutschland bereits ein Experiment gegeben, mit Namen Piratenpartei. Selbstverständlich ist es für mich als Bundesvorsitzenden etwas befremdlich, wenn der Präsident des Deutschen Bundestages eine nun 14 Jahre alte demokratische Partei, die nicht nur häufig kommunal vertreten ist, sondern auch seit 2011 in Parlamenten sitzt (Landesparlamente und dem Europaparlament), als Experiment bezeichnet. Aber auch das ist eben ein besonderer Blick auf die Demokratie, die aus der Zeit gefallen scheint. Er betonte, mit der Piratenpartei sei die Idee „immerwährender Plebiszite“ grandios gescheitert. Und um eine Drohkulisse aufzubauen ergänzte er, man würde damit schneller dort enden, was man sich für Europa nicht mehr wünschen würde zu erleben. Die Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger zu befördern brachte uns aber sicher nicht in jene dunkle Situation. Ein Mangel an Transparenz und Verantwortlichkeit ist es, der Misstrauen sät und Populismus Tür und Tor öffnet.

    Die Piratenpartei hat nicht erreicht, dass in Deutschland ein immerwährendes Plebiszit abläuft, ein Urteil über die Auswirkungen und der Erfolg einer solchen Maßnahme steht daher noch aus. Gleichzeitig ist unser Eintreten für Volksbefragungen auch schwerlich vergleichbar damit, allein aufgrund technischer Möglichkeiten über jede marginale Entscheidung abzustimmen. Als deutsche Partei treten wir für das Grundgesetz ein und stehen auch hinter der repräsentativen Demokratie, weil sie in vielerlei Fragen das Entscheiden vereinfacht. Es geht bei Volksbefragungen jedoch weniger um eine operative Frage, sondern eine der politischen Kultur.

    Es ist durchaus vorstellbar, dass ein Umschalten einer repräsentativen Demokratie auf eine plebiszitäre Demokratie nicht ohne Weiteres zu einer stabilen freiheitlichen Demokratie führt. Worum es geht, ist, den politischen Geist, die politische Kultur zu ändern. Es geht um eine Kultur, die den Menschen deutlich macht, dass sie Teil des Entscheidungsprozesses sind, dass sie ihre Verantwortung für die Gesellschaft und die Entscheidungen, die wir treffen, nicht am Ausgang der Wahlkabine abgeben. Es geht um das Empowerment der Menschen, das Gefühl von Gestaltungskraft. Zahlreiche psychologische Studien zeigen den hohen Zusammenhang zwischen Selbstwirksamkeit und Depression. Das gleiche gilt auch für die erlebte Selbstwirksamkeit in der Demokratie.

    Das Bestreben der Piratenpartei war und ist, sich dafür einzusetzen, dass Menschen die Möglichkeit haben, sich niedrigschwellig in politische Entscheidungsfindung einzubringen und Entscheidungen beeinflussen zu können. Sie sollen sich als Teil des Systems verstehen, wenn sie dies wollen. Selbstverständlich ist das eine Gefahr für bestehende Machtstrukturen. Das darf aber nicht zu Abwehrreflexen führen, sondern sollte als ein weiterer Baustein unserer Demokratie in die Gestaltungsprozesse Eingang finden.

    Hierzu ist es aber wichtig, die Menschen wahrzunehmen, anzuerkennen und zu befähigen. Befähigung besteht nicht alleine in der Möglichkeit, Kreuzchen zu machen, sondern eben auch, sie entlang des Entscheidungsprozesses mitzunehmen, sie weiterzubilden. Das Umfeld zu schaffen, um diese Möglichkeit angemessen wertzuschätzen. Eine seriöse Auseinandersetzung mit politischen Themen zu erlauben und zu erzielen.

    Gewiss kann ein Bürgerrat ein Versuch sein, hier plebiszitäre Möglichkeiten im Reagenzglas zu schaffen. Wir erleben eine Suggestion von Einflussmöglichkeiten ohne die tatsächliche Kraft der Einflussnahme, die möglicherweise eine bestehende Macht allzusehr erschüttert. Denn die Teilnehmer der Bürgerräte wissen gar nicht genau, woran sie beteiligt werden, und mit welchen Handlungs- und Machtoptionen sie nun tatsächlich ausgestattet sind. Und die Fragen nach der Zusicherung einer Übernahme der Ergebnisse, oder Forderungen aus den Bürgerräten, blieben unbeantwortet. Es war ein „wir werden sehen“… Eine bedingte Selbstwirksamkeit. Selbstverständlich stellt sich auch die Frage nach der Repräsentativität von Bürgerräten – sind sie Stellverteter aller Menschen? Solange Bürgerräte nicht institutionalisiert sind, wird man sich um die Antwort darauf drücken können. Gleichzeitig sollte es dann nicht überraschen, wenn mit ebendiesem starken Gegenargument im Rücken die Übernahme von Arbeitsergebnissen der Bürgerräte davon abhängen wird, was genau vorgeschlagen wird.

    Dr. Schäuble mag sich also weiterhin verweigern, anzuerkennen, dass es soweit ist, eine zeitgemäße Politik-Kultur zu etablieren. Er mag auch weiterhin Politikprojekte begleiten, die an der Oberfläche einer Politiksimulation bleiben. Verantwortungsvoll wäre es aber, durch Beteiligungsmöglichkeiten für alle, die das wollen, eine Kultur zu fördern, die in Freiheit und Verantwortung die Gesellschaft mitgestalten kann, und die dazu beiträgt, einer wahrgenommenen Entkoppelung von politischen Entscheidungsträgern von den Menschen entgegen zu wirken. Denn dort liegt die große Gefahr einen Delegitimierung der politischen Autoritäten und Institutionen, und damit die große Gefahr eines Einreißens der Säulen, die unsere wehrhafte Demokratie tragen. Und genau das können wir uns nicht weiter leisten. Dazu haben wir zu viel zu verlieren.