Schlagwort: Regierung

  • GroKo: halbherzige Familienpolitik

    „Schicksalstag für die SPD“ – so oder ähnlich titelten die Gazetten, als sie über die Entscheidung des SPD-Sonderparteitags über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD schrieben.

    Ja, die Entscheidung wird die weitere Entwicklung der SPD beeinflussen. Interessanter für unser Land ist jedoch, was nach einem ‚Ja‘ der SPD zur #GroKo zu erwarten ist und was den Menschen in unserem Land versprochen wird. In dieser Artikelserie gehen wir diesen Fragen auf den Grund.

    Wie sehen die Sondierungsergebnisse aus familienpolitischer Sicht aus?

    Kinderrechte
    Wir begrüßen die Stärkung der Rechte von Kindern. Im Sondierungsergebnis bekennen die Sondierungsparteien: „Wir werden die Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern.“

    Die Piratenpartei fordert das seit Jahren.

    „Aktuell stehen die Menschenrechte des Kindes (UN-Menschenrechtskonvention über die Rechte des Kindes; kurz: UN-Kinderrechtskonvention) in Deutschland auf einer Ebene mit allen anderen Gesetzen. Das hat zur Folge, dass im Konfliktfall nicht die UN-Kinderrechtskonvention, sondern das Gesetz Anwendung findet (Bsp.: Asylrecht, Gemeinderecht). Um die Rechte von Kindern und Jugendlichen aufzuwerten, fordern wir die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Kinderrechte sind Menschenrechte und müssen als solche geachtet werden.“

    +1 für das Sondierungsergebnis

    Kindergeld
    „Das Kindergeld als bewährte und wirksame familienpolitische Leistung werden wir in dieser Legislaturperiode pro Kind um 25 Euro pro Monat erhöhen – in zwei Teilschritten. Gleichzeitig steigt der steuerliche Kinderfreibetrag entsprechend.“

    Gut, aber zu wenig und auch irgendwie Vogel-Strauß-Politik.

    Das Kindergeld zu erhöhen und es gemeinsam mit dem Kinderzuschlag als eine Art Kindergrundeinkommen zu werten, ist hilfreich für viele, aber leider nicht für die bedürftigsten Gemeinschaften. Kindern und Familien im Hartz-IV-Bezug wird das Kindergeld angerechnet. Im schlechtesten Fall haben diese Kinder und Familien vom Kindergeld genau nichts.

    Ein nicht anrechnungspflichtiges Kindergrundeinkommen ist hier die bessere und gerechtere Form der Familienförderung und langjährige Forderung der Piratenpartei.

    „Wir PIRATEN setzen uns für eine ernsthafte politische Auseinandersetzung mit den Konzepten des Bedingungslosen Grundeinkommens ein. Wir fordern besondere finanzielle Unterstützung für Lebens- bzw. Versorgungsgemeinschaften, in denen Kinder aufwachsen oder betreuungsbedürftige Menschen gepflegt und versorgt werden.
    Familienpolitisch halten wir die Realisierung eines Kindergrundeinkommens für kurzfristig umsetzbar. Schon heute zahlt der Staat bereits etwa 400 Euro je Kind an direkten, monatlichen Transferleistungen für Familien. Durch die einkommensabhängige Verteilung werden diese Zahlungen jedoch unterschiedlich verteilt. Das lehnen wir ab, da es unserem Verständnis von Chancengleichheit widerspricht. Jedes Kind hat einen Anspruch auf finanzielle Unterstützung durch den Staat.“

    Die Beantragung der Leistungen soll entbürokratisiert werden. Das ist im Prinzip richtig, aber es bleiben nach wie vor Leistungen, die beantragt werden müssen und für die die Antragsteller, ähnlich wie bei Hartz IV, tief in ihre Privatsphäre gehende Fragen beantworten müssen. Hier gängelt der Staat seine Bürger und macht sie zu auskunftspflichtigen Bedürftigen, statt Kinder bedingungslos besser zu unterstützen.

    +/- 0 für das Sondierungsergebnis

    Kinderbetreuung
    Die Sondierungsergebnisse fordern „bestmögliche Betreuung“ für unsere Kinder, koppeln das aber auch wieder unterschwellig an eine Bedingung: eine berufliche Tätigkeit der Eltern.
    Es ist wichtig und erstrebenswert, die Kinderbetreuungseinrichtungen qualitativ und quantitativ zu verbessern und zu flexibilisieren. Solange diese Angebote vornehmlich für berufstätige Eltern vorgehalten werden und nicht für alle Familien, ist der Weg zu einer Bereitstellung von Betreuungsmöglichkeiten zum Wohle der Familien noch weit. Es darf nicht hauptsächlich um die Not der berufstätigen Eltern gehen. Es muss um die bestmögliche Betreuung der Kinder gehen. Kinderbetreuung außerhalb der Famile ermöglicht soziale Kontakte und Austausch zwischen den Kindern verschiedener sozialer Schichten – zu einem Zeitpunkt, wenn diese noch keine Rolle spielen. Dies auf den Zeitpunkt der Schulpflicht zu verschieben, sorgt für Benachteiligung, die die Gesellschaft teuer zu stehen kommt.

    +0,5 für das Sondierungsergebnis

    Gleichberechtigung
    Im Sondierungspapier wird „mehr Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ im Wesentlichen mit Entlohnungs-Gleichstellung zu erreichen versucht. So richtig „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist: die Gleichberechtigung darauf zu reduzieren, ist ärmlich, lassen sich daran aber die Prämissen einer künftigen GroKo erahnen – eine in erster Linie durch Einkommen bewertete und wertgeschätzte Gesellschaft. Von Parteien, die die vermeintlich qualifizierenden Adjektive „christlich“ oder „sozial“ im Namen tragen, darf man mehr gesellschaftlichen Entwicklungsdrang erwarten.

    -1 für das Sondierungsergebnis

    Sozialversicherung
    Die Wiederherstellung der Parität bei den Beiträgen zur Gesetzlichen Krankenversicherung ist nur die Korrektur des eigenen früheren Fehlers der sondierenden Parteien.
    Das Rentenniveau vorübergehend einzufrieren ist ebenso nur die Reparatur alter Fehler. Nachdem über Jahre hinweg das Rentenniveau gesenkt wurde, soll diese falsche Praxis nun zwar endlich gestoppt, aber keinesfalls korrigiert werden.
    Die Lebensleistungsrente, die die Sondierer beifallheischend Grundrente nennen, ist der Erkenntnis geschuldet, dass unsere Gesellschaft in großen Teilen zu einer Gesellschaft der Armen wird. Statt dem allgemeinfinanziert zu begegnen, wollen die Sondierer der Gemeinschaft der Rentenversicherungszahler diese Last alleine aufbürden.
    Statt an vielen verschiedenen Stellen zu flickschustern und dennoch weder jungen noch alten Menschen Sicherheit zu vermitteln, müssen Wege heraus aus dieser Art der Alterssicherung genommen werden. Wir müssen den Gedanken einer solidarischen Gesellschaft endlich zu Ende denken und alle Bürger gleichermaßen in die Sozialsysteme einbeziehen. Beispielsweise wäre ein Grundeinkommen statt der Vielzahl von Subventionen und Antragsleistungen solidarisch und entzöge die Menschen der staatlichen Bevormundung und Überwachung.

    +/- 0 für das Sondierungsergebnis

    Fazit
    Unabhängig von den jeweiligen Überzeugungen der Parteien ist das Ergebnis dürftig und deutet auf vier weitere Jahre des gesellschaftlichen Stillstands und auf ein Einfrieren des Status Quo hin. Das ist zu wenig. Wie es besser geht, wie Zukunft aussehen kann, zeigen wir in unserem Programm.

  • GroKo: Grundgesetz als Verhandlungsmasse?

    „Schicksalstag für die SPD“ – so oder ähnlich titelten die Gazetten, als sie über die Entscheidung des SPD-Sonderparteitags über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD schrieben.

    Ja, die Entscheidung wird die weitere Entwicklung der SPD beeinflussen. Interessanter für unser Land ist jedoch, was nach einem ‚Ja‘ der SPD zur #GroKo zu erwarten ist und was den Menschen in unserem Land versprochen wird. In dieser Artikelserie gehen wir diesen Fragen auf den Grund.

    Die Sondierungen sind beendet und haben in vielen Bereichen ein Ergebnis gebracht, welches weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Dabei bezieht sich das nicht nur auf unsere Piraten-Sichtweise. Selbst in der SPD herrscht ob dieses Ergebnisses eine spürbare Zerrissenheit, die die ganze Partei nachhaltig beschädigen oder gar spalten könnte.

    Zu vielen Themen gab es nun bereits entsprechende Statements, Blogs und Analysen. Auch wir haben uns mit den beispielsweise mit den Digital-Themen auseinandergesetzt und eigentlich in diesen Sondierungsergebnissen entweder nur Enttäuschendes vorgefunden oder wichtige Themen sogar gar nicht finden können, da diese nicht behandelt wurden. Diese Tatsache allein ist schon schlimm genug. Doch neben all diesen thematischen Unzulänglichkeiten haben die Sondierer einen Passus in das Ergebnis hineindefiniert, der einem nur noch die Haare zu Berge stehen lassen kann.

    Das Grundgesetz wurde am 23. Mai 1949 in einer feierlichen Sitzung des Parlamentarischen Rates durch den Präsidenten und die Vizepräsidenten ausgefertigt und verkündet. Was vielen vielleicht unbekannt ist, ist die Tatsache, dass der Bayerische Landtag damals das Grundgesetz ablehnte. So verwundert es auch nicht, dass die CSU als Teil der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU auch heute nicht zu dazu stehen kann oder will.

    Im Grundgesetz selbst finden wir neben vielen wichtigen Punkten auch den Artikel 38. In Absatz (1) wird unter anderem festgeschrieben:

    Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

    Die Abgeordneten sollen also ausschließlich ihrem Gewissen unterworfen sein. Dieser unserer Ansicht nach vorbildliche Ansatz wird leider seit Jahren durch „Vorgaben“ der Bundesregierung, der jeweiligen Parteispitzen oder der Fraktionsspitzen unterlaufen.
    Begriffe wie „Fraktionszwang“ begegnen uns nur allzu häufig und beweisen, dass Artikel 38 des Grundgesetzes für viele Politiker nur Makulatur ist.

    Natürlich wird es immer wieder Situationen geben, in denen die Geschlossenheit der Regierung zu einem bestimmten Thema angezeigt ist. Dies wird dann meist unter den Begriff „Fraktionsdisziplin“ subsummiert bzw. verstanden. Doch diese Geschlossenheit oder Disziplin sollte durch gute und ausgewogene Gesetzesvorlagen erreicht werden, und nicht durch den Druck und Zwang. Doch offenbar hat sich dieses Verhalten in den Fraktionen so eingebrannt, dass man meinen könnte, es wäre der Status quo.

    Und so mutet es ziemlich merkwürdig an, wenn es bei bestimmten Themen dann heißt: „Bei diesem Thema dürfen die Abgeordneten unserer Fraktion nach Ihrem Gewissen abstimmen.“ Man feiert sich also selbst dafür, dass man die Intention des Grundgesetzes fortwährend mit Füßen tritt und dann gelegentlich eine Ausnahme zulässt. Was für eine irre und verquere Vorstellung von Demokratie!

    Manifestiert wird diese Ansicht nunmehr auch in den Sondierungsergebnissen. Auf Seite 28 finden wir folgenden Auszug:

    Arbeitsweise
    Wir wollen das Vertrauen in die Demokratie und in unsere staatlichen Institutionen stärken. Im Fall einer Koalitionsbildung werden wir durch unsere Arbeitsweise in der Regierung und zwischen den Fraktionen deutlich machen, dass wir uns als Bündnis der Demokratie für die Menschen in unserem Land verstehen. Der Deutsche Bundestag muss der zentrale Ort der gesellschaftlichen und politischen Debatte in Deutschland sein. Wir stärken die Entscheidungsfindung in Bundestag und Bundesrat. […] Die Tagesordnung der Kabinettsitzungen soll den Fraktionen vorab mitgeteilt werden. Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen.

    Eine gleichlautende Formulierung befand sich bereits im Koalitionsvertrag der letzten Bundesregierung(Seite 128). In vollem Bewusstsein, dass die „Mütter und Väter des Grundgesetzes“ die Unabhängigkeit der Abgeordneten mit §38 festschrieben, wird hier erneut die Grundlage dafür gelegt, dass unabhängig von Inhalten massiver Zwang auf die Abgeordneten der betroffenen Parteien ausgeübt werden kann.

    Dies entspricht weder unserem Verständnis von Demokratie, noch stärkt es das Vertrauen in Demokratie und staatliche Institutionen. Vielmehr wird genau das Gegenteil erreicht. Die sehr oft angesprochene „Politik-Verdrossenheit“ ist nichts anderes als „Politiker-Verdrossenheit“. Wenn man solche Passagen lesen muss, kann man dies durchaus auch verstehen. Abgeordnete sollten Vertreter ihrer Wähler sein, nicht willige Abnicksklaven einer Fraktion.

    Aus unserer Sicht geht es definitiv auch ohne Fraktionszwang. Darauf zu verzichten würde vielleicht auch dazu führen, dass Gesetzesvorlagen wirklich so ausgearbeitet werden, dass sie dem Wohle des Volkes dienen und auch ohne Zwang zu einem breiten Konsens im Bundestag führen.

    Abgeordnete, die frei entscheiden können, müssen diese Entscheidung vor ihren Wählern persönlich vertreten. Dies führt dazu, dass mehr zum Wohle der Bürger entschieden wird und der jeweilige Abgeordnete wieder das ist, wofür er gewählt wurde: ein Vertreter der Menschen, durch deren Stimme er ins Amt kam.

    Darüber hinaus würde dies auch dafür sorgen, dass unsere gewählten Volksvertreter etwas mehr Demut vor diesem so wichtigen Amt empfinden und sich eben nicht bequemerweise hinter dem Fraktionszwang verstecken können oder müssen. Zusätzlich würde dadurch auch die Freiheit des Mandats gewürdigt.

    Dies würde auch den Wählern wieder das Gefühl geben, dass die Abgeordneten die berechtigten Interessen ihrer Wähler wirklich ernst nehmen und vertreten. Notfalls eben auch damit, dass man gegen eine Vorlage der eigenen Fraktion sein darf.

    Da wir davon ausgehen, dass dies den Parteien egal sein wird, gibt es aus unserer Sicht nur zwei Wege:
    a) Parteien wählen, bei denen der Fraktionszwang von vornherein ausgeschlossen wird und Abgeordnete wirklich nur ihrem Gewissen und dem Wähler verpflichtet sind.
    Oder noch besser:
    b) Die Einführung von bundesweiten Volksentscheiden zu allen wichtigen Themen und Gesetzesvorlagen, damit die Stimme des Volkes wieder wichtiger ist als jede Fraktionsdisziplin.