Schlagwort: freedom of speech

  • Barbara, Satire und Zensur

    Barbara, Satire und Zensur

    Dieser Beitrag zur aktuellen Löschpraxis in sozialen Medien wurde von „Barbara“, einer Künstlerin, auf Facebook veröffentlicht. Da der Text sehr gut darstellt, was momentan bei dem Versuch, die sozialen Medien zu regulieren, schief läuft, veröffentlichen wir ihn hier.

    Hi Leute, ich bin wieder zurück im Netz, die kleine Auszeit hat gut getan.
    Leider gibt es ein „Aber“:
    In den letzten Wochen haben Facebook und Instagram zahlreiche Beiträge von mir gelöscht, weil sie angeblich gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen. Dabei wurde mir gedroht, dass mein Account gelöscht wird, wenn das nochmal passiert.
    Es waren (aus meiner Sicht) völlig harmlose Beiträge, die sich gegen rechtsradikale Schmierereien und diskriminierende Schilderbotschaften gerichtet haben, ihr kennt meine Arbeit.
    Leider kann ich die betreffenden Fotos hier nicht zeigen, sonst löschen die tatsächlich meinen Account.
    (Es geht zum Beispiel um das Foto „Mein kleiner, grüner Kaktus“, das Foto mit dem Aufruf, einen Tanz-Flashmob vor einem beleidigenden Schild zu machen, den Brief von Bernd H. mit dem AfD-Kugelschreiber, ein Foto von einem Verkehrsschild, dem ich einen Bikini hinzugefügt habe. Und weitere Beiträge, die meines Erachtens gegen kein Gesetz der Welt verstoßen.)
    Über das Löschen von Beiträgen entscheiden irgendwelche Angestellte von privaten Firmen im Auftrag von Facebook und Instagram, die im Schnellverfahren entscheiden und nicht einmal irgendwelche Gründe für das Löschen nennen.
    Ich sehe die Freiheit im Internet dadurch mehr als nur bedroht, sie wird aus meiner Sicht dadurch ruiniert.
    Wie soll Satire im Internet funktionieren, wenn die Satiriker dem Urteil von privaten Firmen ausgesetzt sind, die sich als Richter aufspielen?
    Um das klar zu sagen: Ich bin auch der Meinung, dass etwas unternommen werden musste, um Hass und Gewaltandrohungen im Internet einzudämmen. Wenn zum Beispiel etwas strafrechtlich relevant ist, dann gibt es dafür das Strafrecht.
    Aber Satire kann in den sozialen Netzwerken unter den gegebenen Umständen nur noch zensiert stattfinden.
    Es beginnt schon mit der Zensur im Kopf. Ich muss mir jetzt gut überlegen, ob ich einen Beitrag poste oder nicht, denn die Gefahr, dass meine Seite komplett gelöscht wird, ist allgegenwärtig.
    Das war auch vorher schon so, bezog sich aber meistens auf die Darstellung von Nacktheit, dem prüden amerikanischen Verständnis davon, dass ein weiblicher Nippel etwas Schreckliches ist, nicht einmal eine stillende Mutter durfte gezeigt werden. Auch der weltberühmte David von Michelangelo durfte nicht gezeigt werden, weil man seinen Pipimann sehen konnte. (Stand sogar in den FB-Gemeinschaftsstandards.)
    Damit musste und konnte ich irgendwie leben, aber willkürliche Zensur meiner Arbeit durch Privatfirmen, die offensichtlich nicht die geringste Ahnung von Satire haben, empfinde ich als unwürdig und es erstickt meinen Schaffenswillen im Hinblick auf die sozialen Netzwerke.
    Ich kann und werde auf der Straße weiterhin meine kleinen Zettelbotschaften kleben, aber ich werde mir genau überlegen, wie ich mit dem Veröffentlichen von Fotos auf Facebook und Instagram umgehe. Beuge ich mich der Zensur und poste nur noch völlig unverfängliche Love-Messages, die keinen möglicherweise verfänglichen Interpretationsspielraum offen lassen und sende damit ein verfälschtes Gesamtbild meiner Arbeit in die Welt oder lasse ich es ganz und konzentriere mich auf die Straße, wo ich wirklich frei bin?
    Ich werde die Entwicklungen beobachten, bewerten und irgendwann eine Entscheidung dazu fällen.
    Ich habe ständig versucht, dem Hass im Internet mit meinen Botschaften etwas entgegenzusetzen, habe dafür super viel positives Feedback bekommen, nicht zuletzt sogar den Grimme Online Award. Dass ich jetzt von den Plattformen Facebook und Instagram dafür abgestraft werde, fühlt sich schrecklich und unwürdig an. Ich liebe die Freiheit und kann auf Dauer nur dort agieren, wo ich sie leben kann.
    Facebook war mal so ein Ort und ich werde genau hinschauen, in welche Richtung sich das alles entwickelt.
    In Liebe und der Hoffnung, dass sich die Sache zum Guten wendet,
    Eure Barbara.
    PS: Sorry für den langen Text.
    Falls irgendjemand von der Presse daran interessiert sein sollte, um welche gelöschten Fotos es hier geht, dann schreibt mir eine Nachricht, ich schicke sie Euch.

    Update 15.01.2018: Wir wir inzwischen erfahren haben, wurden die Beiträge von Barbara laut einer Sprecherin von Facebook „versehentlich“ entfernt und inzwischen wieder hergestellt. Das mag unter anderem auch der medialen Berichterstattung zu verdanken sein.

  • Wie dank NetzDG Kritik verstummt

    Wie dank NetzDG Kritik verstummt

    Wer am Vormittag des 3. November versuchte, das Profil des renommierten Publizisten und Politikwissenschaftlers Hamed Abdel-Samad beim Kurznachrichtendienst Twitter aufzurufen, erhielt lediglich die Meldung, dass der Account gesperrt sei und dessen Inhalte folglich nicht abgerufen werden könnten. Dem mit Twitter vertrauteren Benutzer sind derlei Meldungen inzwischen bereits bekannt. Denn immer häufiger werden dort inzwischen Benutzerkonten wegen vermeintlichem oder tatsächlichem „Hatespeech“ gesperrt oder zumindest in Deutschland blockiert. Nur hatte sich der von Fanatikern bedrohte Islamkritiker in der Vergangenheit eben nicht als praktizierender Hassprediger hervorgetan. Ohnehin war Hamed Abdel-Samad auf Twitter zuletzt kaum noch aktiv in Erscheinung getreten, sondern nutzte das Profil eher zur automatischen Verbreitung seiner parallel im sozialen Netzwerk Facebook veröffentlichten Beiträge. Sein dortiges Profil war jedoch durchgängig zu erreichen und auf diesem Wege informierte der gebürtige Ägypter über die Hintergründe seiner Sperrung. So hatte Abdel-Samad Bilder und Beiträge eines algerischen Islamisten veröffentlicht, der in seiner Heimat wegen Gewalt gegen religiöse Minderheiten inhaftiert war und nun in Deutschland Asyl beantragt habe. Dieser hatte den Autor anschließend im Internet attackiert und damit möglicherweise die Sperre ausgelöst. „Islamisten werden in Schutz genommen und sie dürfen weiterhin gegen den Westen [hetzen], aber Kritiker des Islamismus werden gesperrt. Wir bewegen uns definitiv in die falsche Richtung“, beklagte sich Abdel-Samad. Aufgehoben wurde die Sperre nur, weil dessen Anwalt bei Twitter insistierte und einige Medien auf den Fall aufmerksam machten. Zu Gute kam dem 45-jährigen dabei vermutlich auch seine Popularität.

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    Der Fall Abdel-Samad ist dabei in vielerlei Hinsicht interessant. Zum einen bestätigt er die Befürchtung unzähliger Kritiker, die im Zusammenhang mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz von Noch-Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) auf die Gefahren des „Overblockings“ – eines vorauseilenden Löschens auch legaler Inhalte – hinwiesen. Zum anderen wirft er die Frage auf, wie viele weniger bekannte Nutzer für ähnliche „Vergehen“ bereits dauerhaft und unwiderruflich gesperrt wurden.

    Rückblick: Bereits vor einiger Zeit hatte Heiko Maas der „Hassrede“ im Internet den Kampf angesagt und gemeinsam mit dem ebenfalls SPD-geführten Familienministerium Projekte, die sich dem Kampf gegen „Hatespeech“ verschieben hatten, unterstützt. Staatlich geförderte NGOs sollten im Rahmen einer Taskforce den Betreibern sozialer Netzwerke dabei helfen, unangemessene Beiträge zu entfernen. Kritiker bemängelten bereits damals, dass gar nicht verbindlich definiert wurde, was eigentlich unter „Hassrede“ zu verstehen sei. Als diese Initiative die gewünschte Wirkung verfehlte, zog man finanzielle Sanktionen gegen die Plattformanbieter in Betracht. Um dem Kampf gegen „Hatespeech“ zusätzlich Ausdruck zu verleihen, wurde eigens ein Gesetz erarbeitet, statt lediglich das bereits vorhandene Telemediengesetz anzupassen. Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) werden seither Twitter, Facebook und Co. enge Fristen zur Löschung unangemessener Beiträge gesetzt. Für den Fall, dass diese der Löschung nicht umgehend nachkommen, sieht das NetzDG Strafzahlungen in nicht unerheblicher Höhe vor. Die Betreiber sollen dabei binnen kürzester Zeit und weitestgehend eigenverantwortlich – d. h. ohne Hinzuziehung ordentlicher Gerichte – über mögliche Löschungen entscheiden. Spätestens hier sahen weite Teile der Zivilgesellschaft die in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte Meinungsfreiheit erheblich in Gefahr. Das NetzDG wurde dennoch im Eiltempo mit den Stimmen der Großen Koalition beschlossen; wohl auch weil der bis dahin eher glücklose Justizminister dringend eine Möglichkeit zur Profilierung im anstehenden Bundestagswahlkampf benötigte.

    Seit 1. Oktober ist das umstrittene Gesetz nun in Kraft und seine Kritiker – zu denen die Piratenpartei von Beginn an gehörte – dürften sich nicht erst seit dem Fall Abdel-Samads bestätigt sehen. Der bereits jetzt entstandene Eindruck ist verheerend und das NetzDG erweist sich in zunehmendem Maße als ernste Gefahr für das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht dient auch und gerade dem Schutz kritischer, unbequemer, bisweilen sogar unsachlicher oder gar bewusst provozierender Äußerungen. Und von diesem Recht waren auch die Beiträge von Hamid Abdel-Samad und zahlreichen anderen namenlosen, inzwischen blockierten Kommentatoren zweifelsohne gedeckt. Auch wenn wir vermutlich nie erfahren werden, ob sich Twitter bei seiner umstrittenen Löschung tatsächlich auf das NetzDG von Heiko Maas berief: mit diesem Gesetz hat der Justizminister den Boden für willkürliche, intransparente Löschungen missliebiger Meinungen im Internet bereitet. Als Piraten fordern wir daher die künftige Bundesregierung auf, dieses in seiner Wirkung unberechenbare Gesetz umgehend wieder abzuschaffen, die Privatisierung der Rechtsdurchsetzung zu beenden und damit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit wieder die für eine funktionierende Demokratie unerlässliche Achtung zu verschaffen.