Schlagwort: Wissensgesellschaft

  • Arbeit 4.0 – Eine Standortbestimmung

    Arbeit 4.0 – Eine Standortbestimmung

    Pünktlich zum 1. Mai, dem sogenannten Arbeiterkampftag, häuften sich mal wieder Meldungen aus dem Ressort Arbeitspolitik: der WDR deckt auf, dass die Arbeitslosenstatistiken gnadenlos geschönt sind, die Gewerkschaften sind gegen ein Bedingungsloses Grundeinkommen, die CDU jubelt über 600.000 Menschen mit neuem Job und die FDP betont, dass Menschen, die in ihren Augen leisten, mehr Geld haben müssen als Minder- oder Nicht-Leister. Also eigentlich alles wie immer.

    Dennoch lohnt ein näherer Blick auf diese Meldungen, um eine Standortbestimmung durchzuführen. Sind wir schon bei Arbeit 4.0? Oder verharren jene, die sich professionell mit Arbeitspolitik beschäftigen sollten, mit ihrem Denken immer noch im geistigen Mittelalter?

    Unser Verständnis und unser Begriff von Arbeit stammen tatsächlich noch aus dem Mittelalter, aus einer calvinistischen Denkweise, die sich am besten mit dem Satz „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ beschreiben lässt. Getreu diesem Motto ließ die FDP mitteilen, dass selbstverständlich Menschen, die nicht arbeiten, weniger Geld im Monat haben dürften als Menschen, die werktätig sind. Dies klingt vielleicht auf den ersten Blick logisch, jedoch wissen wir leider aus langer leidvoller Erfahrung mit der Politik der FDP, dass diese nur einen sehr engen Begriff von Arbeit hat. Das Pflegen von Angehörigen, ehrenamtliche Betätigung aber auch künstlerische, nicht auf den Markt orientierte Tätigkeiten fallen bei ihr nicht darunter.

    Bezeichnenderweise müssen in der Logik der FDP nicht nur nicht-arbeitende Menschen mit wenig Geld zufrieden sein. Auch, dass arbeitende Menschen mehr Geld erhalten müssten, kommt der FDP selten in den Sinn, denn diese Forderung würde sich ja überwiegend gegen ihre Stammklientel, die Arbeitgeber richten. Dass es unter diesen auch zahlreiche schwarze Schafe gibt, die mies zahlen, am Mindestlohn tricksen und am liebsten billigere Arbeitskräfte aus Übersee einstellen würden, wird nicht erwähnt.

    Sogar halbe Staatsunternehmen sind da leider nicht ausgenommen, wie die Deutsche Post mit ihren neuen Richtlinien zur Entfristung von Arbeitsverträgen eindrucksvoll beweist.

    Wenigstens da hat die CDU mal Empörung angemeldet, ist sie doch sonst eher der FDP marktgläubige Schwester im Geiste. Mein schwarzes Pendant AKK freut sich nämlich derweil über: „600.000 Erwerbstätige mehr als vor einem Jahr. […] hinter dieser Zahl stehen über 600.000 Menschen mit ihren Familien.“
    Leider spricht die Kollegin kein Wort darüber, ob diese 600.000 Menschen die erwähnten Familien von diesem Job überhaupt ernähren können, sie glücklich in ihrem Job sind und wie sehr sie vorher von Arbeitsagentur und Jobcenter drangsaliert wurden. Arbeit an sich wird zu einem Wert verklärt, unabhängig von deren Sinnstiftung oder sekundären Auswirkungen.

    Währenddessen aus der Ecke der Gewerkschaften: eine Absage an das Bedingungslose Grundeinkommen. Ja, das ist eine Utopie mit vielen Fragezeichen. Ja, wir werden uns sehr detailliert darüber unterhalten müssen, ob und wenn ja wie dies gehen kann. Ja, es wäre eine absolute Revolution und echtes Neuland. Aber das ist ja mit Paradigmenwechseln immer so.

    Ich jedenfalls habe den Eindruck, dass die Gewerkschaften, die sich rein beruflich schon ein bisschen auskennen sollten, noch weniger vom Bedingungslosen Grundeinkommen verstanden haben als Ottonormalleser.

    Korrekt haben die Gewerkschaften erkannt, dass sich der Mensch (unter anderem) durch Arbeit definiert. Gerade deshalb ist es so wichtig, sinnstiftende, nachhaltige Tätigkeiten auszuführen, die man sich ausgesucht hat, in denen man aufgeht, die einem liegen und leicht von der Hand gehen. Es geht genau darum, nicht mehr jeden Scheißjob annehmen zu müssen, bloß um Miete und Lebensmittel zahlen zu können. Es geht darum, nicht mehr morgens mit Bauchschmerzen aufzustehen und sich auf den Arbeitsweg zu zwingen. Es geht darum, sich abends im Spiegel ansehen zu können, ohne zu würgen.

    Eben weil die meisten Menschen nicht glücklich sind, wenn sie daheim hocken und nichts tun, besteht zumindest eine theoretische Chance, dass sie sich auch mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen oder ähnlichen Konstrukten wieder eine Beschäftigung suchen. Eben weil diese „den Alltag strukturiere, für Teilhabe und sozialen Zusammenhalt sorge“.

    Noch nicht belegt ist auch das Argument, dass „mit Anstrengung verbundene, aber nützliche Dienstleistungen“ Gefahr laufen würden, nicht mehr vollbracht zu werden. Zuallererst einmal würden diese nützlichen Dienstleistungen deutlich besser bezahlt und im gesellschaftlichen Ansehen aufgewertet werden müssen, damit sie jemand tut. Darin kann ich nichts Schlechtes erkennen.

    In diesem Zusammenhang lohnt auch ein Blick nach Finnland, wo angeblich das Grundeinkommens-Experiment abgebrochen wurde, weil es gescheitert ist. Glaubt man der verantwortlichen Studienleiterin, ist die Sachlage allerdings eine andere. Auch die finnische Botschaft sah sich zu einem Statement genötigt. Trotzdem bleibt aber der fade Nachgeschmack, dass hier bereits das Ergebnis (also die Nicht-Fortführung) vorweggenommen wird und stattdessen ohne wissenschaftliche Basis eine politisch opportune Agenda durchgezogen wird.

    Der WDR meldet inzwischen wenig überraschend, dass die Arbeitslosenstatistiken seit Jahren geschönt und aufgehübscht werden, um vorzeigbar auszusehen. Nicht, dass dies dem interessierten Bürger nicht seit Jahren bekannt wäre – nur eben etwa zweimal jährlich zur Vorstellung der Statistiken ploppt’s halt hoch.

    Alles in allem: wo stehen wir denn nun? Ich fürchte leider: noch ganz am Anfang. Der Weg, das Verständnis von Arbeit, die Definition von Arbeit, zu wandeln, ist ein langer und steiniger. Wenn wir als Gesellschaft nicht aufpassen, wird uns dieser Wandel überrollen.

    Deshalb haben wir Piraten uns von höherem Mindestlohn über Streichung der Hartz-IV-Sanktionen bis zum Bedingungslosen Grundeinkommen Forderungen ins Programm geschrieben, die ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen. Solange Arbeitgeber und Regierung nicht einsehen, wie notwendig Veränderungen hier sind, gehen wir nicht weg und fordern weiterhin ein, was nötig ist, damit wirklich alle in diesem Land gut und gerne leben können.
    Die Geschichte der Arbeit hat gezeigt, dass ihre Transformationen vielleicht zu verlangsamen waren, jedoch niemals aufzuhalten. Die Arbeitswelt – und mit ihr unser gesamtes Zusammenleben – wird sich ändern. Es ist an uns, diese Änderungen aktiv zu gestalten, solange wir darauf noch Einfluss haben.

  • Freiheit von Forschung und Lehre

    Bereits zum zweiten Mal findet morgen der „March for Science“ statt. Das ist nötiger denn je, denn die Situation an Hochschulen und Universitäten ist alles andere als rosig. Wissenschaft ist schon lange Spielball der Mächtigen aus Industrie und Politik, da bedarf es keines Trumps. Er hat nur den Vorhang niedergerissen. Die Freiheit, die da aller Orten proklamiert wird, wurde schon lange geopfert.

    PIRATEN stehen für die Freiheit von Forschung und Lehre, für OpenData und OpenAccess. Für eine Wissenschaft, die es nicht zulässt, dass Theorien als „Verschwörungstheorien“ betitelt werden, nur weil deren Aussage nicht genehm ist. Das Wissen, das in öffentlichen Einrichtungen erlangt wird, muss offen und allen zugänglich sein – ohne Wenn und Aber. Hochschulen und Universitäten müssen wieder das werden, was sie einmal waren: die Universitäten der Ort der allgemeinen Grundlagenforschung, für das „Neue“, Fachhochschulen hingegen mit einer eher anwendungsorientierten Forschung für Handwerk, Mittelstand, Industrie, Land- und Forstwirtschaft.

    Prekäre Arbeitsplatzsituationen in Forschung und Lehre, aber auch in der Verwaltung der Hochschulen greifen immer mehr um sich. Daher liegt das Hauptaugenmerk des akademischen Mittelbaus nicht auf der Forschung, sondern ist verständlicherweise darauf ausgerichtet, wie man die nächsten Jahre übersteht. Sekretärinnen sind inzwischen eigentlich mehr akademische Assistenten – und das meist für mehrere Lehrstühle. Bei manchen ist es inzwischen gar normal geworden, mehrere Arbeitsverträge zu haben, bunt gemischt, befristet und unbefristet, und alles beim selben Arbeitgeber.

    Hochschulen dürfen keine Durchlauferhitzer mit Schnellbesohlung für verwertbares Wissen sein. Die Reformen der letzten Jahre führten jedoch genau dazu. Früher war es üblich, z.B. in Technikstudiengängen auch Philosophie, Ethik, Arbeitswissenschaften, BWL etc. zu lehren. Heute wird nur (aus)gebildet für das, was die Industrie gerade fordert– nicht mehr, nicht weniger. Umfangreiches, themenübergreifendes Wissen? Fehlanzeige.

    Verstehen wir uns nicht falsch: eine zumindest europaweite Vergleichbarkeit aller Studienangebote war und ist eine gute Idee. Dafür hätten aber die bereits bekannten ECTS-Punkte vollauf genügt. Denn dabei ist es egal, ob der Abschluss am Ende Master, Diplom oder Magister heißt. Aber unter dem Vorwand, die „nationalen Hochschulbildungssysteme aufeinander abzustimmen, unter anderem durch eine europaweite Strukturierung des Studienverlaufs“, gab es in den letzten Jahren dann einen Kahlschlag bei der Vielfalt akademischer Wissensvermittlung, der nicht mehr hinzunehmen ist.

    Statt frei zu sein, sind Forschung und Lehre inzwischen zutiefst drittmittelabhängig, also von Geldern aus Wirtschaft und Industrie, die den Universitäten für gezielte Forschung zur Verfügung gestellt werden. Diese Drittmittelförderung stammt natürlich von „potenten Partnern“ der Forschung: allseits bekannte, multinationale Konzerne aus Pharma-, Chemie-, Rüstungs-, Automobil-, Finanz- und Werbeindustrie sowie immer mehr aus dem BigData-Sektor der Internetbranche. Das ist nichts anderes als ein Zeichen für die marktkonforme Durchdringung unserer Bildung, unserer Arbeit, unserer Freizeit – einfach des ganzen Lebens.

    Wissenschaft gleicht inzwischen immer mehr dem Bild eines Kampfes um Deutungshoheit und Herrschaftswissen. Es hat sich eine Art Mainstreamwissenschaft entwickelt, die alles unterdrückt, was gerade nicht in den Kram passt. Sogenannte Elitenförderung gehört dazu – wo doch die Elite gerade diejenigen sein sollten, die statt Förderung eher Freiräume zur Entwicklung benötigen. Förderung benötigen die, die einen schwierigen Zugang zu Bildung haben.

    In Zeiten, in denen Begrifflichkeiten wie „Fake News“ oder „Hate Speech“ – die es übrigens schon immer gab – als Waffe gegen alle unliebsamen Aussagen und Meinungen, zur Unterdrückung freier Meinungsäußerung, als Begründung für unsägliche Gesetze wie das NetzDG – also schlicht und einfach für die Manifestierung eigener Deutungshoheit missbraucht werden, wünscht man sich schon lange einen Aufschrei der Gesellschaft: eine Demo, wie die „Freiheit statt Angst“ oder „Wir haben’s satt“ in ihren besten Tagen.

    Statt dessen wird nun mit dem „March for Science“ eine Demo von all jenen organisiert und unterstützt, die für die Entwicklung der letzten 30 Jahre mitverantwortlich sind oder zumindest nichts dagegen taten. Wenn man Slogans wie „Tellerrand? Da schau ich drüber!“ liest, weiß man nicht, ob lachen oder weinen. Die Praxis zeigt ein anderes Bild: interdisziplinär geht schwer.

    Wir sollten uns am „March for Science“ also mit eigenen Forderungen beteiligen – und zwar nach einer vernünftigen Wissenschaftspolitik, nach vernünftigen Arbeitsverträgen im Wissenschaftsbereich und in der Verwaltung, nach Offenheit der Forschung und kollegialer Zusammenarbeit, auch nach dem Ende von Konferenzen und Tagungen und wenn die Presse zu Hause ist.

    Ändern wir daran etwas, beenden wir den neoliberalen Weg – auf vernünftige Art und Weise.

  • Abschaffung der WLAN-Störerhaftung gilt ab 2017 – Piraten lassen Sony auflaufen

    Tobias McFadden, Gemeinderatsmitglied der Piratenpartei in Gauting, kämpft seit Jahren für freies WLAN und gegen die Störerhaftung in Deutschland. In einem über sieben Jahre andauernden, aufsehenerregenden Prozess, der von der Piratenpartei unterstützt wird, hat sich auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg mit dem Fall befasst und der Bundestag mehrfach das Gesetz ändern müssen.

    Jetzt hat das Oberlandesgericht (OLG) München das Urteil im Prozess McFadden gegen Sony Music gesprochen. Der Versuch von Sony Music, die Abschaffung der Störerhaftung wegen Verstoßes gegen EU-Urheberrecht kippen zu lassen, ist gescheitert. McFadden:

    „Das Gericht hat die Unterlassungsansprüche der Gegenseite anhand des neuen Telemediengesetzes (TMG) abgewiesen und die Abschaffung der Störerhaftung für offene WLANs bestätigt. Das ist ein Meilenstein für kleine Anbieter von offenen WLANs und Netzwerken in Bürgerhand!“

    Der Datenschutzexperte der Piratenpartei Patrick Breyer:

    „Das veraltete Urheberrecht wird weiterhin zu Massenabmahnungen, zur Ausspähung von Internetnutzern und zu ständigen Forderungen nach einer Einschränkung des freien Internetzugangs führen. Wir Piraten treten für einen Befreiungsschlag durch Legalisierung des privaten Kulturgütertauschs ein. Im Gegenzug könnten die Urheber pauschal entschädigt werden, beispielsweise durch eine Abgabe von Internetkonzernen.“

    Hintergrund: McFadden betreibt in Gauting ein frei nutzbares WLAN-Netz, über das vor Abschaffung der Störerhaftung im Jahr 2017 eine Urheberrechtsverletzung begangen worden sein soll. Nach dem heutigen Urteil soll McFadden zwar 800 Euro Abmahnkosten tragen. Sony Music ist aber mit dem Hauptanliegen gescheitert, McFadden zur Abschaltung des WLAN-Hotspots oder zur Beschränkung der Nutzbarkeit zu verpflichten (sog. „Unterlassungsanspruch“).

  • Stephen Hawking, CBE (1942 – 2018)

    Stephen Hawking, CBE (1942 – 2018)

    „Denken Sie daran, nach oben zu den Sternen zu schauen und nicht nach unten auf Ihre Füße. Wie schwer das Leben auch scheinen mag, es gibt immer etwas, das Sie tun können. Es ist nur wichtig, niemals aufzugeben.“

  • Zehn Jahre danach: Bildungsrepublik Deutschland?

    „Schicksalstag für die SPD“ – so oder ähnlich titelten die Gazetten, als sie über die Entscheidung des SPD-Sonderparteitags über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD schrieben.

    Ja, die Entscheidung wird die weitere Entwicklung der SPD beeinflussen. Interessanter für unser Land ist jedoch, was nach einem ‚Ja‘ der SPD zur #GroKo zu erwarten ist und was den Menschen in unserem Land versprochen wird. In dieser Artikelserie gehen wir diesen Fragen auf den Grund.

    „Wohlstand für alle heißt heute Bildung für alle.“ sagte Angela Merkel bei ihrer Rede zum 60. Geburtstag der sozialen Marktwirtschaft am 12. Juni 2008, rief die „Bildungsrepublik Deutschland“ aus und erklärte Bildung zu der Zukunftsfrage der nächsten Jahre.

    Passiert ist seitdem in drei Regierungenkoalitionen unter Angela Merkel nicht viel in dieser Bildungsrepublik. Der Ausbau der Kindertagesstätten aufgrund des Rechtsanspruchs lief ja schon und wurde weiter betrieben. Es wurden an einigen Universitäten dank der Exzellenz-Initiative besondere Rahmenbedingungen geschaffen. Ansonsten herrschte auf Regierungsebene stilles Desinteresse. Parolen ohne Taten.

    Für eine vierte Regierung Merkel haben CDU/CSU und SPD das Thema Bildung wieder einmal als Zukunftsthema verhandelt. Wie sehen die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen aus bildungspolitischer Sicht aus?

    „Wir wollen die Bildungschancen in Deutschland im gemeinsamen Schulterschluss von Bund und Ländern verbessern. Dafür wollen wir einen nationalen Bildungsrat einrichten.“
    Mit der Einrichtung eines nationalen Bildungsrats will die Koalition der Bedeutung des Themas Bildung gerecht werden, nachdem die letzten drei Regierungen dies vernachlässigten. Hoffentlich wird aus diesem Bildungsrat mehr als ein Feigenblatt. Wie ein solcher nationaler Bildungsrat neben der Kultusministerkonferenz und den einzelnen Ministerien in eine Entscheidungslandschaft eingebunden wird, bleibt genauso nebulös wie die Frage, wer diesen Rat bildet, aus welchen Mitgliedern er bestehen wird und welche Aufgaben er haben wird.

    +/-0 für diesen nicht substantiierten Bildungsrat

    „Wir werden eine Investitionsoffensive für Schulen in Deutschland auf den Weg bringen. Diese umfasst zusätzlich zum laufenden Schulsanierungsprogramm die Unterstützung der Länder bei ihren Investitionen in die Bildungsinfrastruktur, insbesondere Ganztagsschul- und Betreuungsangebote, Digitalisierung und berufliche Schulen.“
    Es ist allerhöchste Zeit für eine angemessene Finanzierung der Bildungslandschaft abseits von Exzellenzinitiativen. Die Ausgaben im Bildungssektor liegen, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, in der Bundesrepublik Deutschland seit Jahren unter dem OECD-Durchschnitt. Zu Recht wird diese Sparsamkeit an der falschen Stelle von der OECD gerügt. Die Piratenpartei fordert daher seit Jahren eine Anhebung mindestens auf den OECD-Durchschnitt.
    Die jetzt vereinbarten 10 Milliarden Euro sind, obwohl sie teilweise im Sozialhaushalt verausgabt werden (SGB VIII), ein großer Schritt in die richtige Richtung. Sie bedeuten jedoch für jeden Schüler und Studenten in der kommenden Regierungsperiode nur knapp 15 Euro/Monat. Davon muss neben anderen Dingen die Infrastruktur verbessert und in Teilen erst geschaffen, (mehr) Lehrer ausgebildet und beschäftigt, Ganztagsstrukturen erweitert und teilweise erst geschaffen werden. Diese zusätzliche Finanzierung durch den Bund steht allerdings unter dem Vorbehalt der Grundgesetzänderung.

    +0,5 für die zusätzliche Finanzierung durch den Bund

    „Dazu werden wir die erforderliche Rechtsgrundlage in Art. 104c GG anpassen.“
    Eine langjährige Forderung der Piratenpartei wird nun endlich aufgegriffen:

    „Bildung ist nicht nur Ländersache, sondern eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Wir setzen uns für eine Aufhebung des Kooperationsverbotes ein. Der Bund muss öffentliche Bildungseinrichtungen finanzieren dürfen.“

    Im Koalitionspapier ist vereinbart, dass die Kultushoheit bei den Ländern verbleibt. Das ist vermutlich der Preis dafür, dass die Länder die nötige Grundgesetzänderung mittragen. Nach unserer Auffassung ist das leider nur der halbe Schritt hin zu einer Bildungslandschaft, in der Ländergrenzen keine hohen Hürden für Lehrende und Lernende mehr darstellen.

    +1 für die Anpassung des Grundgesetzes

    „Das Ausbildungsförderungsgesetz des Bundes (BAföG) wird ausgebaut und die Leistungen werden deutlich verbessert. […] Die Berufliche Bildung werden wir mit einem Berufsbildungspakt modernisieren und stärken.“
    Die Stärkung des BAföG und anderer Förderinstrumente begrüßen wir genauso wie eine Modernisierung der beruflichen Bildung. Wir werden die konkrete Ausgestaltung dieser Punkte beobachten.

    +0,5 für den Bereich der Förderinstrumente

    „Deutschland muss ein Innovationsland bleiben. Deshalb vereinbart der Bund gemeinsam mit den Ländern und der Wirtschaft, bis 2025 mindestens 3,5 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung aufzuwenden.“
    Die OECD attestiert der Bundesrepublik Ausgaben in Höhe von knapp 3% (Stand 2015). Hier wird eine leichte Steigerung vereinbart.

    +1 für die Finanzierung von Forschung und Entwicklung

    „Für strukturschwache Regionen […] werden wir zielgenaue Förderinstrumente entwickeln. […] Die Hightech-Strategie wird weiterentwickelt und auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen fokussiert.“

    Inhaltsleer, daher ohne Wertung.

    Insgesamt vermissen wir in der Vereinbarung einiges. Wo bleibt die Verbesserung der Lehramtsausbildung insbesondere im Bereich Digital- und Medienkompetenz? Wo bleibt die Einbindung von offenen Bildungsquellen (open educational resources)? Was ist mit der Vergleichbarkeit von Abschlüssen in der hochschulischen und der beruflichen Bildung? Kommt was zur Verbesserung der Master-Studienplatzangebote für Bachelor-Absolventen? Und die Förderung des internationalen Austauschs von Lernenden?

    -1 für die fehlenden Vereinbarungen

    Fazit
    Anscheinend sind die möglichen Koalitionspartner aus ihrem jahrelangen Tiefschlaf erwacht und haben nun endlich den Willen zu einer besser finanzierten Bildungslandschaft. In vielen Punkten bleibt das Ergebnis jedoch unter den Möglichkeiten. Was die Koalitionäre vergessen haben und wie zukunftsorientierte Bildungspolitik neben rein finanziellen Erwägungen aussehen kann, zeigen wir in unserem Programm.

  • Internationale Sicherheitskonferenz der Piratenpartei

    Internationale Sicherheitskonferenz der Piratenpartei

    Vertreter der Piratenparteien aus ganz Europa als Experten zu den jeweiligen Themen treffen sich in München am 17. und 18. Februar 2018 zur Piraten-Sicherheitskonferenz (Pirate Security Conference). Aktuelle Entwicklungen in der Welt – beispielsweise im Iran und in Kurdistan – als auch besonders die Frage der Resilienz, also der Widerstandsfähigkeit von Infrastruktur und Gesellschaft gegen neuartige Angriffe in den verschiedensten Bereichen, werden beleuchtet.

    Die Konferenz dient auch zur weltweiten Identifizierung neuer technischer Trends. Parlamentarier und Aktivisten aus Tschechien und Island, ebenso wie Fachreferenten werden für ein hohes fachliches Niveau sorgen. Besonders freuen wir uns auf Birgitta Jónsdóttir, Wikileaks-Aktivistin und Gründerin der Piratenpartei Island, Frank Umbach, Professor am King’s College London und Spezialist für Rohstoffsicherheitsfragen, sowie weitere Experten für das Hauptthema der Konferenz „Resilienz“, die dieses aus verschiedenen Perspektiven heraus betrachten werden.

    Die Anmeldung zur Teilnahme erfolgt über die Website der PSC.
    Schirmherr der Konferenz ist Pirate Parties International, Genf. Konferenzsprache ist Englisch.

  • DIN wird 100 Jahre alt, PIRATEN gratulieren

    DIN wird 100 Jahre alt, PIRATEN gratulieren

    Das Deutsche Institut für Normung (DIN) wurde am 22.12.1917 als „Normenausschuss der deutschen Industrie“ gegründet und ist die bedeutendste Normungsorganisation in Deutschland. Wir gratulieren herzlich zu diesem runden Jubiläum!

    Bei dem Begriff „Normen“ werden die meisten desinteressiert abwinken. Normen gelten ja als langweilig oder schlimmstenfalls hinderlich dafür, neue Wege zu gehen. Doch das ist ein verzerrtes Bild von dem, was Normen wirklich bedeuten. Denn ohne Normen würde unsere moderne, technische Welt schlichtweg nicht funktionieren.

    Hätten wir keine internationalen Normen für digitale Kommunikation, dann gäbe es diesen Artikel nicht. Ohne Norm für Stecker wäre die Inbetriebnahme jedes elektrischen Gerätes ein Abenteuer. Der Versuch, ein Auto zu betanken ohne genormte Einfüllstutzen und Zapfpistolen, wäre ziemlich gefährlich. Immer wenn Dinge in großer Menge hergestellt werden, helfen Normen, damit wir sie auch wirklich einsetzen können.

    Am Anfang der Industrialisierung musste deutlich umgedacht werden. Zuvor hatten alle Hersteller ihre Produkte in Handarbeit quasi als Einzelstücke angefertigt. Mit der Serienfertigung wurde es notwendig, die Teile eines Produktes immer gleich anzufertigen, um eine Austauschbarkeit zu gewährleisten. Die Fabriken begannen also, ihre Produkte und deren Einzelteile zu standardisieren. Das Resultat waren höhere Produktivität, fallende Preise und damit zunehmende Verfügbarkeit von Produkten.

    Das löste aber noch nicht das Problem, dass Produkte verschiedener Hersteller nicht zusammen passten. Sehr deutlich wurde das beim Militär. Große Mengen Material, alles mit speziellen Einzelteilen, das ergab ein riesiges Problem bei Wartung und Nachschub.

    Selbst aus heutiger Sicht so triviale Teile wie Schrauben waren ein Problem. Jeder Hersteller verwendete Gewinde und Abmessungen, für die gerade Werkzeuge vorhanden waren. 1918 begann DIN, das Chaos bei der Befestigungstechnik zumindest in Deutschland abzuschaffen: die erste veröffentlichte Norm war „DIN 1 – Kegelstifte“.

    Neben der Verbesserung militärischer Produkte wurde Normung in der Anfangszeit auch häufig zur Abschottung von Märkten verwendet. Gezielt inkompatibel entwickelte Normen sollten ausländische Konkurrenten aus dem eigenen Markt fern halten. Die Erkenntnis, dass man sich damit auch selber den Zugang zu diesem ausländischen Markt erschwerte, kam erst später.

    Der wachsende Welthandel nach dem 2. Weltkrieg und die zunehmende Öffnung innerhalb Europas brachte eine Umorientierung in der Normung hin zu internationaler Kooperation. Heute arbeitet das DIN nicht mehr isoliert als deutsches Normungsinstitut, sondern über die europäischen Dach-Institute CEN, CENELEC und ETSI mit den anderen Instituten in ganz Europa zusammen. CEN, CENELEC und ETSI wiederum arbeiten mit den internationalen Instituten IEC, ISO und ITU. Normung ist heute in Deutschland und der EU keine nationale Angelegenheit mehr sondern etwas, das zusammen mit fast der ganzen Welt passiert.

    Fast der ganzen Welt, weil ein großer Staat nicht mitmacht: die USA. Dort gibt es keine klare Normungsstruktur, sondern über 600 Institute, die miteinander konkurrieren. Die USA sind weit weg von dem europäischen Prinzip „Ein Sachverhalt, eine Norm“ und haben ihren Nachbarn Kanada teilweise in ihre chaotische Normenschwemme eingebunden.

    Darum ist es auch so gefährlich, was die EU mit den Abkommen CETA und TTIP treibt. Diese drohen nämlich das europäische Normungssystem zu zerstören, indem die nordamerikanischen Standards auch hier gültig werden. DIN und die anderen europäischen Institute haben mit vielen Jahren Arbeit dafür gesorgt, dass die meisten Normen in der EU in allen Ländern einheitlich sind; CETA gefährdet dies jetzt und könnte uns wieder zum Anfang des Binnenmarktes zurückkatapultieren. Wir wollen hoffen, dass CETA noch aufgehalten wird, bevor solcher Schaden entsteht.

    Auf jeden Fall: Danke, liebes DIN, für 100 Jahre Arbeit daran, letztlich unser aller Leben einfacher zu machen. Wenn auch manch einem beim Anblick einer Norm das Leben sehr kompliziert erscheint, ohne Normen würde ganz viel nicht funktionieren – ohne DIN hätten wir nicht einmal einheitliche Schrauben.

  • Zur deutschen Fassung von „Wolfenstein II: The New Colossus“: Beendet die Banalisierung der Videospielkunst

    Zur deutschen Fassung von „Wolfenstein II: The New Colossus“: Beendet die Banalisierung der Videospielkunst

    Das Videospiel „Wolfenstein II: The New Colossus“ hat in den USA große Wellen geschlagen. In dem Spiel schließt man sich als jüdischer Widerstandskämpfer mit einer Reihe weiterer Figuren zusammen, die alle soziale Randgruppen wie Behinderte und Schwarze darstellen, und versucht, sich dem „Regime“ – wie es in der deutschen Fassung genannt wird – mit allerlei Mitteln entgegen zu stellen. Gerade unter Anhängern der „Alt-Right“-Bewegung hat das Spiel in den USA zu massiven Protesten geführt. Im Gegenzug dazu urteilte die Seite Motherboard, dass in Zeiten, in denen ein Donald Trump sich weigere, Nazigewalt zu verurteilen, „Wolfenstein II“ das Spiel sei, was wir aktuell brauchen. Auch in Bezug auf die aufgeheizte Situation in Deutschland besteche das Spiel mit seiner klaren Haltung und eindeutigen Aussage.

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    Die ursprüngliche Story des Spiels verliert sich dabei in keinem banalen Schwarz-Weiß-Denken, sondern stellt – frei nach Hannah Arendt – die ganze Banalität des Bösen dar. Im Spiel versuchen viele Charaktere, eben nicht die klassischen Helden zu sein, sondern das Regime zu akzeptieren und weiter zu leben, während diejenigen, die nicht ins Bild passen, verschwinden und in Lager gesteckt werden. Diese inhaltliche Tiefe wurde in der deutschen Fassung allerdings entschärft und damit auch die gewollte Aktualität des Spiels geopfert. So ist die jüdische Herkunft des Helden ebenso verschwunden, wie ein direkter Bezug auf Nazis; aus den nationalsozialistischen Vernichtungslagern wurden „gewöhnliche“ Straflager. Verschwunden ist damit auch die als Parabel gedachte Handlung, die anhand einer scheinbaren Dystopie versucht aufzuzeigen, was passiert, wenn man allzu lange zu autoritären und totalitären Entwicklungen schweigt.

    Die Ursache für dieses Verschwinden liegt in der deutschen Rechtsprechung. Gemäß dieser sind Hakenkreuz-Darstellungen in Computerspielen – anders als etwa in Filmen – nicht zulässig, da Videospiele gemeinhin nicht als Kunst gelten. Ausgelöst hatte dieses Urteil ausgerechnet 1994 das Spiel Wolfenstein 3D, der Vor-Vor-Vor-Vorgänger von Wolfenstein II. Seither erscheinen Videospiele mit historischem Bezug in Deutschland stets in einer entschärften Version. Dies betrifft nicht nur Shooter, sondern auch Strategiespiele wie die „Hearts of Iron“-Serie des schwedischen Entwicklers Paradox Interactive. Während niemand auf die Idee käme, ranghohe Nazis aus Filmen wie „Schindlers Liste“ oder „Inglourious Basterds“ zu entfernen, wird auf Darstellungen historischer Persönlichkeiten wie etwa Adolf Hitler in Videospielen hierzulande konsequent verzichtet. Eine ähnliche Zensur gibt es beispielsweise bei „Hearts of Iron“ nur in der Volksrepublik China, da das Spiel die chinesische Geschichte nicht im Sinne der dortigen Parteiführung darstellt und der Titel deswegen zensiert wurde. Die deutsche Rechtssprechung begibt sich also in fragwürdige Gesellschaft. Sie mag damit sonst nur lächerlich wirken; im Falle von „Wolfenstein II“ ist sie sogar gefährlich, weil durch die Entschärfung das nationalsozialistische Unrechtsregime zur kontextlosen Beliebigkeit verkommt und das Spiel seine historische wie aktuelle Aussagekraft verliert.

    In Deutschland, so mag man argumentieren, brauche es kein Computerspiel mehr, um über die Gefahren von Diktaturen aufzuklären; dazu genüge ja ein Blick in den dunklen Abgrund unserer Geschichte. Doch wenn man Studien zum Bildungsstand der Jugend bezüglich der Zeit des Nationalsozialismus betrachtet, so scheint diese Mahnung mehr und mehr zu verblassen. Wenn 40% der Schüler nicht mehr wissen, wofür Auschwitz steht, muss das uns alle alarmieren. Es zeigt, dass man mit klassischen Wegen viele Jugendliche nicht mehr ausreichend für das Thema sensibilisieren kann. Die neue Generation handelt und denkt digital und Videospiele sind Teil ihres Alltags. Wer die Zensierung des Spiels als Maßnahme des Jugendschutzes rechtfertigt, hat dabei die Intention eines Spiels wie „Wolfenstein II“ nicht verstanden. Es sensibilisiert auf subtile Weise für das Schweigen beim Aufstieg des Nationalsozialismus, das schleichende Ende der Freiheit und all die Schrecken totalitärer Herrschaft. Dieses Spiel bezieht eine klar antifaschistische Position ohne durch allzu Plakatives abzuschrecken. Es spricht die Jugend an und zwingt gerade durch die Aktualität dazu, auch außerhalb des Bildschirms Position zu beziehen. Die zum Teil massiven Reaktionen der „Alt-Right“-Bewegung in den USA sind der beste Beleg dafür.

    Wer glaubt, man müsse die zum Teil sehr klare Sprache und Symbolik des Spiels abschwächen, um so junge Menschen vor Fehlinterpretationen zu schützen, vergibt die einmalige Chance, die dieses Spiel bietet und erweist der Erinnerungskultur ebenso wie der Vermittlung demokratischer Wertvorstellungen einen Bärendienst. Es ist nicht erkennbar, weshalb Computerspiele einen geringeren Beitrag zur historisch-politisch-sozialen Bildung leisten sollen als beispielsweise Kinofilme, Comics oder Theateraufführungen. Als Piraten stehen wir konsequent für die Anerkennung von Videospielen als Kunstform, um eine historisch-kritische Auseinandersetzung mit unserer Geschichte auch auf heimischen Konsolen oder PCs zu ermöglichen.