Schlagwort: Mobilität

  • Verkehrspolitisches Mittelmaß – irgendwie typisch Deutschland

    Verkehrspolitisches Mittelmaß – irgendwie typisch Deutschland

    [green_box] Ein Beitrag von smegworx [/green_box]

    Der Trend hin zu elektrifizierten Fahrzeugen hält bei Neuzulassungen an. Und dennoch ist das, insbesondere für das „Autoland“ Deutschland, weder eine Erfolgsstory, noch ein Grund zu übermäßigem „Jetzt können wir uns alle auf die Schulter klopfen!“

    Klar, nach absoluten Zahlen – und darauf wird sicher der Verkehrsminister Volker Wissing hinweisen – hat Deutschland im Jahr 2021 im europäischen Vergleich die meisten Elektrofahrzeuge zugelassen. Rein elektrisch betrieben (BEV) waren das 355.961 PKW und nochmals 325.449 sogenannte Plug-in-Hybride (PEHV).

    Das war es auch schon an guten Nachrichten

    Nicht mehr ganz so gut sieht es dagegen aus, wenn man die Zahlen ins Verhältnis zu den Gesamtzulassungen setzt. (Aufgrund der für diese Betrachtung irrelevanten Zulassungszahlen lassen wir Brennstoffzellen/Wasserstoff-Fahrzeuge und LPG/CNG-Fahrzeuge außen vor.) Da erreichen in Deutschland die rein elektrischen Fahrzeuge nur noch einen Anteil von 13,57 % und die Plug-in-Hybride einen Anteil von 12,41 %.

    WOW, mag jetzt der ein oder andere sagen: Das sind doch immerhin mehr als ein Viertel aller Neuzulassungen. Stimmt natürlich. Und ja, es gibt auch Länder in Europa, die gerade hinsichtlich der Elektromobilität noch weit hinter Deutschland liegen. Ob es uns allerdings wirklich gefällt, wenn wir uns mit Bulgarien oder Zypern vergleichen? Das ist allerdings auch nicht entscheidend.

    Fossile Verbrenner in Deutschland – Elektromobilität in Norwegen

    Wenn der Anteil von BEV und PHV somit bei 25,98 % liegt – dann werden immer noch knapp drei Viertel der Fahrzeuge als Benziner oder Diesel zugelassen.

    Wie es anders geht, zeigt uns das Beispiel Norwegen. Dort wurden zwar zahlenmäßig „nur“ 114.000 rein elektrische Fahrzeuge zugelassen. Allerdings entspricht dies einem Anteil von 64,5 % an den Neuzulassungen [2]. Die Differenz zu Norwegen liegt damit allein in diesem Segment bei 50,93 %.

    Nehmen wir jetzt noch die, natürlich auch in Norwegen zugelassenen, Plug-in-Hybride mit dazu (38.000 / 21,7 %) dann sieht die Gesamtbilanz noch düsterer aus. Den 86,2 % der zugelassenen Fahrzeuge in Norwegen stehen die nun doch ziemlich mickrig ausschauenden 25,98 % in Deutschland gegenüber. 60,22 % beträgt damit das Defizit gegenüber dem europäischen Primus.

    Wir hinken politisch meilenweit hinterher

    Angesicht dieser für Deutschland ziemlich deprimierenden Zahlen ist die Frage, was denn da Norwegen jetzt so anders macht, völlig zutreffend und auch folgerichtig. Wie lässt sich das erklären?

    Ganz sicherlich nicht nur damit, dass die Menschen in Norwegen vielleicht neuen, umweltfreundlichen Technologien gegenüber vielleicht positiver eingestellt sind. Und sicherlich auch nicht damit, dass Norwegen bei seiner, durch natürliche Voraussetzungen bedingt, Energiegewinnung ohnehin schon viel „grüner“ ist. (95 % des Strombedarfs in Norwegen wird via Wasserkraft gewonnen.)

    In Norwegen hat das vielmehr damit etwas zu tun, dass frühzeitig eine entsprechende Vision vorhanden war. Und noch viel wichtiger: Dass die Politik auch den Mut hatte, die notwendigen politischen Weichenstellungen herbeizuführen und das durch konkrete Gesetze und Verordnungen dann auch umzusetzen.

    Klingt schon irgendwie echt abenteuerlich, wenn die Politik so handelt. Oder?

    Ganz konkret hat Norwegen folgende Maßnahmen umgesetzt (selbst wenn einige davon jetzt aufgrund der erreichten Quote bereits wieder zurückgefahren werden/aufgehoben worden sind):

    • Ausstieg aus den Neuzulassungen von Verbrennern ab 2025
    • Nutzung von Busspuren
    • Kostenloses Parken
    • Teilweise kostenloses Laden oder Ladepreise ab 5 ct/kWh
    • Mehrwertsteuerbefreiung für Elektrofahrzeuge
    • Halbierung der Maut
    • Eine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur

    Wenn wir jetzt einmal gegenüberstellen, welche Maßnahmen davon wir in Deutschland bis 2030 umsetzen wollen, dann bleibt eigentlich nur noch eine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur übrig. Zumindest dann, wenn man das Ziel der 1 Million Ladepunkte auch wirklich erreicht.
    Alle anderen Maßnahmen hierzulande: Komplette Fehlanzeige.

    Politisches Versagen – und (noch) keine wirkliche Besserung in Sicht

    Angesichts dieser für Deutschland desaströsen Gegenüberstellung muss man von einem politischen Versagen in der deutschen Verkehrspolitik sprechen.

    Von fehlender Vision, fehlenden Konzepten, fehlendem Mut.

    Einem Versagen, was maßgeblich durch die CSU zu verantworten ist, die über lange Jahre die Verantwortung für den Verkehrssektor hatte. Und was sich dann zusätzlich auch durch das Desaster von Glasgow manifestierte.

    Natürlich kann man dem jetzt gerade ins Amt gekommenen Verkehrsminister Wissing nicht unbedingt die Versäumnisse der Vergangenheit anlasten. Aber selbst der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition entspricht nicht ansatzweise den Erwartungen, die viele im Vorfeld geäußert und auch erhofft hatten. Das lässt sich nicht nur am Herumeiern bezüglich des Ausstiegs aus dem Verbrenner festmachen, zu dem man im Koalitionsvertrag keine Jahreszahl findet. Irgendwann nach den Zielen der EU. Und gefühlte Ewigkeiten nach Norwegen.

    Auch von den in Norwegen im Gesamtpaket umgesetzten Maßnahmen findet man im Koalitionsvertrag, bis auf den Ausbau der Ladeinfrastruktur und eine auf wackligen Füßen stehenden „Innovationsprämie“, nichts. Das ist im Hinblick auf die angestrebte Antriebswende beschämend. Und wird auch durch ständige Diskussion über „Technologieoffenheit“, „eFuels“ oder „Brennstoffzellenantriebe“ nicht besser.

    Was es jetzt bräuchte

    1. Ein klares Statement des Bundesverkehrsministers pro Elektromobilität
    2. Aufsetzen eines Gesamtpaketes (analog Norwegen) und eine beschleunigte Umsetzung
    3. Einführung eines Bonus-/Malussystem bei PKW-Neuzulassungen
    4. Ein klares Bekenntnis mit Jahreszahl zum Ausstieg aus der Zulassung fossiler Verbrenner
    5. Eine nachträglicher Beitritt zur Erklärung von Glasgow

    Das ist alles kein Hexenwerk. Das ist alles möglich. Wenn der politische Wille vorhanden ist.

    Hat die aktuelle Bundesregierung diesen? Haben Sie diesen Mut und diesen Willen, Herr Wissing?

    Zum Schluss

    Nein, die Elektromobilität alleine wird niemals ausreichen, um die auch von uns angestrebte Mobilitätswende und die Verkehrswende zu ermöglichen. Dazu sind viel mehr Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen notwendig. Einige davon findet Ihr auch im aktuellen Programm der Piratenpartei.

    Aber: Wenn wir in Deutschland bereits bei der Antriebswende hinter den Notwendigkeiten meilenweit hinterherlaufen (auch: kläglich versagen), wie sollen uns dann die wesentlich größeren Vorhaben Mobilitätswende und Verkehrswende gelingen?

  • Bundestagsdebatte zu Mobilität am 13.01.2022

    Bundestagsdebatte zu Mobilität am 13.01.2022

    [green_box] Ein Beitrag von smegworx [/green_box]

    Am 13.01.2022 fand die erste Debatte zu den Themen des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr statt.

    Dabei trat auch der neue Verkehrsminister Volker Wissing ans Mikrofon. Vorausgegangen waren an diesem Tag Veröffentlichungen in diversen Medien (u.a. Spiegel, Tagesspiegel), die bereits Statements zu definierten Punkten der Mobilitätspolitik der Bundesregierung von eben jenem V. Wissing veröffentlichten. Unter anderem eine Warnung vor dem Kauf von PKW mit Verbrennungsmotoren und die Möglichkeit der örtlichen Ausgestaltung von Geschwindigkeitsbeschränkungen (Tempo 30 auf Hauptstraßen innerorts).

    Daher wurde, zumindest aus meiner Perspektive, der Rede vor dem Plenum auch eine besondere Aufmerksamkeit zuteil. Würde V. Wissing auch diese Statements aufgreifen und als Eckpunkte einer zukünftigen Mobilitätspolitik definieren?

    Mobilität als Grundbedürfnis

    Zunächst einmal hebt V. Wissing hervor, dass „Mobilität und Kommunikation Grundbedürfnisse der Menschen“ und diese „klimaneutral“ zu erfüllen sind. Wichtig ist dabei, dass „Klimaschutz umfassend und sektorübergreifend gedacht“ werden muss. Im Folgenden verweist er darauf, dass es dazu „klimaneutralen(r) öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), Bahn, Schiffe und Flugzeuge bedürfe, attraktiver und sicherer Rad- und Fußwege und im PKW-Bereich den Umstieg auf Elektromobilität“.

    Klimaschutz durch Elektromobilität – etwas arg kurz gesprungen

    Der Verkehrsbereich soll die Klimaschutzziele erreichen, indem bis 2030 15 Millionen Elektroautos auf Deutschlands Straßen unterwegs sind.

    So weit so gut. Warum gerade zur Einhaltung der Klimaschutzziele hier ausschließlich auf den Bereich Elektromobilität eingegangen wird, verwundert dennoch. Denn gerade ein gut ausgebauter ÖPNV, eine bessere Anbindung des Umlands, Optimierung der Verkehrsangebote im ländlichen Bereich, ein attraktives Radwegenetz (wie im Nationalen Radverkehrsplan beschrieben) sowie die Nutzung und Schaffung von resilienten Stadtteilen haben sicher einen größeren und nachhaltigeren Einfluss auf die Erreichung der erwähnten Klimaschutzziele, als der bloße Verweis auf die Elektromobilität.

    Keine Absage an eFuels

    Und es wird noch ein bisschen verwirrender. Denn gleich in seiner nächsten Passage hebt V. Wissing hervor, dass gleiches (Einhaltung der Klimaschutzziele und kurzfristige Senkung des CO2-Ausstoßes) auch durch die Nutzung „strombasierter Kraftstoffe, eFuels“ erreicht werden kann. Dabei verweist er nicht nur auf die in diesem Bereich eher denkbaren Schiffe, Nutzfahrzeuge oder Flugzeuge, sondern auch auf die „Bestandsflotten der PKW“.

    Natürlich könnte man jetzt sagen, dass dieser Einwurf ja nur für Bestandsflotten gelte, bei neuen Fahrzeugen jedoch auf Elektromobilität gesetzt werde.

    Richtig, dennoch hat dies einen kleinen Pferdefuß: Denn in der gesamten Rede des Bundesministers wird mit keinem Wort darauf eingegangen, wann der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor nun erfolgen solle. Da auch der Koalitionsvertrag hier nur extrem schwammig bleibt (möglichst vor 2035 – was übrigens ein EU-Ziel ist) bleibt zu befürchten, dass wir bis zum endgültigen Ausstieg noch einen riesigen Bestand an nicht rein batterieelektrisch betriebenen PKW (BEV) haben werden. Der dann wohl mit eFuels betrieben werden soll.

    Dazu passt auch die nachfolgende Aussage des Ministers, dass sich „Mobilität auch in Zukunft technologieoffen weiterentwickeln“ muss. Dies umfasst auch eine Absage an ein „Verbot neuer Technologien“ und man dürfe auf Grund der Vielfältigkeit der Mobilität nicht alles nur auf „einen Antrieb umstellen“.

    Ganz ehrlich: Im Gegensatz zu den in den oben benannten Medien postulierten Statements klingt das nun gar nicht mehr so deutlich nach einer „Warnung, einen Verbrenner zu kaufen“. Insofern drängt sich schon die Frage auf, warum V. Wissing diese doch sehr klare Positionierung nicht auch in der Bundestagsdebatte klar gemacht hat. Sondern vielmehr hier eine Hintertür, auch oder gerade, für eFuels so sperrangelweit offen lässt.

    Nachhaltige Mobilität

    Der Minister verweist darauf, dass „Mobilität vielfältig“ ist (sehr wichtig) und „Nachhaltige Mobilität … einfach …, bequem und bezahlbar“ sein muss. Dieser Aussage kann man sicher bedenkenlos zustimmen. Auch wenn ich ein bisschen wehmütig die Begriffe sicher und barrierefrei vermisse.

    Warum aber im nächsten Satz dann ausgerechnet der „Ausbau der Schnelladeinfrastruktur“ (HPC) und der „unbürokratische Zugang zur öffentlichen Ladeinfrastruktur“ die „drängendsten Themen“ sind, dafür vermag ich an dieser Stelle gerade kein Verständnis aufbringen. Hier hätte ich mir, wie oben bereits erwähnt, ganz andere Schwerpunkte gewünscht. Oder diese auch erwartet.

    Digitalisierung und Mobilität

    Ein wichtiger Aspekt, die Rolle der Digitalisierung, wird danach durch V. Wissing aufgegriffen. Dank der Digitalisierung lassen sich „ganz neue Mobilitätsangebote entwickeln, die individuell auf die Situation der Menschen passen“.
    Offen lässt der Minister jedoch, wie dies konkret ausschauen kann oder zumindest welche Synergieeffekte die Digitalisierung der Mobilität mit sich bringen kann.

    Dass als Grundlage für eine moderne Mobilität „ein holpriges Internet und Mobilfunklöcher“ eines Standortes Deutschland unwürdig sind, darauf verweist V. Wissing beim Übergang auf das andere grundsätzliche Thema seines Ressorts.

    Zum Abschluss verweist V. Wissing darauf, dass erstmals mehr in die Schiene (aber auch weiterhin in die Straße) investiert werde und dass es schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren geben müsse. Alles Punkte, zu denen es sicherlich keinen Dissens geben wird.

    Wie ist der Vortrag des Ministers einzuschätzen

    Ich bin, um es freundlich zu formulieren, nach diesem Vortrag von V. Wissing etwas ernüchtert. Klar, in einer Bundestagsrede lassen sich sicher nicht alle Punkte einbauen, die für eine moderne und zukunftsfähige Mobilitätspolitik wichtig sind.

    Warum aber, gerade im Kontext der Einhaltung der Klimaschutzziele, ein klares Bekenntnis zur Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs (MIV), ein Statement zum Voranbringen des „Deutschlandtakt“, zur dringenden Verlagerung des Last- und Güterverkehrs auf die Schiene, der Anbindung des suburbanen und ländlichen Raums oder auch der Bedeutung des Rad- und Fußverkehrs unterbleibt, das erschließt sich mir nicht.

    Dass Begriffe wie Verkehrswende, Mobilitätswende oder Antriebswende nicht vorkommen, das mag man V. Wissing nicht zu sehr anlasten, auch wenn es natürlich schöner gewesen wäre sie auch zu hören.

    Was allerdings ebenso deutlich wurde: Eine Warnung vor dem Kauf eines Verbrenners oder gar die Bestätigung der Flexibilisierung des Gestaltungsspielraums der Kommunen (Tempo 30 auf Hauptstraßen) blieben völlig unerwähnt.

    Das ist nicht nur sehr schade, sondern wirft auch die Frage auf, warum V. Wissing dies offensichtlich gegenüber diversen Medien so deutlich äußert, in der Bundestagsdebatte aber sehr laut dazu schweigt.

    Bei all den Ausführungen wird dann aber dennoch deutlich, dass V. Wissing vielleicht doch (immer noch) mehr der „Anwalt der Autofahrer“ ist, als es derzeit durch andere Vereine und Verbände wahrgenommen werden will.

    Nach diesem ersten Eindruck möchte ich V. Wissing gern zurufen:
    „Es ist noch viel Luft nach oben, Herr Minister.“

    Miteinander statt Gegeneinander

    Auf einen Punkt bzw. formulierten Wunsch aus der Rede von V. Wissing möchte ich dennoch zusätzlich eingehen.

    „Mehr Verständnis für das Bedürfnis und die Sichtweise des anderen. Etwas weniger Bereitschaft, sich sofort und ständig zu empören!“

    Ja, die Verkehrs- und Mobilitätsbedürfnisse sind, je nach Sichtweise, genauso heterogen wie die Menschen, die sich mit diesen Themen beschäftigen. Genauso heterogen wie die Schwerpunkte und Ziele, die dabei verfolgt werden.

    Oftmals verbunden mit einem „aber mein Thema/Ziel/Verkehrsmittel ist viel wichtiger als Deines“. Oder noch schlimmer, wie unter bestimmten Hashtags in sozialen Medien zu beobachten, in Beleidigungen, Ausgrenzungen, Diffamierungen oder Beschimpfungen ausartend.

    Die Mobilitätswende ist eines der wichtigsten Vorhaben, um unser Land zukunftsfähig zu machen. Für uns, für unsere Kinder und alle nachfolgenden  Generationen. Ein Gegeneinander wird allerdings nicht dazu führen, dass wir diese Ziele erreichen, oder auch die Menschen in unserem Land dafür begeistern können.

    Daher: Danke Herr Wissing für diese klaren und wichtigen Worte.

  • EuGH kippt Überwachungsmaut

    EuGH kippt Überwachungsmaut

    Der Europäische Gerichtshof hat die deutsche PKW-Maut in seiner heute verkündeten Entscheidung mit dem Unionsrecht für unvereinbar erklärt. Der Bürgerrechtler und Europaabgeordnete der Piratenpartei, Dr. Patrick Breyer, der bereits 2016 Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz eingelegt hatte, freut sich:

    „Die sozial ungerechte, unökologische und uneuropäische Murks-Maut muss jetzt endgültig beerdigt werden. Merkels Wählertäuschung darf sich nicht lohnen. Besonders freut mich, dass mit dem heutigen Urteil auch der zur Kontrolle geplante automatisierte Kfz-Massenabgleich vom Tisch sein dürfte.“

    Nicht nur die PKW-Maut wurde zum Anlass genommen, um massenhaft Kfz-Kennzeichen zu scannen. Die Piraten wehren sich auch gegen die Verwendung dieser fehleranfälligen Überwachungstechnik für die Geschwindigkeitsüberwachung Section Control, die Durchsetzung von Dieselfahrverboten sowie für Zwecke der Kriminalitätsbekämpfung, wobei hier unlängst ebenfalls von einem Mitglied der Piratenpartei gegen die Vorratsspeicherung aller Autofahrer in Brandenburg Klage erhoben wurde.

    „Mobilität ist kein Verbrechen. Demokratie braucht Überwachungsfreiheit. Es muss unbescholtenen Bürgern möglich sein, sich ohne ständigen Überwachungsdruck fortzubewegen. Die Bewegungsprofile, die sonst erstellt werden können, laden zu Missbrauch und zur Zweckentfremdung geradezu ein“

    so MdEP Dr. Patrick Breyer abschließend.

    Weitere Quellen:

  • Bus und Bahn fahrscheinfrei – ist es jetzt soweit?

    Bus und Bahn fahrscheinfrei – ist es jetzt soweit?

    Oliver Bayer ist Informationswissenschaftler und war von 2012 bis 2017 Mitglied im Landtag NRW. Dort leitete er die von der Piratenfraktion eingebrachte Enquetekommission zu „Finanzierung, Innovation und Nutzung des Öffentlichen Personenverkehrs“

    Ab dem 1. März 2020 können in Luxemburg alle fahrscheinfrei Bus und Bahn fahren. Fahrgäste können dann einfach einsteigen und mitfahren, ohne sich zuvor der Geheimwissenschaft der Tarifgebiete und Ticketwahl gewidmet zu haben. Der Trend zum attraktiveren und fahrscheinfreien ÖPNV scheint ganz Europa ergriffen zu haben. In Deutschland ist die Liste der Städte, die sich mit kleinen Aktionen, Versuchen und Projekten der Idee des fahrscheinfreien Nahverkehrs nähern, mittlerweile so lang, dass ich sie nicht mehr vollständig nennen kann.

    Ist es jetzt soweit? Kommt der fahrscheinfreie Nahverkehr flächendeckend nach Deutschland? Endlich? Gerade noch rechtzeitig, um die Verkehrswende zu schaffen? Um das Klima zu retten?

    Der Weg ist schwierig, obwohl der flächendeckende fahrscheinfreie ÖPNV weder an der Finanzierung noch an der Umsetzbarkeit scheitert. Der Journalist Lukas Hermsmeier hat mit mir ein Interview über meine Erfahrungen beim Revolutionieren des ÖPNV-Systems gemacht und dabei ziemlich gut die politischen Hürden, die sich dem fahrscheinfreien Nahverkehr in den Weg stellen, zusammengefasst.

    Die Reihe der „Was Wäre Wenn“-Redaktion zum „kostenlosen“ öffentlichen Nahverkehr ist übrigens auch ansonsten lesenswert.

    Hintergrund und Historie:

    Als die PIRATEN im Jahre 2010 auf einem Landesparteitag in Korschenbroich den „Modellversuch für einen Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zum Nulltarif“ in ihr Wahlprogramm zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen aufnahmen, war die Idee nicht neu. Aber wir haben diese Idee ab 2011 mit dem Wahlprogramm für Berlin und ab 2012 in NRW nicht nur weiterentwickelt: Wir haben sie zum Mittelpunkt unserer Verkehrspolitik gemacht und in unser politisches Gesamtkonzept eingefügt.
    Die Grundprinzipien und Ziele der Piratenparteien sind Freiheit, Fortschritt und Teilhabe (oder die 3 F: „Freiheit. Fortschritt. Für Alle.“) und das ist auch die Art und Weise, wie PIRATEN Verkehrspolitik machen die Verkehrswende gestalten wollen. Wie schön, dass da der fahrscheinfreie Nahverkehr so gut passt und wie gut, dass er sich als genau das richtige Instrument entpuppt hat, um die Klima-, Mobilitäts-, Technologie-, Teilhabe-, Gesundheits-, Entwicklungs- und Wohlstandsziele zu erreichen, die unsere gegenwärtige Gesellschaft – ganz objektiv gesehen – unbedingt braucht.

    Der massive Ausbau und die massive Attraktivitätssteigerung des ÖPNV sollten die Schlüsselelemente für die dringend notwendige Verkehrswende sein. Das hatte nicht nur zur Folge, dass das Konzept des fahrscheinfreien Nahverkehrs 2011 und 2012 durch Plakate und Medienberichte bekanntgemacht und populär wurde. Wir nutzten unsere Ressourcen, um Grundlagen zu erarbeiten und lieferten vor allem in den Landtagen Ergebnisse, die allen, die am fahrscheinfreien ÖPNV arbeiten wollen, noch heute helfen können.

    In Berlin entstand eine Grundlagen- und Machbarkeitsstudie zum fahrscheinlosen ÖPNV, die durch die Berliner Besonderheit, gleichzeitig Stadt und Bundesland sein zu können, auch in den Berechnungen ins Detail gehen kann. In NRW initiierte die dortige Piratenfraktion eine Enquetekommission zu „Finanzierung, Innovation und Nutzung des Öffentlichen Personenverkehrs“, die ich über zwei Jahre geleitet habe. Den Bericht der Kommission ergänzte die Fraktion durch eine Machbarkeitsstudie „Bus und Bahn #fahrscheinfrei NRW“ mit den Beispielstädten Wuppertal, Bad Salzuflen und dem Kreis Recklinghausen.
    Darüber hinaus gab es in den letzten fast 10 Jahren „Bus und Bahn fahrscheinfrei bei den Piraten“ zahlreiche Veranstaltungen und Vorträge. Es entstanden Faktenchecks und Erklärvideos. In den Landtagen und Räten wurden Konzepte entworfen und Anträge gestellt. Einige der Studien, Videos und Materialen wurden hier gesammelt.
    In vielen Kreistagen und Stadträten in ganz Deutschland konnten PIRATEN kleine Erfolge erzielen und andere Politikerinnen und Politiker für die Konzepte gewinnen. Die zahlreichen kleinen Fortschritte, symbolischen Fahrscheinfrei-Tage und Modellprojekte gehen vielfach auf die Arbeit der PIRATEN vor Ort zurück.

    Anfangs wurden die PIRATEN von allen Parteien für die Idee ausgelacht. Nicht, weil sie nicht verstanden wurde, sondern um sie klein zu halten.
    In den folgenden Jahren ernteten wir in den Landesparlamenten, Kreistagen und Stadträten mehr und mehr Respekt, weil wir den fahrscheinfreien Nahverkehr als Lösung für viele Probleme präsentieren konnten:
    Im Rahmen der sozialen Fürsorge, Teilhabe, Mobilität für alle, Verkehrsfinanzierung, Schließung von Finanzierungslücken, Aufhalten des Verkehrskollaps, Gesundheit, Bequemlichkeit. Eines ließen wir oft unter den Tisch fallen, weil es die meisten unserer politischen Mitstreiter in anderen Parteien kaum interessierte: den Umwelt- und Klimaschutz. Der Umweltschutzgedanke schien uns zwar wichtig, aber verbraucht und als Argument zu unwirksam, um politisch zu überzeugen.

    Unter anderem durch das Aufbegehren unserer Jugend, haben wir heute die Chance, dass Klimaschutz endlich auch politisch ernst genommen wird. Natürlich gehören eine richtige Verkehrswende und damit ein massiver Ausbau des ÖPNV zu den wesentlichen Maßnahmen, die für eine Klimawende dringend notwendig sind. Wenn dadurch die anderen Ziele des fahrscheinfreien ÖPNV quasi nebenbei miterreicht werden oder dabei helfen, die Verkehrswende umzusetzen, dann haben wir alle gewonnen.
    Ich denke, die Piratenpartei hat mit ihrer nun fast zehnjährigen Arbeit am fahrscheinfreien ÖPNV einen guten Beitrag zur Realisierung dieser Aufgabe geleistet.