Schlagwort: Familie

  • Corona-Krise und mentales Wohlbefinden

    Corona-Krise und mentales Wohlbefinden

    Am 11. Januar traten bundesweit die neuen Corona-Schutzmaßnahmen in Kraft. Grundsätzlich hatte die Arbeitsgemeinschaft „Gesundheit und Pflege“ der Piratenpartei per Stellungnahme die beschlossenen Maßnahmen der Regierungen begrüßt [1]. Allerdings kommen die Maßnahmen mal wieder als Flickenteppich: Während zwar bundesweit Schulschließungen und Distanzunterricht angenommen wurden, gehen die Bundesländer aber wieder unterschiedliche Wege. Auch bei der Begrenzung auf einen 15 Kilometer Bewegungsradius bei Inzidenzwerten über 200 gibt es unterschiedliche Regelungen. Zum Schutze der Gesundheit und zur Stärkung der Akzeptanz ist jedoch ein konsequentes und einheitliches Vorgehen notwendig

    Natürlich kommen mit Eindämmungsmaßnahmen auch psychische Belastungen zum Tragen, was gerne zur Seite gekehrt wird. Daher richten wir in diesem Blogbeitrag die Aufmerksamkeit auf das mentale Wohlbefinden der Menschen im Lockdown, und fragen insbesondere:

    • Wie geht es den Menschen aktuell mit den verschärften Maßnahmen?
    • Wo können sich Menschen bei Bedarf Unterstützung holen?

    Die Corona-Pandemie stellt eine erhebliche Belastungssituation für Menschen in jedweder Lebenssituation dar [2,3]. Viele Menschen sind betroffen, ob jung oder alt, ob psychisch oder körperlich gesund oder vorerkrankt. Leider haben wir als Gesellschaft praktisch keine Vorerfahrung, wie wir eine solche Situation bewältigen. Die hohe Belastung wird durch das Andauern der Einschränkungen für unsere psychische Gesundheit zur Zerreißprobe. Dabei ist die Pandemie eine oftmals abstrakte, anscheinend ferne Bedrohung, die wir nicht direkt wahrnehmen und auch nicht direkt beeinflussen können. Damit gehen Menschen oftmals eher schlecht um.

    Um psychisch gesund zu bleiben, hat die Bundespsychotherapeutenkammer [3] eine hervorragende Liste mit Tipps veröffentlicht, die sich wie folgt zusammenfassen lässt:

    • Soziale Kontakte sind sehr wichtig, und können auch per Telefon oder online stattfinden.
    • Sportliche Betätigung draußen hält fit und gesund.
    • Wenn wir viel zu Hause sind, müssen wir dennoch unseren Tag strukturieren – das hilft gerade im Home-Office.
    • Kinder orientieren sich an ihren Bezugspersonen – das Verhalten der Erwachsenen hilft ihnen, mit der Situation umzugehen.
    • Miteinander reden hilft, situativen Stress zu verarbeiten, soziale Kontakte zu erhalten, und mit einer/m Partner/in gemeinsame Wege durch die Pandemie zu finden.

    Darüber hinaus werden uns die Eindrücke der Pandemie langfristig begleiten; und hier ist der Gesetzgeber gefragt, Hilfsangebote zu unterstützen und zu erweitern.

    Psychische Folgen bei Kindern und Jugendlichen meistern

    Für Kinder und Jugendliche stellt die Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen eine deutliche Belastungssituation dar [3,4]. Alleine durch Schulschließungen sehen sie viele ihrer sozialen Kontakte nicht mehr in der gewohnten Regelmäßigkeit, das Verbot von Vereinsaktivität im Freizeitbereich und weitere Kontaktbeschränkungen bei privaten Zusammenkünften sind weitere Punkt. Inwiefern sich derartige Situationen auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen auswirkt ist mit davon abhängig, wie deren Bezugspersonen, also z.B. Eltern und Freunde, damit umgehen und ihnen Orientierung geben. Dabei herrscht insbesondere, aber nicht nur in prekären Familiensituationen eine Gefahr für negative Auswirkungen.

    Wir müssen daher erwarten, dass mehr Kinder und Jugendliche während des Lockdowns und danach Hilfe benötigen. Wir brauchen daher Angebote, sie psychisch und physisch zu stärken, und wir müssen uns auch auf einen Zuwachs an therapiebedürftigen Kindern und Jugendlichen einstellen.

    Hierbei ist es fatal, dass in vielen Kommunen Jugendschutzämter kaputt gespart wurden – wir müssen diese unbedingt wieder finanziell und personell aufstocken. Gleiches gilt für die Schulsozialarbeit. Wir werden Bildungsförderung bereitstellen müssen, und dies am Besten im Sinne der Bildungsgerechtigkeit kostenfrei, sodass Familien entlastet werden. Und wir benötigen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und Psychologinnen und Psychologen, die in REHA-Einrichtungen auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse Unterstützung leisten können.

    Bildungslücke wieder schließen

    Wegen der Schul-Schließungen im Rahmen der Corona-Eindämmunsmaßnahmen vermerkte Andreas Schleicher, Bildungsdirektor der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), in der Bundespressekonferenz, dass eine ganze Generation von Schülern und Schülerinnen durch resultierende Bildungslücken Einkommensverluste in ihrem Arbeitsleben verzeichnen wird, verbunden mit Produktivitätsminderungen ausgelöst durch einen Verlust an Fähigkeiten [5,6].

    Selbstverständlich muss jetzt zunächst die Gesundheit von Schülerinnen und Schülern gewährleistet werden. Daneben aber brauchen wir eine (Weiter-)Bildungspolitik, die diese Lücke auf Dauer ausgleichen kann. Momentan ist die Digitalisierung der Schulen sowie deren Ausstattung mit modernen Lernplattformen nach wie vor unzureichend [5], sodass Distanzunterricht nur bedingt möglich ist. Darüber hinaus wären kostenlose Angebote zum lebenslangen Lernen hilfreich, ein grundsätzliches Anliegen der Piratenpartei niedergeschrieben im Grundsatz-/Parteiprogramm [7]:
    “Bildung soll von Geburt bis zum Tod ein Grundrecht sein. Ohne Diskriminierung müssen alle Menschen ein Recht auf Teilhabe an Bildung haben. (…) Der Staat soll den kostenlosen Zugang zu allen öffentlichen Bildungseinrichtungen und Bildungsmaterialien sicherstellen.”

    Alleinerziehende nicht alleine lassen

    Für alleinerziehende Mütter und Väter bringt die momentane Situation besondere Belastungen, wie Ulrike Gebelein (Referentin für Kinderpolitik und Familienförderung bei der Diakonie Deutschland) auf der Diakonie-Website berichtet [8]. Bestenfalls können sie im Home-Office arbeiten, doch hier müssen sie ständig zwischen Kinderbetreuung, Beschulung, Haushalt und Arbeit hin und her springen. Als Alleinerziehende leben sie meist ohne Partner, mit welcher/m sie die Arbeitsbelastung teilen können, und Kontaktbeschränkungen erschweren es, sich Hilfe aus anderen Haushalten zu organisieren. Schon vor dem Ausbruch des Coronavirus standen Alleinerziehende vor besonderen Herausforderungen, doch im Lockdown potenzierten sich diese.

    Zumindest in finanzieller Hinsicht steht Alleinerziehenden staatliche Unterstüzung zur Verfügung. Neben existierenden Programmen zur Kurzarbeit für krisenbetroffene Betriebe [9,10] haben alleinerziehende Angestellte als Eltern Anspruch auf Verdienstausfalls-Entschädigungen bei Schließung von Kitas und Schulen, sowie bei Quarantäne betreuungsbedürftiger Kinder [11]. Kinderkranktage wurden von 10 Tagen Lohnfortzahlung auf 20 Tage heraufgesetzt [12]. Außerdem können Kinderzuschläge [13] und Wohngeld [14] geltend gemacht werden. Einige dieser Hilfsmaßnahme gelten zwar nur ab einem Mindesteinkommen, jedoch können Menschen unterhalb jener Schwelle auf Sozialhilfe-Leistungen nach SGB II zurückgreifen [15].

    Selbstständige, die von Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie betroffen sind, können Sofort-Hilfen für ihren Betrieb erhalten [16], was natürlich auch für alleinerziehende Selbstständige gut ist. Allerdings kommen diese Sofort-Hilfen mit hohen bürokratischen Hürden [17] und viel zu großem zeitlichen Verzug – definitiv eine Aufgabe für den Gesetzgeber, dies zu ändern!

    Ein Bedingungsloses Grundeinkommen, wie im Grundsatz-/Parteiprogramm der Piratenpartei gefordert [7], kann Abhilfe schaffen. Die einhergehende finanzielle Sicherheit entlastet die Psyche, und unterstützt nebenher den Konsum – ist also gut für den Wirtschaftskreislauf. Auch überbordende Bürokratie wäre nicht mehr nötig, um Menschen in der Krise beizustehen.

    Alleinerziehende und ihren Kindern sollten unbedingt auch REHA-Angebote (u.A. Mutter-Kind-Kur) gemacht werden, um sie dabei zu unterstützen, die besondere Belastung der Krise zu verarbeiten. Dazu muss von der Regierung ausreichend finanzieller Spielraum auf Seiten der Rententräger und der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geschaffen werden.

    Bis dahin können Familien auf diverse Beratungsangebote zurückgreifen, die das Bundesministerium für Familie auf seiner Homepage auflistet [18].

    Senioren abschirmen ohne zu isolieren

    Für Ältere ist eine Infektion mit dem Coronavirus besonders gefahrenträchtig. Daher wird Senioren empfohlen, ihre physischen Kontakte, soweit möglich, zu reduzieren. Dies kann leicht in mental belastender Isolation enden: ohnehin sind gemäß einer Studie [19] zwei Drittel der über 85-Jährigen alleinestehend, und in der Gruppe über 65 Jahren leben noch immer mehr als ein Drittel in Einpersonenhaushalten. Immerhin lebt noch die Hälfte der Gruppe 65-85 Jahre im selben Haushalte oder dem selben Wohnort wie deren Kinder.

    Dennoch haben auch alleinstehende Seniorinnen und Senioren Möglichkeiten, Kontakte mit Angehörigen und Freunden aufrechtzuerhalten. Natürlich gibt es das Telefon. Weiterhin aber haben geschätzte 20% der Gruppe über 80 Jahren einen Internetanschluss zur Verfügung, und können daher beispielsweise auch auf Video-Telefonie [z.B. 20, 21] zurückgreifen – was insbesondere den Kontakt mit entfernt lebenden Verwandten leichter macht.

    Wo Familie und Freunde nicht erreichbar sind, haben sich erfreulicherweise auch vielfältige ehrenamtliche Initiativen formiert – oft lokal. So werden in verschiedenen Kommunen nachbarschaftliche Einkaufshilfen angeboten, oder es wurden bestimmte Uhrzeiten freigehalten in denen Senioren Einkaufsmöglichkeiten haben, wobei eine geringere Zahl an Einkaufenden mit einer verringerten Ansteckungsgefahr durch das Coronavirus einhergeht. Zudem wurden Hilfstelefone [22] eingerichtet als Anlaufstelle für jene, die sich vereinsamt fühlen. So können wir alle einen Beitrag leisten, dass unsere älterne Mitmenschen, während sie sich vor dem Coronavirus schützen, nicht isoliert werden, und damit ihr mentales Wohlbefinden befördern.

    Quellen/Fußnoten

    [1] https://redesign.piratenpartei.de/2021/01/08/gesundheits-piraten-begruessen-beschlossene-corona-massnahmen/
    [2] https://aktionswoche.seelischegesundheit.net/
    [3] https://www.bptk.de/wp-content/uploads/2020/08/2020-08-17_BPtK-Hintergrund_Corona-Pandemie-und-psychische-Erkrankungen.pdf
    [4] https://www.i-med.ac.at/mypoint/news/746067.html
    [5] https://www.oecd.org/berlin/publikationen/bildung-auf-einen-blick.htm
    [6] https://www.dw.com/de/oecd-warnt-in-bildungsstudie-vor-langfristigen-corona-folgen/a-54856360
    [7] https://wiki.piratenpartei.de/Parteiprogramm
    [8] https://www.diakonie.de/journal/nachgefragt-corona-pandemie-wird-fuer-alleinerziehende-und-deren-kinder-zur-belastungsprobe
    [9] https://www.arbeitsagentur.de/m/corona-kurzarbeit/
    [10] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/verlaengerung-kurzarbeitergeld-1774190
    [11] https://www.dgb.de/themen/++co++18c1da2a-69d0-11ea-ad58-52540088cada
    [12] https://www.mdr.de/brisant/mehr-kinderkrankengeld-corona-100.html
    [13] https://www.arbeitsagentur.de/familie-und-kinder/kinderzuschlag-anspruch-hoehe-dauer
    [14] https://www.bmi.bund.de/DE/themen/bauen-wohnen/stadt-wohnen/wohnraumfoerderung/wohngeld/wohngeld-node.html
    [15] https://www.arbeitsagentur.de/arbeitslosengeld-2/einkommen-ergaenzen
    [16] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/info-unternehmen-selbstaendige-1735010
    [17] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/ueberbrueckungshilfen-einzelhandel-corona-101.html
    [18] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/corona-pandemie/familiaere-belastungssituationen
    [19] https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/radiothema/radiothema-142.html
    [20] https://www.chip.de/downloads/Skype-Android-App_48512809.html
    [21] https://blog.mynd.com/de/top-5-video-chat-anbieter
    [22] https://www.telefonseelsorge.de/

  • Frauenpolitik: viel Luft nach oben

    Frauenpolitik: viel Luft nach oben

    „Unsere Leistungsgesellschaft ist eine Gesellschaft, in der nicht nur Leistung gilt, sondern eine, welche bestimmt, was Leistung ist und wer sie leisten darf.“
    Gerhard Uhlenbruck

    Frauenpolitisch ist in den letzten Jahren sehr viel erreicht worden. So ist es heute eine weitgehende Selbstverständlichkeit, dass Frauen einer Erwerbsarbeit nachgehen können. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte lautet: Frauen müssen fast ausnahmslos arbeiten gehen, weil sie entweder alleinerziehend sind oder ein Einkommen nicht ausreicht, um eine Familie mit Kindern zu versorgen. Allein die Mietpreise in den Ballungsgebieten sind horrend.

    Die politische Ausrichtung der derzeitigen Frauenpolitik ist absolut einseitig. Sie sieht fast ausschließlich vor, dass Frauen einer Erwerbsarbeit nachgehen können und müssen. Alternativen dazu sind eher nicht vorgesehen. „Lebe wie ein Mann“ lautet das Motto, Karriere und 60- bis 80-Stunden-Woche inklusive.

    Nur damit keine Missverständnisse aufkommen: Jede Frau, die wie ein Mann leben möchte, muss das tun können. Weder ein geringeres Einkommen bei gleicher Leistung noch eine gläserne Decke sind auch nur ansatzweise akzeptabel. Doch was ist mit den Frauen (und auch Männern), die kein solches Arbeitspensum leisten können oder wollen, weil sie – gerade auch als Eltern – ihrer erzieherischen Verantwortung nachkommen möchten?

    Zu viele Frauen, die Kinder haben, werden von dieser politischen Einseitigkeit enorm unter Druck gesetzt. Mit Konsequenzen, die für die Gesellschaft auf Dauer nicht gut sein können. So häufen sich in letzter Zeit Berichte, in denen Personal von KiTas und Schulen davon erzählt, dass immer öfter kranke Kinder – selbst mit hohem Fieber – morgens in den Einrichtungen abgeliefert werden. Rufen Lehrer oder Erzieher bei den Erziehungsberechtigten an und teilen ihnen mit, dass ihr Kind krank ist und abgeholt werden muss, müssen sie immer öfter diesen Umstand mit den Verantwortlichen diskutieren. Und meist bekommen sie folgende Antwort zu hören: „Ich bin auf der Arbeit und kann hier nicht so einfach weg.“

    Sicher, man kann es sich jetzt sehr leicht machen und vermeintlich „verantwortungslose“ Eltern dafür schelten. Dies ist allerdings viel zu kurz gegriffen. Die Frage muss eigentlich lauten: Was treibt Eltern dazu, ihre kranken Kinder nicht zu Hause zu lassen, sondern in die Einrichtungen zu schleppen?
    Die Antwort liegt auf der Hand. Aktuelle Studien zeigen, dass sich immer mehr Menschen krank zu ihrer Arbeitsstelle zwingen aus Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Und es ist genau diese Angst, die die Erziehungsberechtigen dazu bringt, mit ihren kranken Kindern genauso zu verfahren.

    Was bedeutet es für die Kinder, wenn sie – krank wie sie sind – nicht zu Hause bleiben können und gepflegt werden? Welches Weltbild wird ihnen vermittelt und wie werden sie als Erwachsene mit dieser Erfahrung umgehen?

    Der ökonomische Druck, der insbesondere auf der Gruppe der Alleinerziehenden lastet, ist aus kinder- und jugendpolitischer Sicht vollkommen inakzeptabel geworden und führt zu genau solchen Auswüchsen. Denn ein Verlust des Arbeitsplatzes würde insbesondere für diese Gruppe ein soziales Desaster führen. Da die meisten von ihnen (mit weit über 80%) Frauen sind, ist das auch aus frauenpolitischer Sicht ein Irrweg.

    Frauenpolitik bedeutet seit einigen Jahren nur noch, möglichst viele Frauen in Arbeit zu bringen. Unbestritten: Jede Frau, die Kinder hat, aber dennoch einer Erwerbstätigkeit nachgehen möchte, muss dies tun können. Dazu müssen entsprechende Einrichtungen zur Verfügung stehen.
    Aber wir müssen weg von dem Zwang, dass Frauen grundsätzlich um jeden Preis arbeiten und ihre Kinder in Einrichtungen abgeben, nur um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Denn bei der Grundhaltung „Frauen müssen grundsätzlich wie Männer arbeiten“ wird übersehen, dass nicht jede Frau so leistungsstark ist, den Balanceakt Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Statt dessen agiert sie oft am Rande ihrer Leistungsfähigkeit. Für diese Frauen gibt es keine Politik Lobby. Sie werden von allen Seiten allein gelassen.

    Zu oft ist zu hören, dass Frauen sehr viel lieber zumindest die ersten drei Lebensjahre mit ihren Kindern verbringen würden, sich dies aber finanziell nicht erlauben können. Auch gibt es Frauen, die sich dem ökonomischen Verschleißprozess ausgeliefert fühlen und ihrem selbst gestellten Anspruch als Mutter aus ihrer Sicht nicht mehr gerecht werden können. Das Gefühl des Ausgebranntseins und der permanenten Überforderung steigt häufig mit der Anzahl der Kinder.

    Seit Jahren ist der Umstand bekannt, dass besonders Frauen mit Kindern unter extremer Altersarmut leiden. Viele Frauen können nur eine Teilzeittätigkeit ausüben. Aber auch hier gibt es ausschließlich die neoliberale Antwort: Frauen müssen mehr arbeiten – vollkommen egal, ob sie das tatsächlich auch leisten können oder nicht. Nur Leistung in ökonomisch verwertbarer Form lohnt sich!

    Es wirkt geradezu wie ein Hohn, dass selbst die linken Feministinnen nichts anderes predigen als diese neoliberale Lösung. Als ob Gleichberechtigung alternativlos erst dann erreicht wäre, wenn auch die letzte Frau dem alles überlegenen ökonomischen Verschleißprozess unterworfen wurde.

    Denn – das wird neuerdings so gerne vollkommen ausgeblendet – auch Frauen, die sich ausschließlich ihrer Familie widmen wollen, können durchaus emanzipiert sein. Nur weil sie andere Lebensentwürfe und -wünsche haben, sind sie weder dümmer oder unselbstständiger oder gar ‚Maskulinistinnen‘, wie der wenig intelligente Vorwurf von ausschließlich arbeitsmarktorientierten Feministinnen lautet. Aber sie werden durch die derzeit einseitig ausgelegte Politik in eine Unselbstständigkeit getrieben – weil es für sie keine finanzielle Unabhängigkeit gibt.

    Es braucht endlich einen vollkommen neuen sozial-, familien- und frauenpolitischen Ansatz, der nicht einseitig neoliberal ausgelegt ist, sondern allen Frauen gerecht wird. Dieser Ansatz muss im übrigen auch eine gleichberechtigte Komponente enthalten – in dem er nicht nur für Frauen, sondern für jeden gilt, der in erster Linie die Hauptlast der erzieherischen und familiären Arbeit tragen möchte. Offensichtlich ist es doch so, dass Arbeit nur dann wertvoll ist, wenn diese einen ökonomischen Wert besitzt. Da Kinder durchaus einen ökonomischen Wert haben, muss diesem Wert endlich Rechnung getragen werden.

    Dies könnte dadurch erfolgen, dass der daheimbleibende Elternteil sozial abgesichert ist. Damit würde vor allem der enorme Druck, der auf Alleinerziehenden und Angehörigen der unteren Einkommensschichten lastet, deutlich vermindert werden. Diese Frauen und Männer müssten dann nicht mehr gezwungenermaßen ihre kranken Kinder in KiTas und Schulen abliefern, weil ein Verlust des Arbeitsplatzes nicht mehr den sozialen Totalabsturz beinhalten würde.

    Diese Männer und Frauen können arbeiten, wenn sie dies wünschen, aber sie sind nicht mehr dazu gezwungen. Sie wären frei und unabhängig und könnten von Situation zu Situation ihre Kapazitäten neu bewerten und einordnen. Sie könnten sich, wenn es erforderlich ist, ganz ihrer Familie widmen oder einer Erwerbstätigkeit in Teilzeit nachgehen. Leistungsstarke Frauen können nach wie vor in Vollzeit arbeiten – aber ohne den permanenten Druck, dies zu müssen.

    Alleinerziehende, die derzeit einen großen Teil der Hartz-IV-Empfänger stellen (die weitaus größte Gruppe auch hier: Frauen), würden endlich aus dieser Gruppe herausfallen und würden nicht weiter von Amts wegen drangsaliert. Letztlich würde diese Gruppe damit auch nicht mehr in die Altersarmut fallen. Dieser Ansatz sollte im übrigen auch für die Menschen gelten, die sich dazu entschließen, pflegebedürftige Angehörige angemessen zu versorgen und nicht in ein Pflegeheim versorgen zu lassen.

    Die Lösung für die aktuellen Probleme in der Frauenpolitik sollte also nicht lauten: „Lebe wie ein Mann“, sondern „Lebe selbstbestimmt“. Auch wenn das bedeutet, sich nicht einem neoliberalen Verwertungsprozess zu unterziehen, sondern statt dessen einen anderen gesellschaftlichen Beitrag in Form von Erziehung oder Pflege zu leisten. Erst wenn Männer und Frauen sich tatsächlich individuell und vollkommen frei entscheiden können, welchen Lebensweg sie gehen wollen, wird es tatsächlich echte Gleichberechtigung geben. Denn nur eine Gesellschaft, die individuelle Entscheidungen ihrer Mitglieder – egal ob Mann oder Frau, Mutter oder Vater – als gleichwertig akzeptiert, kann sich tatsächlich als modern und aufgeklärt bezeichnen.

  • Mein Bauch gehört mir!

    Mein Bauch gehört mir!

    Wir schreiben das Jahr 2017. Als junge Frau bin ich wie selbstverständlich mit dem Gedanken aufgewachsen, dass mein Körper mir gehört und ich frei bin. Mein durchaus offenes, liberales und progressives Elternhaus hat mir schon früh mit auf den Weg gegeben, dass ich mein Leben und mich selbst so gestalten kann, wie ich möchte, insbesondere als Mensch weiblichen Geschlechts.
    Und jetzt? Jetzt haben wir dank der Verurteilung nach §219a einer Ärztin zu einer Geldstrafe, die auf ihrer Webseite darüber informierte, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt, eine neue Diskussion über Abtreibungen und das Werbeverbot dazu. Eigentlich dachte ich, wir sind mittlerweile zu der gesellschaftlichen Erkenntnis gelangt, dass eine Frau selbst über ihren Körper entscheiden kann und zu einer Entscheidung auch eine fundierte Grundlage an Informationen gehört.

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    Natürlich, die Entwicklung der Paragraphen zum Schwangerschaftsabbruch ist definitiv eine lange und eine, die mit vielen Streitigkeiten zusammenhängt. Sie war ein Kompromiss und in einer Gesellschaft, die sich seitdem immer mehr öffnet und progressiver wird, ist es nur eine notwendige Konsequenz, eine neue Regelung zu finden.

    Der Abbruch einer Schwangerschaft ist in Deutschland noch immer nicht legal, er ist in den meisten Fällen nur straffrei. Doch ist das heutzutage überhaupt noch angebracht? Wir haben mittlerweile die Ehe unabhängig vom Geschlecht der beiden Partner, Vergewaltigung innerhalb der Ehe ist inzwischen illegal und die allermeisten Menschen denken nicht im Traum daran, dass Frauen zur Ausübung eines Berufes vorher mal lieber die Erlaubnis ihres Ehemannes einholen sollten. All dies war nur schwer vorstellbar in einer Zeit, in der der Slogan „Mein Bauch gehört mir“ bekannt wurde.

    Und inzwischen? Jetzt debattieren wir darüber, ob es Medizinern nicht doch lieber verboten bleiben sollte, neutrale Informationen zum Schwangerschaftsabbruch anzubieten. Einerseits bin ich froh, dass es einen gewissen gesellschaftlichen Aufschrei nach diesem Urteil gibt. Andererseits finde ich es schockierend, dass wir überhaupt aufschreien und uns darüber Gedanken machen müssen. Eigentlich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass Ärzte neutral, auch auf ihrer Internetpräsenz, Informationen darüber geben können, ob sie diesen Eingriff anbieten oder nicht. Informationen dazu und wissenschaftliche Fakten sind in meinen Augen eine der wichtigsten Grundlagen, um als schwangere Person eine fundierte Entscheidung treffen zu können. Insofern ist es eine unverhältnismäßig große Einschränkung, diese Informationen in irgendeiner Art und Weise zu verwehren, denn es ist ein massiver Eingriff in die dem Schwangerschaftsabbruch zugrunde liegende Selbstbestimmung. Indem wir schwangeren Menschen diese Informationen vorenthalten, führen wir das ad absurdum, was die Frauenbewegung gefordert hat: das Recht, dass der Bauch und insbesondere der Körper einer Frau ihr selbst gehören und sonst niemandem.

    Der ursprüngliche Sinn hinter diesem Paragraphen sollte eigentlich sein, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht glorifiziert werden. Aber kann diese eine Prozedur wirklich glorifiziert werden? Vom durchaus erniedrigenden Ablauf eines Beratungsgesprächs über den noch immer verpönten Abbruch bis hin zu den potentiellen psychischen Folgen, die gerne einmal mit einem „Tja, wenn man auch abtreiben muss…“ kommentiert statt ernst genommen zu werden – an dieser Prozedur, die abtreibungswillige Schwangere durchlaufen müssen, ist nichts, was auch nur ansatzweise glorifiziert werden könnte. Abbrüche gelten noch immer als Tabuthema, welches – sobald es überhaupt einmal angesprochen wird – gerne mit einem gewissen negativen Unterton behandelt wird. Da werden wohl die wenigsten Menschen die Person, die dies durchgestanden hat, mit bewunderndem Neid anblicken.

    Das können wir nur ändern, indem auch Ärzte Informationen über Schwangerschaftsbrüche bereitstellen dürfen. Wissenschaftlich fundierte Fakten, Grundlagen über die Abläufe, mögliche Folgen und Konsequenzen für sämtliche Fälle – all dies möchte jemand, der schwanger ist, vielleicht schon ohne ein Beratungsgespräch, das oftmals wie eine Pflichtveranstaltung wirkt, in Erfahrung bringen – und zwar nicht nur auf sich allein gestellt vor der Suchmaschine seines Vertrauens. Vorbereitet und informiert in ein solches Gespräch zu gehen und auf dieser Grundlage wirklich über die eigene Zukunft zu entscheiden, kann eine fördernde Maßnahme für die Selbstbestimmung sein – sei es nun mit oder ohne Abbruch.

    Wenn wir gerade dabei sind: warum diskutieren wir eigentlich nicht über Sinnhaftigkeit eines solchen Beratungsgesprächs? Beibehaltung, Abschaffung, eine Zwischenlösung, eine größere Auswahl an Stellen, die solch ein Gespräch anbieten? Eine stärkere Konzentration auf die ärztliche Aufklärung? Denken wir mehr in Richtung Selbstbestimmung. Selbstbestimmung kann nur dann wirklich existieren, wenn ein Schwangerschaftsabbruch nicht nur straffrei, sondern auch wirklich legal und damit entkriminalisiert ist.
    Es ist dringend Zeit für Änderungen und das Recht auf Information auch durch Ärzte und Selbstbestimmung.

  • Gleich alt: Die Mauer und die erste Antibabypille in Deutschland

    Gleich alt: Die Mauer und die erste Antibabypille in Deutschland

    Zum 18. August, dem Jahrestag der Pille, zunächst der Bericht einer Zeitzeugin:

    Als in Amerika im Juni 1960 die erste Pille ‚ENOVID‘ auf den Markt kam, war ich noch keine 16 und spielte lieber Skat oder Fußball mit Jungs, als an Sex mit ihnen zu denken. In Berlin kam die Pille von ‚Schering‘ 1961 auf den Markt und hieß passend ‚ANOVLAR‘ – „kein Eisprung“! Papst Paul VI wandte sich in seiner Enzyklika ‚Humanae Vitae‘ gegen die Pille und auch in Parteien mit dem „christlich“ im Namen wurde der Protest laut. Ich fand das dumm, weil die Freiheit, über mich selbst zu bestimmen, nach meinen Erfahrungen der wichtigste aller menschlichen Wünsche sein sollte, der um keinen Preis von Männern bestimmt werden durfte.

    Wir wurden überschwemmt von Alice Schwarzers EMMA-Titeln, von Fernsehsendungen und Filmchen, Pros und Kontras, und niemand kann sich heute vorstellen, welche Schreckgespenster vor allem von Männern an die Wand gemalt wurden. Viele Ärzte weigerten sich damals, die Pille zu verschreiben. Ihre Motivation war, Leben zu schützen – dabei wurde die Not vieler Frauen ignoriert. Man stritt sich heillos über mögliche gefährliche Nebenwirkungen, über die Fragwürdigkeit medizinischer Indikationen. Ich hatte das Gefühl, da wollten ganze Gruppen das Rad der Zeit zurückdrehen. Dass die Pille Nebenwirkungen hatte und hat, soll hier aber nicht vergessen werden.

    Die 68er Jahre brachten die Kommune I  in Berlin hervor, die freie Liebe wurde propagiert und gelebt, an alten Zöpfen kräftig gezogen und ‚Der Muff von 1000 Jahren unter den Talaren“ bekämpft. Erst 1969 wurden Verhütungsmittel auch für unverheiratete Frauen legal.
    Mein Thema war das aber noch immer nicht – erst 1971 (ich hatte meine Interessen verlagert) wurde ich durch den Sterntitel „Wir haben abgetrieben“ unsanft auf Probleme aufmerksam, die auch meine sein könnten.

    1972 lernte ich in Berlin meinen Mann kennen, wir heirateten wegen des Nachnamens unserer zukünftigen Kinder – 1974 und 1976 geboren – und dann wurde es ernst: Ich erwartete ein drittes Kind – und ich konnte nicht mehr! Ungeübt in ‚Familie‘, total überfordert von den eigenen und den Ansprüchen anderer trat eine Krankheit immer offener und grausamer zutage: Ich war (und bin es immer noch, aber seit über 10 Jahren trockene) Alkoholikerin und hatte Depressionen, die ich erst sehr viel später als solche wahrnahm. Lange waren es „nur“ Schuldgefühle. Wieviele Frauen sind wegen solcher Erschwernisse in soziale und gesundheitliche Schwierigkeiten gekommen, wieviele an einer Abtreibung im ‚Dunklen‘ gestorben?

    Ich raffte mich auf, um einen Arzt zu suchen, der eine Abtreibung bewilligen würde. Es war schwierig! Ich solle mich beraten lassen, hieß es. Ich solle doch wieder in eine Kirche eintreten, die könnten mich richtig ‚beraten‘ – Beratung hieß in all diesen Fällen: Abraten! Gern auch mit moralischem Druck. Beim richtigen Arzt bekam ich dann endlich die dringend benötigte „Medizinische Indikation„, da ich beide Kinder wegen einer Krebsoperation per Kaiserschnitt zu Welt gebracht hatte und ein dritter Kaiserschnitt nicht anzuraten sei. Es hat viele Jahre gedauert, bis ich das Trauma der Abtreibung besiegen konnte. Ich will nicht wissen, wieviele Frauen ähnlich geschädigt wurden in einer bigotten Zeit, die ich noch lange nicht für überwunden halte. Dass Männer sich sterilisieren lassen können, ist nie wirklich „in Mode“ gekommen. Ich will hier auch nicht spekulieren, was bei dem Gedanken in Männern vorgehen könnte.

    Viel Zeit ist vergangen seit der Einführung der Pille, aber hat sich wirklich viel für uns Frauen geändert?

    Manfred Schramm, Themenbeauftragter der Piratenpartei Deutschland für Familienpolitik und Politischer Geschäftsführer im Landesverband NRW, kommentiert anlässlich des Jahrestages der Pille:

    „Ein anschaulicher Bericht einer Zeitzeugin, der einen Einblick in die Verhältnisse der damaligen Zeit gibt. Moderne Gesellschaftspolitik ermöglicht heute längst die Selbstbestimmtheit der Frauen. Die Pille war ein Meilenstein auf dem Weg dorthin. Sie hat die Frauen unabhängiger gemacht von männlicher Bevormundung und materieller Abhängigkeit. Mit der Pille bekam die Frauenrechtsbewegung neuen Schwung und Rollenklischees wurden aufgelöst oder zumindest in Frage gestellt. Letztlich bedeutete das eine Befreiung für beide Geschlechter. In punkto Verhütung sollte die Verantwortung aber nicht mehr nur bei den Frauen, sondern auch bei den Männern liegen.

    Wir PIRATEN setzen uns für die Gleichstellung in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ein. Es ist Zeit, die Frauen von der Last der Hormonbehandlung zur Empfängnisverhütung zu befreien. Die Einführung der Antibabypille auch für den Mann ist überfällig. Auch Männer müssen Verantwortung für die Familienplanung übernehmen. In Indonesien wird aktuell ein Zulassungsverfahren im Rahmen des National Population and Familiy Planning Boards (BKKBN) für ein Präparat vorangetrieben, welches die enzymhemmenden Substanzen der Justicia Gendarussa enthält. Gendarussa wirkt auf die Beweglichkeit der Spermien: es wird ein Enzym der Spermien gebremst und sie werden schlichtweg daran gehindert, in die Eizelle einzudringen. Dies wäre ein weiterer Fortschritt für die Gleichberechtigung von Mann und Frau, wenn Verhütung endlich von beiden Geschlechtern getragen werden könnte.“

     

  • Internationaler Kindertag – PIRATEN fordern konkrete Rechte für Kinder

    Internationaler Kindertag – PIRATEN fordern konkrete Rechte für Kinder

    Heute am 1. Juni, dem internationalen Kindertag, feiern wir unsere Kinder und  lassen sie feiern. Wir bieten ihnen an diesem Tag auch Besonderes – wie beispielsweise das ‚größte Kindertagsfest‘ mit dem Weltspieltag 2017 auf dem Alexanderplatz oder die große Kinderparty im FEZ in Berlin. Neben dem internationalen Kindertag, der auf die Genfer Weltkonferenz für das Wohlergehen der Kinder im August 1925 zurückgeht und jährlich in über 30 Staaten gefeiert wird, gibt es auch den Weltkindertag am 20. September in Anlehnung an die UNICEF. Beide Tage sollen auf die Rechte der Kinder aufmerksam machen und werden mit Feiern und politischen Aktionen begangen.

    Vor vier Jahren schrieb ich an anderer Stelle: ‚Unsere Kinder werden noch länger auf ihre Rechte warten müssen.‘ Leider hat sich die Situation für Kinder seitdem nicht wesentlich verbessert. Betrachten wir die katastrophalen Umstände, in denen Kinder in vielen Ländern leben und denken wir an das Leid, das viele tausende Kinder auf der Flucht erleben, erscheint die Forderung nach Kinderrechten in Deutschland beinahe nebensächlich. Trotzdem müssen wir bei uns anfangen.

    Wir müssen bei uns anfangen

    Unser Grundgesetz enthält nur an einer einzigen Stelle eine Formulierung  eines unmittelbaren Rechts für Kinder, nämlich das ‚Recht auf Gleichstellung unehelicher Kinder‘. Alle anderen Stellen im Grundgesetz formulieren Elternrechte in Bezug auf Kinder. Nach unserem Grundgesetz sind Kinder also in erster Linie Hörige ihrer Eltern. Kinder wachsen im sicheren Hort der Familie auf, Vater und Mutter erziehen sie mit naturgegebener Kompetenz. So die gesellschaftshistorische Theorie. In Zeiten von Lebensgemeinschaften,  Alleinerziehenden-, Patchwork- und Regenbogenfamilien, in denen Kinder in großer Zahl aufwachsen, passt dieser Ansatz nicht mehr. Kinder benötigen eine grundsetzlich neue Bewertung in unserem Rechtssystem. Die Familien- und Sozialpolitik darf Kinder nicht länger als Anhängsel traditioneller Familien betrachten und muss ihre Gesetzgebung entsprechend konkretisieren.

    Kinderrechte? Fehlanzeige!

    In den Programmen der im Bundestag vertretenen Parteien kommen Kinderrechte kaum vor. Die CDU und die LINKE nennen Kinderrechte schlicht gar nicht. Die SPD widmet Kinderrechten einen kleinen Abschnitt, in dem sie passive Rechte wie bessere Berücksichtigung vor Gericht, Parlamenten und Verwaltungen sowie die Schutznotwendigkeit bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder anspricht und den Dienst an der Waffe unter 18 ausschließt. Die GRÜNEN fordern immerhin etwas Mitbestimmung  und eine Absenkung des Wahlalters. Die FDP schreibt viel von Freiheit und finanziellen Aspekten, Kinderrechte kennt das Programm nicht. Die AfD betrachtet Kinder in ihrem Programm nur als demografischen Aspekt und als formbare Objekte.

    Piraten haben konkrete Forderungen

    Die Piratenpartei benennt konkrete Forderungen für Kinderrechte und tritt für sie ein. Neben dem Wunsch- und Wahlrecht des Lernorts sind das unter anderem Kindergrundeinkommen, Kinder- und Jugendlichenparlamente, Wahlrecht für Kinder und Jugendliche, eigenständige und weitestmöglich selbstverwaltete Kultureinrichtungen für Kinder und Jugendliche, aktive  Einbeziehung von Kindern in die  Stadtentwicklung sowie Kinderanwälte.

    Manfred  Schramm, Themenbeauftragter der Piratenpartei für Familienpolitik und NRW-Listenkandidat für den Bundestag, beschreibt die aktuelle Situation der Kinderrechte in Deutschland so:

    „Im Jahr 2017 sind die politischen Parteien noch weit davon entfernt, tatsächliche und unmittelbare Rechte für Kinder in ihrem Denken und Wirken zu definieren. Kinder werden von den politisch Handelnden noch   immer und zuerst als Anhängsel von Eltern betrachtet. Die Stärkung von Rechten für Kinder haben Politiker nicht als gesellschaftliche Aufgabe begriffen und verorten diese Aufgabe in den Familien. Die Piratenpartei mit ihrem fortschrittlichen Familienbegriff und den  vielen einschlägigen Anträgen in den Länderparlamenten zeigt, dass Kinderrechte in ihrem Bewusstsein eine wirkliche Rolle spielen. Ohne die Piratenpartei in der Bundespolitik werden Kinderrechte auch in den nächsten Jahren keine gesellschaftliche Rolle spielen.“