Schlagwort: Strom

  • Mehr Bürgerbeteiligung am Strommarkt

    Mehr Bürgerbeteiligung am Strommarkt

    Das Ausbautempo für Erneuerbare Energiequellen genügt bei weitem nicht, um die im Klimaschutzprogramm der Bundesregierung formulierten Ziele zu erreichen. Ein Grund für die Verzögerungen ist die deutsche Gesetzgebung, die Bürgerenergie eher behindert, statt sie effektiv zu fördern. Änderungen an diesem Zustand sind jedoch in greifbare Nähe gerückt. Jüngste Beschlüsse des Europäischen Parlaments räumen der Beteiligung der Bürger und kleinerer Energieversorger am Energiemarkt deutlich mehr Möglichkeiten ein. Dieses Beschlüsse sind auch für Deutschland bindend und müssen zeitnah umgesetzt werden.

    Wenn Kleingärtner Obst und Gemüse zur Eigenversorgung anbauen und dann auch tatsächlich im eigenen Haushalt verbrauchen – daran stört sich niemand. Selbst wenn diese Kleingärtner ihre Produkte in geringem Umfang verkaufen, drückt der Fiskus ein Auge zu. Das finden wir in Ordnung. Eigenversorgung mit frischem Obst und Gemüse kann ein Beitrag zu einer gesünderen Lebensweise sein. Wieso dieses bewährte Modell nicht für private Stromerzeugung zur Eigenversorgung gilt, ist eine der Fragen, die wir uns bei der Betrachtung der Organisation des deutschen Strommarktes stellen. Im Gegensatz zu den anderen Fragen ist sie relativ leicht verständlich, daher fangen wir mit ihr an.

    Die Steuern und Abgaben auf selbst produzierten Strom

    Betreiber einer Photovoltaik- oder einer kleinen Windkraftanlage gelten als Unternehmer und unterliegen daher der für Unternehmen gültigen Gesetzgebung, es sei denn, sie verzichten komplett auf Einspeisung (= Stromverkauf) in das öffentliche Stromnetz. Das bedeutet u.a., dass sie für den selbst erzeugten und verbrauchten Strom zumindest Einkommenssteuer für „Selbstentnahme“ zahlen müssen. Haben sie die für Kleinunternehmer gültige Umsatzsteuerregelung nicht in Anspruch genommen, fällt auch Umsatzsteuer an. Das unterscheidet die Betreiber kleiner Energieerzeugungsanlagen vom Kleingärtner: Unversteuerte Eigenversorgung hier wäre ungesund … für den Staat. Die prinzipielle steuerliche Gesetzgebung ist rechtlich absolut nachvollziehbar, auch wenn sie im Vollzug je nach regionalem Finanzamt zuweilen seltsame Blüten treibt. Bestimmte Webseiten helfen potentiellen Interessenten, Licht ins Dunkel zu bringen.

    Die Behinderung kleiner Energieerzeuger beginnt aber spätestens mit der 10 Kilowatt Peak (kWP)-Regelung für PV-Anlagen. Liegt die Leistung einer Photovoltaikanlage über dem genannten Wert, muss der Betreiber für seinen selbst verbrauchten Strom anteilig EEG-Umlage zahlen. Sollte die EEG-Umlage nicht eigentlich der Förderung der Erneuerbaren dienen?
    Die 10 kWP-Regelung verhindert insbesondere die Installation von PV-Anlagen mittlerer Kapazität. Die meisten Einfamilienhäuser bieten nicht genügend Dachfläche für 10 kWP und sind deshalb von diesem ziemlich fragwürdigen Gesetz nicht betroffen, die sogenannten Mieterstromanlagen hingegen schon. Gleich, ob Vermieter oder Mieter in einem genossenschaftlichen Ansatz das Heft in die Hand nehmen – aufgrund der aktuellen Gesetzeslage stellen sich derartige Anlagen nur selten als wirtschaftlich für die Betreiber dar. Hinzu kommen massive bürokratische Hürden, die überwunden werden müssen, um sie letztendlich in Betrieb nehmen zu können.

    Insofern müssen wir uns nicht wundern, dass Dachflächen größerer Wohnquartiere bislang nur wenig für Solaranlagen genutzt werden. Gerade diese freien Flächen könnten aber einen großen Beitrag zur Energiewende liefern.
    Übrigens verbietet die EU in einer Richtlinie aus dem Jahre 2018, den Eigenverbrauch von Strom aus PV-Anlagen bis 30 kWP mit Abgaben zu belasten. Diese Richtlinie ist eigentlich bis 2020 in nationales Recht umzusetzen. Uneigentlich hat sich unser Wirtschaftsminister Peter Altmaier vehement dafür eingesetzt, dass es in Deutschland bis 2026 bei der 10 kWP-Regelung bleibt. Der Faktor 3 für die Freistellung von Abgaben könnte die Energielandschaft Deutschlands gehörig durcheinanderwirbeln. Ein spürbarer Zuwachs bei mittleren PV-Anlagen wäre von großem volkswirtschaftlichem Nutzen und würde uns den gesteckten CO2-Emissionszielen näher bringen.
    Die Piratenpartei steht für dezentrale Energieerzeugung und Netze in Bürgerhand – und fordert daher die fristgerechte Umsetzung dieser EU-Richtlinie bis Ende 2020.

    Die Windkraftbranche…

    …hat sich in den letzten Jahren deutlich gewandelt. Auch in diesem Bereich haben diverse Novellierungen des EEG zu einer Stärkung der Position große Anbieter (Energieversorger, Fonds und Banken, Projektierungsfirmen) gegenüber Bürgerenergiegenossenschaften geführt. Beliebter Trick dabei: Diese Anbieter gründen selbst Bürgerenergiegenossenschaften, um in den Genuss der tatsächlich gesetzlich verbrieften Bevorzugung solcher Genossenschaften beim Erteilen des Zuschlags für ein Windenergie-Projekt zu kommen. Echte Bürgerenergiegenossenschaften haben gegen die Angebote solcher Scheinkonstrukte von vornherein keine Chance.

    Neue EU-Gesetzgebung

    Am 05.06.2019 wurde die Verordnung des europäischen Parlamentes und des Rates über den Elektrizitätsbinnenmarkt neu gefasst. Dort findet sich ganz Erstaunliches. Eine der Motivationen, die vorherige Verordnung zu novellieren, lautet wie folgt:

    „Ziel der Energieunion ist es, die Endkunden — Haushalte und Unternehmen — mit sicherer, gesicherter, nachhaltiger, wettbewerbsfähiger und erschwinglicher Energie zu versorgen.“… „Der Elektrizitätsbinnenmarkt, der seit 1999 schrittweise geschaffen wird, soll allen Verbrauchern in der Union eine echte Wahl ermöglichen, neue Geschäftschancen für die Unternehmen eröffnen sowie den grenzüberschreitenden Handel fördern und auf diese Weise Effizienzgewinne, wettbewerbsfähige Preise und eine höhere Dienstleistungsqualität bewirken und zu mehr Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit beitragen.“

    Dieser Ansatz der Bürgerbeteiligung klingt aus Sicht der PIRATEN sehr gut. Die dazu geplanten Maßnahmen halten wir für geradezu revolutionär. Diese sind in einer weiteren Verordnung beschrieben. Artikel 15, Absatz (1) beginnt dort mit den Worten:
    „Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass Endkunden das Recht haben, als aktive Kunden zu handeln, ohne unverhältnismäßigen oder diskriminierenden technischen Anforderungen, administrativen Anforderungen, Verfahren, Umlagen und Abgaben sowie nicht- kostenorientierten Netzentgelten unterworfen zu werden.“

    Das sind ganz neue und ganz richtige Töne. Artikel 16 dieses Dokumentes befasst sich dann explizit mit Bürgerenergiegemeinschaften und räumt ihnen sehr viel umfangreichere Rechte ein, als sie derzeit für diese „Exoten“ auf dem deutschen Strommarkt bestehen. Peter Altmaier dürfte speziell die Lektüre dieses Artikels nicht gefallen, zumal die gesamte Verordnung bereits per 31.12.2020 in nationales Recht umzusetzen ist. Vielleicht muss er erneut nach Brüssel reisen und um Aufschub für Deutschland bitten. Wir werden das beobachten.

    Die neue europäische Gesetzgebung bietet insgesamt große Chancen, den im Sinne großer Anbieter überregulierten Strommarkt Deutschlands zu entflechten und einen tatsächlich freien Markt, an dem alle Teilnehmer gleichberechtigt mitwirken können, zu etablieren. Damit besteht auch die Möglichkeit, dass die Strompreise tatsächlich wieder sinken, nachdem sie aufgrund der Ausübung der Interessen Einzelner in den letzten zwanzig Jahren nur die Richtung aufwärts kannten.

    Weitere Quellen:
    energiezukunft: EEG-Novelle behindert Energiegenossenschaften
    photovoltaikforum: Fragen zur 10KWp Grenze
    photovoltaik-web: Vergütung für den erzeugten Solarstrom
    pv-magazine: Quaschning: Stoppt den Photovoltaik-Eigenverbrauch und macht die Dächer voll

  • Warum das deutsche Stromnetz wirklich instabil ist

    Warum das deutsche Stromnetz wirklich instabil ist

    Im Juni nahmen die zur Netzstabilisierung notwendigen Regeleingriffe in das deutsche Stromnetz einen bislang nicht da gewesenen Umfang an. Wie üblich wurden von einigen Medien die erneuerbaren Energiequellen als Schuldige ermittelt. Immerhin gab es diesmal auch genügend Presseberichte, die die wahren Ursachen für die „Stromknappheit“ (jeweils mitten in der Nacht (!) des 04., 09. und 12.06.2019) benannten.

    Im Oktober 2018 trat eine Gesetzesänderung für den Regelenergiemarkt in Kraft, die noch mehr Zockerei auf Kosten der Stromkunden erlaubt. Das sogenannte „Mischpreisverfahren“ ermöglicht den Stromversorgern, weniger Regelenergie zum Ausgleich von Netzschwankungen auf Vorrat einzukaufen und dafür notwendige Kapazitäten sehr kurzfristig zu erwerben. Der Vorteil für den Stromversorger dabei: Die kurzfristigen Kapazitäten können zwar äußerst teuer werden, allerdings nicht für ihn selbst. Er kann die immensen Mehrkosten direkt an die Stromkunden weiterreichen. Wohlgemerkt: Wir reden hier von Preisunterschieden zwischen ca. 10 Euro pro MWh im Normalzustand und nahe 40.000 Euro pro MWh in einer Krisensituation!
    Erfolgt der Nachkauf notwendiger Ersatzkapazitäten zu kurzfristig, kann die Zockerei der Nutznießer dieses sehr fragwürdigen Systems durchaus in einem großflächigen, länger anhaltenden Blackout enden.

    Vor der Einführung des Mischpreisverfahrens wurde genau davor gewarnt. In diesem Artikel wird die Problematik gut und ausführlich beschrieben. Tiefergehende technische Hintergründe liefert der Blog von Herbert Saurugg, den wir aus gegebenem Anlass manchen Journalisten wärmstens ans Herz legen möchten.

    Dr. Michael Berndt, energiepolitischer Sprecher der Piratenpartei kommentiert:

    „Offensichtlich hat die Mischung aus Ahnungslosigkeit bei den Politikern und/oder die Überzeugungsarbeit der Lobbyisten einmal mehr die für die Bürger schlechteste und teuerste Lösung Realität werden lassen. Ein weiteres Beispiel dafür, wie Intransparenz und Bürgerferne in der Politik gelebt werden.“

  • Hackerangriff auf die Stadtverwaltung von Baltimore: Wie verwundbar sind europäische Städte?

    Hackerangriff auf die Stadtverwaltung von Baltimore: Wie verwundbar sind europäische Städte?

    Herbert Saurugg, MSc, Experte für die Vorbereitung auf den Ausfall lebenswichtiger Infrastrukturen, war 15 Jahre Berufsoffizier des Österreichischen Bundesheeres, zuletzt im Bereich IKT-/Cyber-Sicherheit. Seit 2012 beschäftigt er sich mit den möglichen Folgen steigender Vernetzung und Komplexität, insbesondere mit dem Szenario eines europaweiten Strom- und Infrastrukturausfalls („Blackout“). Er betreibt dazu einen umfangreichen Fachblog (www.saurugg.net) und ist über die Grenzen Österreichs hinaus als weitsichtiger Querdenker und Referent bekannt.

    Die amerikanische Stadt Baltimore wird seit Anfang Mai erpresst. Die Daten von tausenden Computern der Stadtverwaltung wurden durch eine Schadsoftware verschlüsselt. Wichtige Systeme der Verwaltung stehen seither still. Notwendige Dienstleistungen können nur sehr eingeschränkt erbracht werden. Der/die Erpresser verlangen Geld, um die Dateien wieder zu entschlüsseln. Diese Forderung – es geht um 13 Bitcoins (ca. 90.000 Euro) – wird jedoch vom Bürgermeister der Stadt abgelehnt. Der durch den Hackerangriff aufgelaufene Schaden beläuft sich bereits auf über 15 Millionen Euro.
    Ungewöhnlich ist, dass der/die Erpresser versucht haben, die Stadtverwaltung über Twitter zur Zahlung zu bewegen. Ungewöhnlich, wenn nicht gar bedenklich ist jedoch erst recht, dass es der Stadtverwaltung und den hinzugezogenen Behörden und Dienstleistern bisher nicht gelungen zu sein scheint, die verschlüsselten Daten von entsprechenden Datensicherungen wiederherzustellen. Schließlich wurde die Stadt erst kürzlich im Rahmen der „Smart Cities Readiness Challenge“ ausgezeichnet. Hier würde man doch das Vorhandensein einer entsprechenden Sensibilität und von Prozessen erwarten, um mit derartigen Zwischenfällen souveräner umgehen zu können. Primär natürlich, um Schwachstellen, die einen solchen Angriff erst ermöglichen, rasch zu schließen. Sollte dennoch etwas schief gehen, wären Abläufe wünschenswert, die den Schaden begrenzen und rasch wieder beheben. Aber wie so oft, scheint auch in der Stadtverwaltung Baltimores die Kluft zwischen Schein und Wirklichkeit groß zu sein.

    Baltimore ist überall

    Nun stellt sich natürlich die Frage, ob so etwas auch in europäischen oder deutschen Städten passieren könnte. In der Regel wird man darauf rasch die Antwort bekommen: „Nein, bei uns ist so was undenkbar. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.“

    Ein Blick in die Vergangenheit beweist das Gegenteil. Und es waren nicht nur die Verwaltungsstrukturen einzelner Städte betroffen, sondern die vitalen Infrastrukturen ganzer Länder und Regionen. 2003 – Blackout an der US-Ostküste; nicht Europa. Aber wenige Wochen später war ganz Italien finster; Blackout. Oder der Stromausfall am weltgrößten Flughafen in Atlanta im Dezember 2017, den der deutsche Flughafenverband sinngemäß kommentierte, so etwas sei in Deutschland völlig unmöglich. Ein halbes Jahr später stand der fünftgrößte Flughafen Deutschlands, der Flughafen Hamburg, aufgrund eines mehrstündigen Stromausfalls still.
    Störungen unserer modernen Infrastrukturen können überall auftreten, auch wenn es massig Vorschriften gibt, die sie eigentlich verhindern sollten. Kriminelle, die diese Strukturen angreifen, sind dabei nur eine mögliche Ursache.

    Gefahrenpotenzial Komplexität

    Vernetzung („Digitalisierung“) schafft viele Vorteile und ganz neue Möglichkeiten. Die Vernetzung steigert jedoch auch die Komplexität von Systemen. Damit entstehen oft wenig beachtete Nebenwirkungen: Kleine Ursache, große Wirkung; exponentielle Entwicklungen; steigende Dynamik; Nichtlinearität oder zeitverzögerte Wirkungen. Das sind Dinge, mit denen wir noch schlecht umgehen können, weil wir es bisher hauptsächlich mit wenig komplizierten Maschinen zu tun hatten. Dementsprechend ist unsere Ausbildung noch in „Silos“ (Instituten, Disziplinen) organisiert. Wir bräuchten jedoch viel mehr vernetztes Denken, um mit den Auswirkungen der von uns geschaffenen komplexen Systeme Schritt halten zu können; nicht nur in Spezialbereichen, sondern im gesamten Bildungssystem.

    Außerdem führt der betriebswirtschaftliche Druck mit der damit einhergehenden Effizienzsteigerung dazu, dass Systeme immer fragiler designt werden. Überlebenswichtige Reserven und Redundanzen stellen totes Kapital dar. Sie werden oftmals vernachlässigt oder gleich ganz eingespart. Das merkt man dann erst zeitverzögert, wenn es kracht. Dann ist es aber bereits zu spät.
    Diese Effizienzsteigerung betrifft natürlich auch und insbesondere die Personalressourcen, vor allem in der IT und der IT-Sicherheit. Immer mehr Technik, immer weniger Personal. Daher gilt allzuoft der Grundsatz: „Never touch a running system“. Das Einspielen von Patches kostet Zeit und geht auch des Öfteren schief. Nun werden aber zunehmend mehr Infrastruktur-IT-Systeme (IT) mit Office-IT-Systemen (OT) vernetzt, damit mehr Daten generiert werden können. Die bestehende OT-Infrastruktur ist jedoch nicht für derartige Anforderungen ausgelegt. Diverse Sicherheitslösungen würden deren Funktionalität sogar beeinträchtigen oder stören. Womit wir wieder beim Bildungsthema wären.
    Der nächste Punkt ist, dass wir zwar zunehmend mehr Wert auf den Schutz unserer Systemen legen, aber kaum über Rückfallebenen verfügen, sollte wirklich einmal etwas fundamental aus dem Ruder laufen. Es ist auch allzu menschlich, echte Horrorszenarien nicht wahrhaben zu wollen oder auszublenden. Sie ernst zu nehmen würde außerdem unsere Effizienzsteigerungsbemühungen unterlaufen. Dieser gefährlichen Denkweise unterliegen aber nicht nur Fachleute und -bereiche. Die Frage ist vielmehr, ob die gesamte Organisation oder wir als Gesellschaft mit größeren Störungen oder sogar Versorgungsunterbrechungen umgehen könnten. Klar ist – es gibt keine zu hundert Prozent sicheren Systeme. Nirgends. Aus der Komplexitätsforschung ist sogar bekannt, dass der Kollaps von komplexen Systemen kein Fehler, sondern ein Designmerkmal ist. Dieses sorgt für ihre Regeneration und Weiterentwicklung. In der Wirtschaftslehre ist dies auch als „Schöpferische Zerstörung“ bekannt. Diese Erkenntnis gilt jedoch nicht nur für natürliche, sondern auch für komplexe Systeme, wie wir sie derzeit schaffen.

    Zentrale vs. dezentrale Strukturen

    Das Ganze wäre nicht so schlimm, gäbe es ein paar sinnvolle Reichweitenbegrenzungen und dezentrale funktionale Einheiten. In der Natur ist alles Lebendige, also komplexe Systeme, zellulär organisiert. Das hat sich im Laufe der Evolution bewährt und durchgesetzt. Im technischen Bereich machen wir jedoch genau das Gegenteil. Aus Effizienzgründen werden immer mehr Dinge voneinander abhängig und damit auch verwundbarer gemacht. Nicht aus böser Absicht, sondern aus Unwissenheit und aufgrund kurzsichtiger betriebswirtschaftlicher Überlegungen.
    Besonders beunruhigend sind die Entwicklungen im Bereich der lebenswichtigen („kritischen“) Infrastrukturen. Auch deren Betrieb unterliegt einem zunehmenden Marktdruck. Die Leistungen müssen weiterhin stimmen. Daher muss im Hintergrund eingespart werden, was zu Lasten der Robustheit geht. So kommen etwa auch im Infrastruktursektor zunehmend mehr „Commercial off the shelf“-Produkte (COTS) zum Einsatz, was sich auf die Lebensdauer und damit auf die Langzeitkosten auswirken wird („zeitverzögerte Wirkungen“). Zum anderen führt die Digitalisierung dazu, dass immer mehr Prozesse und Infrastrukturen voneinander wechselseitig abhängig werden. So lange alles funktioniert, gibt es viele Vorteile. Kommt es jedoch zu einer unvorhergesehenen Störung, können selbstverstärkende Kaskadeneffekte auftreten („kleine Ursache, große Wirkung“, „Nichtlinearität“). Wie etwa 2017 in Ludwigshafen. Ein Bauarbeiter hatte eine falsche Versorgungsleitung durchtrennt. Es kam zu einer Explosion. In deren Folge mussten zwei Dutzend Industrieanlagen unplanmäßig gestoppt werden. Der Schaden kumulierte sich auf 500 Millionen Euro.

    Elektrischer Strom – unser Lebenselixier

    Durch die Digitalisierung werden immer mehr Systeme und Prozesse von der Stromversorgung abhängig. Gleichzeitig steigt der Stromverbrauch massiv an, was bisher nicht genügend gewürdigt wird. Kleinvieh macht Mist, der häufig unterschätzt wird. Man denke nur an die Standby-Verbräuche.
    Viele mögen sich denken: „Alles kein Problem, haben wir doch in Mitteleuropa die höchste Versorgungssicherheit weltweit.“ Der Schein trügt. Er könnte sich sogar als zerstörerische Truthahn-Illusion herausstellen. Ein Truthahn, der Tag für Tag von seinem Besitzer gefüttert wird, nimmt aufgrund seiner täglichen positiven Erfahrungen (Fütterung) an, dass es der Besitzer nur gut mit ihm meinen kann. Im fehlt nämlich die wesentlichste Information, dass die Fütterung nur einem Zweck dient. Am Tag vor Thanksgiving, bei dem die Truthähne traditionell geschlachtet werden, erlebt er dann eine fatale Überraschung.
    Das europäische Stromversorgungsystem unterliegt einem fundamentalen Wandel. Der sichere Betrieb erfordert zunehmend mehr Aufwand und wird seit Jahren schwieriger. Das wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Der Strom kommt doch aus der Steckdose – basta. Es gibt jedoch mittlerweile eine Reihe von großen Stressfaktoren. Der Strommarkt spielt dabei eine ganz zentrale Rolle. Dieser muss per Definition keine Rücksicht auf physikalische Rahmenbedingungen nehmen („Energy-only-Market“). Es gibt jedoch keine europäische Kupferplatte, die Strom zu jeder Zeit, in jeder Menge und überall hin verteilen könnte. Der Markt agiert aber genau so. Die betriebswirtschaftliche Optimierung des Marktes kann sogar mehrmals täglich an der Netzfrequenz abgelesen werden, bei der es regelmäßig in den Morgen- und Abendstunden zu größeren Abweichungen kommt.

    Am 10. und 24. Januar 2019 wurde dadurch sogar die Grenze des Normalbetriebes erreicht. Das ist das letzte Mal 2006 passiert, wobei diese noch weiter unterschritten wurde und es dann zum Glück zur rechtzeitigen Notabschaltung von 10 Millionen Haushalten in Westeuropa kam, um einen Totalkollaps („Blackout“) zu verhindern. Am 03. April 2019 wurde die gewöhnliche Schwankungsbreite erneut deutlich unterschritten. Am 20. Mai 2019 kam es in der Schweiz zu einer schweren Sicherheitsverletzung, nachdem das Marktverhalten kurzfristige, nicht prognostizierte Lastflüsse verursachte. Eine Häufung von unerwarteten Ereignissen, wie wir sie bisher nicht kannten.
    Wir haben zudem ein europäisches Verbundsystem, das nur im Ganzen funktioniert. Jedes Mitgliedsland verfolgt jedoch seine eigene Energie- und vor allem Strompolitik. Auf EU-Ebene hat der Markt höchste Priorität. Ein weiterer Stressfaktor ist die deutsche Energiewende. Hier fehlt es offenbar an grundlegendem physikalischen Wissen bzw. wird dieses ignoriert und durch Wunschvorstellungen ersetzt.

    Die Energiewende ist mit Sicherheit notwendig. Mit den derzeitigen einseitigen und nicht systemischen Eingriffen in unsere überlebenswichtigste Infrastruktur riskieren wir jedoch alles. Kein System verträgt auf Dauer einseitige und vor allem der Physik zuwiderlaufende Eingriffe. Trotzdem agieren wir immer noch wie der oben zitierte Truthahn.
    Das Hauptproblem ist, dass wir wesentliche Systemelemente (konventionelle Kraftwerke) entfernen, ohne entsprechende Ersatzlösungen verfügbar zu haben. Die Stromerzeugung aus Wind und Sonne reicht bei weitem nicht, um die bisherigen Funktionalitäten zu ersetzen. Fossile Kraftwerke stellen eine funktionale Einheit dar. Sie können nachfrageorientiert Strom erzeugen, was PV- und Windkraftanlagen nicht können. Damit das Stromversorgungssystem jedoch funktioniert, muss permanent ein fragiles Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch sichergestellt werden. Die vorhandenen Flexibilitäts- und Speicherlösungen reichen bei weitem nicht aus, um diese Balance auch in absehbarer Zukunft sicherstellen zu können. Und es reicht nicht, wenn es auf dem Papier Lösungsansätze gibt, die sich noch dazu nicht rechnen. Was viele nicht wissen ist, dass diese Balance zu 100 Prozent sichergestellt werden muss. 99,999 Prozent führen bereits zum Kollaps!

    Fazit

    Was hat das nun alles mit dem Ursprungsthema, dem IT-Ausfall in Baltimore zu tun? Auf den ersten Blick vielleicht nicht viel, aus einer systemischen Perspektive jedoch eine ganze Menge. Es geht um unsere infrastrukturellen Abhängigkeiten und um unterschätzte Kaskadeneffekte. Wenn die Wiederherstellung von Systemen in einem sehr überschaubaren Bereich, wie in einer Stadtverwaltung, schon derart lange dauert, unterschätzen wir wohl völlig, wie lange der Wiederanlauf nach einem europaweiten Strom- und Infrastrukturausfall („Blackout“) dauern wird. Ganz abgesehen davon, dass mit dem Strom auch die Telekommunikationsversorgung ausfällt und damit so gut wie kein Krisenmanagement mehr möglich ist. Außer auf lokaler Ebene. Es muss sogar erwartet werden, dass der Wiederanlauf der Telekommunikationsversorgung nach dem Stromausfall noch wesentlich länger dauern wird. Damit funktionieren weder Produktion, noch Logistik oder Warenverteilung. Nicht einmal die Treibstoffversorgung. Gleichzeitig wissen wir, dass sich rund ⅓ der Bevölkerung maximal vier Tage und ⅔ maximal eine Woche selbst versorgen kann. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es gelingt, die Versorgung binnen dieser Frist wieder zum Laufen zu bringen.
    Der Bericht „Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften durch Stromausfall“ des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag hat bereits 2010 festgestellt: „Spätestens am Ende der ersten Woche wäre eine Katastrophe zu erwarten, d. h. die gesundheitliche Schädigung bzw. der Tod sehr vieler Menschen sowie eine mit lokal bzw. regional verfügbaren Mitteln und personellen Kapazitäten nicht mehr zu bewältigende Problemlage.“
    Hat sich seither etwas geändert? Haben wir bessere Vorsorgemaßnahmen getroffen? Nein, überhaupt nicht. Die Verwundbarkeit ist in den letzten 10 Jahren noch stärker gestiegen. Wie wahrscheinlich ist ein Blackout? Das lässt sich aufgrund des sehr seltenen Eintritts nicht berechnen. So wie jedoch die Entwicklungen im europäischen Stromversorgungssystem in den vergangenen acht Jahren verlaufen sind und die Planungen für die nächsten fünf Jahre aussehen, geht der Autor fix davon aus, dass wir ein solches Ereignis in diesem Zeitraum erleben werden. Wir steuern daher auf die größte Katastrophe nach dem Zweiten Weltkrieg zu, ohne es zu ahnen. Vor allem auch, weil wir ignorant sind und seit dem Ende des Kalten Krieges sämtliche Vorsorgemaßnahmen zurückgefahren oder komplett eingestellt haben. Das betrifft jeden Einzelnen von uns, aber auch die Unternehmen und den Staat insgesamt. Wir leben in einer sehr komfortablen Truthahn-Illusion.

    Strom aus – Wie sicher sind unsere Netze
    Quelle: 3sat / © ORF/Peppo Wagner Filmproduktion

  • Offener Brief an die Bundesnetzagentur

    Offener Brief an die Bundesnetzagentur

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    im Rahmen der Antragskonferenzen für den Südostlink, die von Mai bis Juli 2017 u.a. in Magdeburg, Halle, Gera und Weiden stattfanden, hatten Mitglieder der AG Energiepolitik der Piratenpartei Deutschland (Jörg Diettrich, Ingolf Müller und Reinhold Deuter) mehrfach Kontakt mit Ihnen, namentlich Herrn Hagenberg, dem für den Südostlink zuständigen Referatsleiter. Herr Hagenberg betonte in jedem unserer Gespräch, an einem technischen Dialog mit uns und anderen Bürgern interessiert zu sein. Gleichzeitig wies er immer wieder darauf hin, dass die Antragskonferenzen der falsche Ort seien, bereits gefällte Entscheidungen über den Bau neuer Höchstspannungsübertragungstrassen infrage zu stellen.

    Hierzu haben wir zwei Anmerkungen:

    Zum einen fand ein ehrlicher Dialog mit Ihrer Behörde bislang nicht statt. Zum zweiten finden wir uns als technische interessierte Bürger nicht damit ab, dass die Gesellschaft Mittel für Projekte aufwendet, deren Sinnhaftigkeit anhand physikalischer Fakten an keiner Stelle bewiesen wurde, um so mehr, weil wir anhand eigener Berechnungen sehr große Zweifel daran haben, dass die geplanten Trassen tatsächlich notwendig sind.

    Die Antragskonferenzen mögen, aus Ihrer Sicht betrachtet, nicht der richtige Ort sein, Fragen nach der prinzipiellen Notwendigkeit neuer Höchstspannungsleitungen zu stellen. Wir – und mit uns eine ganze Menge Bürgerinitiativen und NGOs – können dieser Sichtweise schon allein deshalb nicht folgen, weil wir den von Ihnen definierten 5-stufigen Prozess der Entscheidungsfindung für vorherbestimmt (die Weichen werden von den vier exklusiv in Deutschland tätigen Netzbetreibern im Zusammenspiel mit den vier großen Energieerzeugern gestellt) und überdies intransparent halten. Sie müssen uns daher schon zubilligen, Ihnen unsere Fragen, die wir im Folgenden noch einmal zusammengefasst haben, auch zu Gelegenheiten zu stellen, die Sie für unpassend halten.

    Wir erinnern Sie an Ihre Aufgabe als Bundesbehörde, im Sinne des Allgemeinwohls tätig zu werden sowie Schaden von unserer Gesellschaft abzuwenden und bitten Sie, folgende Fragen zu beantworten:

    1. Welche Bedeutung im Sinne der öffentlichen Daseinsvorsorge misst die BNetzA der Versorgung mit Elektroenergie zu?
    2. Können Sie mit aktuellen und zukünftig zu erwartenden Leistungsflussdaten den faktischen Nachweis für die Notwendigkeit der neu geplanten Trassen erbringen?
    3. Sichert der geplante Netzausbau den stabilen Betrieb des deutschen Stromversorgungsnetzes unter allen betrachteten Netznutzungsfällen, insbesondere bei geringem Stromverbrauch und gleichzeitig hohem Angebot dezentral aus erneuerbaren Quellen erzeugter Elektroenergie?
    4. Inwieweit ist mit dem beschlossenen Szenariorahmen und dem daraus abgeleiteten Netzentwicklungsplan eine technisch stabile Stromversorgung auch unter krisenhaften Bedingungen möglich?
    5. Ist die Stromversorgung nach Abschaltung aller AKWs 2022 und vor Inbetriebnahme der neu geplanten HGÜ-Leitungen im Jahre 2025 in Deutschland gefährdet? Wir sehen einen Widerspruch darin, ein Höchstspannungsnetz bis 2022 zu betreiben und drei Jahre später einen Ausbau vorzunehmen, nachdem große Erzeuger kein Bestandteil dieses Netzes mehr sind und die zusätzliche Übertragungskapazität demnach erst recht nicht mehr benötigt wird.
    6. Welche Rolle spielt der Stromexport bei der Planung neuer Stromtrassen?
    7. Können Sie die allgemein immer wieder verbreitete These, neue Höchstspannungsübertragungstrassen seien vor allem für den Transport von aus erneuerbaren Quellen erzeugtem Strom notwendig, mit physikalischen Daten belegen?
    8. Welchen Stellenwert haben die aus dem Jahre 2012 stammenden Überlegungen Ihrer Behörde, den dezentralen Ausbau der Stromnetze unter Berücksichtigung zunehmender dezentraler Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen voran zu treiben?
    9. Betrachten Sie die Energiewende hin zu 100% erneuerbaren Quellen als eine zwingende, vordringlich zu lösende Aufgabe?
    10. Sind Sie gehalten, die Energiewende im Sinne bestimmter politischer Vorgaben zu gestalten?
    11. Warum gibt es keinen terminierten Ausstieg aus der fossilen Stromerzeugung?
    12. Halten Sie die fünf Planungsschritte für den Bau neuer Stromtrassen in der von Ihnen vorgestellten Form für demokratisch legitimiert? Die Frage zielt insbesondere auf Schritt eins, in dem privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen ihre durch sie selbst zu erbringenden Leistungen planen dürfen.
    13. Wessen Geschäftsinteressen sind durch die Veröffentlichung von Leistungsflussdaten berührt? Können Sie Ihre Bedenken gegen die Veröffentlichung solcher Daten begründen?
    14. Wie hoch ist derzeit die Rendite für Investoren, die sich am Trassenbau beteiligen?

    Auf Ihre baldige Stellungnahme hoffend, verbleiben wir mit freundlichen Grüßen

    Die Mitglieder der AG Energiepolitik der Piratenpartei

  • Brauchen wir neue Stromautobahnen?

    Brauchen wir neue Stromautobahnen?

    Die Frage des Netzausbaus ist einer der am heftigsten diskutierten Aspekte der aktuellen Energiepolitik. Eine zentrale Rolle bei der Umsetzung des Ausbaus der Energienetze spielt die Bundesnetzagentur (BNetzA).

    Die Bundesnetzagentur (BNetzA) stellt unter dem Titel „Das Verfahren – Netzausbau in fünf Schritten“ einen kleinen Animationsfilm bereit, der dem Bürger den Netzausbau erklärt. Er beginnt mit dem Satz: „Die Energiewende und das Zusammenwachsen des europäischen Strommarktes machen in den kommenden Jahren einen umfassenden Ausbau der deutschen Höchstspannungsnetze erforderlich.“ Weiterhin wird in dem Film mehrfach versichert, dass „die ganze Gesellschaft“ in die Entscheidungsfindung zum Netzausbau einbezogen wird.

    PIRATEN hegen berechtigte Zweifel

    Die Piratenpartei hat berechtigte Zweifel an der grundlegenden These, dass tatsächlich mehr Höchstspannungsleitungen (sog. Stromautobahnen) benötigt werden. Diese Zweifel gründen sich auf eigene Berechnungen der AG Energiepolitik der Piratenpartei, die auf von der Bundesnetzagentur zur Verfügung gestellten Daten basieren. Mitglieder der AG Energiepolitik haben im Rahmen der Antragskonferenzen zum SüdOstLink (05 bis 07/2017) ihre Bedenken mehrfach öffentlich an die Bundesnetzagentur herangetragen und damit versucht, sich als Bürger an der Netzplanung zu beteiligen. Dabei mussten sie feststellen, dass das im Film unterbreitete Mitwirkungsangebot der Bundesnetzagentur in der Praxis bei weitem nicht das hält, was es verspricht.

    Der Leiter der für den Südostlink zuständigen Gruppe der Bundesnetzagentur hat zwar sein starkes Interesse an einem technischen Dialog mit den sachkundigen Mitgliedern der Piratenpartei bekundet, stattgefunden hat ein solcher Dialog bislang jedoch nicht. In Gera wurde von der, für den Netzausbau verantwortlichen Abteilung der BNetzA zudem eine zeitnahe Stellungnahme zu der von den PIRATEN gestellten Grundsatzfrage angekündigt. Inzwischen ist diese Stellungnahme eingetroffen. Sie war sehr allgemein und unverbindlich gehalten.

    Jörg Diettrich, aktives Mitglied der Arbeitsgruppe Energiepolitik, der maßgeblich für die eigenen Berechnungen der AG verantwortlich ist, äußert sich dazu wie folgt:

    „Der Text entspricht in keiner Weise unseren Erwartungen, weil die grundlegende Fragestellung nach der Sinnhaftigkeit neuer Stromautobahnen wiederum vollständig ignoriert wurde.“

    In Bezugnahme auf eine von ihm besuchte energiepolitische Veranstaltung, die Ende Juli in Berlin stattfand und bei der auch Vertreter der Bundesnetzagentur zugegen waren, fügt Diettrich hinzu: „Die Bundesnetzagentur hat auch diesen Termin platzen lassen. Statt einer Diskussion über energiepolitische Themen wurde einfach ein Vortrag über Telekommunikation angeboten. Ich fühlte mich schlichtweg veralbert.“

    Dr. Michael Berndt, Energiepolitischer Sprecher der Piratenpartei und Spitzenkandidat des Landes Niedersachsen zur BTW 2017 ergänzt:

    „Wir laden die Bundesnetzagentur nochmals dazu ein, endlich in einen ehrlichen Austausch mit uns zu treten. Wir, und mit uns eine wachsende Anzahl von Bürgerinitiativen und NGOs, wollen ein Stromnetz, in dem Stabilität gewährleistet ist und das den Anforderungen dezentraler Energieerzeugung durch erneuerbare Energiequellen gerecht wird. Wir wollen keinen Netzausbau, der den Weiterbetrieb extrem umweltschädlicher Kohlekraftwerke ermöglicht und darüber hinaus darauf fokussiert ist, den durch diese Kraftwerke erzeugten Strom ins Ausland zu exportieren.“

    Berndt weiter:
    „Um den geforderten Dialog einzuleiten, haben wir einen offenen Brief an die Bundesnetzagentur verfasst, der ganz konkrete Fragen zum Netzausbau enthält.“

    Aus dem Kapitel „Energiepolitik“ unseres Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017:

    Wir fordern unter anderem den Stopp des Ausbaus der Stromübertragungsnetze. Der Bau der langen Transporttrassen ist primär durch garantierte Rendite für die Netzbetreiber und die Rezentralisierung der Energiewende durch Offshore-Wind motiviert. Für eine dezentrale Energiewende sind die „Stromautobahnen“ nicht notwendig.

    Wir fordern die Einbindung der Bürger in ein transparentes Verfahren und Beteiligung an einem öffentlichen Konsultationsprozess. Um die Beteiligungsrechte der Zivilgesellschaft zu stärken, haben die Staaten der Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) im Juni 1998 die Aarhus-Konvention beschlossen. Diese legt wichtige Rechte für eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger im Umweltschutz fest. Inzwischen gehören über 40 Staaten zu den Vertragsparteien der Aarhus-Konvention. Diese Konvention ist auch in Deutschland in Bezug auf den Stromnetzausbau umzusetzen!

  • Berechtigte Zweifel an neuen Stromautobahnen

    Am 08. Mai stellte Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur (BNetzA), auf einer Pressekonferenz den Jahresbericht 2016 seiner Behörde vor. Neben ausführlichen Aussagen zur Entwicklung der großräumigen IT-Infrastruktur, zu Post und Bahn enthält der Bericht auch Hinweise zum weiteren Ausbau der Stromnetze. Die Bundesnetzagentur freut sich über die starke öffentliche Beteiligung, zu der auch die Piratenpartei ihren Beitrag leistet. Auf den beiden Antragskonferenzen zum Trassenbau in Magdeburg und Halle bot die Bundesnetzagentur Mitgliedern der AG Energiepolitik der Piratenpartei Deutschland an, den auf technischen Daten basierenden Dialog über die Notwendigkeit der geplanten Trassen zu vertiefen.

    „Wir müssen uns endlich von der schlichten These verabschieden, man bräuchte unbedingt Stromautobahnen, um aus erneuerbaren Quellen erzeugten Strom aus dem Norden in den höher industrialisierten Süden Deutschlands zu transportieren. Bürger und Natur sind in den windreichen, norddeutschen Regionen durch Windkraftanlagen bereits unzumutbar belastet. Für die Energiewende muss ohnehin der allergrößte Teil des Stromes über Photovoltaikanlagen erzeugt werden. Nur für diese Technologie stehen ausreichend Dach-, Fassaden- und versiegelte Flächen zur Verfügung und sie kann in ganz Deutschland – eben dort, wo Strom benötigt wird – eingesetzt werden“

    So Dr. Michael Berndt, energiepolitischer Sprecher und niedersächsischer Spitzenkandidat für die Bundestagswahl der Piratenpartei Deutschland.

    In absehbarer Zeit werden Haushalte und Industrieunternehmen den größten Teil ihres Strombedarfes selbst erzeugen und zwischenspeichern. Das entlastet das bestehende Übertragungsnetz deutlich. Die Vernetzung von Stromspeichern und Anlagen der erneuerbaren Energien wird darüber hinaus zur Stabilisierung der Stromnetze führen. Bundesnetzagentur und Übertragungsnetzbetreiber stehen in der Verantwortung, den Netzausbau zielgerichtet für eine Energieversorgung ohne den Einsatz von fossilen Energieträgern zu planen. „Erst wenn der zukünftige regionale Stromverbrauch unter Berücksichtigung von Stromeinsparpotentialen und die mögliche regionale Stromerzeugung mit erneuerbaren Energien abgeschätzt worden ist und auch das Gasnetz mit Gaskraftwerken als Langzeitspeicher einbezogen wird, kann über neue Stromtrassen im Übertragungsnetz entschieden werden“, betont Dr. Michael Berndt. „Daher fordert die Piratenpartei Deutschland in Ihrem Bundestagswahlprogramm ein Moratorium für den Ausbau des Übertragungsstromnetzes.“