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  • Psychisch krank in Bayern – dreht der Gesetzgeber durch?

    Psychisch krank in Bayern – dreht der Gesetzgeber durch?

    Gestern wurde im bayrischen Landtag mit 90 zu 68 Stimmen in dritter Lesung die Neufassung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) verabschiedet. Es gilt als Blaupause für die Verschärfung vieler weiterer Polizeigesetze in den einzelnen Bundesländern (u.a. Nordrhein-Westfalen und Sachsen).
    Unsere Gastautorin Andrea Martina hat sich eingehend mit dem PAG, aber auch mit dessen „Schwestergesetz“ beschäftigt:

    Nach der Kreuzigung folgt doch eigentlich die Auferstehung? Dem scheint nicht so im „christlichen“ Bayern…

    Als ersten Streich überraschte der neue Ministerpräsident Markus Söder seine Landesbürger mit einer Wiederbelebung der doch eigentlich längst abgehakten Kreuzesdebatte in öffentlichen Räumen. Nun tritt er in der Gesetzgebung das Erbe seines Vorgängers Horst Seehofer an: geplant sind die Installierung eines rigorosen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) sowie die Neuauflage des Bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes (BayPsychKHG).

    Nach Bekanntwerden der geplanten Änderungen der Staatsregierung im BayPsychKHG im April schlugen die Wellen hoch. Man soll immer mit dem Positiven beginnen, also sei hier der einzige ausgesprochen positive Bestandteil des Gesetzentwurfes zuerst genannt: ein rund um die Uhr erreichbarer Krisendienst für Betroffene von psychischen Erkrankungen soll flächendeckend ausgebaut werden.

    Erste Pläne, die zwischenzeitlich etwas abgemildert wurden, sahen die Einführung einer Unterbringungsdatei vor, in der wesentliche medizinische Daten aller Patienten in psychiatrischen Kliniken Bayerns fünf Jahre lang gespeichert werden. Diese Datei sollte der bayerischen Polizei zugänglich gemacht werden. Nach den ersten großen Protesten sollen Patientendaten nun „nicht mehr für Jahre gespeichert werden“, unklar bleibt aktuell jedoch, für welchen konkreten Zeitraum. Klar ist im Gegensatz dazu, dass der Polizei nur noch Informationen zugeteilt werden über Menschen, die zwangsweise in einer Psychiatrie untergebracht wurden oder nachweislich als gefährlich gelten [3]. Fraglich ist im Moment jedoch auch, nach welchen Kriterien eine Person als „nachweislich gefährlich“ gilt.

    Zudem wurde im ersten Entwurf der Umgang mit psychisch Erkrankten ähnlich gestaltet wie im Maßregelvollzug. Diese drohende Stigmatisierung kann wohl abgewendet werden; denn mehrfach wurde im gesellschaftlichen Diskurs darauf hingewiesen, dass eine psychische Erkrankung nie und nimmer dem Charakter eines kriminellen Straftäters gleichgesetzt werden darf. Das ist kontraproduktiv und führt nicht zu einem gewünschten offeneren Umgang mit Depressionen & Co., welcher in unserem gemeinschaftlichen Zusammenleben so dringend notwendig ist! Eine Online-Petition, die von mehr als 106.000 Personen unterzeichnet wurde, bringt diesen Sachverhalt auf den Punkt: „Psychisch kranke Menschen brauchen Hilfe, jemanden, dem sie vertrauen können, nicht die Angst im Nacken (- nur weil jemand meint, man wäre auffällig -) weggesperrt zu werden„.

    Knappe zwei Wochen nach Bekanntmachung des BayPsychKHG-Entwurfs erfolgte eine Anhörung von mehreren Experten im Bayerischen Landtag. Diese öffentliche Veranstaltung sorgte für reges Interesse und zahlreiche Besucher lauschten den Ausführungen diverser Sachverständiger u.a. aus der Bereichen: Psychiatrie-Erfahrene und Angehörige von Betroffenen, Ärzteschaft, Polizei, Justiz, Datenschutz und Politik.

    Im Ohr geblieben ist die Formulierung eines Experten – ein Polizeidirektor, der leider immer wieder von „psychisch Gestörten“ sprach. „Gestört“ ist eine Abwertung und wird einem respektvollen Umgang mit psychisch beeinträchtigten bzw. erkrankten Menschen nicht gerecht. Anhand der Wortwahl des Polizeidirektors zeigt sich die große Gefahr: wenn es wirklich so weit kommt und die bayerische Polizei gesetzlich wesentlich mehr uneingeschränkte Befugnisse erhält, Betroffene zu stigmatisieren und systematisch abzuwerten.
    Sei es nun im BayPsychKGH oder auch in Bezug auf das Polizeiaufgabengesetz – die Polizei ist immer nur der ausführende Arm der Gewaltenteilung innerhalb eines demokratischen Rechtssystems. Damit dürfen ihr nicht zu viele Kompetenzen übertragen werden. Am Beispiel von psychischen Erkrankungen wird hier klar, dass auch schon sprachlich ein äußerst sensibler Umgang mit heiklen Problematiken erforderlich ist. Im Allgemeinen dürfte das auch jeden noch so verantwortungsbewussten Polizisten wohl überfordern.

    Die bayerische Polizei darf und soll für Sicherheit im Freistaat sorgen. Doch auf gar keinen Fall ist es angebracht, Polizisten zuzumuten, bei der Warnung „drohende Gefahr“ aus irgendeiner Quelle im absoluten Alleingang legal tätig zu werden. Die Polizei ist für konkrete Gefahren zuständig. Für alle anderen Möglichkeiten und Eventualitäten soll sich die bayerische Staatsregierung doch bitte die Mühe machen, detailliert und differenziert abzuwägen, welche anderen Stimmen und Interessensvertreter wichtige Informationen zur Klärung eines bestimmten Sachverhaltes beitragen können.
    Eine Hau-Drauf-Politik mit Polizeigewalt in Eigenregie kann nicht sein, was den Bedingungen und Erfordernissen eines christlich aufgeklärten sowie postmodernen Freistaat Bayern gerecht wird.

    Vielleicht hilft es, mal einen Blick in die Gesetzeslage des benachbarten Baden-Württemberg zu werfen. In der Regel geht Qualität zwar über Quantität, aber im Vergleich der PsychKHG’e beider Bundesländer bzw. des bayerischen Entwurfes mögen zuletzt schon die Zahlen für sich sprechen: im 15 Seiten langen baden-württembergischen Gesetzesbeschluss wurden fast die Hälfte der Seiten auf die Ausführungen zu Hilfen im psychiatrischen Bereich verwendet. Der bayerische Gesetzesentwurf hingegen zählt ca. 60 Seiten, wobei die wichtigen Schwerpunkte Krisendienst, Zusammenarbeit und Prävention, Beteiligung der Selbsthilfeorganisationen sowie Psychiatrieberichterstattung genau eine magere Seite wert sind, die Unterbringung psychisch Erkrankter aber auf 55 Seiten detailliert ausgewalzt wird – ein Armutszeugnis!

    Offensichtlich ist es der bayerischen Regierung bis dato weitaus wichtiger, sich mit kontrollierter Unterbringung zu beschäftigen – anstelle das Augenmerk auf Hilfe und größere Akzeptanz gegenüber dem psychiatrischen Bereich zu legen. Es bleibt zu hoffen, dass der nächste Entwurf des BayPsychKHG – das dann wohl so verabschiedet wird? – die Stärkung der psychiatrischen Versorgung tatsächlich stärker in den Blick nimmt. Bis dahin: auf die Straße gehen, wann immer sich die Gelegenheit zur Demonstration bietet, und so viele Mitbürger wie möglich zum Überlegen bringen, wo sie denn ihr Kreuz im Oktober setzen wollen.

  • Die Polizei – dein Freund und Helfer?

    Die Polizei – dein Freund und Helfer?

    Ganz Deutschland protestiert am Donnnerstag gegen die neuesten Gesetzesverschärfungen zu Lasten unserer Grundrechte. Ganz Deutschland? Nein, ihr noch nicht – wir hätten euch aber gern dabei!

    Um welches Gesetz genau es geht, wer betroffen ist und warum es sich daher lohnt, am Himmelfahrts-Donnerstag auf die Straße zu gehen, erklärt Benjamin Wildenauer, stellvertretender politischer Geschäftsführer der Piraten Bayern.

    Die Polizei, dein Freund und Helfer. Jeder kennt diesen Slogan, viele haben in ihrem Leben schon mal daran gezweifelt. Sei es, weil man das Vorgehen bei einer „allgemeinen Verkehrskontrolle“ als vollkommen überzogen empfand oder weil man als friedlicher Demonstrant unabsichtlich einem überforderten Bereitschaftspolizisten in die Quere kam.

    Während beispielsweise die Hagener Polizei schon 2015 versuchte, ihr Image in der Bevölkerung aufzupolieren, tut die bayerische Staatsregierung derzeit alles, um das restliche Vertrauen, das der Bürger bis dato der Polizei entgegenbringt, zu demontieren.
    Dem manchmal mulmigen Gefühl in Gegenwart eines schlecht gelaunten Vertreters des staatlichen Gewaltmonopols stand bisher immerhin das Wissen gegenüber, dass der Rechtsstaat mit seiner Gewaltenteilung eine Garantie darstellt, nicht ohne Weiteres eingesperrt werden zu können.

    Das ist jetzt nicht mehr so.

    Wir haben ein neues Gesetz in Bayern. Genauer: ein neues Polizeiaufgabengesetz, kurz PAG. Dieses gibt der Polizei erhebliche Freiheiten und hebt Schranken auf, die es aus guten Gründen einmal gab. Ein Beispiel ist die sogenannte „Endloshaft“, die bereits im vergangenen Jahr durchgewunken wurde. Bis dahin war es in Bayern möglich, einen „Gefährder“, also eine Person, von der die Polizei meint, sie könne gefährlich sein oder gefährlich werden, für einen Zeitraum von 14 Tagen in Gewahrsam zu nehmen. Beweise für Gefahr im Verzug waren nicht nötig. Eine Anklage bzw. ein gerichtliches Verfahren ebenfalls nicht.

    Diesen schon grenzwertigen Ansatz hielt das bayerische Innenministerium offensichtlich noch für steigerungsfähig. Demnach sieht das neue PAG nun vor, dass Gefährder sogar drei Monate lang eingesperrt werden können. Damit nicht genug: die Inhaftierung von Personen ohne rechtskräftiges Urteil kann immer wieder verlängert werden.

    Ein „Gefährder“ kann

    • eingesperrt werden, ohne dass es Beweise gibt, die auf eine Straftat hindeuten.
    • eingesperrt werden, ohne dass vor Gericht ein Verfahren eingeleitet wird.
    • eingesperrt werden, nur weil jemand davon ausgeht, er könnte in der Zukunft eventuell eine Straftat begehen.

    Klingt wie Ozeanien 1984, ist aber Bayern 2018.

    Die Diskussion über die äußerst fragwürdige Inhaftierung Deniz Yücels in der Türkei muss unter diesen Voraussetzungen in einem ganz anderen Lichte geführt werden, nämlich einem, das dem Freistaat und der Bundesrepublik nicht besonders schmeichelt.

    Neben der Endloshaft, die es de facto ermöglicht, jeden beliebigen Bürger einzig aufgrund von Vermutungen einzusperren, hält das PAG noch weitere „Schmankerl“ bereit. Dinge, die es in einem Rechtsstaat nicht geben darf.

    Das ganze Konstrukt des neuen PAG basiert auf einer neuen Definition, der sogenannten „drohenden Gefahr“. Sie liegt dann vor, wenn man eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Durchführung einer Straftat in absehbarer Zukunft annimmt. Stellt also ein Ermittler fest, dass eine solche „drohende Gefahr“, besteht, hat er zukünftig ohne richterliche Anordnung Zugriff auf das komplette Arsenal an Ermittlungs- und Überwachungswerkzeugen der Polizei:
    Funkzellenabfrage, Onlinedurchsuchung, automatische Kennzeichenermittlung, Abhören des Telefons, Beschlagnahme der Post, Einsatz von V-Leuten (deren Definition im Gesetzesentwurf, Art. 38 stark an Stasi-IMs der DDR erinnert), DNA-Analysen auf biogeographische Herkunft und noch vieles mehr.

    Begründet wird all das mit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 20. April 2016. Dieses bezog sich allerdings ausdrücklich auf Fälle von Terrorismus bzw. die Abwehr terroristischer Anschläge und nicht, wie im Gesetzesentwurf vorgesehen, auf sämtliche Fälle von Kriminalität.

    Um ein krasses Beispiel zu nehmen, welches so hoffentlich auch unter Anwendung des neuen Gesetzes niemals eintreten wird: Wäre es verhältnismäßig, V-Leute in das private Umfeld einer Person einzuschleusen oder aus diesem anzuwerben, von der man vermutet, dass sie in „überschaubarer Zukunft“ ein Auto stehlen könnte? Und nun bitte nicht an das romantisierte Bild eines Tatort-Ermittlers aus dem Fernsehen denken – die Realität ist deutlich anfälliger für Fehler und Ermittlungspannen. Etliche Fälle belegen das.

    Das bayerische Innenministerium behauptet tatsächlich, dass das neue PAG die Stärkung der Bürgerrechte zum Ziel habe. Eine Aussage, die auch der Konsum starker psychoaktiver Substanzen wie Alkohol in übermäßiger Menge nicht mehr erklären könnte – das ist Realitätsverlust hoch zehn oder vielleicht auch schlicht gelogen. Die Abschaffung der generellen Unschuldsvermutung, denn nichts Anderes wird mit der Definition des Begriffes der „drohenden Gefahr“ betrieben, als Stärkung der Bürgerrechte verkaufen zu wollen, ist eine Beleidigung für jeden halbwegs klar denkenden Menschen.

    Zu Ende gedacht wird aus der Unschuldsvermutung eine Schuldvermutung. Nur von einer Beweislastumkehr zu sprechen, was bereits schlimm genug wäre, käme einer Verharmlosung gleich. Wie soll man schließlich beweisen, dass man in der Zukunft keine Straftat begehen wird? Selbst wenn es keine greifbaren Indizien für irgendwelche Pläne gibt, könnte die Gegenseite stets behaupten, dass diese nur gut genug versteckt seien. Zu beweisen, dass etwas nicht existiert, ist ungleich komplizierter als einfach zu behaupten, dass es existiert. Deshalb können ambitionierte Verschwörungstheoretiker in einer halben Stunde auch mehr Unsinn in die Welt setzen, als man in einem ganzen Menschenleben widerlegen könnte.

    Bei vielen bürgerrechtlichen Einschnitten in der Vergangenheit wurde das Argument bemüht, dass es ja nicht so schlimm kommen werde. Oft stimmte das sogar. Aber die Aufgabe des Gesetzgebers ist es, Gesetze zu schaffen, die einen Rahmen darstellen, in dem gehandelt werden kann. Die Tatsache, dass der Gesetzgeber den Rahmen so weit öffnet, ist deshalb völlig unabhängig von der dann tatsächlich durchgeführten Handlung zu betrachten. Ein Gesetzgeber, der die Möglichkeiten für Überwachung und Demontage der Privatsphäre so weit auslegt, baut Gesetze, die sich bestens eignen, um ein Volk zu unterdrücken. Ob mit Absicht oder aufgrund fehlender Kompetenz ist dabei völlig zweitrangig.