Schlagwort: Teilhabe

  • G20-Gipfel in Hamburg – und was jetzt? PIRATEN fordern Ergebnisse!

    G20-Gipfel in Hamburg – und was jetzt? PIRATEN fordern Ergebnisse!

    Apokalyptische Visionen für die Entwicklung unseres Planeten gab es in Hollywood bereits genug. Einige davon haben sich leider bewahrheitet. Mögliche Lösungsansätze für die Behebung der vielfältigen Probleme in der Welt sind allerdings Mangelware. Nicht einmal Hollywood konnte da etwas Brauchbares anbieten. Wird Hamburg Lösungen liefern? Wir glauben nicht, haben aber die Hoffnung noch nicht aufgegeben.

    Wohin steuern die Machthaber der 20 mächtigsten Staaten dieser Welt, die sich an diesem Wochenende in Hamburg treffen, das Schicksal unseres Planeten? Der G20-Gipfel wird von eskalierender Polizeigewalt und Einschränkungen in Presse- und Versammlungsfreiheit überschattet.

    Patrick Schiffer, Vorsitzender der Piratenpartei Deutschland:

    „Wir fragen uns, wozu die sich eigentlich treffen, wenn nichts dabei herauskommt. Der Gipfel muss ein Zeichen setzen, dass globale Probleme weiterhin multilateral koordiniert angegangen werden. Wir haben zehn Forderungen an die mächtigsten Staatsleute formuliert, die unserer Ansicht nach die Welt deutlich verbessern würden. Unser Appell an Bundeskanzlerin Angela Merkel und die übrigen Teilnehmer: Kehren Sie nichts unter den Tisch! Der Planet wird es Ihnen danken.“

    Forderungen der Piratenpartei Deutschland an die Teilnehmer des G20-Gipfels

     

    1. Tagung der Vereinten Nationen für gemeinsamen Gipfel mit G20 nutzen
      Die Vereinten Nationen tagen jedes Jahr im September. Eine gemeinsame Tagung würde die UNO aufwerten und Synergieeffekte für die Weltpolitik erzielen. Der irrsinnige Aufwand der G20 Gipfel ist – gemessen an den vergangenen und zu erwartenden Ergebnissen – nicht gerechtfertigt.
    2. Fluchtursachen weltweit bekämpfen
      Krieg ist weltweit eine der zentralen Fluchtursachen. Regierungen der G20 haben sich an Kriegen beteiligt sowie durch Rüstungsexporte in Kriegs- und Krisengebiete Konflikte angeheizt, die katastrophale Folgen hatten. Die Lösung kann nur sein, den Export von Waffen in Krisengebiete weltweit zu verbieten.
    3. Einhaltung des Klimaschutzabkommens
      Der Erfolg der Maßnahmen in Sachen Klimaschutz hängt maßgeblich davon ab, wie einig sich die G20 in deren Einhaltung sind. Hier sehen wir die G20 in der Pflicht, insbesondere auf die USA einzuwirken. Ein Versagen gefährdet nichts weniger als den Fortbestand des menschlichen Lebens. Ziel muss der zügige, weltweite Ausstieg aus der Energiegewinnung durch fossile Brennstoffe sein.
    4. Bekämpfung von Armut & Ausbeutung
      Reiche Länder müssen in gemeinsamer Anstrengung armen Ländern auf die Beine helfen, wobei Hilfe zur Selbsthilfe eingesetzt werden muss. Pflicht der G20 ist es, die ausufernde Ressourcenausbeutung der dritten Welt zu stoppen. Wir setzen uns darüberhinaus weltweit für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ein.
    5. Schutz von Demokratie und Wahrung von Grundrechten
      Rechte von Frauen und Kindern, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit – nicht in allen G20-Staaten genießen Bürger uneingeschränkte Grundrechte. Diese sind jedoch keine Gnade, sondern eine Selbstverständlichkeit für eine moderne Zivilisation.
    6. Bessere Gesundheitsvorsorge
      Möglichst gesund zu sein ist Grundlage eines selbstbestimmten Lebens. Jedoch sterben noch immer Menschen oder bleiben ihr Leben lang gesundheitlich eingeschränkt, weil sie keinen oder unzureichenden Zugang zu gesundheitlicher Vorsorge und angemessenen Heilungsmöglichkeiten haben. Dies ist nicht hinnehmbar.
    7. Ratifizierung der Verträge der Vereinten Nationen
      Alle bisher abgeschlossenen Verträge auf UN-Ebene müssen durch die beteiligten G20 Staaten endlich ratifiziert werden.
    8. Abrüstung, Ächtung von Drohnen und Cyberangriffen
      Frieden schafft man nicht mit der Waffe in der Hand. Auch in Krisensituationen setzen wir auf Diplomatie, den Weg der Abrüstung und Deeskalation. Ein wichtiger Schritt wäre die Einigung der G20 auf die weltweite Ächtung von Tötungsdrohnen und Cyberangriffen.
    9. Investitionen in Bildung zum Thema Digitalisierung
      Bildung ist der Motor für Wissen, Wirtschaft, Innovation und Kreativität. Sie ist unentbehrlich für die Weiterentwicklung der Gesellschaft sowie die souveräne Teilhabe ihrer Mitglieder. Aufgrund der digitalen Revolution hat auch digitale Bildung weltweit einen immer größer werdenden Stellenwert, der von den G20 anzuerkennen ist.
    10. Freier Zugang zum Internet muss Menschenrecht werden
      Der freie Zugang zum Internet ist im 21. Jahrhundert mittlerweile weltweit entscheidend für die Teilhabe des Einzelnen an der Gesellschaft und deren Mitgestaltung. Wir fordern niederschwellige Angebote an Internetzugangsmöglichkeiten.
  • PiratesOnAir „Talkshow“: Das Bedingungslose Grundeinkommen

    PiratesOnAir „Talkshow“: Das Bedingungslose Grundeinkommen

    Heute, den 31. Mai 2017 um 21 Uhr wird die Diskussionsrunde zum Thema Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) live auf PiratesOnAir übertragen. An der Gesprächsrunde nehmen teil: Dr. Gernot Reipen, Themenbeauftrager für Sozialpolitik der Piratenpartei Deutschland, Jürgen Jack_R, Koordinator der AG BGE sowie Dr. Michael Berndt, Spitzenkandidat der PIRATEN in Niedersachsen zur Bundestagswahl 2017. Moderiert wird die Runde von Sebastian Krone.

    Das Bedingungslose Grundeinkommen ist inzwischen in fast aller Munde. Es muss existenzsichernd sein und soll den gesetzlichen Mindestlohn schrittweise ablösen.

    Gernot Reipen hierzu:

    „Einhergehend mit der digitalen Umwälzung, Stichwort Arbeit 4.0, müssen wir uns zusätzlich der Herausforderung einer mehr und mehr globalisierten Welt stellen. Traditionelle politische Lösungsansätze sind obsolet geworden. Beschäftigungs- und Konjunkturprogramme bewirken nur noch ein zeitlich begrenztes Strohfeuer, und der Traum der Vollbeschäftigung ist längst ausgeträumt. Wir brauchen neue Ansätze, wie wir unsere Zukunft gemeinsam gestalten und ausrichten wollen. Das Bedingungslose Grundeinkommen ist ein wichtiger Beitrag dazu. Es wird nicht alle Probleme lösen, aber uns die notwendigen Freiräume und die Grundlagen schaffen, die uns in der Welt von morgen ein friedliches und auf ein Gemeinwohl ausgerichtetes Leben ermöglichen werden.“

    Unter anderem sollen die Fragen, „Was ist Sozial? Was ist das BGE? Wo kommt es her? Was gab es schon? Was würde sich beim deutschen Sozialstaat durch BGE ändern? Wie kann das BGE umgesetzt werden?“ beantwortet werden.

    Ferner wird es eine kurze Zusammenfassung zur bisherigen BGE17-Tournee und einen Ausblick auf die zweite BGE-Sendung im Piratenradio geben.

  • Zum Tag der Diversität: Regenbogen überall!

    Zum Tag der Diversität: Regenbogen überall!

    Am 30. Mai 2017 findet der alljährliche Diversity-Tag statt, der gerade im Unternehmensumfeld zeigen soll, dass Menschen gleich wertvoll sind. Diversität von Personen – sofern auch rechtlich relevant – wird klassischerweise auf folgenden Dimensionen betrachtet: Kultur (Ethnie), Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Behinderung und Religion (Weltanschauung). Die PIRATEN setzen sich seit Ihrer Gründung im Jahr 2006 für menschliche Vielfalt und die Rechte von allen Menschen ein und begrüßen ausdrücklich diesen Tag.

    „Es freut mich sehr, dass es diesen Tag gibt, an dem Unternehmen zeigen, dass ihnen ihre Mitarbeiter am Herzen liegen, ungeachtet ihrer Orientierung. So kann sich jeder wohlfühlen, ohne Angst haben zu müssen, auch wenn seine Orientierung öffentlich wird. Daran sollte sich unsere Bundesregierung ein Beispiel nehmen, denn das Wohl der Menschen sollte immer im Mittelpunkt jeglicher Politik stehen.“

    so Roman Schmitt, Koordinator der Arbeitsgemeinschaft Queeraten und Listenplatz 3 zur Bundestagswahl der Piratenpartei Rheinland-Pfalz.

    Nach Ansicht und Auffassung der PIRATEN hat die Bundesregierung sehr viel Nachholbedarf auf dem Gebiet der Diversität. So gibt es in Unternehmen inzwischen mehr Queerbeauftragte, als in deutschen Städten. Queerbeauftragte setzen sich für die Belange von Schwulen, Lebsen, Bisexuellen, Inter*, Trans* etc. ein und sorgen dafür, Diskriminierung abzubauen, indem sie beispielsweise Schulungen durchführen. Dass sie für Städte wichtig sind, zeigt sich am Beispiel der Stadt Mannheim, in der regelmäßig diverse Veranstaltungen zu dem Thema stattfinden. Das spiegelt sich in einer deutlich höheren Akzeptanz und einer allgemein bunteren Stadt wider.

    Auch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) betrachten die PIRATEN kritisch.

    „Es ist sehr beklagenswert, dass das Bundesfamilienministerium queere Menschen nicht als gleichwertig, sondern offensichtlich nur als Menschen 2. Klasse ansieht. Das fängt schon beim Namen des Ministeriums an, in dem Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender (LGBT) gar nicht vorkommen und mündet darin, dass LGBT nur im Querschnittsreferat genannt werden. Auch, dass wir darüber streiten, ob zu einem Christopher Street Day (CSD) die Regenbogenflagge gehisst werden darf oder nicht, zeigt, dass Behörden und Regierung noch lange nicht im Jahr 2017 angekommen sind.“

    beklagt Robert Lutz, Spitzenkandidat der Piratenpartei Sachsen für die Bundestagswahl.

    Die PIRATEN fordern die Bundesregierung und Behörden dazu auf, endlich einen Schritt nach vorne zu machen und anzuerkennen, dass ihr Festhalten am klassischen Rollen- und Familienbild längst unzeitgemäß ist. Die heutige Gesellschaft in Deutschland ist sowohl bunt als auch vielfältig. Und das ist gut so!

  • Alleingelassen von der Politik: Barrierefreiheit im Internet

    Fast genau vor 15 Jahren, am 1. Mai 2002, trat das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) in Kraft. Darin werden Rechte behinderter Menschen in Deutschland entsprechend des Artikels 3 Abs. 3 unseres Grundgesetzes („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“) auch für elektronische Informationsangebote wie das Web und andere grafische Programmoberflächen geregelt.
    Das Gesetz läutete eine notwendige Kehrtwende in der Behandlung von Menschen mit Behinderungen ein: War es vorher noch üblich und erlaubt, die Betroffenen auf „Hintereingänge“ zu verweisen und jegliches Entgegenkommen als Akt der Großherzigkeit darzustellen, verlangte dieses Gesetz eine Gleichstellung aller Menschen. Menschen mit Behinderungen dürfen nicht mehr schlechter gestellt werden als andere. Ein Zugang zu physikalischen oder auch virtuellen Räumen muss für alle gleichermaßen offen stehen. Und zwar jedem nach seinen Möglichkeiten.

    Das Gesetz galt nicht nur für die physikalische Welt, an die viele denken, wenn von Barrierefreiheit geredet wird. Es gilt auch für das Internet.

    Für Deutschland regelt die „Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz“ (Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung, kurz BITV), die Umsetzung. Die BITV wurde vor mehreren Jahren nach und nach von allen Bundesländern in Form eigener Landesverordnungen umgesetzt. Oftmals wurden großzügige Übergangsregelungen eingeräumt, die es Behörden und Einrichtungen des öffentlichen Rechts erlaubten, den Umstieg langsamer vorzunehmen. Glücklicherweise sind inzwischen alle Fristen abgelaufen. Theoretisch müsste also heutzutage jede Website einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung, sowohl des Bundes als auch der Länder, barrierefrei zugänglich sein.

    Die Praxis sieht leider ganz anders aus. Die Verpflichtung wurde nicht nur nicht eingelöst, viele Webangebote, die in den Jahren 2003 bis 2011 unter Berücksichtigung der Barrierefreiheit gestaltet wurden, haben diese Eigenschaft wieder verloren.

    Das Gesetz und die Verordnungen hatten von Anfang an einen grundlegenden Fehler: Die Umsetzung und Kontrolle wurde und wird nur nachlässig behandelt, da es weder effektive Sanktionsmöglichkeiten noch Klagerechte für Betroffene gibt. Zudem enthält die Verordnung verschiedene Ausnahmetatbestände, auf die sich ein Website-Betreiber berufen kann, u.a. die Behauptung vermeintlich zu hoher Kosten. Zwar gibt es theoretisch die Möglichkeit von Verbandsklagen, doch diese wird nicht wahrgenommen: Kein Behinderten-Verband, welcher von verschiedenen Ministerien finanziell abhängig ist, wird es sich mit einer Landes- und oder Bundesregierung verscherzen wollen.

    Die rechtlichen Instrumente zur Durchsetzung von Barrierefreiheit haben sich auch für Juristen als überaus unzureichend erwiesen. Der Versuch, mit Hilfe von Zielvereinbarungen entsprechende Verbindlichkeiten durchzusetzen, hat sich in der Praxis ebenfalls als wirkungslos erwiesen; die Medienberichterstattung über Zielvereinbarungen von großen Unternehmen stellten sich im Nachhinein oft als bloße Marketingmaßnahmen heraus.
    Ein weiterer großer Fehler lag darin, dass das Gesetz nur Einrichtungen des öffentlichen Dienstes betrifft, die Wirtschaft jedoch außen vor lässt.
    Die Hoffnung bestand, dass durch eine große Anzahl an barrierefreien Webangeboten die Wirtschaft von selbst und aus eigenem Interesse an Kundenzuwächsen nachziehen würde.

    Dieser Anfangsfehler wurde auch durch eine Novellierung im Jahr 2011 nicht behoben.
    Gleichzeitig sank (auch aufgrund von personellen und politischen Veränderungen im Umfeld der Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern) das Engagement von bekannten Verbänden und Playern in Sachen Barrierefreiheit im Internet.
    So beendete die Aktion Mensch und die Stiftung Digitale Chancen den bis dahin einzigen anerkannten Wettbewerb, den BIENE-Award, der zwischen 2003 und 2010 als Leuchtturm und Trendsetter für moderne Webentwicklung im deutschsprachigen Raum wirkte.

    Andere Länder in Europa waren in Sachen Durchsetzung weniger nachlässig und damit erfolgreicher als Deutschland. So gilt beispielsweise in England der Equality Act 2010: Alle Unternehmen, Serviceanbieter und staatliche Stellen sind danach verpflichtet zu prüfen, welche angemessenen Veränderungen sie machen können, um ihr Angebot barrierefreier zu machen. Auf diese Änderungen hat man auch im Berufsleben Anspruch, sonst liegt eine schadenersatzpflichtige Diskriminierung vor.

    Rettung EU-Richtlinie?

    Vor einigen Jahren bestand noch Hoffnung auf Verbesserung durch eine neue EU-Richtlinie. Diese sollte vor allen Dingen auf die mangelhafte Umsetzung in einigen Ländern der EU – eben auch Deutschland – hinweisen und Abhilfe schaffen. Die EU arbeitete über vier Jahre an der Richtlinie „über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen“. Sie wurde im Oktober 2016 veröffentlicht und im Dezember 2016 in Kraft gesetzt. Bis September 2018 haben die Mitgliedsstaaten nun Zeit, diese Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.

    Leider erweist sich diese Richtlinie als Rückschritt. Offensichtlich haben sich dieselben Kräfte in Brüssel durchgesetzt, die auch in Deutschland dafür sorgten, dass die BITV in den Zuständigkeitsbereich der Wirtschaftsministerien fiel und zum zahmen Tiger wurde:

    So werden unter Artikel 1 „Gegenstand und Anwendungsbereich“ zahlreiche Ausnahmen zugelassen. Im Gegensatz zur BITV 2.0 ist Barrierefreiheit nicht verpflichtend für alle Auftritte und Inhalte. Öffentliche Stellen sollten „stets — soweit dies vernünftigerweise möglich ist — barrierefrei zugängliche Alternativen auf ihren Websites oder in ihren mobilen Anwendungen hinzufügen“. Inhalte archivierter Websites oder mobiler Anwendungen, die nicht mehr aktualisiert werden, müssen nicht barrierefrei sein. Auch öffentliche Stellen sollen „Barrierefreiheitsanforderungen in dem Maße anwenden, dass sie keine unverhältnismäßige Belastung für sie darstellen“.

    Weitere Ausnahmen betreffen Websites und mobile Anwendungen von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, ebenso wie die von „NRO, die keine für die Öffentlichkeit wesentlichen Dienstleistungen oder speziell auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen ausgerichteten oder für diese konzipierten Dienstleistungen anbieten“.
    Zudem werden zahlreiche Inhalte von Websites und mobilen Anwendungen ausgeschlossen, zum Beispiel auch live übertragene zeitbasierte Medien. Mitgliedsstaaten können weiterhin „Websites und mobile Anwendungen von Schulen, Kindergärten oder Kinderkrippen vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausnehmen, mit Ausnahme der Inhalte, die sich auf wesentliche Online- Verwaltungsfunktionen beziehen“.

    Politisches Versagen und Torpedierung guter Ansätze

    15 Jahre nach Einführung des Behindertengleichstellungsgesetzes sind wir somit keinen Schritt weiter gekommen. Die Politik hat sich in Deutschland nicht voran bewegt. Die bekannten Probleme des Gesetzes und der Verordnungen wurden nicht behoben.
    Viele aktive Menschen aus der professionellen Webdesigner- und Barrierefreiheits-„Szene“, die sich jahrelang ehrenamtlich und beruflich engagierten, mussten zusehen, dass mit dem Einsatz für Barrierefreiheit im Internet kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist.
    Erschwerend kommt hinzu, dass Barrierefreiheit von vielen kleinen wie auch großen Webagenturen zu einem Teil des üblichen Produktportfolios geworden ist, ohne dass es jedoch tatsächlich umgesetzt wurde.
    Viele Agenturen verkaufen ihre Webanwendungen unbedarften Kunden als barrierefrei, erfüllen jedoch in der konkreten Umsetzung nicht einmal die rudimentärsten Grundlagen der barrierefreien Webgestaltung.
    Eine Handhabe gegen solche unseriösen Geschäftspraktiken gibt es genauso wenig, wie es ein Klagerecht der hiervon Betroffenen gibt.

    Pressemeldungen aus dem Kreis der aktuellen Regierungskoalition, die sich zum Protesttag selbst loben und trotzdem gleichzeitig von einer notwendigen „Offensive für Barrierefreiheit“  reden, wirken wie blanker Hohn gegenüber all denjenigen, denen das Thema tatsächlich am Herzen liegt und die sich tatsächlich aktiv für Verbesserungen einsetzen.

    Menschen mit Behinderungen werden auf dem Papier und auf mit ausreichend Presse ausgestatteten Veranstaltungen unterstützt und vorgezeigt. Doch in der Sache stehen sie schlechter da als noch vor 15 Jahren. Und mehr noch: Erfolgreiche Umsetzungen anderer Länder, wie beispielsweise in England, werden nunmehr durch die neue EU-Richtlinie torpediert.

    Dies bietet wahrlich keinen Grund zu feiern.

    Lichtblick „Generation Internet“ und Digitalisierung

    Durch die stetige weitere Nutzung des Internets und die Durchdringung von internetfähigen Systemen (Liebhaber des digitalen Bullshit Bingo bemühen hier die Bezeichnung „Cyberphysische Systeme“) wird die Einhaltung von Standards ein immer wichtigerer Faktor für das Funktionieren von Software, digitalen Assistenten, Bots und autonom funktionierenden Systemen. Der Austausch von Daten über Verfahren wie die RESTful API oder das Vorhalten von strukturierten Daten gemäß Schema.org erweist sich zunehmend als fruchtbar für alle Nutzer des Internet – ob sie diese Verfahren bewusst bemerken oder nicht. Screenreader können Texte durch eine saubere Semantik besser interpretieren und so effektiver verständlich machen; digitale Assistenten können durch die Erkennung von Microformats in Webseiten Inhalte leichter finden und korrekter interpretieren.
    Die Standards sind zudem offen und allgemein nutzbar. Dies führt zu weiteren Möglichkeiten: Daten und Inhalte können nunmehr gemäß der Bedürfnisse und Anforderungen des Nutzers interpretiert, gespeichert, verarbeitet und zu etwas Neuem kombiniert werden.

    Nicht der Gesetzgeber, nicht Verbandslobbys und auch nicht Vertreter von Großkonzernen sind hier die Treiber von Innovationen und Verbesserungen. Es sind die einzelnen Menschen, die durch Nutzung dieser neuen Verfahren die Möglichkeiten (wieder-)erlangen, die sie in den Pionierjahren des Internets hatten: Alle Menschen, ganz unabhängig von Behinderung oder Einschränkungen, können nicht nur teilhaben, sondern sich auch beteiligen. Menschen verlassen (wieder) die Rolle der passiven Konsumenten und können erneut zum aktiven Sender werden.

    Diese Möglichkeiten, diesen Lichtblick sollten wir nutzen. Dafür gibt es einen Grund, aufzustehen, heute am Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung!

     

    Über den Autor:

    Wolfgang Wiese (xwolf) ist seit 1994 als Netizen (bzw. „Digital Native“) im Internet beheimatet. Er berät seit mehreren Jahren Firmen und den öffentlichen Dienst in Sachen Barrierefreiheit im Internet und moderner Webentwicklung. Seit 2006 organisiert er den Webkongress Erlangen, der inzwischen als einer der wichtigsten, nicht kommerziell ausgerichteten Kongresse im deutschsprachigen Raum für Webentwicklung und Webdesign gilt. Hauptberuflich ist er an der Universität Erlangen-Nürnberg angestellt und koordiniert und managed dort den Betrieb von über 1100 Webauftritten der Universität sowie von Kooperationen und anderen Einrichtungen des öffentlichen Dienstes in Nordbayern.
    Seit Januar 2017 ist er als ehrenamtlicher Beauftragter für die Webseite der Piratenpartei Deutschland tätig.

     

  • Depression: Lass uns drüber reden

    Weltweit leiden über 300 Millionen Menschen an einer depressiven Störung. In Deutschland sind es allein 4 Millionen Betroffene, wobei die Dunkelziffer sicher höher liegt. Nicht selten begehen Betroffene einen Suizidversuch. Das zeigt, wie schwer diese Störung ausgeprägt sein kann. Es gibt verschiedene Formen depressiver Störungen. Sie können chronisch, aber auch phasenweise in unterschiedlicher Stärke ausgeprägt sein. Depressive Störungen haben ihre Ursachen meist in einer Beeinträchtigung der Hirnchemie in Kombination mit äußeren auslösenden Faktoren. [1] [2]

    Die Behandlung depressiver Störungen erfolgt in der Regel über eine Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie. So kann es Patienten gelingen, ihr Leiden in den Griff zu bekommen. Ob eine völlige Heilung möglich ist, gilt als umstritten. Depressive leiden konstant unter Trostlosigkeit, Verzweiflung, Antriebslosigkeit, aber auch besonderer Empfindsamkeit. Und das sind nur einige der Symptome, die je nach Mensch ganz unterschiedlich sein können. In sehr schweren Fällen sehen die Betroffenen oft Suizid als Ausweg. 25 Prozent der Depressiven versuchen mindestens einmal, sich das Leben zu nehmen, die Hälfte davon erfolgreich.

    In der Gesellschaft stoßen Betroffene mit ihrem Leiden oftmals auf gravierende Probleme wie Unverständnis und teils sogar Verunglimpfung. Das führt dazu, dass viele Depressive lieber schweigen und sich hinter fröhlichen Alltagsmasken verbergen, bis sie eines Tages zusammen brechen, weil dieses gekünstelte „Normal Sein“ all ihre Kraft kostet. Auch verstecken sich psychisch Kranke lieber, als sich „klugen“ Sprüchen ihrer Mitmenschen auszusetzen wie „Reiß dich einfach mal zusammen“ oder „Wieso bist du depressiv? Anderen geht’s viel schlechter!“

    Was die ärztliche Versorgung betrifft, sieht es gerade für Menschen mit psychischen Erkrankungen besorgniserregend aus. Es gibt zu wenig Psychotherapeuten, vor allem in ländlichen Gebieten und zu wenig Therapieplätze. Psychiater und Psychologen sind überlastet: sechs bis zwölf Monate Wartezeit sind die Regel, bis man überhaupt einen Termin ergattert. Und wenn man dann feststellt, dass zwischen sich und dem Psychotherapeuten „die Chemie nicht stimmt“, beginnt die Wartezeit bei einem anderen Therapeuten von vorne.

    Auch mit Behörden ergeben sich für Depressive immer wieder Probleme. Viele psychisch kranke Menschen sind nach einiger Zeit nicht mehr in der Lage, dem Alltagsdruck standzuhalten, werden krankgeschrieben und verlieren oft auch ihre Arbeit, wenn dies zu häufig geschieht. Im Jobcenter oder der ARGE stoßen sie dann auf oftmals unwissende, diesbezüglich ungeschulte Sachbearbeiter, die ihrerseits Druck auf den Betroffenen ausüben. Ganz schnell erfolgen Sanktionen, weil Termine nicht eingehalten werden konnten und vieles mehr.

    Wenn die „fürsorgliche Belagerung“, die der zukünftige Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, angekündigt hat, Realität wird, erhöht sich die Gefahr der Sanktionierung. Es geht offensichtlich nur noch darum, psychisch und auch physisch Erkrankte schnellstmöglich wieder nutzbringend in die Wirtschaft einzugliedern. Wer dabei nicht paragraphengetreu mitmachen kann, wird bestraft. Dass diese Herangehensweise der psychischen Verfassung depressiv Erkrankter nicht gerade förderlich ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung.

    Bereits 2013 haben die Piraten Forderungen erarbeitet, um hier etwas zu ändern. Unter dem Stichwort „Gesundheit – Psyche“ wurde damals der Antrag mit all seinen Modulen ins Wahlprogramm aufgenommen. Dieses Wahlprogramm ist nach wie vor gültig.
    Der zielgerichtete und zeitnahe Ausbau gemeindenaher, psychiatrischer und psychotherapeutischer Versorgung, eine inklusive Arbeitsmarktpolitik und eine deutliche Verbesserung der rechtlichen Situation von Menschen mit psychischen Störungen wird dort ebenso gefordert, wie umfassende Aufklärung über diese Krankheitsbilder, um Vorurteilen und Ausgrenzungen entgegen zu wirken.

    Weitere Forderungen sind die Einrichtung einer bundesweiten Notrufnummer für Menschen mit psychischen Erkrankungen zur Krisenintervention sowie der Abbau bürokratischer Hürden für Betroffene. Insgesamt haben wir elf Hauptpunkte und mehrere Unterpunkte erarbeitet, um die Situation für psychisch Erkrankte in Deutschland zu erleichtern. Bekanntlich setzen wir uns auch für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein. Die Einführung des BGE würde gewährleisten, dass depressiv Erkrankte nicht länger der Ämterwillkür ausgesetzt sind. Jetzt wäre nur noch zu wünschen, dass Piraten eine Möglichkeit erhalten, diese Forderungen in den Bundestag einzubringen und Schritt für Schritt die Umsetzung zu erwirken. Vier Millionen Menschen in Deutschland wären dafür sehr dankbar.

    [1] http://www.deutsche-depressionshilfe.de/stiftung/volkskrankheit-depression.php?r=p
    [2] http://bmcmedicine.biomedcentral.com/articles/10.1186/1741-7015-9-90

  • BGE Abend

    Am Mittwoch, den 05.04.17 ab 20 Uhr findet im Rahmen unserer AG-BGE Mumblesitzung eine Diskussionsrunde zum Thema Perspektiven und Voraussetzungen eines Bedingungslosen Grundeinkommen statt. Das Bedingungslose Grundeinkommen löst einige Probleme, aber nicht alle und kann nur ein Baustein einer zukünftigen Gesellschaft sein. Es muss zum Beispiel auch in ein Wirtschaftsmodell eingepasst werden.

    Welche ökologischen Auswirkungen hätte das BGE? Welche Wirkungen, welche „Strahlkraft“ hätte es auf die Nachbarländer? Müsste es nicht von Anfang an europäisch, ja eigentlich weltweit gedacht werden? Wie würde es die deutsche Außenpolitik bzw. Entwicklungspolitik verändern? Das sind einige Fragen, über die diskutiert werden soll. Das BGE wäre der Grundpfeiler für eine andere Gesellschaft und seine Auswirkungen über die sozialen Aspekte hinaus werden noch zu wenig diskutiert. Ein folgerichtiger Schritt um seine Akzeptanz zu erhöhen, wäre daher, es mit der gesamten „Lebenswelt in Einklang“ zu bringen.

    Die Veranstaltung wird live über das Piratenradio übertragen. Wer selbst an der Veranstaltung teilnehmen möchte, ist herzlich eingeladen. Falls ihr bereits Mumble nutzt gelangt ihr über den Direktlink sofort in den Veranstaltungsraum. Eine ausführliche Erklärung zu dem System findet ihr auf der Informationsseite zu Mumble.

     

  • Das Pflegestärkungsgesetz (PSG) – eine Verschlimmbesserung in drei Akten

    Im Januar trat die dritte Stufe des Pflegestärkungsgesetz (PSG) in Kraft. Es sollte ursprünglich dazu dienen, die Situation von Pflegebedürftigen, deren Angehörigen und Menschen, die in der Pflege arbeiten, zu verbessern. Tatsächlich aber regt sich vielerlei berechtigte Kritik, die den Lobgesang von Minister Hermann Gröhe zu übertönen beginnt. Anlässlich des deutschen Pflegetages stellen wir uns ebenfalls die Frage nach der Situation der Pflege.

    Bereits jetzt, kaum 3 Monate nach Einführung der 3. Stufe kommen die Institutionen, die mit dem Pflegestärkungsgesetz in Berührung kommen, kaum mit der Aufarbeitung nach. Sowohl Kranken- als auch Pflegekassen können den Berg an Umstellungs-Vorgängen der früheren Pflegestufen auf die neuen Pflegegrade nur schwer bewältigen. Die persönliche Begutachtung von Menschen, insbesondere auch der Demenzerkrankten kann nicht durch automatisierte Algorithmen erfolgen, sondern nur durch geeignet geschultes Personal. Dies kostet natürlich zusätzlich Zeit. Es drängt sich zudem die Frage auf, ob Menschen mit körperlichen Einschränkungen möglicherweise nun schlechter gestellt werden. Dies wird aktuell kontrovers diskutiert.

    Nach der Einstufung in einen Pflegegrad besteht der Anspruch auf geeignete Hilfs- und Betreuungsangebote. Doch sowohl Tagesklinikplätze als auch Kurzzeitpflegeplätze sind viel zu oft Mangelware. Seit der Einführung der Fallpauschalen nach Diagnose bezogener Fallgruppen (DRG) ist zu beobachten, dass ältere Patienten scheinbar auch immer schneller aus dem Krankenhaus entlassen werden. Die Anschlusspflege zu leisten ist für Angehörige oft eine kaum zu bewältigende Belastung, zeitlich, finanziell und psychisch. Der Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten bis zur vollen Genesung ist erheblich. Sofortige Hilfe bekommen Betroffene nur, wenn sie voraussichtlich länger als 6 Monate hilfebedürftig sind.

    Der demografische Wandel sorgt dafür, dass in den nächsten 15 Jahren voraussichtlich doppelt so viele Menschen pflegebedürftig sein werden, ein großer Teil davon mit multimorbiden Krankheitsbildern. Es fehlen aber bereits jetzt Nachwuchskräfte.

    „Das Gesundheits- und vor allem das Pflegesystem brauchen deshalb schnell Veränderungen, die nachhaltig greifen. Ein Pflegenotstand, nicht nur, aber gerade in ländlich geprägten Gebieten gefährdet Menschenleben!“

    so die Altenpflegerin Sandra Leurs.

    Ein anderer großer Aspekt ist die personelle Ausstattung der Einrichtungen. Steigende Betreuungsschlüssel führen zur schleichenden Überforderung des Stammpersonals. Die Zeit für den einzelnen Patienten schrumpft und der zu pflegende Mensch verkommt zu einer abzuarbeitenden „Task-Nummer“.

    „Die Gesundheit und Pflege von Menschen darf keine Ware sein. Auf dem Rücken der Pflegekräfte Gewinnmaximierung zu betreiben, Kranke und ihren Krankheitsverlauf abrechnungskonform optimieren zu wollen, das ist einfach nur unmenschlich und zutiefst abzulehnen!“

    so Anja Hirschel.

     

    Apropos: Im Vergleich zu Schweden mit 2,2 % investiert Deutschland gerade einmal 0,15% des BIP in den Pflegesektor. Das gibt zu denken.

  • Equal Pay Day

    Es ist Equal Pay Day – und die Herren der Schöpfung flippen mal wieder aus. Sicher ist ihre Argumentation aus wirtschaftlicher Sicht folgerichtig und logisch; wenn man aber die gesellschaftlichen Realitäten in Betracht zieht, sieht die Sache schon wieder anders aus. Ich denke heute darüber nach, wo das Problem eigentlich liegt.

    Equal Pay Day ist das rote Tuch für viele Männer, die arbeiten gehen müssen, obwohl sie eine Familie zuhause haben (oder sich vorstellen können, in Zukunft eine zu haben). Die Argumentation, die an diesen Tagen kommt, ist eigentlich immer dieselbe:

    • Männer arbeiten durch, während Frauen üblicherweise die Erziehungszeiten in Anspruch nehmen
    • Frauen haben deswegen generell weniger Berufserfahrung
    • Deswegen leisten sie auch weniger
    • Frauen arbeiten öfter in Teilzeit, dafür erhalten sie natürlich weniger Entgelt
    • Frauen haben also mehr Freizeit und leisten insgesamt weniger

    Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, aber das ist das, was mir vorwiegend vor die Nase tanzt. Ich finde den Denkansatz grundfalsch, wenn auch nachvollziehbar.

    Wir leben immer noch in einer Gesellschaft, der ein Rollenbild zugrunde liegt, das mit den Realitäten nichts zu tun hat. Es sieht von meinem Standpunkt aus gesehen folgendermaßen aus:

    • Die Gesellschaft schützt Ehe und Familie (siehe Grundgesetz)
    • Ehe ist ein Lebensentwurf, der Bestand hat
    • Männer sind vorwiegend die Haupternährer einer Familie, Frauen verdienen maximal dazu
    • Frauen kümmern sich um die Kinder und den Haushalt, solange es notwendig ist
      • Deswegen bekommen die Männer Steuererleichterungen (das mit dem Ehegattensplitting)
      • Deswegen haben die Frauen einen Anspruch auf Versorgung durch die Ehemänner
      • Damit werden sozusagen die Frauen von ihren Ehemännern für ihre Leistung entlohnt (in Naturalien, was dann nicht auffällt)

    Dieses Gesellschaftskonzept hatte nach dem 2. Weltkrieg seine Berechtigung, heute ist es einfach eine Illusion. Es fängt mit dem Konzept der Ehe und der „ewigen Haltbarkeit“ derselben an. Heutzutage ist es für niemanden mehr eine Schande, geschieden zu sein; dieses Stigma hat unsere Gesellschaft gottseidank überwunden. Es ist nicht mehr erheblich, wer nun die Schuld am Zerbrechen der Lebensgemeinschaft trägt und es werden vernünftige Versorgungsausgleiche geschaffen.

    Trotzdem bedeutet eine Scheidung immer noch einen sozialen Abstieg. Das haben wir einerseits dem Gesetzgeber zu verdanken, der dafür sorgt, dass geschiedene Paare aufs Ganze gesehen mehr Steuern zahlen, andererseits ist es natürlich auch der Tatsache geschuldet, dass zwei kleine Wohnungen mehr kosten als eine große Wohnung, dass eventuell statt eines Autos zwei da sein müssen und dergleichen. Das macht das Leben für geschiedene (und auch für unverheiratete) Paare deutlich teurer. Allein das betrachte ich als massive Ungerechtigkeit – das Steuerrecht muss hier endlich den Realitäten angepasst werden. Darüber, dass meistens die Frauen diejenigen sind, bei denen die Kinder bleiben und die dann berufliche Nachteile erleiden, weil die Kinder bei ihnen leben, lasse ich mich jetzt nicht ausführlich aus – das setze ich als bekannt voraus.

    Außerdem führt dieses Konzept zu gesamtgesellschaftlichen Denkfehlern; Frauen, die Kinder haben und eben nicht oder nur in Teilzeit einer Erwerbsarbeit nachgehen, haben nicht mehr Freizeit. Im Gegenteil: Sie sind üblicherweise 24 Stunden am Tag und sieben Tage pro Woche „im Dienst“. Und das sowohl zuhause als auch im Urlaub. Gesellschaftlich wird die Zeit, in der sie zwar durchaus arbeiten, aber nicht dafür bezahlt werden (obwohl sie hier einen wirklich gewaltigen Dienst an der Gesellschaft leisten), als „Freizeit“ angesehen. Sie sind sozusagen Hobbymütter, Hobbyhaushälterinnen, Hobbyköchinnen, Hobbyverwalterinnen und so weiter und so fort.

    Diese „Hobbyarbeiten“ bewegen sich beim ganz überwiegenden Teil der Frauen, die sie erledigen, sehr weit von ihren Ausbildungsberufen entfernt. Damit machen sie zwar durchaus neue Erfahrungen, ihr Blick wird auch erweitert – aber für den Beruf nützt ihnen das herzlich wenig. Sie verlieren an Berufserfahrung, sie sind von Weiterbildung praktisch abgeschnitten und wenn sie tatsächlich über einen längeren Zeitraum „zuhause geblieben“ sind, benötigen sie Wiedereingliederungsmaßnahmen. Selbstverständlich (vom ökonomischen Standpunkt aus) wird das zu einem „Karriereknick“ führen – oder eben zu keiner Karriere. Gerade gebildete Frauen mit einer wirklich guten Ausbildung überlegen deshalb mehrfach, ob sie wirklich Kinder haben möchten – darin liegt übrigens der Misserfolg der „Herdprämie“.

    Entscheidet sich eine Frau, das mit den Kindern sein zu lassen und sich lieber beruflich zu entwickeln, sieht sie sich zwei Problemen gegenüber: Einerseits wird ihr in der Erwerbsarbeitswelt mit großer Vorsicht und großem Mißtrauen begegnet werden, solange sie in einem Alter ist, in dem sie Kinder bekommen kann. Das hat viel mit Gesetzen zu tun und damit, dass niemand seinem Arbeitgeber Rechenschaft schuldig ist über die persönliche Lebensplanung. Andererseits wird sie gesellschaftlich viele Diskussionen führen müssen, denn es sind immer noch sehr viele Menschen der Ansicht verhaftet, dass eine Frau Kinder bekommen müsse, weil sie Kinder bekommen kann.

    Sehr viele Frauen stehen also vor einer Wahl, vor die Männer sich nicht wirklich gestellt sehen: Sie müssen sich zwischen einem erfüllten Berufsleben und dem Wunsch nach Familie mit Kindern entscheiden. Es sind sicher nicht alle Frauen – aber doch ausreichend viele, dass da eine kritische Masse überschritten ist.

    Statt also nun vermittels aller dieser Argumente (die für sich genommen sicherlich verständlich und valide sind) Männer und Frauen gegeneinander zu stellen, fehlt es an Überlegungen, wie wir das Familienleben und das Erwerbsleben für alle Menschen gut unter einen Hut bringen.

    Wie erhalten wir denjenigen, die durchgehend Erwerbsarbeit leisten (das sind – noch – meistens die Männer) die durchaus verdiente Anerkennung für ihren Beitrag zum ökonomischen Erfolg dieser Gesellschaft und sorgen gleichzeitig dafür, dass diejenigen, die die Betreuungsarbeit leisten (das sind – noch – meistens die Frauen), endlich die verdiente Ankerkennung dafür bekommen?

    Wie können wir als Gesellschaft alleinerziehende Frauen unterstützen, die einer (ihrer Ausbildung entsprechenden) Erwerbsarbeit nachgehen möchten, das aber nicht oder nur teilweise können, weil sie sich eben um ihre Kinder kümmern wollen?

    Wie können wir als Gesellschaft den „Erwerbsdruck“ von den Männern nehmen und so dafür sorgen, dass sie ihre Familien nicht nur „versorgen“, sondern auch am Familienleben teilnehmen können, ohne dabei berufliche Nachteile fürchten zu müssen?

    Wie sollten wir unsere Gesellschaft umgestalten, um den Anforderungen gerecht zu werden? Wer ist hier in der Pflicht? Wie viel dürfen und müssen wir von der Politik erwarten, wie viel von der Wirtschaft?

    Das alles sind Fragen, die mich umtreiben. Sicher, es gibt Ansätze. Wir von der Piratenpartei vertreten die Ansicht, dass ein Grundeinkommen für alle hier durchaus einen Lösungsansatz bieten kann. Daneben gibt es auf wirtschaftlicher Seite auch sehr interessante Modelle, wie zum Beispiel den Ansatz von Ricardo Semler, einem brasilianischen Unternehmer, der sein Unternehmen radikal umgestaltet hat.

    Letzlich finde ich, wir sollten aufhören, uns gegenseitig zu beweisen, dass der Gender Pay Gap nicht oder doch existiert und damit anfangen, unsere Gesellschaft endlich neu zu denken.