Schlagwort: Teilhabe

  • Zehn Jahre danach: Bildungsrepublik Deutschland?

    „Schicksalstag für die SPD“ – so oder ähnlich titelten die Gazetten, als sie über die Entscheidung des SPD-Sonderparteitags über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD schrieben.

    Ja, die Entscheidung wird die weitere Entwicklung der SPD beeinflussen. Interessanter für unser Land ist jedoch, was nach einem ‚Ja‘ der SPD zur #GroKo zu erwarten ist und was den Menschen in unserem Land versprochen wird. In dieser Artikelserie gehen wir diesen Fragen auf den Grund.

    „Wohlstand für alle heißt heute Bildung für alle.“ sagte Angela Merkel bei ihrer Rede zum 60. Geburtstag der sozialen Marktwirtschaft am 12. Juni 2008, rief die „Bildungsrepublik Deutschland“ aus und erklärte Bildung zu der Zukunftsfrage der nächsten Jahre.

    Passiert ist seitdem in drei Regierungenkoalitionen unter Angela Merkel nicht viel in dieser Bildungsrepublik. Der Ausbau der Kindertagesstätten aufgrund des Rechtsanspruchs lief ja schon und wurde weiter betrieben. Es wurden an einigen Universitäten dank der Exzellenz-Initiative besondere Rahmenbedingungen geschaffen. Ansonsten herrschte auf Regierungsebene stilles Desinteresse. Parolen ohne Taten.

    Für eine vierte Regierung Merkel haben CDU/CSU und SPD das Thema Bildung wieder einmal als Zukunftsthema verhandelt. Wie sehen die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen aus bildungspolitischer Sicht aus?

    „Wir wollen die Bildungschancen in Deutschland im gemeinsamen Schulterschluss von Bund und Ländern verbessern. Dafür wollen wir einen nationalen Bildungsrat einrichten.“
    Mit der Einrichtung eines nationalen Bildungsrats will die Koalition der Bedeutung des Themas Bildung gerecht werden, nachdem die letzten drei Regierungen dies vernachlässigten. Hoffentlich wird aus diesem Bildungsrat mehr als ein Feigenblatt. Wie ein solcher nationaler Bildungsrat neben der Kultusministerkonferenz und den einzelnen Ministerien in eine Entscheidungslandschaft eingebunden wird, bleibt genauso nebulös wie die Frage, wer diesen Rat bildet, aus welchen Mitgliedern er bestehen wird und welche Aufgaben er haben wird.

    +/-0 für diesen nicht substantiierten Bildungsrat

    „Wir werden eine Investitionsoffensive für Schulen in Deutschland auf den Weg bringen. Diese umfasst zusätzlich zum laufenden Schulsanierungsprogramm die Unterstützung der Länder bei ihren Investitionen in die Bildungsinfrastruktur, insbesondere Ganztagsschul- und Betreuungsangebote, Digitalisierung und berufliche Schulen.“
    Es ist allerhöchste Zeit für eine angemessene Finanzierung der Bildungslandschaft abseits von Exzellenzinitiativen. Die Ausgaben im Bildungssektor liegen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, in der Bundesrepublik Deutschland seit Jahren unter dem OECD-Durchschnitt. Zu Recht wird diese Sparsamkeit an der falschen Stelle von der OECD gerügt. Die Piratenpartei fordert daher seit Jahren eine Anhebung mindestens auf den OECD-Durchschnitt.
    Die jetzt vereinbarten 10 Milliarden Euro sind, obwohl sie teilweise im Sozialhaushalt verausgabt werden (SGB VIII), ein großer Schritt in die richtige Richtung. Sie bedeuten jedoch für jeden Schüler und Studenten in der kommenden Regierungsperiode nur knapp 15 Euro/Monat. Davon muss neben anderen Dingen die Infrastruktur verbessert und in Teilen erst geschaffen, (mehr) Lehrer ausgebildet und beschäftigt, Ganztagsstrukturen erweitert und teilweise erst geschaffen werden. Diese zusätzliche Finanzierung durch den Bund steht allerdings unter dem Vorbehalt der Grundgesetzänderung.

    +0,5 für die zusätzliche Finanzierung durch den Bund

    „Dazu werden wir die erforderliche Rechtsgrundlage in Art. 104c GG anpassen.“
    Eine langjährige Forderung der Piratenpartei wird nun endlich aufgegriffen:

    „Bildung ist nicht nur Ländersache, sondern eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Wir setzen uns für eine Aufhebung des Kooperationsverbotes ein. Der Bund muss öffentliche Bildungseinrichtungen finanzieren dürfen.“

    Im Koalitionspapier ist vereinbart, dass die Kultushoheit bei den Ländern verbleibt. Das ist vermutlich der Preis dafür, dass die Länder die nötige Grundgesetzänderung mittragen. Nach unserer Auffassung ist das leider nur der halbe Schritt hin zu einer Bildungslandschaft, in der Ländergrenzen keine hohen Hürden für Lehrende und Lernende mehr darstellen.

    +1 für die Anpassung des Grundgesetzes

    „Das Ausbildungsförderungsgesetz des Bundes (BAföG) wird ausgebaut und die Leistungen werden deutlich verbessert. […] Die Berufliche Bildung werden wir mit einem Berufsbildungspakt modernisieren und stärken.“
    Die Stärkung des BAföG und anderer Förderinstrumente begrüßen wir genauso wie eine Modernisierung der beruflichen Bildung. Wir werden die konkrete Ausgestaltung dieser Punkte beobachten.

    +0,5 für den Bereich der Förderinstrumente

    „Deutschland muss ein Innovationsland bleiben. Deshalb vereinbart der Bund gemeinsam mit den Ländern und der Wirtschaft, bis 2025 mindestens 3,5 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung aufzuwenden.“
    Die OECD attestiert der Bundesrepublik Ausgaben in Höhe von knapp 3% (Stand 2015). Hier wird eine leichte Steigerung vereinbart.

    +1 für die Finanzierung von Forschung und Entwicklung

    „Für strukturschwache Regionen […] werden wir zielgenaue Förderinstrumente entwickeln. […] Die Hightech-Strategie wird weiterentwickelt und auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen fokussiert.“

    Inhaltsleer, daher ohne Wertung.

    Insgesamt vermissen wir in der Vereinbarung einiges. Wo bleibt die Verbesserung der Lehramtsausbildung insbesondere im Bereich Digital- und Medienkompetenz? Wo bleibt die Einbindung von offenen Bildungsquellen (open educational resources)? Was ist mit der Vergleichbarkeit von Abschlüssen in der hochschulischen und der beruflichen Bildung? Kommt was zur Verbesserung der Master-Studienplatzangebote für Bachelor-Absolventen? Und die Förderung des internationalen Austauschs von Lernenden?

    -1 für die fehlenden Vereinbarungen

    Fazit
    Anscheinend sind die möglichen Koalitionspartner aus ihrem jahrelangen Tiefschlaf erwacht und haben nun endlich den Willen zu einer besser finanzierten Bildungslandschaft. In vielen Punkten bleibt das Ergebnis jedoch unter den Möglichkeiten. Was die Koalitionäre vergessen haben und wie zukunftsorientierte Bildungspolitik neben rein finanziellen Erwägungen aussehen kann, zeigen wir in unserem Programm.

  • 25 Jahre Tafeln – (K)Ein Grund zum Feiern?

    25 Jahre Tafeln – (K)Ein Grund zum Feiern?

    Am 1. Februar 2018 erscheint eine Sonderbriefmarke aus Anlass des 25. Jahrestages der Gründung der Tafeln in Deutschland. Im Regelfall werden Briefmarken nach wie vor ausgegeben, um „auf herausragende historische oder aktuelle Ereignisse, Geburtstage verstorbener Persönlichkeiten, Wunder der Natur, Besonderes aus den Regionen oder allgemein Wissenswertes“ hinzuweisen. Was aber sagt es aus, wenn ein Jubiläum gefeiert wird, das eigentlich nur darauf hinweist, dass immer mehr Menschen auf privaten Einsatz angewiesen und noch mehr von privaten Spenden abhängig sind, also ihr Einkommen ihr Auskommen nicht mehr sichert?

    Der Staat ist also seit über 25 Jahren nicht in der Lage, sich ausreichend um seine Bürger zu kümmern und kommt somit seiner Fürsorgepflicht nicht nach. In dieser Beziehung hat er vollends versagt und offensichtlich keinerlei Absicht, an dieser Situation etwas zu ändern. Vielmehr scheint es, als ruhe man sich auf dem Engagement und der Hilfsbereitschaft der Zivilgesellschaft und der zahlreichen Freiwilligen bei den Tafeln aus, die sich dort in guter Absicht und mit viel Engagement für Bedürftige stark machen. Denn wie kurz vor Heiligabend des vergangenen Jahres bekannt wurde, versorgen die über 900 Tafeln in Deutschland mittlerweile rund 1,5 Mio. Menschen mit stark vergünstigten oder gar kostenfreien Lebensmitteln.

    Insbesondere unter den Rentenbeziehern ist die Tendenz steigend, sie machen derzeit ein Viertel der Empfänger aus. Menschen, die nach einem langen Leben, oftmals mit der Erziehung von Kindern oder in prekären Arbeitsverhältnissen, selbst mit dem nicht auskommen, was sie an Leistungen zur Grundsicherung erhalten. Diese Entwicklung wird sich noch verstärken. Von den Vollzeitbeschäftigten liegen rund 40% unterhalb des Einkommens von € 15,- pro Stunde, das schon 2012 als gerade noch ausreichend gesehen wurde, um überhaupt Rente in Höhe der Grundsicherung zu erhalten. Dazu kommt das Heer der Minijobber und weiterer prekär Beschäftigter, die nur in den seltensten Fällen ein für eine Rente oberhalb der Grundsicherung ausreichendes Einkommen haben.

    Hier versagt der Staat auf ganzer Linie. Statt wirklich dafür zu sorgen, dass alle Menschen, die ihr Leben lang – bezahlt oder gemeinnützig – gearbeitet haben, ein Auskommen finden, wird mit Mütterrente einerseits und Herabsetzung des Rentenniveaus andererseits versucht, die klammen Kassen der Rentenversicherung auszugleichen. Dabei ist es gar nicht so schwierig, ein Rentensystem zu etablieren, das von allen finanziert für alle da ist. Mit einer Einbeziehung aller Einkommensarten – nicht nur der Lohneinkommen – in die Rentenversicherung, der Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenzen und der Einführung von Höchstrenten wäre ein Mindestrentenniveau finanzierbar, das seinen Namen verdient. Es böte denen, die mehr als die Höchstrente haben wollen, die Möglichkeit, privat dafür vorzusorgen, statt gerade diejenigen dazu zu drängen, Riester-Verträge abzuschließen, die ohnehin kaum Mittel für die private Vorsorge haben. Die Riester-Rente jedoch verringert im Alter nur die Differenz zwischen regulärer Rente und Grundsicherung, bringt aber keinen Mehrwert. Ähnlich wie in unserem Vorschlag wird es in der Schweiz gehandhabt und hat sich dort zum Exportschlager entwickelt. Somit ist dort das Äquivalenzprinzip durchbrochen, das dem deutschen Rentensystem zugrunde liegt. Zeitgemäß ist dieses aber ohnehin nicht mehr.

    Hier ist es an der Zeit, die Zukunft ins Auge zu fassen und das auf breiter Front. Denn das ewige Herumdoktern an der Rente sorgt nicht für Vertrauen in das System, das absehbar sowieso nicht mehr als Drei-Säulen-Modell funktionieren wird. Auch die Versuche, die betriebliche Altersvorsorge (Säule Nummer 2) zu stärken, sind in Zeiten ständiger Jobwechsel zum Scheitern verurteilt. Wer ist denn heute noch von Beginn bis Ende seines Berufslebens bei ein und demselben Arbeitgeber? Und selbst falls doch: nicht jeder davon bietet Elemente der betrieblichen Altersvorsorge.

    Das Problem der Altersarmut und das daraus folgende Angewiesensein auf Tafeln betrifft allerdings einen wachsenden, aber noch kleinen Teil der Tafel-Nutzer. Den über 1,1 Millionen Nicht-Rentnern – also Alleinerziehenden, Kindern, Jugendlichen, Hartz-IV-Empfängern, Spätaussiedlern und Migranten – hilft auch eine vollkommene Umgestaltung der Rentenzusammensetzung nicht weiter. Diese wären jedoch die ersten, die bei der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens einen echten Mehrwert hätten.

    Die Vergesellschaftung von Armut also hat die Tafeln groß gemacht – so wichtig, dass sie im auf Briefmarken gebannten kollektiven Gedächtnis auf eine Stufe mit Karl Marx oder der Deutschen Brotkultur gestellt werden. Eigentlich passend. Aber dennoch ein schlechtes Zeichen für Politik und Gesellschaft an sich.

  • Zum Welt-Behindertentag 2017: Behindertenrechte bleiben auf der Strecke

    Zum Welt-Behindertentag 2017: Behindertenrechte bleiben auf der Strecke

    Markus, es gibt auf Kommunal- und Landesebene zahlreiche Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Werden diese auch im täglichen Leben eingehalten?
    Markus: Ganz klar nein. In Erfurt, wo ich wohne, werden beispielsweise oftmals alte holprige Pflastersteine verlegt, für Rolli- und Rollatorfahrer sowie Gehbehinderte ein Hindernis. Behinderten-WCs bleiben Monate lang ersatzlos geschlossen. Der Weihnachtsmarkt vor der Kaufmannskirche wird abgenommen, obwohl er nicht barrierefrei zugänglich ist. In Leipzig und Erfurt wurden Fahrradständer zu dicht an Blindenleitsysteme gebaut. Diese Beispiele ließen sich ins Unendliche bundesweit fortsetzen.

    Wie sollen Menschen, die im Leben so wortwörtlich behindert werden, vorgehen? Sollen sie zum Beispiel dagegen klagen?
    Markus: Oftmals haben sie schon einige Zivilklagen laufen, manchmal wegen zu geringem persönlichen Budget oder – wie ich – wegen eines neuen Elektrorollstuhls, auf den ich seit drei Jahren warte.

    Das klingt nicht so gut.. Wie nun weiter? Welchen Einfluss haben eigentlich die Behindertenbeauftragten in den Kommunen und Bundesländern und nicht zuletzt die Bundesbehindertenbeauftragte?
    Markus: Tja, bleibt sie im Amt? Bleibt die alte auch die neue Regierung? So viele ungeklärte Fragen und ich sehe da auch keinen Willen, die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland ernsthaft voranzubringen. Wir Piraten werden alle brauchbaren Vorschläge von Menschen mit Behinderung in die entsprechenden politischen Ebenen transportieren.

    Markus Walloschek @electrozwerg
  • Zum Welttag für menschenwürdige Arbeit

    Zum Welttag für menschenwürdige Arbeit

    Patrick Schiffer, Vorsitzender der Piratenpartei Deutschland hat zum Welttag für menschenwürdige Arbeit den ehemaligen MdL und arbeitspolitischen Sprecher der Piratenfraktion NRW, Torsten Sommer interviewt.

    Das Hauptproblem sehe ich zur Zeit tatsächlich in der Hartz4 Gesetzgebung, die jeden dazu zwingt, jede Arbeit anzunehmen – egal ob er jetzt für die Arbeit qualifiziert oder sogar überqualifiziert ist. Hauptsache, er wird in einen Job gedrängt, ob er den jetzt machen will oder nicht. Das hat mit Menschenwürde nichts zu tun. Das Repressionssystem Hartz4 in der Form zwingt Menschen zu arbeiten, in Arbeiten, die für sie unwürdig sind. Das hat mit Menschenwürde nichts zu tun. Das müssen wir ändern.Torsten Sommer

    Der Aktionstag wurde vom Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) bei dessen Neugründung im Jahr 2006 als internationaler Tag für Gute Arbeit (Decent Work) ins Leben gerufen. Der Tag wurde zum ersten Mal im Jahr 2008 begangen.

    Podcast Audioplayer:


    Podcast Download MP3: Interview mit Torsten Sommer zum Welttag für menschenwürdige Arbeit

  • PIRAT verklagt Russland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

    PIRAT verklagt Russland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

    Gregory Engels, internationaler Koordinator und Stadtverordneter der Piratenpartei in Offenbach, ist Inhaber der Internet-Domain www.rublacklist.net, welche von ‚RosKomSvoboda‘ (zu Deutsch: Russisches Komitee für die Freiheit) in Anlehnung an RosKomNadzor (zu Deutsch:Russisches Komittee für Überwachung) genutzt wird. Die Internetseite ging bereits am 01. November 2012 online, am gleichen Tag, an dem in Russland das Gesetz über die Netzsperren in Kraft getreten ist. Das Internetportal ‚RosKomSvoboda‘ hat es sich zur Aufgabe gemacht, über die russischen Netzsperren ausführlich journalistisch zu berichten. Unter anderem wird dort eine Statistik der von der Russischen Föderation geblockten Webseiten geführt, unter denen auch Internetseiten aus Deutschland sind. Darüber hinaus erklärt das Portal russischen Internetnutzern, wie sie mit Hilfe von Anonymisierungsdiensten wie Tor, Proxies oder VPN die Webseitensperren des staatlichen Überwachungskomitees sehr einfach umgehen können. Daran stört sich die russische Justiz. Ein gemeinsames Verfahren zusammen mit dem russischen Oppositionellen Garry Kasparov steht bevor.  Die Piratenpartei Deutschland unterstützt die Klage von Gregory Engels.

    Am 13. April 2015 hat das Stadtgericht von Anapa in der Region Krasnodar im Westen Russlands auf Antrag der Anapaer Staatsanwaltschaft und ohne Gregory Engels vorzuladen oder anzuhören, beschlossen, die Webseite rublacklist.net in die Liste der in Russland zu blockenden Webseiten aufzunehmen, da sie ihren Nutzern „den vollen Zugriff auf die geblockten Webseiten, einschließlich der extremistischen erlaube.“

    Die Administratoren von RosKomSvoboda haben erst offiziell von dem Urteil erfahren, nachdem die Webseite bereits geblockt war und die zufälligen Nutzer über eine juristische Suchmaschine das entsprechende Urteil gefunden haben. Sie haben die Betreiber über diesen Umstand aufmerksam gemacht.

    Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte will die Klage zulassen

    Pirat Gregory Engels hat daraufhin über seinen Anwalt Berufung gegen das Urteil eingelegt, unter dem Hinweis, dass seine Adresse und sonstige Kontaktinformationen auf der Webseite und im Whois angegeben waren und ein Urteil in Abwesenheit gegen ihn seine Grundrechte verletze. Das Regionalgericht in Krasnodar hat die Berufung am 29. September 2016 summarisch abgelehnt. Am 12. April 2016 hat das gleiche Gericht die Revision nicht zugelassen. Am 6. Oktober 2016 hat Engels Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingereicht (Az. 61919/16). Am 5. September 2017 hat das Gericht mitgeteilt, dass es vorläufig gedenkt, die Klage zuzulassen und hat Russland um Stellungsnahme bis zum 15 Januar 2018 gebeten. Am 05. September 2017 hat der EGMR erlaubt, dass ‚RosKomSvoboda‘ und die ebenfalls von der Blockade betroffene Internetseite ‚Access Now‘ als Nebenkläger dem Verfahren von Kharitonov (Az.10795/14) beitreten dürfen.

    Das Verfahren von Engels soll demnach zusammen mit fünf weiteren Verfahren verhandelt werden, die sich alle um verhängte Netzsperren in Russland drehen und Verstöße des Staates Russlands gegen den Artikel 10 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten zum Inhalt haben. Dieses Verfahren stellt ein Novum dar, denn bislang hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sich noch nicht umfassend mit der Zulässigkeit von Webseitensperren befasst. Bei den zusammengelegten Verfahren handelt es sich um die Webseiten von Garry Kasparov, die Nachrichtenportale ej.ru und grani.ru, sowie um eine Webseite, auf der Buchrezensionen veröffentlicht werden. Das gemeinsame Aktenzeichen ist 12468/15.

     

  • Bildung ist nicht Länder, sondern Bundessache!

    Bildung ist nicht Länder, sondern Bundessache!

    Die Vision eines Bildungssystems baut für die Piratenpartei Deutschland auf einem positiven Menschenbild auf. „Jeder Mensch hat das Recht auf freien Zugang zu Information und Bildung. Dies ist in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft notwendig, um allen, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft ein größtmögliches Maß an gesellschaftlicher Teilhabe zu ermöglichen. Dazu gehört im Zeitalter der Digitalisierung dringend eine verstärkte digitale Bildung für Lehrende und Lernende in verpflichtender Form“, betont Patrick Schiffer, Bundesvorsitzender der Piratenpartei Deutschland.

    Bildung ist unser wichtigstes Gut für den Erhalt, die Weitergabe und die Vermehrung von Wissen, Fortschritt und gesellschaftlichem Wohlstand. Das Bildungssystem darf nicht auf den Arbeitsmarkt und die ökonomische Verwertbarkeit von Bildung ausgerichtet sein. Unsere Gesellschaft braucht Menschen, die kompetent und kritisch ihr Leben und ihre Aufgaben meistern und sich ihrer sozialen Verantwortung bewusst sind. Bildung ist eines der Kernthemen der PIRATEN und ihrer Wahlkampfkampagne ‚Piraten. Freu Dich aufs Neuland.‘ Der passende Hastag der #PIRATEN dazu lautet: #FreuDichAufsNeuland.

    Finanzierung der Bildung neu ordnen

    „Die Ausgaben im Bildungssektor liegen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, in der Bundesrepublik Deutschland seit Jahren unter dem OECD-Durchschnitt. Zu Recht wird diese Sparsamkeit an der falschen Stelle von der OECD gerügt. Wir PIRATEN fordern daher eine Anhebung mindestens auf den OECD-Durchschnitt. Bildung ist nicht nur Ländersache, sondern eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft“, ergänzt René Pickhardt Sprecher für Netzpolitik und Spitzenkandidat zur Bundestagswahl, mit einem Zitat aus dem Bundestagswahlprogramm.

    PIRATEN setzen sich für eine Aufhebung des Kooperationsverbotes ein. Der Bund muss öffentliche Bildungseinrichtungen finanzieren dürfen. Forderungen anderer Parteien, das Kooperationsverbot partiell zur Bevorzugung ausgewählter Bereiche wie der Exzellenz-Universitäten zu lockern, erteilen PIRATEN eine Absage:

    „Wir bestehen auf einer Besserstellung des gesamten Bildungssystems. Der freie Zugang zu steuerfinanzierten Bildungseinrichtungen muss unabhängig von Religionszugehörigkeit, Geschlecht und Einkommen der Eltern gewährleistet sein. Wir lehnen Bildungsgebühren jeglicher Art für steuerfinanzierte Bildungseinrichtungen kategorisch ab, da sie den Zugang zu Bildung einschränken“.

    so Pickhardt.

    Bildung hat keine Grenzen

    Um die Durchlässigkeit bei einem Wohnortwechsel, Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten und berufliche Chancen zu erhöhen, sollen Bildungsziele und Bildungsabschlüsse bundesweit einheitlich gestaltet und grundsätzlich gleichwertig sein.

     

  • Demokratie – sind kleine Parteien noch gewünscht?

    Demokratie – sind kleine Parteien noch gewünscht?

    Nach Artikel 21 (1) des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland wirken Parteien bei der politischen Bildung des Volkes mit.  Das Parteiengesetz bezeichnet Parteien als „einen verfassungsrechtlich notwendigen Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie erfüllen mit ihrer freien, dauernden Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes eine, ihnen nach dem Grundgesetz obliegende und von ihm verbürgte öffentliche Aufgabe. Die Parteien wirken an der Bildung des politischen Willens des Volkes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens mit, indem sie insbesondere auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluss nehmen, die politische Bildung anregen und vertiefen, die aktive Teilnahme der Bürger am politischen Leben fördern …“

    Die Demokratie missrät zur Telekratie mit beklatschten Vorurteilen.
    Peter Boenisch

    Doch wird diese Möglichkeit auch kleinen Parteien gegeben? Nicht nur der aktuelle Bundestagswahlkampf offenbart, wie dies kleinen Parteien gesetzlich erschwert wird und wie sie teilweise von der politischen Diskussion im Bundestagswahlkampf ausgegrenzt werden:

    Hürde Nr. 1 – Die Sammlung von Unterstützerunterschriften

    Parteien, die 97 Tage vor der Wahl nicht im Bundestag oder einem Länderparlament mit mindestens fünf Sitzen vertreten sind, müssen sogenannte „Unterstützerunterschriftensammeln.  Wahlberechtigte Bürger dokumentieren mit der Angabe ihrer Meldeanschrift und der eigenhändigen Unterschrift auf einem Formular der Landeswahlleitung die „Unterstützung“ der Landesliste einer Partei für die Zulassung zur Bundestags- oder Landtagswahl. Für eintausendstel der Wahlberechtigen eines Bundeslandes ist dabei eine Unterstützerunterschrift erforderlich, maximal jedoch zweitausend. Dabei darf ein Wahlberechtigter mit seiner Unterschrift nur die Landesliste einer Partei unterstützen. Unterschreibt er die Formulare mehrerer Parteien, macht er sich nach § 108d in Verbindung mit § 107a des Strafgesetzes strafbar. Allein die Möglichkeit, sich strafbar zu machen, schreckt bereits Bürger von der Unterstützerunterschrift ab. Und was spricht eigentlich dagegen, mehr als eine Partei zu unterstützen? Wenn die Meinungsvielfalt in der Demokratie gewünscht wird, wäre es nur logisch, als Bürger mehreren Parteien beim Überwinden dieser Hürde helfen zu dürfen.

    Hürde Nr. 2 – Die 5% – Sperrklausel

    Seit 1953 gilt für Bundestagswahlen eine 5%-Sperrklausel, die auch für Landtagswahlen und sogar einige Kommunalwahlen angewendet wird. Eine Partei muss mindestens fünf Prozent der abgegebenen Zweitstimmen erhalten, um Bundestagsmandate zu erhalten. Parteien mit geringerem Stimmenanteil werden bei der Verteilung der Mandate nicht berücksichtigt, außer sie erringen mindestens drei Direktmandate. So soll verhindert werden, dass sehr kleine Parteien im Bundestag vertreten sind und „es so zu einer allzu starken Zersplitterung kommt.“ Doch die Fünf-Prozent-Hürde ist seit je her umstritten. Kritiker bemängeln, „dass etablierte Parteien begünstigt und kleineren Parteien der Einzug in das Parlament zu sehr erschwert würde. Diese würden seltener gewählt, da viele Bürger nicht riskieren wollen, dass ihre Stimme wegen der Sperrklausel verloren geht. Außerdem widerspreche sie dem dem grundgesetzlich verankerten Gebot, nach dem jede Stimme gleich viel wert sein müsse.“

    Andere europäische Parlamente und Demokratien halten eine Zersplitterung offensichtlich aus: In den Niederlanden gibt es keine Sperrklausel, in anderen europäischen Staaten liegt sie deutlich niedriger.  Für Europawahlen hat das Bundesverfassungsgericht eine Sperrklausel von 3% sogar als verfassungswidrig erklärt: „Die Sperrklausel verstoße gegen die Grundsätze der Chancengleichheit der politischen Parteien und der Wahlrechtsgleichheit“, sagten die Richter bei der Bekanntgabe des Urteils.

    Hürde Nr. 3 – Die Staatliche Parteienfinanzierung

    Um den Vorteil auszugleichen, den bereits etablierte und in einem Parlament vertretene Parteien gegenüber neuen kleineren Parteien haben, erhalten Parteien derzeit für die ersten 4 Millionen der für sie abgegebenen Stimmen1,00 Euro. Für die weiteren Stimmen je 0,83 Euro. Zusätzlich erhalten sie 0,45 Euro für jeden Euro, den sie als Zuwendung (Mitglieds- oder Mandatsträgerbeitrag oder rechtmäßig erlangte Spende) erhalten haben. Dabei werden jedoch nur Zuwendungen bis zu 3.300 Euro je natürlicher Person berücksichtigt. Wegen des aus Art. 21 Abs (1) GG abgeleiteten Verbots einer überwiegenden staatlichen Parteienfinanzierung darf diese gemäß § 18 Abs. 5 Satz 1 PartG nicht höher sein als die von den Parteien erwirtschafteten Eigeneinnahmen des Vorjahres. Parteien müssen sich daher mindestens zur Hälfte selbst finanzieren.  Da kleine Parteien oft nur verhältnismäßig geringe Einnahmen haben, können sie den ihnen nach den erhaltenen Stimmen zustehenden Betrag nicht ausschöpfen. Eine weitere Benachteiligung der kleinen Partein besteht darin, dass sie nur dann Anspruch auf staatliche Mittel haben, wenn sie nach dem endgültigen Wahlergebnis der jeweils letzten Europa- oder Bundestagswahl mindestens 0,5% oder einer Landtagswahl 1% der für die Listen abgegebenen gültigen Stimmen erreicht haben.

    Hürde Nr. 4 – Die Ausgrenzung von öffentlichen Wahlkampfveranstaltungen

    Diese Hürde lässt sich von kleinen Parteien nicht überwinden: Immer mehr Verbände und Organisationen laden im Wahlkampf als Diskutanten auf Podiumsdiskussionen nur Kandidaten von Parteien ein, die im Bundestag vertreten sind. Da über diese Veranstaltungen in den Print- und digitalen Medien berichtet wird, bedeutet dies sowohl eine Begrenzung der Meinungsvielfalt und eine Benachteiligung kleiner Parteien außerhalb des Bundestages. Eine Begründung wie zum Beispiel „mit zu vielen Teilnehmern lässt sich keine konstruktive, informative Diskussionsrunde durchführen“ sind unter dem Aspekt der in einer Demokratie gewünschten Meinungspluralität nicht stichhaltig: Für jede Anzahl von Teilnehmern lässt sich ein geeignetes Diskussionsformat finden.

    Wie sagte Altbundeskanzler Helmut Kohl einst?

    „Die freiheitliche Demokratie braucht mehr als jede andere Staatsform die Überzeugungskraft, die Leidenschaft ihrer Bürger.“

    Auch die Leidenschaft der Bürger, die sich in und für kleine Parteien engagieren!

     

  • Europäischer Gerichtshof entscheidet über Transparenz der europäischen Justiz

    Europäischer Gerichtshof entscheidet über Transparenz der europäischen Justiz

    Wie transparent und nachvollziehbar entscheiden die Gerichte der EU? Erhalten Presse und Öffentlichkeit in wichtigen Grundsatzprozessen Zugang zu den Argumenten und Anträgen der Beteiligten? Oder müssen Verfahrensbeteiligte gar mit einer Strafe rechnen, wenn sie Schriftsätze an Presse oder Öffentlichkeit herausgeben? Über diese Fragen entscheidet heute der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Zuge der Behandlung einer Klage des Bürgerrechtlers Patrick Breyer von der Piratenpartei Deutschland (EU-Kommission vs. Breyer, Rechtssache C-213/15 P).

    Weil der EuGH bisher keinen Zugang zu eingereichten Argumenten und Anträgen gewährt, verlangte Breyer von der EU-Kommission die Herausgabe österreichischer Schriftsätze zur Nichtumsetzung der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung. In erster Instanz wurde die Kommission zur Herausgabe verurteilt und ist dem nachgekommen, jedoch nicht ohne Berufung gegen das Urteil einzulegen. Neben der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils fordert die Kommission vom EuGH eine Kostenstrafe gegen Breyer, weil er die im aktuellen Verfahren gewechselten Schriftsätze anonymisiert auf seiner Homepage veröffentlicht hat.

    „Die Transparenz der europäischen Justiz ist mangelhaft. In Zeiten der Legitimationskrise weckt diese Intransparenz eher Misstrauen als das Vertrauen in die EU zu fördern. Gerechtigkeit braucht Öffentlichkeit“Patrick Breyer, ehemals Vorsitzender der PIRATEN-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein

    „Prozesse vor dem obersten EU-Gericht dürfen keine Geheimverfahren sein! Nach Transparenz schreien besonders Fälle, in denen EU-Gerichte über Massenüberwachungsmaßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung entscheiden. Die Gültigkeit solcher Eingriffe in unsere Grundrechte geht uns alle an. Es geht mir nicht nur um die Transparenz des EuGH als europäischem Verfassungsgericht, sondern auch um Pressefreiheit und die demokratische Kontrolle von Regierungen in laufenden Verfahren“, begründet Breyer.

    Presse und Öffentlichkeit dürften in Grundsatzprozessen mit weitreichenden Folgen für jeden Bürger nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden.

    „Die Argumentation und Anträge der Regierungen in Grundsatzprozessen müssen der öffentlichen Kontrolle unterworfen werden. In einer Demokratie ist die Staatsgewalt der Öffentlichkeit gegenüber rechenschaftspflichtig, auch für ihr Verhalten vor Gericht.“Patrick Breyer

    Auch Generalanwalt Bobek plädierte im Dezember für einen umfassenderen Zugang zu Dokumenten des Gerichtshofs. Der Gerichtshof solle seine bisherigen restriktiven Zugangsregelungen überdenken. Schriftsätze könnten sowohl in abgeschlossenen als auch – in beschränkterem Umfang – in anhängigen Rechtssachen öffentlich zugänglich gemacht werden. Darüber hinaus regt der Generalanwalt an, Parteischriftsätze künftig auf der Website des Gerichtshofs zu veröffentlichen. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg gewährt schon heute öffentlichen Zugang zu eingereichten Schriftsätzen.