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  • Urteil zur Vorratsdatenspeicherung: Europa muss frei von Massenüberwachung sein!

    Urteil zur Vorratsdatenspeicherung: Europa muss frei von Massenüberwachung sein!

     

    In seinem heutigen Urteil [1] hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) das deutsche Gesetz zur verdachtslosen Vorratsspeicherung der Telefonverbindungs- und Standortdaten der gesamten Bevölkerung zur Erleichterung der Strafverfolgung gekippt. Die verdachtslose Vorratsspeicherung von Internetverbindungsdaten, mit deren Hilfe die Internetnutzung rückverfolgt werden kann, hat er zur Verfolgung schwerer Straftaten dagegen nicht beanstandet. Auch das sogenannte Quick Freeze-Verfahren wird zur Verfolgung schwerer Straftaten zugelassen.

    Der EU-Abgeordnete Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei) fordert die Ampelkoalition auf, den Koalitionsvertrag umzusetzen und jede Form der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung zu beenden:

    „Die massenhafte und flächendeckende Aufzeichnung der Kommunikation, Bewegungen und Internetnutzung völlig unbescholtener Menschen ist eine totalitäre Maßnahme, die mit den Werten einer freien Demokratie nicht vereinbar ist. Der EuGH hat auf massiven Druck überwachungswütiger Regierungen eine IP-Vorratsdatenspeicherung im Internet nicht beanstandet. Sie würde aber jeden Internetnutzer unter Generalverdacht stellen und die Internetnutzung der gesamten Bevölkerung, die unsere intimsten Vorlieben und Schwächen abbildet, nachvollziehbar machen. 

    IP-Adressen sind wie unsere digitalen Fingerabdrücke. Eine so totale Erfassung würde Kriminalitätsvorbeugung durch anonyme Beratung und Seelsorge, Opferhilfe durch anonyme Selbsthilfeforen und auch die freie Presse gefährden, die auf anonyme Informanten angewiesen ist. Ich rufe die Ampelkoalition dazu auf, jede Form der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung mit einem neuen Gesetz abzuschaffen und sich für ein Europa frei von Massenüberwachung und Generalverdacht einsetzen.“

    Anne Herpertz, Bundesvorsitzende der Piratenpartei Deutschland, schließt sich dem an:

    Massenüberwachung ist das Gegenteil dessen, was europäische Werte verkörpern. Freiheit und Demokratie verlieren ihre Bedeutung, wenn es Staaten wie Deutschland gibt, die Vorratsdaten speichern wollen. Wozu ein moderner Überwachungsstaat in der Lage ist, zeigt sich in China mehr als eindrücklich. Jeder Schritt wird überwacht, dokumentiert und auch sanktioniert von einem allmächtigen Staat, der alles kontrolliert. Das muss uns in Europa eine Warnung sein und kein Vorbild. Der EuGH hat uns dieses Mal wohl vor Schlimmerem bewahrt. Dennoch müssen wir wachsam bleiben: Die Politiker:innen, die neue Ideen zur Überwachung immer wieder einbringen, sind noch immer da. Einen dauerhaften Schutz für die Freiheit gibt es leider nicht – sie muss jedes Mal aufs Neue errungen werden.“

    Breyer weist die Forderung von Bundesinnenministerin Faeser (SPD) nach einer Vorratsspeicherung von IP-Adressen zur Verfolgung von Missbrauchsdarstellungen und Kinderpornografie im Netz zurück:

    „Vorratsdatenspeicherung ist ein völlig untaugliches Mittel zum Schutz von Kindern, umgekehrt dient Anonymität ihrem Schutz, indem sie anonyme Beratung, Selbsthilfe und Anzeigen ermöglicht. Nach der amtlichen Kriminalstatistik ist die Aufklärungsquote bei Internetdelikten schon heute überdurchschnittlich hoch (65%), bei (kinder-)pornografischen Darstellungen liegt sie sogar bei rund 90%. Nach eigenen Angaben der Bundesregierung können 97% der Verdachtsmeldungen auch ohne IP-Vorratsdatenspeicherung nachverfolgt werden.[2]

    Als wir 2009 in Deutschland eine sechsmonatige IP-Vorratsdatenspeicherung hatten, ging die Aufklärungsquote sogar zurück, weil eine Vorratsdatenspeicherung Straftäter zum Einsatz von Anonymisierungsstrategien veranlasst, so dass ihre Kommunikation selbst im Verdachtsfall nicht mehr zu überwachen ist. In EU-Ländern mit IP-Vorratsdatenspeicherung ist die Aufklärungsquote nicht höher.[3] Der richtige und überfällige Weg, um sexuellem Missbrauch und dessen Ausbeutung wirksam entgegen zu treten, sind verstärkte Präventionsmaßnahmen und -projekte sowie anonyme Beratungs- und Therapieangebote. Auch dass polizeiliche Durchsuchungen und Auswertungen in Verdachtsfällen oft Monate oder Jahre dauern und das BKA bekannte Missbrauchsdarstellungen im Netz stehen lässt, ist völlig inakzeptabel.“

    Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht schrieb zu der Frage der IP-Vorratsdatenspeicherung in einem Gutachten wörtlich: „Insbesondere gibt es bislang keinen Hinweis dafür, dass durch eine umfängliche Verfolgung aller Spuren, die auf das Herunterladen von Kinderpornografie hindeuten, sexueller Missbrauch über den Zufall hinaus verhindert werden kann.“ Gestern sprachen sich zahlreiche Organisationen und Verbände gegen eine IP-Vorratsdatenspeicherung aus.[4]

    Auch der Koalitionsvertrag sieht eine Datenspeicherung nur anlassbezogen und mit richterlicher Anordnung vor. Neben Bundesinnenministerin Faeser (SPD) erwägt aber auch die EU-Kommission eine anlasslose und flächendeckende Vorratsspeicherung von Internet-Protokolladressen und hat dazu eine Initiative angekündigt.

    Mit der heutigen Entscheidung hat der EuGH eine vorgelegte Rechtsfrage beantwortet. Damit ist das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht fortzusetzen, dass unter Beachtung des heutigen Urteils eine eigene Entscheidung treffen wird. Die Teile des Gesetzes, die gegen die Grundrechtecharta verstoßen, dürfen in Deutschland nicht angewendet werden. Ein Entwurf für eine Neuregelung in Deutschland wird zeitnah erwartet.

    Eine 2022 veröffentlichte Meinungsumfrage [5] hat ergeben, dass 51% der Befragten in Deutschland eine verdachtslose Vorratsdatenspeicherung ablehnen, während nur 31% dafür und 19% unentschieden sind. Fast die Hälfte der Befragten in Deutschland (45%) würde auf Beratung durch einen Eheberater, einen Psychotherapeuten oder eine Entzugsklinik per Telefon, Handy oder E-Mail verzichten, wenn sie wüssten, dass ihr Kontakt registriert wird.

     

    Basiswissen zum Thema Vorratsdatenspeicherung:

    https://www.patrick-breyer.de/vorratsdatenspeicherung/ 

    Alle Beiträge zu dem Thema:

    https://www.patrick-breyer.de/tag/vorratsdatenspeicherung/

     

    Quellen:

    [1] https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=265881&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1

    [2] dserver.bundestag.de/btd/20/005/2000534.pdf#page=32

    [3] https://www.patrick-breyer.de/studie-strafverfolgung-funktioniert-ohne-vorratsdatenspeicherung/

    [4] https://grundrechte.ch/2013/MPI_VDS_Studie.pdf

    [5] https://www.patrick-breyer.de/umfrage-vorratsdatenspeicherung-schadet-der-bevoelkerung/

  • Historischer Moment: Europäisches Parlament spricht sich erstmals für ein Verbot der biometrischen Massenüberwachung in der EU aus

    Historischer Moment: Europäisches Parlament spricht sich erstmals für ein Verbot der biometrischen Massenüberwachung in der EU aus

    Das Europäische Parlament hat heute mit 259:403:30 Stimmen den Antrag [1] zurückgewiesen, die Forderung nach einem Verbot der biometrischen Massenüberwachung, etwa mittels Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, aus dem Vitanov-Bericht über Künstliche Intelligenz im Strafrecht und ihre Nutzung durch Polizei und Justizbehörden in Strafsachen (A9-0232/2021, Abs. 31) [2] zu streichen. Es bleibt damit bei dem Text: „fordert die Kommission daher auf, mit legislativen und nichtlegislativen Mitteln und erforderlichenfalls durch Vertragsverletzungsverfahren ein Verbot jeglicher Verarbeitung biometrischer Daten, einschließlich Gesichtsbildern, zu Strafverfolgungszwecken zu erwirken, wenn diese Verarbeitung zu einer Massenüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen führt; fordert die Kommission ferner auf, die Finanzierung von Forschungsarbeiten, Einsätzen oder Programmen im Zusammenhang mit biometrischen Identifikatoren einzustellen, bei denen die Möglichkeit besteht, dass sie zu einer wahllosen Massenüberwachung in öffentlichen Räumen führen“.

    Dr. Patrick Breyer, Europaabgeordneter der Piratenpartei und Schattenberichterstatter der Grünen/EFA-Fraktion, kommentiert:

    „Diese Abstimmung ist ein historischer Erfolg für die Bewegung, die eine dystopische Zukunft der biometrischen Massenüberwachung nach chinesischem Vorbild in Europa verhindern will. In keinem einzigen Fall konnte biometrische Echtzeit-Überwachung einen Terroranschlag verhindern, wie uns Befürworter glauben machen wollen. Wir müssen uns gegen die biometrische Massenüberwachung in unseren öffentlichen Räumen wehren, denn diese Technologien erfassen zu Unrecht eine große Zahl unschuldiger Bürgerinnen und Bürger, diskriminieren systematisch unterrepräsentierte Gruppen und haben eine abschreckende Wirkung auf eine freie und vielfältige Gesellschaft.

    Das Europäische Parlament muss nun dafür kämpfen, dass dieses Verbot verbindlich in das KI-Gesetz aufgenommen wird! Ich rufe alle Bürgerinnen und Bürger auf, durch Unterzeichnung der Europäischen Bürgerinitiative #ReclaimYourFace [3] den Druck auf die überwachungswütigen EU-Regierungen zu erhöhen.“

    Im Vorfeld der Abstimmung hatten 25 Abgeordnete verschiedener Fraktionen in einem offenen Brief ihre Parlamentskolleginnen und -kollegen aufgefordert, die Änderungen abzulehnen [4]. Der Bericht wird voraussichtlich am Abend endgültig verabschiedet.

    Laut einer repräsentativen Umfrage, die YouGov in 10 EU-Ländern durchgeführt hat, lehnt eine Mehrheit der Europäerinnen und Europäer biometrische Massenüberwachung im öffentlichen Raum ab [5]. Im anhängigen Gesetzgebungsverfahren zur Regulierung der „künstlichen Intelligenz“ hat die EU-Kommission jedoch kein Verbot vorgeschlagen, was auf breite Kritik stößt.

    Unterstützung durch Datenaufsichtsbehörden, UN und Zivilgesellschaft

    Anfang dieses Jahres forderten der Europäische Datenschutzausschuss und der Europäische Datenschutzbeauftragte ein „generelles Verbot des Einsatzes von KI zur automatischen Erkennung menschlicher Merkmale in öffentlich zugänglichen Räumen“, da dies „direkte negative Auswirkungen auf die Ausübung der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie der Freizügigkeit hat“ [6].

    Mehr als 200 zivilgesellschaftliche Organisationen, Aktivistinnen und Aktivisten, Technikspezialistinnen und -spezialisten, sowie andere Expertinnen und Experten auf der ganzen Welt setzen sich für ein weltweites Verbot biometrischer Erkennungstechnologien ein, die eine massenhafte und diskriminierende Überwachung ermöglichen, und argumentieren, dass „diese Instrumente die Fähigkeit haben, Menschen zu identifizieren, zu verfolgen, auszusondern und zu verfolgen, wo immer sie sich aufhalten, was unsere Menschenrechte und bürgerlichen Freiheiten untergräbt“ [7].

    Auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte spricht sich gegen den Einsatz biometrischer Fernerkennungssysteme im öffentlichen Raum aus und verweist auf die „mangelnde Einhaltung von Datenschutzstandards“, „erhebliche Probleme mit der Genauigkeit“ und „diskriminierende Auswirkungen“ [8].

    Quellen:
    [1] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0232-AM-001-003_EN.pdf
    [2] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0232_DE.html , par. 31
    [3] https://reclaimyourface.eu/de/
    [4] https://www.patrick-breyer.de/20211004_ai_criminal_law_open_letter/
    [5] https://www.patrick-breyer.de/umfrage-mehrheit-gegen-biometrische-massenueberwachung-im-oeffentlichen-raum/
    [6] https://edpb.europa.eu/system/files/2021-06/edpb-edps_joint_opinion_ai_regulation_en.pdf
    [7] https://www.accessnow.org/ban-biometric-surveillance/
    [8] https://www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/RegularSessions/Session48/Documents/A_HRC_48_31_AdvanceEditedVersion.docx

  • 9. Mai – Europatag: Für eine gemeinsame europäische Zukunft

    9. Mai – Europatag: Für eine gemeinsame europäische Zukunft

    Diesen Sonntag ist nicht nur Muttertag, sondern auch der für uns bedeutende Europatag der Europäischen Union. Diesen Tag möchten wir als Gelegenheit nutzen, um als paneuropäische Partei an unsere gemeinsamen europäischen Werte zu erinnern. Die Piratenpartei Deutschland ist Mitglied der Europäischen Piratenpartei (PPEU) seit diese im September 2013 gegründet wurde. Zusammen mit den anderen PPEU-Mitgliedern stehen wir für die Vision einer gemeinsamen europäischen Zukunft.

    Der Europatag der Europäischen Union ist, historisch betrachtet, einer der wichtigsten Tage im Mai für unsere europäische Geschichte. In der heutigen Zeit wird nicht nur von einer Europa-Woche gesprochen, sondern es finden diverse Veranstaltungen zu Themen rund um Europa statt. Unter dem Motto „Informieren. Erleben. Gestalten.“ endet heute die digitale Berliner Europawoche. Der Europatag selbst trägt das Motto „Europa zu Hause – zu Hause in Europa!“. Durch ein breites Angebot an digitalen Veranstaltungen wurde gezielt auf die Themen „Digitales“, „Europa in der Welt“ und „Green Deal“ aufmerksam gemacht.

    Schauen wir uns dazu einzelne piratige Positionen aus dem gemeinsamen europäischen Wahlprogramm an:

    Digitales: „Das Internet als Kommunikationsmedium bietet riesige Möglichkeiten, um einseitige Top-Down-Kommunikation in der Politik zu überwinden. PIRATEN werden deshalb die Freiheit des Internets sowohl auf europäischer Ebene, als auch weltweit entschlossen verteidigen.“

    Europa in der Welt: „Ein wichtiges Ziel aller PIRATEN ist es, ein solides demokratisches Fundament für die Europäische Union zu schaffen. Dafür ist es entscheidend, dass die politischen Prozesse viel bürgernäher werden. Es gilt, zusammen die Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Raumes für Kultur, Politik und Gesellschaft voranzutreiben und dabei die vorhandenen reichen und vielfältigen Kulturen Europas zu schützen.“

    Green Deal: „PIRATEN unterstützen die von der EU erklärten Ziele und Prinzipien zum Schutz von Wasser, Luft, Boden, natürlicher Umwelt und Rohstoffen im Interesse unserer Gesundheit und unseres Wohlbefindens. Wir sind uns auch darin einig, dies nachhaltig zu tun, indem wir wirtschaftliche, soziale und regionale Aspekte berücksichtigen und verantwortungsvoll gegenüber zukünftigen Generationen und dem Tierschutz handeln.“

    Hier geht es zum vollständigen Europawahl-Programm.

    „Die Zukunft Europas, die ich mir wünsche, ist frei von Massenüberwachung und allgemeinem Misstrauen. Sie ist geprägt durch gemeinsames Engagement für die Menschenrechte im digitalen und im analogen Raum, um die Selbstverwirklichung aller Menschen auf unserem Kontinent zu ermöglichen. Wir brauchen eine Europäische Union, die zum Wohl ihrer Bürgerinnen und Bürger arbeitet, statt im wirtschaftlichen Interesse von Großkonzernen,“

    so unser Europaabgeordneter Patrick Breyer.

    „Europa wurde in der Vergangenheit durch Konflikte zwischen Nationen, die es bewohnen, zerstört. Heute erinnern wir daran, dass das, was uns als Europäer verbindet, stärker war, ist und sein wird als das, was uns einst gespalten hat,“

    ergänzt Mikuláš Peksa, Vorsitzender der PPEU.

    „Die PIRATEN für Europa! Nicht umsonst engagieren wir uns schon so viele Jahre auf nationaler und vor allem europäischer Ebene, damit die Vision eines gemeinsamen Europas Wirklichkeit wird. Und das mit all seinen Facetten; ein Europa, das für alle Menschen lebenswert ist,“

    schließt Schoresch Davoodi, unser Themenbeauftragter für Europa.

    Was ist eigentlich Europa-Woche?

    Um diese Frage zu beantworten, müssen wir einen kurzen Blick in die Vergangenheit werfen.
    Am 8. Mai feiern wir bis heute den Tag der Befreiung und die Zerschlagung des NS-Regimes 1945. Mit Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Zeit des Friedens in Europa eingeläutet. Am 5. Mai 1949 wurde in London die Satzung für die Gründung des Europäischen Rates als Europäisches Leitorgan unterzeichnet. Und seit dem 5. Mai 1964 gilt dieser Tag als der Europatag des Europäischen Rates.

    Ein knappes Jahr später, am 9. Mai 1950 legte der französische Außenminister Robert Schuman einen Plan vor, der vorsah, dass sowohl die französische als auch die deutsche Kohle- und Stahlindustrie nicht länger auf nationaler Ebene verantwortet werden sollen, sondern für die Verwaltung eine gemeinsame europäische Behörde zu gründen. Der sogenannte „Schuman-Plan“ gilt als Meilenstein für die Gründung der Europäischen Union.

    Doch die Idee bzw. die Vision eines gemeinsamen Europa ist viel älter: Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts veröffentlichte der französische Schriftsteller und Dramatiker Victor Hugo seine Vorstellung der „Vereinigten Staaten von Europa“. Ausführungen hiervon finden sich in der heutigen Währungsunion oder dem Wegfall der nationalen Grenzen im Schengenraum wieder.

    So wird Victor Hugos Rede zum Friedenkongress von 1849 in Paris zitiert [französisch mit deutscher Übersetzung]:

    „Un jour viendra où la France, vous la Russie, vous l’Angleterre, vous l’Allemagne, vous toutes nations du continent, sans perdre vos qualités distinctes et votre glorieuse individualité, vous vous fondrez étroitement dans une unité supérieure et vous constituerez la fraternité européenne, absolument comme la Normandie, la Bretagne, la Bourgogne, la Lorraine, l’Alsace, toutes nos provinces, se sont fondues dans la France….Un jour viendra où l’on verra ces deux groupes immenses, les Etats Unis d’Amérique et les Etats Unis de l’Europe […] se tendant la main par dessus les mers…“

    „Der Tag wird kommen, an dem Frankreich, […] Russland, […] England, […] Deutschland, […] alle Nationen dieses Kontinents, ohne ihre speziellen Qualitäten und ihre ruhmreiche Einzigartigkeit zu verlieren, vollständig in einem höheren Ganzen aufgehen und die europäische Bruderschaft bilden werden, genauso wie die Normandie, die Bretagne, Burgund, Lothringen, das Elsass, alle unsere Regionen, in Frankreich aufgegangen sind… Der Tag wird kommen, an dem man diese beiden mächtigen Gesellschaften, die Vereinigten Staaten von Amerika und die Vereinigten Staaten von Europa, sich über die Meere hinweg die Hand reichend, sehen wird….“

  • Tschechien-Russland Konflikt – PIRATEN erwarten europäische Linie

    Tschechien-Russland Konflikt – PIRATEN erwarten europäische Linie

    Ermittlungen Tschechiens haben eine Beteiligung des russischen Geheimdienstes sowie von Mitarbeitern der russischen Botschaft in Tschechien mit der Sprengung eines Munitionslagers im tschechischen Vrbětice im Jahr 2014 hergestellt. Im Zuge dessen hat die tschechische Regierung beschlossen, das Personal der russischen Botschaft in Prag zu verkleinern, offiziell um ein Gleichgewicht zwischen den diplomatischen Vertretungen beider Länder herzustellen – dies würde einer Ausweisung von ca. 70 Diplomaten und Botschaftsangestellten gleichkommen. Dabei wird die Regierung von der tschechischen Piratenpartei, der derzeit führenden Oppositionspartei unterstützt.

    „Der Anschlag auf das tschechische Munitionsdepot durch russische Agenten war auch ein Angriff auf die Europäische Union. Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, sich der Unterstützung der tschechischen Haltung, zu der sich die baltischen Staaten bereits bekannt haben, anzuschließen und eine gemeinsame europäischen Linie bezüglich Russland zu erwirken. Dazu verpflichten uns die Regeln des Lissabonvertrages,“

    so Sebastian Alscher, Vorsitzender der Piratenpartei Deutschland.

    „Einen außenpolitischen deutschen Sonderweg gegenüber Russland darf es hier nicht geben. Es muss europäisch gehandelt werden,“

    ergänzt Alexander Kohler, Themenbeauftragter für Außen- und Sicherheitspolitik der Piratenpartei Deutschland.

  • Wir brauchen zuverlässige Regeln zur Preisgestaltung in der Landwirtschaft

    Wir brauchen zuverlässige Regeln zur Preisgestaltung in der Landwirtschaft

    Wiederholt protestierten Landwirte in den vergangenen Wochen gegen Preisdumping, indem sie Verteillager großer Discounter blockierten, zuletzt insbesondere wegen einseitig durchgesetzter Senkung der Butterpreise. Erst nach konkreten Zugeständnissen aus den Chefetagen von Aldi, Lidl und Co. wollten sie das Feld – beziehungsweise die Zufahrtstraßen der Verteillager – räumen. Können wir nun hoffen, dass die Mächtigen im Markt Verantwortung übernehmen? Insbesondere die vier großen Konzerne EDEKA (mit Netto), REWE (mit Penny) , Aldi (Nord und Süd) und die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland), die zusammen über 85 Prozent des Marktes auf sich vereinen? Nehmen sie endlich Abschied von ihrer Niedrig-Preis-Politik? Anscheinend nicht. So spielen Manche die Erzeuger gegeneinander aus, indem sie sonst gleiche Produkte verschiedener Erzeuger direkt nebeneinaner zu verschiedenen Preisen auslegen – um dann auf den Kundenwunsch nach günstiger Ware verweisen zu können. Aldi, nachdem das Unternehmen nach der Jahreswende wieder aus den Schlagzeilen verschwunden war, verweist auf die Verantwortung der Molkereien als Verarbeiter.

    Haben Kunden aber wirklich eine Wahl?

    „Ein erster Schritt im Sinne regionaler Produzenten muss jetzt sein, zu konkreteren Produktkennzeichnungen zu verplichten ”,

    so Annette Berndt, Themenbeauftragte für Landwirtschaft inder Piratenpartei Deutschland.

    “Wenn ich momentan regionale Produkte kaufen möchte, finde ich zum Beispiel nur den Hinweis ‘hergestellt für’. Oder eine – sinnbefreite – Kennzeichnung wie ‘EU’ / ‘Nicht-EU’ hinter einem Biosiegel.”

    Berndt findet relevante Vorschläge in einer ministerialen Pressemitteilung aus Niedersachsen zu dem Thema, kritisiert darin aber das Fehlen von Konzepten zur Preisgestaltung:

    “Das Thema kostendeckender Erzeugerpreise kommt viel zu kurz.”

    Initiativen zur Preisgestaltung wie ‘Ein Herz für Erzeuger’, bei dem Kunden einen freiwilligen Aufpreis bezahlen, der an die Erzeuger durchgereicht wird, sieht Berndt fehlgeleitet. “Damit werden Landwirte zu hilfsbedürftigen Bittstellern erklärt und das ist Demütigung, das Gegenteil von Wertschätzung.” Positiver sind Konzepte wie ‘Fairtrade’, ins Leben gerufen für Landwirte des Globalen Südens, um diesen ein würde- und respektvolles Modell zur Kostendeckung, mit langfristigen Verträgen und Verlässlichkeit, zu gewährleisten.

    Diese Würde haben auch die Landwirte in Deutschland und der EU verdient.

    Auf Europäischer Ebene ist man sich in der Tat vieler Missstände im landwirtschaftlichen Bereich bewusst. Bis zum Mai diesen Jahres soll in Deutschland die Richtlinie 2019/633 über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette – kurz: UTP-Richtlinie – in nationales Recht überführt werden. Sie wurde im April 2019 vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union erlassen, und die Liste geforderter Verbote gibt tiefen Einblick, was hierzulande an unfairen Praktiken anzutreffen, und daher ausdrücklich zu verbieten ist. Es ist natürlich höchste Zeit, dass diese Richtlinie umgesetzt wird – noch immer aber beinhaltet sie keine Forderung nach kostendeckenden Erzeugerpreisen.

    Auch im sogenannten „Niedersächsischen Weg“ zur Vereinbarung von Gewässer- und Artenschutz mit landwirtschaftlicher Nutzung wäre eine Regelung zur Preisgestaltung sinnvoll gewesen, kommt aber nicht vor. Dabei sind kostendeckende Erzeugerpreise – natürlich in Kombination mit Instrumenten der Mengenregulierung – das Fundament einer nachhaltigen Landwirtschaft, die ihre Region krisenfest versorgen kann. Dort eingepreist gehören die Bemühungen zum Tierwohl, Arten- und Gewässerschutz. Das wäre wirklich ein Neuanfang.

    Verzicht üben müsste aber die exportorientierte Nahrungsmittelindustrie, sie wird nicht mehr die bisher gewohnten Überschüsse als Rohmaterial für ihre Weiterverarbeitung erhalten. Kein Wunder also, dass sich niemand an eine grundlegende Reform herantraut. Aber diesen Punkt werden die Landwirte auch noch identifizieren und an empfindlicher Stelle dagegen protestieren.

     

  • Jetzt handeln: Beispielloses EU-Gesetz zur Nachrichten- und Chatkontrolle bedroht Privatsphäre

    Jetzt handeln: Beispielloses EU-Gesetz zur Nachrichten- und Chatkontrolle bedroht Privatsphäre

    Die EU plant, private Chats, Nachrichten und E-Mails massenhaft und anlasslos auf verdächtige Inhalte zu durchsuchen. Anlässlich des morgigen Europäischen Datenschutztages startet heute eine internationale Kampagne gegen die Pläne, initiiert von dem Europaabgeordneten Dr. Patrick Breyer. Seine Piratenpartei ruft Internetnutzer dazu auf, das Vorhaben bekannter zu machen und bei Abgeordneten und Regierungen zu protestieren. Dazu werden Grafiken, Cartoons, Musterbriefe und Stellungnahmen bereitgestellt.

    Die geplante verdachtslose Nachrichten- und Chatkontrolle wird mit Kinderschutz begründet, aber beispiellose Konsequenzen auf die Privatsphäre der EU-Bürger*innen haben: Private Nachrichten bis hin zu Nacktfotos und -videos können in die falschen Hände geraten, die fehleranfälligen Denunziationsmaschinen der Internetkonzerne zeigen täglich hunderte unschuldiger Internetnutzer zu Unrecht wegen angeblicher Kinderpornografie an – und kriminalisieren damit besonders viele Minderjährige. Es droht Massenüberwachung durch vollautomatisierte Echtzeit-Chatkontrolle und damit die Abschaffung des digitalen Briefgeheimnisses.

    Europaweites Aufbegehren zum Erhalt der Grundrechte

    Expert*innen und Datenschutzbeauftragte haben in den vergangenen Wochen Bedenken geäußert und das Gesetzesvorhaben scharf kritisiert. Nachdem der Gesetzesvorschlag ursprünglich im Eilverfahren beschlossen werden sollte, findet die Abstimmung im Parlament nun voraussichtlich im März statt. Diese Zeit werden die PIRATEN nutzen, um auf die weitreichenden Folgen der grundrechtswidrigen Chatkonrolle aufmerksam zu machen.

    „Die verdachtslose Durchleuchtung und Kontrolle sämtlicher Privatnachrichten der gesamten Bevölkerung mit fehleranfälliger Technik ist eines digitalen Überwachungsstaats wie China würdig, aber nicht eines Rechtsstaats,“

    prangert Breyer die Pläne an.

    „Selbst Videokonferenzen mit Ärzten wären betroffen. Unter permanenter Kontrolle kann eine unbefangene Beratung von Opfern und Patienten nicht mehr stattfinden. Gerade in der Pandemie betrifft die geplante Massenüberwachung digitaler Kommunikation im Grunde jeden von uns.

    Der Europäische Gerichtshof lässt eine permanente automatisierte Auswertung privater Kommunikation nur zu, wenn sie auf Verdächtige beschränkt ist (Rechtssache C-511/18). Wir dürfen nicht zulassen, dass die EU höchstrichterliche Urteile mit Füßen tritt!“

    Sebastian Alscher, Bundesvorsitzender der Piratenpartei ergänzt:

    “Das standardmäßige Mitlesen von Nachrichten, auch automatisiert, wäre eine Ungeheuerlichkeit und muss dringend verhindert werden. Wenn ich mich entscheide einer Person privat ein Bild oder eine Nachricht zu senden, dann gehe ich davon aus, dass dies immer den Schutz der Privats- oder sogar Intimsphäre genießt. Diese Vertraulichkeit darf nicht erschüttert werden. Unsere Kommunikation ist das Gerüst unserer Gesellschaft, die Notwendigkeit für Menschlichkeit und Empathie. Jeden Menschen bei der Kommunikation wie einen potentiellen Straftäter zu behandeln, schädigt diesen wichtigen sozialen Klebstoff.”

    Hintergrund:

    Die Europäische Kommission hat 2020 einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der es Anbietern erlauben soll, mithilfe fehleranfälliger Technik vollautomatisiert alle privaten Chats, Videokonferenzen, Nachrichten und E-Mails verdachtslos und flächendeckend nach möglicherweise verbotenen Darstellungen Minderjähriger und Anbahnungsversuche (Kontaktaufnahme zu Minderjährigen) zu durchsuchen. Meldet ein Algorithmus einen Verdachtsfall, werden alle Nachrichteninhalte und Kontaktdaten automatisch und ohne menschliche Prüfung an eine private Verteilstelle und weiter an Polizeibehörden weltweit geleitet. Die Betroffenen sollen nie davon erfahren. Kein Richter muss dieser Durchsuchung vorab zustimmen.

    Einige US-Dienste wie Gmail und Outlook.com praktizieren diese automatische Nachrichten- und Chatkontrolle bereits. Verschlüsselte Nachrichten sind zurzeit noch ausgenommen. Die EU-Kommission will mit einem zweiten Gesetzentwurf bald alle Anbieter zum Einsatz dieser fehleranfälligen Technologie verpflichten.

  • Umstrittene EU-Anti-Terror-Internetverordnung TERREG angenommen

    Umstrittene EU-Anti-Terror-Internetverordnung TERREG angenommen

    Gestern hat der Innenausschuss des Europaparlaments (kurz LIBE) mehrheitlich der TERREG-Verordnung zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Inhalte im Internet zugestimmt.[1] Der Europaabgeordnete der Piratenpartei Dr. Patrick Breyer und seine Fraktion Grüne/EFA haben gegen den Text gestimmt. Als Verhandlungsführer seiner Fraktion (Schattenberichterstatter) erklärt Breyer:

    “Trotz wichtiger Teilerfolge wie der Verhinderung einer Pflicht zum Einsatz fehleranfälliger Uploadfilter, dem gesonderten Schutz von Journalismus, Kunst und Wissenschaft und einer Ausnahme für kleine und nichtkommerzielle Plattformen von der 1-Stunden-Löschfrist, bedrohen die ultraschnellen grenzüberschreitenden Löschanordnungen ohne Richtervorbehalt die Meinungs- und Pressefreiheit im Netz.

    Dass Victor Orban künftig in Deutschland direkt Internetseiten löschen lassen kann, öffnet politisch motivierter Internetzensur Tür und Tor – zumal der Terrorismusbegriff bedenklich weit und missbrauchsanfällig ist. Anti-Terror-Gesetze werden immer wieder für ganz andere Zwecke eingesetzt, etwa gegen die katalanische Unabhängigkeitsbewegung, gegen soziale Proteste in Frankreich, gegen Klimaschützer oder Einwanderer. Die Meinungsfreiheit in Europa wird so auf den kleinsten gemeinsamen Nenner harmonisiert. Leider drohen die grenzüberschreitenden Löschanordnungen Schule zu machen und sollen mit dem Digital Services Act allgemein eingeführt werden. Entsprechend dem Gerichtsurteil zum verfassungswidrigen französischen AVIA-Gesetz dürfte auch diese beispiellose EU-Anti-Terror-Internetverordnung das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung unverhältnismäßig weit einschränken und vor Gericht keinen Bestand haben.[2] Nichts ist wirkungsloser gegen Terrorismus als ein aufgehobenes Gesetz.

    Insgesamt ist unwahrscheinlich, dass diese Verordnung terroristische Anschläge verhindern wird. Um der Radikalisierung und Rekrutierung von Terroristen vorzubeugen, wäre es sinnvoller, legitime Missstände wie die Diskriminierung von Muslimen und Menschenrechtsverletzungen anzugehen und die zivilgesellschaftliche Arbeit gegen Hassideologie und Islamismus sowie Programme zur Entradikalisierung und Aussteigerprogramme stabil zu finanzieren. Schließlich ist die entschlossene strafrechtliche Verfolgung des Terrorismus und der zu ihm aufstachelnden Inhalte wichtig. Zu oft waren Terroristen der Polizei schon lange bekannt, aber ihre Spuren wurden nicht weiterverfolgt. Ausgerechnet die Pflicht zur Anzeige strafbarer terroristischer Veröffentlichungen fehlt aber in dieser Verordnung, weil den Regierungen eine konsequente strafrechtliche Verfolgung zu viel Arbeit ist – das ist skandalös.”

    Quellen/Fußnoten:
    [1] Vorläufiger Wortlaut der Verordnung

    [2] Vergleich zum Urteil zum französischen AVIA-Gesetz

    Weitere Informationen rund um die Verhandlungen

  • Umstrittene EU-Anti-Terror-Internetverordnung TERREG kommt

    Umstrittene EU-Anti-Terror-Internetverordnung TERREG kommt

    Heute hat die finale Trilog-Verhandlung zwischen Parlament, Kommission und Rat über die geplante TERREG-Verordnung zur Verhinderung der Verbreitung terroristischer Inhalte im Internet stattgefunden. Die Einigung bedroht die Meinungsfreiheit im Netz.

    Patrick Breyer, Europaabgeordneter der Piratenpartei und Schattenberichterstatter der Fraktion Grüne/EFA, kommentiert:

    “Dass Victor Orban künftig in Deutschland direkt Internetseiten löschen lassen kann, öffnet politisch motivierter Internetzensur Tür und Tor. Die Meinungsfreiheit in Europa wird auf den kleinsten gemeinsamen Nenner harmonisiert. Es fehlt ein Richtervorbehalt für Löschanordnungen. Und der Terrorismusbegriff ist bedenklich weit und missbrauchsanfällig. Damit dürfte diese beispiellose Anti-Terror-Internetverordnung das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung unverhältnismäßig weit einschränken und vor Gericht keinen Bestand haben.

    Immerhin konnten wir nach harter Arbeit und Protesten der Zivilgesellschaft wichtige Teilerfolge erringen: Eine Pflicht zum Einsatz fehleranfälliger Uploadfilter haben wir verhindert, Journalismus, Kunst und Wissenschaft werden gesondert geschützt und für kleine und nichtkommerzielle Plattformen konnte eine Ausnahme von der 1-Stunden-Löschfrist durchgesetzt werden.”

    Problematisch sind im Einzelnen folgende Punkte: Behörden in allen EU-Mitgliedsstaaten (einschließlich denjenigen mit rechtsstaatlichen Problemen wie Ungarn und Polen) werden strafbewehrt und ohne Richtervorbehalt die Löschung angeblich “terroristischer Inhalte” innerhalb einer Stunde von beliebigen Website-Betreibern auch im Ausland anordnen können. So könnte etwa Ungarns Regierungschef Orban künftig die Löschung von Internetveröffentlichungen in Deutschland anordnen. Anti-Terror-Gesetze wurden in der Vergangenheit bereits gegen katalanische Separatisten, gegen Einwanderer in Ungarn und soziale Proteste in Frankreich eingesetzt, was das Missbrauchsrisiko unterstreicht. Der Staat der Veröffentlichung und dessen Gerichte können nur eingeschränkt und in aufwändigen Verfahren gegen unrechtmäßige ausländische Löschanordnungen einschreiten. Immerhin kann gegen ausländische Löschanordnungen im Land der Veröffentlichung geklagt werden.

    Die EU-Regierungen im Rat stimmen immerhin wichtigen Schutzvorkehrungen, die das Europäische Parlament forderte, zu:
    1. Es gibt eine Einigung darauf, Inhalte, die zu Bildungs-, Kunst-, journalistischen oder Forschungszwecken oder zur Sensibilisierung gegen terroristische Aktivitäten verbreitet werden sowie Inhalte, die Ausdruck
    polemischer oder kontroverser Ansichten im Rahmen einer öffentlichen Debatte sind, von Löschungen auszunehmen.
    2. Es gibt einen eindeutig formulierten Verzicht auf den verpflichtenden Einsatz fehleranfälliger Uploadfiltern. Die fehleranfälligen Zensuralgorithmen, die terroristische Propaganda nicht zuverlässig von der legitimen Nutzung von Bildern/Videos unterscheiden können, werden aber verbreitet freiwillig eingesetzt.
    3. Es gibt eine Verständigung darauf, Geldstrafen für Anbieter auszuschließen, die aus technischen oder betrieblichen Gründen einer Löschanordnung nicht innerhalb einer Stunde nachkommen können (z.B. private Webseitenbetreiber zur Nachtzeit).

    Breyer abschließend: “Ich habe hart daran gearbeitet, dass die Grundrechte eingehalten werden, um zu verhindern, dass die Verordnung von Gerichten für nichtig erklärt wird, wie es bei einem ähnlichen französischen Gesetz (AVIA) geschehen ist, das vom französischen Verfassungsgericht als verfassungswidrig erklärt wurde. Leider ist das nicht gelungen. Eine vor Gericht gescheiterte Verordnung ist das untauglichste Mittel, um gegen terroristische Online-Inhalte vorzugehen.

    Insgesamt ist unwahrscheinlich, dass durch die geplante Verordnung terroristische Anschläge verhindert werden. Um die Radikalisierung und Rekrutierung von Terroristen zu verhindern, wäre es sinnvoller, legitime Missstände wie die Diskriminierung von Muslimen und Menschenrechtsverletzungen anzugehen. Es wäre notwendig, die zivilgesellschaftliche Arbeit gegen Hassideologie und Islamismus sowie Programme zur Entradikalisierung und Aussteigerprogramme stabil zu finanzieren. Schließlich ist die entschlossene Verfolgung des Terrorismus und der zu ihm aufstachelnden Inhalte wichtig. Zu oft waren Terroristen der Polizei schon lange bekannt, aber ihre Spuren wurden nicht weiterverfolgt. Auch bei den Verhandlungen über die EU-Verordnung verweigerten die Regierungen eine Anzeigepflicht für strafbare terroristische Veröffentlichungen, weil ihnen eine konsequente strafrechtliche Verfolgung zu viel Arbeit ist.”

    Weitere Informationen rund um die Verhandlungen
    Interessant auch die Ergebnisse einer Meinungsumfrage dazu