Schlagwort: Verkehrswende

  • Verkehrspolitisches Mittelmaß – irgendwie typisch Deutschland

    Verkehrspolitisches Mittelmaß – irgendwie typisch Deutschland

    [green_box] Ein Beitrag von smegworx [/green_box]

    Der Trend hin zu elektrifizierten Fahrzeugen hält bei Neuzulassungen an. Und dennoch ist das, insbesondere für das „Autoland“ Deutschland, weder eine Erfolgsstory, noch ein Grund zu übermäßigem „Jetzt können wir uns alle auf die Schulter klopfen!“

    Klar, nach absoluten Zahlen – und darauf wird sicher der Verkehrsminister Volker Wissing hinweisen – hat Deutschland im Jahr 2021 im europäischen Vergleich die meisten Elektrofahrzeuge zugelassen. Rein elektrisch betrieben (BEV) waren das 355.961 PKW und nochmals 325.449 sogenannte Plug-in-Hybride (PEHV).

    Das war es auch schon an guten Nachrichten

    Nicht mehr ganz so gut sieht es dagegen aus, wenn man die Zahlen ins Verhältnis zu den Gesamtzulassungen setzt. (Aufgrund der für diese Betrachtung irrelevanten Zulassungszahlen lassen wir Brennstoffzellen/Wasserstoff-Fahrzeuge und LPG/CNG-Fahrzeuge außen vor.) Da erreichen in Deutschland die rein elektrischen Fahrzeuge nur noch einen Anteil von 13,57 % und die Plug-in-Hybride einen Anteil von 12,41 %.

    WOW, mag jetzt der ein oder andere sagen: Das sind doch immerhin mehr als ein Viertel aller Neuzulassungen. Stimmt natürlich. Und ja, es gibt auch Länder in Europa, die gerade hinsichtlich der Elektromobilität noch weit hinter Deutschland liegen. Ob es uns allerdings wirklich gefällt, wenn wir uns mit Bulgarien oder Zypern vergleichen? Das ist allerdings auch nicht entscheidend.

    Fossile Verbrenner in Deutschland – Elektromobilität in Norwegen

    Wenn der Anteil von BEV und PHV somit bei 25,98 % liegt – dann werden immer noch knapp drei Viertel der Fahrzeuge als Benziner oder Diesel zugelassen.

    Wie es anders geht, zeigt uns das Beispiel Norwegen. Dort wurden zwar zahlenmäßig „nur“ 114.000 rein elektrische Fahrzeuge zugelassen. Allerdings entspricht dies einem Anteil von 64,5 % an den Neuzulassungen [2]. Die Differenz zu Norwegen liegt damit allein in diesem Segment bei 50,93 %.

    Nehmen wir jetzt noch die, natürlich auch in Norwegen zugelassenen, Plug-in-Hybride mit dazu (38.000 / 21,7 %) dann sieht die Gesamtbilanz noch düsterer aus. Den 86,2 % der zugelassenen Fahrzeuge in Norwegen stehen die nun doch ziemlich mickrig ausschauenden 25,98 % in Deutschland gegenüber. 60,22 % beträgt damit das Defizit gegenüber dem europäischen Primus.

    Wir hinken politisch meilenweit hinterher

    Angesicht dieser für Deutschland ziemlich deprimierenden Zahlen ist die Frage, was denn da Norwegen jetzt so anders macht, völlig zutreffend und auch folgerichtig. Wie lässt sich das erklären?

    Ganz sicherlich nicht nur damit, dass die Menschen in Norwegen vielleicht neuen, umweltfreundlichen Technologien gegenüber vielleicht positiver eingestellt sind. Und sicherlich auch nicht damit, dass Norwegen bei seiner, durch natürliche Voraussetzungen bedingt, Energiegewinnung ohnehin schon viel „grüner“ ist. (95 % des Strombedarfs in Norwegen wird via Wasserkraft gewonnen.)

    In Norwegen hat das vielmehr damit etwas zu tun, dass frühzeitig eine entsprechende Vision vorhanden war. Und noch viel wichtiger: Dass die Politik auch den Mut hatte, die notwendigen politischen Weichenstellungen herbeizuführen und das durch konkrete Gesetze und Verordnungen dann auch umzusetzen.

    Klingt schon irgendwie echt abenteuerlich, wenn die Politik so handelt. Oder?

    Ganz konkret hat Norwegen folgende Maßnahmen umgesetzt (selbst wenn einige davon jetzt aufgrund der erreichten Quote bereits wieder zurückgefahren werden/aufgehoben worden sind):

    • Ausstieg aus den Neuzulassungen von Verbrennern ab 2025
    • Nutzung von Busspuren
    • Kostenloses Parken
    • Teilweise kostenloses Laden oder Ladepreise ab 5 ct/kWh
    • Mehrwertsteuerbefreiung für Elektrofahrzeuge
    • Halbierung der Maut
    • Eine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur

    Wenn wir jetzt einmal gegenüberstellen, welche Maßnahmen davon wir in Deutschland bis 2030 umsetzen wollen, dann bleibt eigentlich nur noch eine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur übrig. Zumindest dann, wenn man das Ziel der 1 Million Ladepunkte auch wirklich erreicht.
    Alle anderen Maßnahmen hierzulande: Komplette Fehlanzeige.

    Politisches Versagen – und (noch) keine wirkliche Besserung in Sicht

    Angesichts dieser für Deutschland desaströsen Gegenüberstellung muss man von einem politischen Versagen in der deutschen Verkehrspolitik sprechen.

    Von fehlender Vision, fehlenden Konzepten, fehlendem Mut.

    Einem Versagen, was maßgeblich durch die CSU zu verantworten ist, die über lange Jahre die Verantwortung für den Verkehrssektor hatte. Und was sich dann zusätzlich auch durch das Desaster von Glasgow manifestierte.

    Natürlich kann man dem jetzt gerade ins Amt gekommenen Verkehrsminister Wissing nicht unbedingt die Versäumnisse der Vergangenheit anlasten. Aber selbst der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition entspricht nicht ansatzweise den Erwartungen, die viele im Vorfeld geäußert und auch erhofft hatten. Das lässt sich nicht nur am Herumeiern bezüglich des Ausstiegs aus dem Verbrenner festmachen, zu dem man im Koalitionsvertrag keine Jahreszahl findet. Irgendwann nach den Zielen der EU. Und gefühlte Ewigkeiten nach Norwegen.

    Auch von den in Norwegen im Gesamtpaket umgesetzten Maßnahmen findet man im Koalitionsvertrag, bis auf den Ausbau der Ladeinfrastruktur und eine auf wackligen Füßen stehenden „Innovationsprämie“, nichts. Das ist im Hinblick auf die angestrebte Antriebswende beschämend. Und wird auch durch ständige Diskussion über „Technologieoffenheit“, „eFuels“ oder „Brennstoffzellenantriebe“ nicht besser.

    Was es jetzt bräuchte

    1. Ein klares Statement des Bundesverkehrsministers pro Elektromobilität
    2. Aufsetzen eines Gesamtpaketes (analog Norwegen) und eine beschleunigte Umsetzung
    3. Einführung eines Bonus-/Malussystem bei PKW-Neuzulassungen
    4. Ein klares Bekenntnis mit Jahreszahl zum Ausstieg aus der Zulassung fossiler Verbrenner
    5. Eine nachträglicher Beitritt zur Erklärung von Glasgow

    Das ist alles kein Hexenwerk. Das ist alles möglich. Wenn der politische Wille vorhanden ist.

    Hat die aktuelle Bundesregierung diesen? Haben Sie diesen Mut und diesen Willen, Herr Wissing?

    Zum Schluss

    Nein, die Elektromobilität alleine wird niemals ausreichen, um die auch von uns angestrebte Mobilitätswende und die Verkehrswende zu ermöglichen. Dazu sind viel mehr Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen notwendig. Einige davon findet Ihr auch im aktuellen Programm der Piratenpartei.

    Aber: Wenn wir in Deutschland bereits bei der Antriebswende hinter den Notwendigkeiten meilenweit hinterherlaufen (auch: kläglich versagen), wie sollen uns dann die wesentlich größeren Vorhaben Mobilitätswende und Verkehrswende gelingen?

  • E-Mobilität nicht zu Ende gedacht

    E-Mobilität nicht zu Ende gedacht

    Nahezu jedes E-Auto wird in Zukunft mit bis zu 6.000 € prämiert. Wer aber über ein Pedelec, E-Bike oder Rennrad zum Pendeln nachdenkt, ist auf sich allein gestellt. Warum ist das ein Problem?

    Ein entscheidender Faktor der Mobilitätswende ist die Förderung der E-Mobilität. Darin sind sich alle einig. Und auch wenn im Internet alle möglichen Informationen rund um die „wahre Ökobilanz“ von E-Autos kursieren, der elektrische Antrieb von Fahrzeugen ist, wenn richtig eingesetzt und mit Ökostrom betrieben, eine nachhaltige Form der Mobilität. Vorausgesetzt, also richtig eingesetzt und im Sinne eines nachhaltigen Mobilitätskonzepts. E-Autos zu fördern ist also ebenso richtig, wie Solar- und Windenergie zu bezuschussen. Eigentlich.

    E-Autos kein Allheilmittel

    Auch wenn die ökologische Bilanz von E-Autos deutlich besser als ihr Ruf ist, sind E-Autos nicht das Wundermittel. Selbstverständlich lösen wir die Klimakrise nicht, indem wir mit Benzinern und Diesel vollgestopfte Innenstädte mit E-Autos vollstopfen. Dazu noch ein paar E-Scooter und das Verkehrschaos ist perfekt. Nein, eine Mobilitätswende bedeutet auch: Deutlich weniger motorisierter Individualverkehr, deutlich mehr ÖPNV und viel viel mehr Rad- und Fußverkehr. Das ist die Erkentnis, die man erlangt, wenn man sich die Treibhausgasemissionen des Verkehrssektors genau ansieht und nach einer ernst gemeinten Lösung sucht.

    Warum weniger Autos?

    In den 60er Jahren haben wir mit der „autogerechten Stadt“ Städte geschaffen, die förmlich schreien: „Fahr mit dem Auto!“. Das mag vor 60 Jahren eine ganz famose Idee gewesen sein, ist aber mit dem Wissen über die globale Erderwärmung ein ernstzunehmendes Problem geworden. Das Kernproblem dieses Verkehrskonzepts liegt auf der Hand: Wir bewegen regelmäßig 2 Tonnen Masse um ca. 78 kg Gewicht zu transportieren. Dazu kommt ein erheblicher Verbrauch an Fläche. In Zeiten von Landflucht, steigender Bevölkerung und nicht zuletzt einer lebensbedrohlichen Klimakrise muss man kein Verkehrsexperte sein um zu erkennen, dass dieses Modell langfristig zum Scheitern verurteilt ist. Schon heute wird immer kleinerer Verkehrsraum unter immer mehr Menschen aufgeteilt. Man kann durchaus versuchen, das ewig weiter zu erhalten, irgendwann kollabiert ein solches System aber, bzw. ist bereits dabei, zu kollabieren. Und so lange wir den Anspruch erheben zum Transport von 78 kg Mensch 2 Tonnen Masse zu bewegen, sagt uns bereits die Physik, dass ein solches Unterfangen niemals echt nachhaltig sein kann. Man kann es so nachhaltig wie möglich gestalten und sich größte Mühe bei der Reduzierung von Ressourcen und Emissionen geben. Am Ende des Tages ist diese Form der Mobilität aber allein aus energetischer Sicht niemals wirklich nachhaltig. Die Antwort muss also darin liegen, Radverkehr, ÖPNV in einem ungekannten Ausmaß zu fördern und auszubauen. Die Piratenpartei fordert schon lange den komplett ticktetlosen Nahverkehr, den Ausbau von Rad- und Fußinfrastruktur sowie autofreie Innenstädte.

    Pedelecs unterschätzt

    Elektro-Mobilität besteht aber nicht nur aus Autos. Ein völlig unterschätztes Element der elektrogetriebenen Fortbewegung sind Pedelecs, S-Pedelecs und E-Bikes.
    Wer morgen ein neues Elektroauto kaufen möchte, bekommt bis zu 6.000 € Prämie vom Staat. Das ist schön und gut. Warum aber sind Menschen, die sich für Pedelecs und E-Bikes interessieren, finanziell auf sich allein gestellt? Ein ordentliches Pedelec ist nicht nur um ein Vielfaches nachhaltiger als jedes E-Auto, es ist ebenso eine ernstzunehmende Antwort für Pendler\*innen.
    Es mag am Automobilland Deutschland liegen, dass wir zum einen ein völlig falsches Verstädnis des Fahrrads haben und zum anderen, in bestimmten industriellen Interessen begründet, auch kein besonders großes Interesse an der Förderung von Fahrrädern haben. Dennoch liegt im Bereich der Pedelcs und E-Bikes ein vollkommen unterschätztes Potential: Mit einem ordentlichen Pedelec lassen sich weite Strecken schweißfrei und gemütlich fahren. Das Pedelec ist nicht nur günstig, es ist in vielen Fällen sogar deutlich schneller und vor allem flexibler als jedes Auto. Und wer es noch schneller will, bekommt mit einem S-Pedelec ein Fahrrad, welches ohne große Probleme 45 km/h fährt.

    Ich selbst bin Student und habe mir als Lösung für meine inner- und außerstädtische Mobilität Mitte Oktober ein Pedelec im Wert von 2.800 € zugelegt. Mit diesem Fahrzeug fahre ich zur Uni, nehme meine Termine als Kommunalpolitiker wahr und fahre auch 20-30 km nach Ingelheim oder Wiesbaden. Und ich bin weder sportbegeistert noch sonderlich masochistisch veranlagt. Im Gegenteil: Mein Studium fordert mich mit Akrobatik, Modern Dance und Fechten sportlich so sehr, dass ein normales Fahrrad für mich nicht in Frage kam. Ich hatte das Konzept „Pedelec“ als Mobilitätslösung überhaupt nicht auf dem Schirm bis ich über einen Freund erstmals überhaupt die Anwesenheit dieser Lösung mitbekommen habe. „E-Bike“ – das war für mich vorher so ein dickes, schweres Fahrrad für meine Großeltern. Dass ich von den Vorzügen dieser Lösung nichts wusste, ist schade und ein politisches Versagen. Es existiert nahezu keine politische Kampagne, die eine Investition in Fahrräder und Pedelecs bewirbt. 2.800 € Anschaffungspreis waren für mich als Stundent eine ganze Menge Geld. Sicherlich war diese Investition eine der klügsten meines Lebens, keine Frage. Dennoch hätte ich mir Unterstützung gewünscht.

    Ja, ein Fahrrad ist ein Fahrzeug

    In Deutschland scheint aber in Bezug auf Radverkehr ein falsches Verständnis vorzuherrschen: **“Jede\*r hat doch so ein Rad im Keller!“** Das Fahrrad wird nicht wirklich als Fahrzeug wahrgenommen, sondern eher als ein Accessoire oder ein Hobby. Aber ein Pedelec im Wert von knapp 3.000 € ist kein Spielzeug, sondern ein vollständiges Fahrzeug. Es dient einem klaren Zweck, hat Verschleiß und will angeschafft und gewartet werden.

    Politische Offensive gefragt

    Es ist höchste Zeit, eine politische Offensive zu starten, die dem enormen Potential von Fahrrädern, gleich ob motorisiert oder nicht, gerecht wird. Wer als Pendler\*in ein Rennrad, Pedelec oder S-Pedelec kauft, trifft nicht nur eine verdammt gute Entscheidung – er investiert in eine der nachhaltigsten Formen der Mobilität überhaupt. Er sollte mindestens im selben Maße wie ein Autokäufer in dieser nachhaltigen Investition bestärkt und gestützt werden. Bis dato fehlt es aber nicht nur an Prämien und Kaufunterstützung, überhaupt müsste eine Kampagne her, die diese Form der Mobilität stärker bewirbt und ihr zu der Größe verhilft, die sie verdient. Der Fokus auf E-Autos mag der Automobilindustrie ein großer Dienst sein – nachhaltig ist es aber nicht.

    „Pedelecs, E-Bikes und Rennräder sind kein Spielzeug ein paar sportverrückter Ökofreaks, sondern eine ernstzunehmende Antwort auf eine der drängendsten Fragen unserer Zeit.“
    Maurice Conrad, Bundesthemenbeauftragter für Umwelt, Klima und Tierschutz.

  • Bus und Bahn fahrscheinfrei – ist es jetzt soweit?

    Bus und Bahn fahrscheinfrei – ist es jetzt soweit?

    Oliver Bayer ist Informationswissenschaftler und war von 2012 bis 2017 Mitglied im Landtag NRW. Dort leitete er die von der Piratenfraktion eingebrachte Enquetekommission zu „Finanzierung, Innovation und Nutzung des Öffentlichen Personenverkehrs“

    Ab dem 1. März 2020 können in Luxemburg alle fahrscheinfrei Bus und Bahn fahren. Fahrgäste können dann einfach einsteigen und mitfahren, ohne sich zuvor der Geheimwissenschaft der Tarifgebiete und Ticketwahl gewidmet zu haben. Der Trend zum attraktiveren und fahrscheinfreien ÖPNV scheint ganz Europa ergriffen zu haben. In Deutschland ist die Liste der Städte, die sich mit kleinen Aktionen, Versuchen und Projekten der Idee des fahrscheinfreien Nahverkehrs nähern, mittlerweile so lang, dass ich sie nicht mehr vollständig nennen kann.

    Ist es jetzt soweit? Kommt der fahrscheinfreie Nahverkehr flächendeckend nach Deutschland? Endlich? Gerade noch rechtzeitig, um die Verkehrswende zu schaffen? Um das Klima zu retten?

    Der Weg ist schwierig, obwohl der flächendeckende fahrscheinfreie ÖPNV weder an der Finanzierung noch an der Umsetzbarkeit scheitert. Der Journalist Lukas Hermsmeier hat mit mir ein Interview über meine Erfahrungen beim Revolutionieren des ÖPNV-Systems gemacht und dabei ziemlich gut die politischen Hürden, die sich dem fahrscheinfreien Nahverkehr in den Weg stellen, zusammengefasst.

    Die Reihe der „Was Wäre Wenn“-Redaktion zum „kostenlosen“ öffentlichen Nahverkehr ist übrigens auch ansonsten lesenswert.

    Hintergrund und Historie:

    Als die PIRATEN im Jahre 2010 auf einem Landesparteitag in Korschenbroich den „Modellversuch für einen Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zum Nulltarif“ in ihr Wahlprogramm zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen aufnahmen, war die Idee nicht neu. Aber wir haben diese Idee ab 2011 mit dem Wahlprogramm für Berlin und ab 2012 in NRW nicht nur weiterentwickelt: Wir haben sie zum Mittelpunkt unserer Verkehrspolitik gemacht und in unser politisches Gesamtkonzept eingefügt.
    Die Grundprinzipien und Ziele der Piratenparteien sind Freiheit, Fortschritt und Teilhabe (oder die 3 F: „Freiheit. Fortschritt. Für Alle.“) und das ist auch die Art und Weise, wie PIRATEN Verkehrspolitik machen die Verkehrswende gestalten wollen. Wie schön, dass da der fahrscheinfreie Nahverkehr so gut passt und wie gut, dass er sich als genau das richtige Instrument entpuppt hat, um die Klima-, Mobilitäts-, Technologie-, Teilhabe-, Gesundheits-, Entwicklungs- und Wohlstandsziele zu erreichen, die unsere gegenwärtige Gesellschaft – ganz objektiv gesehen – unbedingt braucht.

    Der massive Ausbau und die massive Attraktivitätssteigerung des ÖPNV sollten die Schlüsselelemente für die dringend notwendige Verkehrswende sein. Das hatte nicht nur zur Folge, dass das Konzept des fahrscheinfreien Nahverkehrs 2011 und 2012 durch Plakate und Medienberichte bekanntgemacht und populär wurde. Wir nutzten unsere Ressourcen, um Grundlagen zu erarbeiten und lieferten vor allem in den Landtagen Ergebnisse, die allen, die am fahrscheinfreien ÖPNV arbeiten wollen, noch heute helfen können.

    In Berlin entstand eine Grundlagen- und Machbarkeitsstudie zum fahrscheinlosen ÖPNV, die durch die Berliner Besonderheit, gleichzeitig Stadt und Bundesland sein zu können, auch in den Berechnungen ins Detail gehen kann. In NRW initiierte die dortige Piratenfraktion eine Enquetekommission zu „Finanzierung, Innovation und Nutzung des Öffentlichen Personenverkehrs“, die ich über zwei Jahre geleitet habe. Den Bericht der Kommission ergänzte die Fraktion durch eine Machbarkeitsstudie „Bus und Bahn #fahrscheinfrei NRW“ mit den Beispielstädten Wuppertal, Bad Salzuflen und dem Kreis Recklinghausen.
    Darüber hinaus gab es in den letzten fast 10 Jahren „Bus und Bahn fahrscheinfrei bei den Piraten“ zahlreiche Veranstaltungen und Vorträge. Es entstanden Faktenchecks und Erklärvideos. In den Landtagen und Räten wurden Konzepte entworfen und Anträge gestellt. Einige der Studien, Videos und Materialen wurden hier gesammelt.
    In vielen Kreistagen und Stadträten in ganz Deutschland konnten PIRATEN kleine Erfolge erzielen und andere Politikerinnen und Politiker für die Konzepte gewinnen. Die zahlreichen kleinen Fortschritte, symbolischen Fahrscheinfrei-Tage und Modellprojekte gehen vielfach auf die Arbeit der PIRATEN vor Ort zurück.

    Anfangs wurden die PIRATEN von allen Parteien für die Idee ausgelacht. Nicht, weil sie nicht verstanden wurde, sondern um sie klein zu halten.
    In den folgenden Jahren ernteten wir in den Landesparlamenten, Kreistagen und Stadträten mehr und mehr Respekt, weil wir den fahrscheinfreien Nahverkehr als Lösung für viele Probleme präsentieren konnten:
    Im Rahmen der sozialen Fürsorge, Teilhabe, Mobilität für alle, Verkehrsfinanzierung, Schließung von Finanzierungslücken, Aufhalten des Verkehrskollaps, Gesundheit, Bequemlichkeit. Eines ließen wir oft unter den Tisch fallen, weil es die meisten unserer politischen Mitstreiter in anderen Parteien kaum interessierte: den Umwelt- und Klimaschutz. Der Umweltschutzgedanke schien uns zwar wichtig, aber verbraucht und als Argument zu unwirksam, um politisch zu überzeugen.

    Unter anderem durch das Aufbegehren unserer Jugend, haben wir heute die Chance, dass Klimaschutz endlich auch politisch ernst genommen wird. Natürlich gehören eine richtige Verkehrswende und damit ein massiver Ausbau des ÖPNV zu den wesentlichen Maßnahmen, die für eine Klimawende dringend notwendig sind. Wenn dadurch die anderen Ziele des fahrscheinfreien ÖPNV quasi nebenbei miterreicht werden oder dabei helfen, die Verkehrswende umzusetzen, dann haben wir alle gewonnen.
    Ich denke, die Piratenpartei hat mit ihrer nun fast zehnjährigen Arbeit am fahrscheinfreien ÖPNV einen guten Beitrag zur Realisierung dieser Aufgabe geleistet.